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Achtes Kapitel

Pawlin ließ mich mit Ljuba allein, und ging selber, uns Tee zu machen. Ljuba saß im Lehnstuhl, die Füße ruhten auf einem Fußschemel und waren von einem alten, aber sehr sauberen Plaid zugedeckt. Ich begrüßte sie und gab meiner Freude Ausdruck, daß es ihr wieder besser ginge, und nahm am Tisch ihr gegenüber Platz.

Sie entgegnete nichts, sie seufzte nur und schnitt eine kleine Grimasse, die ich anfangs für den Ausdruck eines Schmerzgefühls hielt, doch ich täuschte mich: Ljuba wollte mit dieser Grimasse nur andeuten, daß sie unzufrieden sei und völlig trostlos.

»Ich bin gar nicht froh, daß ich wieder gesund werde, warf sie schließlich hin und zog schmollend ein Mäulchen.

»Sie freuen sich nicht darüber! Ja, gefällt es Ihnen denn so sehr, krank zu sein?« entgegnete ich und versuchte, in das Gespräch einen scherzhafteren Ton zu bringen; Ljuba wurde jedoch nur noch mißvergnügter und murmelte:

»Nein, nicht krank zu sein, aber …«

»Aber?« antwortete ich und gab mir alle Mühe, ihre Worte ins Spaßhafte zu ziehen. »Für Sie ist es dazu noch zu früh …«

»Ich bin sehr unglücklich,« flüsterte die Kranke, und plötzlich rannen reichliche Tränen ihr über beide Backen.

Ich gab mir alle Mühe, sie zu beruhigen und mit allgemein gehaltenen Redensarten zu trösten: das ganze Leben liege noch vor ihr und wenn die schwere Zeit erst vorbei sei, breche eine glücklichere an, – aber sie schnitt mir das Wort mit einer Handbewegung ab und meinte ungeduldig:

»Ich werde niemals glücklichere Zeiten erleben.«

»Warum denn?«

»Darum … well es mir so beschieden ist.«

Ich sah sie an und wußte in der Tat nicht, was ich antworten sollte. Aus ihren Worten klang keine vorübergehende Krankheitsstimmung, es lag in diesen Worten freilich etwas Schicksalsvolles, aber auch über ihrem ganzen Wesen lag etwas Unabwendbares, etwas Verhängnisvolles. Und wie sehr erinnerte mich ihr junges Antlitz an die Gesichter ihrer Großmutter und ihrer Mama. Das Gespräch stockte und wollte nicht weitergehen. Ljuba fragte mich keineswegs nach ihrer Kindheit aus, wie Pawlin erwartet hatte, sondern schwieg und war böse. Worüber konnte sie böse sein? – augenscheinlich über ihre Lage. Und wem konnte sie die Schuld daran zuschieben? Der Vorsehung etwa, die alles so gefügt? … bewahre; es machte mir eher den Eindruck, als stäke jemand anderer ihr im Kopf, dem sie die Schuld beimaß – und dieser Schuldige war, wie mir scheinen wollte, niemand anders als Pawlin. Ein kleiner Argwohn raunte mir zu, daß es vermutlich kurz zuvor zwischen den beiden eine Auseinandersetzung gegeben, woraufhin Pawlin den Kopf verloren, und um nicht Ljuba durch seine Anwesenheit zu ärgern, mich ohne jeden Wunsch ihrerseits herbeigerufen, da es ihm zu schwer war, sie ganz allein zu lassen. Und ein weiterer, vielleicht unbegründeter Argwohn sagte mir, daß Pawlin sich in Ljuba vermutlich sein Unglück großgezogen habe. Ljuba schien mir nämlich ein ungewöhnlich empfindsames, aber auch ungewöhnlich anspruchsvolles und eitles Mädchen zu sein – und ich wußte schon damals, wie schwer es einem ernsthaften Menschen fallen mußte, mit solchen Geschöpfen auszukommen. Und mir schwante, daß aller Kummer Ljubas eigentlich nur davon herrühre, daß sie im Zimmer des Portiers wohnen mußte und nicht im ersten Geschoß, und daß sie ihre Dankbarkeit einem Lakai zollen mußte und nicht seiner Herrin … War es nicht sonderbar? ich war gekommen, Ljuba mein Mitgefühl zu erweisen und nun bemitleidete ich unwillkürlich Pawlin. Es wollte fast den Eindruck machen, als hätte er bereits klein beigegeben und als fühlte er, daß er trotz allem nicht mehr als nur ein Lakai sei, – und daß sie, die ihm eigentlich alles zu verdanken hatte, trotzdem ein geborenes Fräulein wäre, die er kraft der Gewohnheit als ein Wesen, das über ihm stand, ansehen mußte. Zweifellos hatte Ljuba es längst heraus, daß sie das Übergewicht über ihren Erzieher gewonnen hatte, aber es fehlte ihr an Großmut, sich ihm gegenüber bescheiden und dankbar zu erweisen. Nachdem wir ins Sprechen gekommen waren, erzählte sie mir mit großer Genugtuung, daß gestern und heute Anna Lwowna sie besucht hätte, und mit ihr wäre auch ihr ältester Sohn Woldemar gekommen, der soeben zum Kornett in einem der elegantesten Garde-Kavallerie-Regimenter ernannt worden war. Und mit wie großem Vergnügen schilderte dieselbe Ljuba, die noch soeben verärgert und schweigsam gewesen war, diesen Besuch und erzählte, daß sie »Französisch sprachen, da es nicht erwünscht war, daß Pawlin am Gespräch teilnähme«. Und mit welcher Liebe betrachtete Ljuba einen Flakon, den ihr die alte Generalin dagelassen hatte, und wie gerne roch sie an der aromatischen Essenz. Nach dieser Unterhaltung war ich absolut davon überzeugt, daß man, um Ljubas Krankheit zu heilen, weiter nichts brauche, als sie wie ein Kätzchen den Ort wechseln zu lassen, das heißt, mit anderen Worten, man brauchte sie nur aus der Portierswohnung in den ersten Stock zu tragen, – und es dauerte nicht lange, da bewiesen die Folgen, daß ich mich nicht getäuscht hatte.

