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Siebzehntes Kapitel

Die Jungvermählten ließen sich in dem ihnen zum Aufenthalt angewiesenen winzigen Städtchen nieder und wußten absolut nicht, womit sie sich beschäftigen und was sie tun sollten. Ljubas Anhänglichkeit vermochte nicht, Dodja auf längere Zeit zu fesseln, denn er, ein junger Mann aus der Petersburger großen Welt, liebte ein geselliges Leben und seine Seele hungerte nach stärkeren Sensationen. Da er weder das Verlangen noch die Kraft in sich hatte, von dieser Art des Zeitvertreibes zu lassen, suchte er auch jetzt in seiner gedrückten Lage nach Leuten, die mehr oder weniger nach seinem Geschmack waren, er fand allerlei Gelichter und besoff sich mit diesem in schlechtem Schnaps und spielte um geringe Summen, wobei es ihm nicht darauf ankam, falsch zu spielen, weswegen er häufig geprügelt wurde, schließlich wurde er eines Tages zu seinem Glück, das er selber vermutlich für keines hielt, in einer Schlägerei um fünfzehn Kopeken, die er sich unrechtmäßig angeeignet hatte, totgeschlagen. In dieser Periode ihres Lebens, die gegen zwei Jahre lang währte, leerte Ljuba, wie man zu sagen pflegt, den bitteren Kelch des grausamsten Leides, allein auch in dieser bekümmerten Trübsal wurde sie beständig von Briefen und Geldsendungen des Spiridon Androssow unterstützt, der sie, wie man steht, auch nicht für einen Augenblick aus dem Auge ließ und ewig auf dem Posten war, ihre Ruhe zu bewahren. Er hatte irgendwo in der Nähe eine Stellung gefunden – und da er trotz seines Namenswechsels noch genau so außerordentlich ehrlich, mäßig und pflichttreu war wie zuvor, gelang es ihm bald, die allgemeine Achtung zu erringen und zu Geld zu kommen, welch letzteres er keineswegs für sich selber verbrauchte, sondern lediglich für Ljuba aufsparte. Ich weiß nicht, welchen Gebrauch Ljuba von diesen Ersparnissen machte, die ihr verabschiedeter Mann ihr immer wieder zugehen ließ, es ist jedoch so gut wie sicher, daß die Hauptmasse des Geldes, wenn nicht gar alles, von dem allmählich völlig verrohten und versoffenen Dodja vertan und verspielt wurde. Man erzählt sogar, daß er ihr alles Geld mit den unflätigsten Drohungen abnahm und manchmal auch mit Schlägen. Pawlin wußte das, als lebe er in ihrer Nachbarschaft, doch brachte er keinerlei Verwirrung in Ljubas Seele und nutzte ihre Enttäuschung nicht aus, um sie von Dodja zu trennen. Ganz im Gegenteil: in langen und schönen Briefen sprach Pawlin Ljuba Mut zu, in Briefen, die aus einer gewissen Ursache jetzt mein Eigentum geworden sind und die ich als ein seltenes und vortreffliches Vorbild eines einfachen, aber bis zur tiefsten Tiefe philosophisch-mystisch empfindenden Menschen aufbewahre, der, wenn er auch ungebildet war, dennoch klug war und einen gewaltigen Willen hatte. Diese Briefe des »sündigen Knechtes« an die »geprüfte Ljuba« haben fast den Charakter von Episteln: ihr Verfasser spricht, als hätte er bereits alles überstanden; er hatte viel gelitten, und war in Versuchung geführt worden, jetzt aber war es ihm bereits möglich, anderen in ihren Versuchungen beizustehen. In einigen Briefen und sogar in den meisten schreibt Pawlin seiner Frau nichts über die Fragen des Tages, sondern erteilt ihr Ratschläge, und bestärkt sie darin, geduldig zu bleiben und verständig, freundlich zu sein und ihrem erwählten Gatten unerschütterlich treu und ergeben. Wenn man diese Briefe in chronologischer Reihenfolge liest, und zwar, wie sie einer nach dem anderen eintrafen, so wird die Aufmerksamkeit des Lesenden unwillkürlich von dem immer stärker anwachsenden Geist des religiösen Mystizismus angezogen. Es ist, als täte dem Verfasser anfangs Ljubas Los sehr leid und er spricht meist von der Notwendigkeit der Geduld, da die Ungeduld alles immer nur noch viel schlimmer mache; nach und nach jedoch treten in diesem Motiv Veränderungen ein, er beginnt, sie darin zu bestärken, daß sie sich freuen müsse, wenn sie leide, und auch er freut sich darüber und zwar freut er sich so sehr, daß man nicht gleich mit sich darüber ins reine kommt, ob nicht am Ende die Seele des Verfassers voll von Schadenfreude über das nur zu offenbare Unglück sei, das Ljuba, die ihn doch betrogen hatte, getroffen; wenn man jedoch tiefer in die weiteren Briefe eindringt, bemerkt man wohl, daß ein anderes Gefühl die Feder des Schreibers führte, das Gefühl einer völlig besonderen, einer geradezu überirdischen Liebe – einer Liebe, die stets besorgt ist, stets selbstverleugnend, stets streng. Pawlin ermahnt Ljuba beständig, ums Wohl der anderen zu leiden, aber sie solle das auch aus dem Grunde tun, damit ihre eigenen Verirrungen ihr verziehen würden, und zwar ermahnt er sie mit Beweisgründen, die schon ziemlich alt und schon längst aus Schriften geistlichen Inhalts bekannt sind; allein mit welcher Lebendigkeit weiß er diese Beweisgründe auszulegen, mit welch unmittelbarer Gabe überzeugender Redekraft, so daß sie unter seiner Hand ordentlich neues Leben gewinnen. Er war zweifellos nur hinter dem einen her: den Geist der zugrunde gehenden Ljuba zu erneuern, – und da er vermutlich aus ihren Antwortbriefen ersah, daß diese ihn so sehr beschäftigende Erneuerung möglich war, gebrauchte er sogar mit der Zeit die Anrede: »meine Tochter«. Der letzte Brief mit dieser Anrede ist im Anfang von einer ungewöhnlich eigenartigen und rührenden Zärtlichkeit, die nicht von dem allgemeinen, etwas düsteren Tone verschattet wird: in diesem Brief schreibt Pawlin, der sich immer »Spiridon Androssow« unterschreibt, folgendes: »darum verzage nicht: nicht uns schwachen, sondern dem heiligen Apostel Paulus selber erschien der Engel Satanas leibhaftig, aber jener besiegte ihn, und so wirst auch du durch seine Kraft siegen, denn es währt ja nicht mehr lange«.

