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Zehntes Kapitel

Ich weiß nicht, ob ich Ihnen zu Beginn meiner Erzählung das Bild der Generalin Anna Lwowna klar genug gezeichnet habe? vermutlich nicht, – darum will ich mich noch einmal daran machen und Ihnen in aller Kürze sagen, daß sie nicht nur eine herbe, eigensüchtige und harte Frau war, sondern fast die allergrausamste und berechnendste Egoistin, die es jemals gegeben hatte, eine Frau, die vor nichts haltmachte, wenn es den geringsten Vorteil für sie zu erreichen galt. Sie war jederzeit mit der unerschütterlichsten Ruhe bereit, das Glück, sogar das Leben ihres Nächsten ihren kleinlichsten und geringfügigsten Absichten aufzuopfern.

Das tat sie auch jetzt, da sie den bejahrten Pawlin mit der jungen Ljuba durch die Banden der Ehe verband. Anna Lwowna wußte nur zu gut, daß Ljuba den Pawlin nicht lieben konnte und täuschte sich in dieser Vermutung nicht: erstens war da der ungeheuere Unterschied in den Lebensjahren der Ehegatten, dann aber kamen dazu noch die Strenge und Festigkeit des Charakters von Pawlin und seine äußerliche Rauhbeinigkeit, – all das war nur zu geeignet, jede Hoffnung hinfällig zu machen, daß Ljuba sich vielleicht doch früher oder später an ihren Mann gewöhnen könnte und ihm gegenüber etwas anderes empfinden würde, als die Furcht und den Abscheu, die sie jetzt vor ihm empfand, – und zwar weniger, weil er ein alter Mann war, als weil er ein Bedienter war …

Obwohl die Generalin Anna Lwowna schon längst jedes Gefühl der Leidenschaft verloren hatte, war sie doch Frau genug, um zu wissen, daß eine solche Ehe, wie sie sie nunmehr zwischen Pawlin und Ljuba stiftete, der jungen Frau zweifellos viele bittere Minuten einer wenn auch nicht gerade rasenden, so doch stillen und vergifteten Sehnsucht bringen mußte; Sehnsucht aber zieht Träumerei nach sich: Träumerei hat eine unruhige Phantasie zur Folge, und was vermag unruhige Phantasie nicht vor uns hinzumalen oder aufzubauen? Anna Lwowna wußte nur zu genau, daß ein so junger Kopf voll unruhiger Phantasie unbedingt Vergleiche anstellen würde – und daß, da das wirkliche Leben niemals den Vergleich mit den Traumbildern gereizter Phantasie aushält, das Traumbild bald siegen dürfte und daß dann … daß Ljuba sich dann hinreißen lassen würde – und daß sie dann völlig in der Hand von Anna Lwowna wäre.

Bitte denken Sie jetzt nicht etwa, daß ich mich versprochen hätte, als ich Ihnen sagte, es wäre der Generalin von Nutzen gewesen, Ljuba in ihre Hand zu bekommen. Nein, denn das wollte sie in der Tat. Und um schneller meine Erzählung zu Ende zu bringen, will ich Ihnen geradeheraus sagen, daß, als Anna Lwowna Pawlin und Ljuba verband, sie auf deren Kosten ein überaus grausames Spiel anzettelte, dessen Sinn und Plan ihr von dem allererhabensten Gefühle eingeflüstert worden war, dem mütterlichen Gefühle nämlich.

Wolodja, der in einem der elegantesten Regimenter diente, und sich ziemlich toll aufführte, kostete Anna Lwowna Unsummen. Anna Lwowna hatte die Absicht, ihn ein wenig mehr ans Haus zu fesseln, aber wie konnte ihr das gelingen, da es ihn bald nach rechts und bald nach links zog? Es war noch zu früh, ihn zu verheiraten; er rühmte sich zwar der Gunst der Damen aus der Gesellschaft, doch konnte in der Tat von nichts dergleichen die Rede sein, da er keinen Erfolg bei ihnen hatte; die Ausländerinnen aus den Varietés aber kamen schon damals ihren Anbetern so teuer zu stehen, daß die Generalin jedesmal zitterte, wenn das Gerücht ihr von einer Liaison Wolodjas mit einer dieser Blutsaugerinnen meldete, Wolodja aber bewies durch sein Benehmen nur zu klar, daß er als ein echter russischer Junker unbedingt genau so leben mußte, wie jeder andere »anständige Mensch«. Um aber so leben zu können, mußte er mit irgendeiner Frau, die nicht geringer sein durfte als jene anderen, die an den lustigen Tafelrunden in den teuren Restaurants teilnahmen, in Beziehungen stehen und bei ihr die Rechte des Protektors ausüben dürfen.

