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Die Epopöe von Wischnewskij und seinen Angehörigen


Da schaut sie an,
des Gutsbesitzers unmittelbare Eigenheit.

Iwan Turgenjew.

 

Erstes Kapitel

Im Perejasláwschen Kreise des Poltáwaschen Gouvernements lebte der Gutsbesitzer Iwán Gawrílowitsch Wischnéwskij. Die Freigebigkeit der Kaiserin Elisabeth hatte ihm ein großes Gut beschert, das an den beiden Ufern des Flusses Ssupój lag (die Flüsse Udáj und Ssupój werden in einem Handbuche der Geographie als »aus Gründen vieler Mängel zur Schiffahrt ungeeignet« bezeichnet). Das Gut setzte sich aus zwei großen Dörfern zusammen, von denen das eine Farbowánaja hieß und das andere Ssoßnówka.

Auf diesem Gute lebte und starb der alte Pan Iwan Wischnéwskij, nach seinem Tode aber fielen sowohl Farbowánaja als auch Ssoßnówka seinem Sohne Stepán Iwanowitsch Wischnéwskij zu, eben jenem, der einen so heroischen Ruhm hinterlassen hat, obwohl es freilich leicht möglich ist, daß dieser Ruhm im Laufe der Zeit von allerhand Phantasien im Geschmack der dortigen Bevölkerung stark ergänzt und gefärbt wurde.

Stepán Iwanowitsch war ein Athlet und ein Recke, er war in ebenso hohem Maße gastfreundlich, als auch starrköpfig und zu alledem ein außergewöhnlicher Wüstling, obwohl er eine vortreffliche Bildung genossen hatte. Er war einer aus der Schar jener jungen Leute, die von der Kaiserin Katharina nach England »zur Aufklärung des Geistes und des Herzens« geschickt worden waren.

Nachdem er aus England zurückgekommen war, verbrachte er seine Dienstjahre im Garde-Kavallerie-Regiment, doch nahm er, kaum daß er den Leutnantsrang erreicht, seinen Abschied und heiratete die adlige Jungfrau Stepanida Wassiljewna Schubin aus dem Twerschen und ließ sich in seinem eigenen Hause in Moskau nieder.

Da Wischnewskij hier keinerlei Geschäfte hatte, begann er alsbald ein absonderliches Treiben.

Zunächst einmal war es seine Absicht, den Moskauern durch seine kleinrussische Nationalität zu imponieren. Er wollte keinen Menschen mehr kennen, und kleidete sich nach kleinrussischer Art, er trank nur noch echt ukrainische Getränke und aß, zum mindesten sagt das Gerücht so, nichts als Bärenfleisch.

Man berichtete der Kaiserin, daß Wischnewskij sich »den Gebräuchen der Gesellschaft nicht füge«, und aus diesem Grunde erhielt der Starrkopf die erste Rüge von oben her. Er beschloß, sich zu bessern und ließ zu dem Zwecke aus Kleinrußland ein ukrainisches Gefährt nach Moskau kommen und dazu zwei Stiere und einen Burschen, der mit diesen Stieren umzugehen verstand. Und als darauf der Tag der üblichen und für alle irgendwie hervorragenden, in der Hauptstadt wohnenden Personen sogar unumgänglichen Visiten anbrach, beschloß auch unser Stepan Iwanowitsch allen namhaften Leuten Besuche zu machen. Allein er benutzte zu dieser Ausfahrt nicht etwa seine Equipage, sondern einen ganzen Zug. Voran ritt auf einer englischen Stute mit gestutztem Schweif der Jockei, hintennach folgte, von einem ganzen Zuge gezogen, ein wundervoller Wagen, in dem jedoch nur der Kammerdiener saß und erst hinter dieser Kutsche kam der Wagen, oder vielmehr die kleinrussische Fuhre, vor die zwei dunkelgraue und spitzhörnige Stiere gespannt waren, und auf dieser Fuhre befand sich der Pan Stepan. Er saß, wie nur die ukrainischen Bauern zu sitzen pflegen – inmitten des Wagens auf einem aufgeschichteten Bündel von Roggenstroh und rauchte mit der Ruhe des größten Phlegmas sein Pfeifchen, das wiederum ein echt kleinrussisches Erzeugnis war. Die Stiere führte ein Kleinrusse in Pluderhosen »breiter als Wolken«, der außerdem eine Teerjacke mit steifem Kragen trug, schwere Stiefel und eine hohe Pelzmütze. Der Kleinrusse schritt neben den Stieren einher, schwang einen dicken Prügel und lenkte sie mit einem festen ledernen Riemen mit Scheuklappen, damit sie nicht wild würden und dadurch die Stadt in Aufregung brächten, und schrie, wenn es notwendig wurde: »He!« und wo es angebracht war: »Hopp!«

Der Jockei besaß ein Verzeichnis derjenigen Personen, die dieser verwilderte Europäer besuchen mußte. Nach der Reihenfolge dieses Verzeichnisses ritt er vor und rief, wenn er vor den Palast des auf dem Verzeichnis angegebenen Würdenträgers kam: »Mein Pan nähert sich!«

Sobald sich darauf der Zug zeigte, wandte der Jockei sein Gesicht dorthin und rief mit lauter Stimme: »Dort hält der Pan Wischnewskij selber!«

Die Kutsche pflegte darauf an der Freitreppe zu halten. Stepan Iwanowitschs Kammerdiener trat hinaus, um sich zu erkundigen, ob es dem Hausherrn beliebe, seinen Herrn zu empfangen?

Wenn Wischnewskij empfangen wurde, fuhr die Kutsche beiseite, an ihrer Stelle näherte sich die »Fuhre« mit dem Ochsengespann, Stepan Iwanowitsch stieg aus und betrat die Vorräume, wo er die gesamte ihm entgegeneilende Dienerschaft auf das reichlichste bedachte. In den Salons war sein Benehmen das eines großen Herrn und eines Europäers, hier prahlte er mit glänzenden Manieren, mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen und der scharfen Treffsicherheit seines kleinrussischen Witzes.

»Ja, so war er, alleweil spaßhaft und sprach die Mundart der Franzmänner und wußte auf allen Zungen Gott zu preisen. Wenn er nicht sogar dazu zu faul gewesen wäre.« Die ganze Erzählung ist voll von kleinrussischen Redewendungen, die der Geschichte einen zum Teil scherzhaften, zum Teil originellen Unterton verleihen. Es ist leider völlig unmöglich, diesen Unterton hier wiederzugeben, da jeder deutsche Dialekt nur stören würde und das Kolorit verändern müßte; wir nahmen daher Abstand, irgend etwas anderes an Stelle des Kleinrussischen zu setzen und beschränkten uns darauf, alle diese Sätze in der gleichen Sprache wiederzugeben, wenn auch mit einer kleinen archaisierenden Tonfärbung. (Anmerkung des Herausgebers).


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