Nachdem sie wieder gesund geworden und öfters im ersten Geschoß bei der Generalin gewesen war, sah die junge Ljuba ihr höchstes Glück darin, wenigstens einige Stunden am Tage dort weilen zu dürfen. In die Werkstatt zu gehen, in der sie auf Pawlins Wunsch Unterricht nahm, war ihr jetzt eine solche Qual, daß sie schon beim Gedanken daran wieder krank wurde. Pawlin wußte ganz und gar nicht mehr, was er mit ihr anstellen sollte, er jammerte darüber und meinte:

»Diese Menschen! … Hm! … Die Freundinnen … die haben ihr, wissen Sie, vorgeschwatzt, daß sie eine … eine Wohlgeborene sei! Jetzt will sie nicht mehr! Und was ist denn die ganze Wohlgeborenheit! – Ein Nichts.«

Aber Ljuba zwingen, ihr befehlen, gleichviel ob sie es gern täte oder nicht, in die Werkstatt zu gehen … dazu war Pawlins unerschütterlicher Wille viel zu schwach. Andrerseits hielt Pawlin es für unbequem und wohl auch unpassend, sie ganz zu sich zu nehmen und in seiner Kammer wohnen zu lassen, denn die Kammer war eng und Ljuba war ja schon fast ein Mädchen. Mit einem Worte, das Ganze nahm eine völlig andere Wendung, als Pawlin beabsichtigt hatte, – und was glauben Sie: worin fand er wohl einen Ausweg aus diesem unheimlichen Wirrwarr? Ich wette, Sie erraten es nicht! … Ein Jahr darauf heiratete Pawlin diese sechzehnjährige Ljuba, dieses oberflächliche und eitle Ding, das ihn mit der ganzen Grausamkeit ihrer Unnatur verachtete – aber Sie wären sehr ungerecht, wenn Sie auch nur einen Augenblick annehmen wollten, daß Pawlin direkt oder indirekt Ljuba dazu gezwungen hätte. Nichts dergleichen: das junge Ding wollte es selber. Allein wieso ihr das in den Kopf kam – das will ich Ihnen gleich erzählen.


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