Die Generalin begriff sehr wohl, daß das für einen wahrhaft gesellschaftsfähigen Kavalleristen unumgänglich notwendig war und lehnte sich mithin dagegen nicht auf; es kostete nur schon damals so verteufelt viel wie heute, und darum … Nach langen nächtlichen Gedanken und Überlegungen war der guten Mutter die Idee gekommen, daß sie ja in ihrem eigenen Hause ein Universalmittel hiergegen zur Hand hätte, und dieses Mittel hieß Ljuba. Ljuba war jung, hübsch, pikant, – und wenn man sie nur noch ein wenig erzöge, konnte sie für Dodja durchaus die Rolle der Paradedame spielen, und daß es Dodja gelingen würde, sie in sich verliebt zu machen, konnte es darüber etwa einen Zweifel geben?

Nach der Ansicht seiner Mutter sah er sehr gut aus – und hielt sie ihn auch für einen »Esel im Dienst«, so rechnete sie doch mit der schönen Uniform und außerdem konnte er sich so gut auf dem Klavier zum Gesang begleiten und sang so bezaubernde Lieder, wie etwa jenes Lied vom »kühnen Mieter«, das damals alle Frauenköpfe bezauberte:

Mutter, schau, dort geht er wieder,
Unser schöner kühner Mieter …
Goldne Schnüre, goldne Tressen,
Und er selber rein zum Fressen …
Oh, du mein, oh, du mein, würde er doch endlich mein!

Anna Lwowna wußte nämlich, daß der spärliche Zauber, über den ihr »Esel im Dienst« verfügte, sehr viel zu bedeuten hatte, allzuviel sogar für eine leichtsinnige Frau, die erst achtzehn Jahre zählte und die zudem einen sehr alten Mann hatte, dessen sie sich schämte … Das Spiel schien nur Gewinnchancen zu haben und so begann sie denn mit dem Mischen der Karten.

Es wurde zunächst, um Ljubas soziale Position zu heben, ein Scherz in Umlauf gebracht: man nannte sie im Hause nur noch »Die Schweizerin Ljuba« Schweizerin Ljuba – zum vollen Verständnis dieser Bezeichnung muß der deutsche Leser darauf hingewiesen werden, daß die russische Bezeichnung für Portier – »Schweizer« ist (Schweizár). Diese Bezeichnung war früher auch in Deutschland geläufig. (Anmerkung des Herausgebers.) Das klang gut und maskierte geschickt ihre Heirat mit einem Bedienten. All die jungen Leute, die in Anna Lwownas Hause verkehrten, sahen in Ljuba nicht etwa die junge Frau des aufgeblasenen Portiers Pawlin, sondern etwas sehr Besonderes, das völlig unabhängig dastand … und bezaubernd war.

Man begann Ljuba den Hof zu machen, gemäßigt und in den Grenzen des Anstandes, aber beharrlich, unermüdlich und nach und nach aufdringlich. Alle Kameraden Dodjas beteiligten sich hieran. Keiner von ihnen gefiel Ljuba besonders: zwar machte alles, was sie in Anna Lwownas Hause sah, sie glücklich, allein ihr Herz hatte, wie die alten Dichter es sagen, noch nicht seine Wahl getroffen, und Pawlin war selig. Selig worüber? Liebte ihn Ljuba etwa so sehr und vermochte sie es, ihn so sehr zu beseligen? Ach nein; Ljuba war die gleiche geblieben: sie vermied ihn sogar noch etwas emsiger als zuvor und verbrachte ihre ganze Zeit in der Wohnung Anna Lwownas, wo sie entweder Handarbeiten machte, oder den Kaffee und Tee ausschenkte, Pawlin aber war einfach grenzenlos in sie verliebt und wollte nichts, als ihr Glück. Und da ihr Glück es mit sich brachte, daß sie nicht mit ihm war, so nahm er auch das mit Freuden in Kauf.

Von Leidenschaft verwundet, war unser Pawlin, wie man so sagt, ganz toll und blind geworden; sein angeborenes demokratisches Empfinden war dahingeschmolzen wie Schnee, und wenn er sich auch zunächst seiner bunten Livree noch nicht schämte, so hatte er doch augenscheinlich bereits den Wunsch, Ljuba einen höheren Flug nehmen zu lassen. Ljuba, die schon als Kind französisch sprechen konnte und in der Schule noch eine Menge dazu gelernt und endlich bei Anna Lwowna die fehlende Praxis im fließenden Sprechen erhalten hatte, Ljuba machte ihrem Gatten schon dadurch Freude, daß sie sich ganz wie ein Fräulein zu benehmen wußte und in der letzten Zeit sogar wie eine Ausländerin, – mit einem Wort, sie war in jeder Art die »Schweizerin Ljuba«.