Dieses »nicht lange« war gewissermaßen die Prophezeiung eines Hellsehers und Ljuba mußte es auch dafür halten, denn wenig Lage, nachdem sie diesen Brief ihres ersten für die Welt gestorbenen Mannes erhalten, wurde ihr zweiter Mann in einer Schlägerei auf den Tod verletzt und starb vor seiner eigenen Haustüre, durch die er vor Trunkenheit nicht mehr zu gelangen vermochte. Augenblicks benachrichtigte sie Pawlin von dem Ereignis, und ohne zu zaudern kam er zu ihr: sie beerdigten Dodja, wie es sich gehörte, und verschwanden gleich darauf spurlos. Wohin? Niemand wußte es, aber ich bin in der Lage, Ihnen erzählen zu können, was auch heutigen Tages noch niemand weiß. Hinter Kijew liegt am Ufer des Dnjepr in einem dunklen und verschlafenen Urwalde ein ärmliches Frauenklösterchen. Die Armut und Unansehnlichkeit dieser Einsiedelei sind so groß, daß sie im Volksmund nie anders als nur das Klösterchen genannt wird: dort lebte die Nonne Ljudmilla. Als sie vor einigen Jahren starb, obwohl sie nicht alt geworden, war sie vor Tränen blind geworden. Dieses liebe Geschöpf mit dem reinen Herzen und den ausgeweinten Augen, in deren Höhlen man der Ansehnlichkeit halber kleine runde Heiligenbilder aus Perlmutter gelegt hatte, war ein wahrer Engel an Sanftmut und Barmherzigkeit gewesen; von ihrer Güte und ihrer allesverzeihenden Christenliebe sprechen noch heute nicht nur die Nonnen, die in dieser armen Einsiedelei hausen, mit Tränen und Rührung, und nicht nur die Andächtigen, die das Klösterchen besuchen, sondern auch zum Beispiel der Jude des unweit gelegenen Handelsfleckens. Man weiß von ihr nur, daß sie die Witwe eines Mannes aus gutem Hause war und ins Kloster trat, nachdem sie ihren Mann verloren hatte, und daß ein finsterblickender Mann, ein Schweiger, von dem man nie ein Wörtchen zu hören bekommen konnte, sie aus einer sehr beträchtlichen Ferne mit feinem eigenen Pferde hierher gebracht hatte. Kein Grabstein ist auf ihrem Grabe, der etwa Auskunft über ihre Herkunft geben könnte, es ragt nichts als ein schlichtes Tannenkreuz mit der Inschrift: »Hier ruht die Nonne der strengsten Observanz Ljudmilla, in der Welt die sündige Ljubowj.« Dieses Kreuz wurde von eben dem Schweiger errichtet, der, nachdem Schwester Ljudmilla gestorben, zum Klösterchen aus seiner fernen und rauhen Einsiedelei, die ich Ihnen wohl nicht erst zu nennen brauche, gepilgert kam. Ich weiß auch nicht, ob es noch nötig ist. Ihnen zu erläutern, daß die Nonne strengster Observanz Ljudmilla »in der Welt die sündige Ljubowj« niemand anderes war, als die uns bekannte Schweizerin Ljuba; der Schweiger aber, der ihr das Grabkreuz setzte, war Pawlin, dessen mönchischen Namen ich freilich nicht kenne. Sehen Sie nun, welche Geheimnisse und was für Charaktere zuweilen hinter den Klosterwänden hausen!


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