Gleichzeitig aber wuchs in Pawlin, der den Eindruck hervorrief, als hätte er dies alles selbst so gewollt, ein neues und sonderbares Gefühl empor, eine eigentümliche Scheu, die er vor den Launen und Stimmungen seiner Ljuba empfand. Es war fast so, als genierte es den armen Alten, daß sie ein adeliges Fräulein war und er nur ein Lakai. Es war ihm vermutlich in den Kopf gekommen, daß er sie so lieben und sich dennoch gleichzeitig so vor ihr schämen könne, wie die Wirklichkeit es zeigte. Allein er lehnte sich keineswegs hiergegen auf und entrüstete sich keineswegs darüber, im Gegenteil, es schien ihm Vergnügen zu bereiten, Ljuba bedienen zu können und jeden ihrer Wünsche zu erfüllen. Er zog sie wie ein Püppchen an, er schmückte sie, so gut er konnte, damit sie nicht wie eine Schweizerfrau, sondern eben wie eine Schweizerin aussehe.

Natürlich mußte dieser Umstand dazu beitragen, den nie angetasteten Beutel mit den verhältnismäßig geringen Ersparnissen beträchtlich zu schmälern; er trug es geduldig und sparte dafür an sich selber und überall dort, wo durch persönliche Mühe irgendwelche Kosten vermieden werden konnten. So zum Beispiel blieb ihm, obwohl er in der Ausübung seiner Pflichten keineswegs nachließ, jetzt lange nicht mehr soviel Zeit für das Lesen von Romanen übrig, denn sobald Ljuba morgens aufgestanden, sich angezogen hatte und nach oben zu Anna Lwowna gegangen war, machte Pawlin zunächst das Zimmer, dann aber sah er die Garderobe seiner Frau durch und machte sich daran, alles in Ordnung zu bringen.

Oben nähte Ljuba für Anna Lwowna verschiedene broderie anglaise, unten aber reinigte Pawlin derweilen in seinem fest verriegelten reinlichen Kämmerchen die Stiefelchen seiner Frau, heftete aufgetrenntes Futter wieder an, machte Knöpfe und Haken fest und erhitzte in seinem kleinen runden Ofen die Fältelzangen und Bügeleisen, um, wenn sie glühend waren, das Bügelbrett hinterm Schrank hervorzuholen, es mit einem reinen Tuch zu bedecken und darauf die Ärmelchen und Blüschen und Hemdchen zu bügeln und zu fälteln.

Obwohl er sich dieser Beschäftigung nur aus Gründen der Sparsamkeit hingab, erlangte Pawlin im Bügeln und Fälteln sehr bald eine vollkommene Meisterschaft, dennoch bedeuteten diese Ersparnisse nicht viel im Vergleich zu den ungeheuren Ausgaben, die Ljubas Modenarrheit mit sich brachte und Pawlins Sucht, sie ewig mit hübschen Kleidern auszustaffieren, obwohl Ljuba ihn niemals darum bat; dem verliebten Alten war es eben die höchste Lust, ihr einen Spaß oder ein Vergnügen zu machen.

Da sie so verwöhnt und verzogen wurde, fiel es Ljuba nicht schwer, für alle, die Anna Lwownas Haus besuchten, die »interessante Schweizerin« zu bleiben, – die Ausländerin, der man, zumal sie ein hübsches und pikantes Frauchen war, ungeniert den Hof machen konnte; und so sprach, lachte und scherzte man mit ihr, und behandelte sie, als wäre sie eine Ebenbürtige.

Einer der Freunde des Sohnes der Generalin, der graziöse Frauenköpfchen mit dem Bleistifte festzuhalten verstand, verewigte unentwegt in allen Albums das leichte blondlockige Köpfchen der Schweizerin Ljuba. Diese Zeichnung gelang ihm besonders gut und alle jungen Leute rissen sich darum, die reizenden Bilder vom Autor zu erhalten.

Ljuba erlangte durch die netten Skizzen, die bei der jeunesse dorée sozusagen von Hand zu Hand gingen, allmählich eine große Berühmtheit. Ohne daß sie selber es wußte oder auch nur das geringste dazu tat, bekam Ljuba für eine große Zahl von jungen Leuten so etwas wie eine magnetische Anziehungskraft, da alle das Original sehen wollten, das der Künstler nachgezeichnet hatte. Auf diese Weise gewann Ljuba mit der Zeit eine immer größere Schar von Verehrern: man stellte ihr nach, so sehr es nur immer anging, die Generalin aber sah es und ließ es ruhig zu.

Pawlin bewies hinsichtlich seiner jungen Frau eine Toleranz, die Sie nur selten und nicht einmal bei denjenigen finden werden, die am meisten von Freiheit der Gefühle und Gleichheit der beiden Geschlechter schreien. Allerdings war um die gleiche Zeit eine gewisse Welteitelkeit in Pawlin gefahren: er verjüngte sich und hatte zu diesem Zwecke irgendwo ein, wie er sagte, äußerst seltenes Buch aufgetrieben, aus dem er die sonderbarsten Dinge herauslas. So erzählte er mir zum Beispiel einmal, daß er sich »schon völlig fest in den Regeln hinsichtlich der menschlichen Verpflichtungen« fühle, und daß »ein Mensch, der stets das moralische Gesetz seiner Pflichten erfülle, auf der Welt zum mindesten hundert Jahre leben würde«.

Sein schönes Alter von fünfzig Jahren betrachtete Pawlin nach der Lektüre jenes Buches als eine Art von Volljährigkeit und stellte ferner ebenfalls nach jenem Buch die Behauptung auf, daß »vor dem Alter von hundert Jahren nur Dummköpfe sterben können, – und krank werden nur die Nichtsnutze, die ihr Leben nicht richtig zu führen verstanden«. Denn er war mehr als fest davon überzeugt, daß er die »Praxis« dieser Lebensführung sich vollauf zu eigen gemacht habe.

»Ich«, pflegte er zu sagen, »ich war noch niemals krank und weiß auch nicht, wozu man krank sein muß; wenn einer lebt, wie es sich gehört und weder Schnaps noch Kaffee trinkt und seine Lungen nicht mit Tabak ausräuchert, der wird auch nicht krank; schlafen soll man ohne Kopfkissen und möglichst gerade, dann kann selbst das Alter einen nicht beugen; und wenn man die Speisen mit viel Salz ißt und möglichst saure Getränke zu sich nimmt, wird man nach dem Tode nicht verfaulen.«

Diese Erzählungen Pawlins enthüllten mir nach und nach die Geheimnisse seiner täglichen Hygiene, brachten mich aber auch gleichzeitig auf den Gedanken, ob dieses alles wirklich der jungen und frischen Ljuba gefallen könnte?

Er hatte nichts dagegen, daß Ljuba sich so gut wie gar nicht mehr in seiner Portierzelle sehen ließ, in welcher nach der Eheschließung neue Vorhänge, Blumen und sogar ein Kanarienvogel aufgetaucht waren. Er wurde nicht einmal eifersüchtig, wenn die nach Hause gehenden jungen Leute, denen er die Mäntel zu reichen hatte, die Schönheit der jungen »Schweizerin« mit nicht allzu bescheidenen Ausdrücken priesen. Zu all solchen Lobeserhebungen schwieg Pawlin und lächelte nur stumm in seinen dichten, immer noch blonden Schnurrbart.

Der ehrliche Pawlin, der gegen sich selber so streng, so verständig und so vernünftig war, konnte unmöglich List oder Verrat verstehen und vermochte sie auch bei anderen nicht zu gewahren – und war, da sein Geist zu rein und zu licht war, vollständig blind. Wenn man ihn ansah, konnte man leicht an jene Worte des Baco von Verulam glauben, daß es gewisse Leute gäbe, die infolge der in ihnen vorherrschenden philosophischen Richtung zu Eulen würden, die nur noch im Zwielicht ihrer logischen Schlüsse zu sehen vermöchten und vom Lichte der Tat geblendet würden und zudem die Eigenschaften verlören, das zu sehen, was am offensichtlichsten und klarsten ist. Und da »die Kinder dieser Welt klüger sind, als die Kinder des Lichtes« und da Pawlin in seiner Art ein Kind des Lichtes und ein Diener der Pflicht war, so überlisteten ihn die Kinder dieser Welt und bestahlen ihn …

Ljuba wurde immer gründlicher und schließlich endgültig von ihrem Mann fortgezogen, der Kopf wurde ihr völlig verdreht und schließlich wurde auch sie betrogen. Wie das geschah – das kann ich Ihnen nicht erzählen, denn weder war ich dabei, noch hat mir jemals irgend jemand genauere Details darüber erzählt, – und ist es denn im Grunde nicht auch einerlei, wie es geschah? Genug, daß jener, der die ganze Herde von Schafen besaß, dem armen Manne, der nur das eine hatte, auch dieses letzte Schäflein nahm.


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