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Siebzehntes Kapitel

Und somit ist nur noch die Kriminalgeschichte zu beenden, die ohne Zweifel in meiner Erzählung lag. Ob nun das Geld gestohlen oder nicht, in jedem Falle war, wie Sie sich erinnern werden, beschlossen worden, daß es dem Polen zurückerstattet werden sollte und hier kam es noch zu einem Nachspiel.

Außer den Regimentskameraden hatte sich ja noch ein freiwilliger Zahler eingefunden, der nachdrücklich auf seinem Recht bestand, und zwar war das Saschas Vater. Es kostete den Polen damals große Mühe, den Wunsch des alten Herrn, das Geld sogleich zu bezahlen, noch hinauszuschieben, – Awgust Matwejewitsch nahm das Geld eben nicht an. Überhaupt muß man sagen, daß er sich in der ganzen Sache äußerst anständig und taktvoll benahm, wir fanden nirgends auch nur den geringsten Anlaß, ihn zu verdächtigen, oder etwa ihm Vorwürfe machen zu können. Daran, daß das Geld dagewesen und darauf verschwunden war, daran zweifelte keiner von uns. Und wie hätte es auch anders sein können: da jener nun einmal das Geld, das man ihm anbot, nicht nahm, welchen Zweck hätte er wohl damit verfolgen können, uns diese ganzen Scherereien mit ihrem blutigen Ende zu machen?

Auch die Stadt, für die unser nächtliches Abenteuer natürlich nicht lange Geheimnis bleiben konnte, teilte unsere Ansicht, und nur ein Kopf war da, der sich die Sache anders zurechtlegte, so daß auch wir zum Schlusse einen Haken darin fanden.

Das war der unbedeutende und von mir bereits mehrfach flüchtig erwähnte Zimmerkellner Marko.

Er war ein gescheiter Bursche und obwohl wir durch seine Vermittlung Awgust Matwejewitsch damals kennengelernt hatten, stand Marko jetzt keineswegs auf seiner Seite, und sprach sich darüber im Vertrauen gegen uns aus.

»Ich bin bereit,« meinte er, »bereit bin ich, jede Kirchenbuße zu tragen, weil ich Ihnen die Nachricht von ihm übermittelte, aber wenn ich es mir genau überlege, so war es weniger meine Schuld, als eine Schickung Gottes. Aber daß Sie ihm jetzt so wohl gesinnt sind, geschieht nur darum, weil er – verzeihen Sie schon – weil er nämlich nicht russischer Herkunft ist; durch ihn ist aber unser ganzer Betrieb hier in schlechten Ruf gekommen, ohne jeden Grund und unter den verschiedensten dummen Vorwänden hat die Polizei unsere Angestellten eingesteckt und stellt mit ihnen, um sie zu verwirren, immer wieder vergebens ihre Kreuz- und Querverhöre an … Es ist eine Schmach, eine Schmach und nichts weiter als eine Schmach,« schloß Marko und zog sich in sein dunkles Kämmerchen zurück, darin er einen großen Heiligenschrein stehen hatte, vor dem ein nie erlöschendes Lämpchen brannte.

Zuweilen konnte er einem geradezu leid tun, denn er verbrachte in diesem Kämmerchen ganze Nächte lang in Gedanken.

»Was denkst du denn immer, Marko?«

Er zuckte dann die Achseln und entgegnete:

»Wie wäre es denkbar, gnädiger Herr, darüber nicht nachzudenken … Solch ein Jammer … Schande, Verderben und Elend einer Christenseele!«

Jene, die häufiger mit ihm sprachen, kamen auch als erste auf die Idee, die sie nach und nach uns anderen mitteilten.

»Sagt, was ihr wollt,« meinten sie, »gewiß ist der Marko ein ganz gewöhnlicher Mensch und stammt ja wohl auch aus Bauernkreisen, trotzdem aber hat er eine gewisse Gescheitheit … und zwar die des einfachen … des wahrhaft russischen Verstandes.«

»Und ehrlich ist er obendrein.«

»Ehrlich ist er freilich. Versteht sich, denn sonst hätte ihm der Hausherr auch nicht die Leitung der ganzen Sache übergeben. Und er ist ein treuer Mensch.«

»Ja, ja,« pflichtete unser Geistlicher bei und blies den Tabakrauch durch seinen Bart.

»Und da er auf seine schlichte Art und Weise die Dinge ansieht, ist es vielleicht nicht ausgeschlossen, daß er manches sieht, was wir nicht sehen. Sein Gedanke ist nämlich der: wozu war es für jenen nötig, das zu tun? Geld nimmt er nicht. Und er braucht es ja gar nicht, das Geld …«

»Das ist klar, daß er es nicht braucht, sonst würde er es doch nicht ablehnen, wenn man es ihm anbietet.«

»Natürlich! Und er hat es auch nicht des Geldes wegen getan …«

»Sondern weswegen denn?«

»Darüber sollen Sie nicht mich, sondern Marko befragen.«

Und der Geistliche pflichtete bei.

»Ja, ja, ja, – wir wollen Marko hören.«

»Und was sagt denn der Marko?«

»Marko spricht: ›Trau keinem Polen.‹«

»Aber warum denn?«

»Weil er ein Pole ist und ein Ungläubiger.«

»Aber erlauben Sie bitte, erlauben Sie mal! Ungläubiger, – schön, das ist eine Sache, aber Dieb – das ist eine ganz andere Sache. Die Polen sind ein Volk mit Ambitionen und so was von ihnen zu denken … ist nicht, richtig … es ist nicht ganz ehrenhaft …«

»Aber gestatten Sie mal,« unterbrach der von Marko inspirierte Erzähler, »so was zu denken, so was von ihnen zu denken, und dabei wissen Sie vermutlich gar nicht, von welchen Gedanken hier überhaupt die Rede ist … Kein Mensch spricht von Diebstahl, niemand hat in dieser Richtung auch nur den leisesten Verdacht geäußert, es besteht hingegen die Ansicht, daß der Pole in einem hohen Maße das hat, was Sie selber ihm zuschreiben, – nämlich die sogenannte Ambition.«

»Mit anderen Worten, Sie meinen, daß es für ihn notwendig gewesen sei, daß das Geld verlorenging?«

»Für den Polen.«

»Ja.«

»Und kommt Ihnen nichts in den Kopf?«

Alle begannen tief nachzudenken:

»Was kommt mir wohl dabei in den Kopf?«

»Nein, – es will mir nichts in den Kopf.«

»Das ist nur, weil wir alle, Väterchen, den Kopf voll von Vorurteilen des Adels gepfropft haben, der einfache und wahrhaft russische Mann aber, der erkennt Ihnen gleich, was der Pole wollte.«

»Und was wollte er denn, – so sprechen Sie doch, es geht ja uns alle an!«

»Freilich geht es uns alle an. Es liegt für ihn im Interesse seines Vaterlandes, uns ehrlos zu machen.«

»Herr, mein Gott!«

»Ja, gewiß! Um in Umlauf zu bringen, daß in einem Kreise von russischen Offizieren ein Diebstahl geschehen konnte …«

»Und wie, wenn das nun wirklich so wäre?«

»Unnötiges Kopfzerbrechen: es ist so!«

»So hol' ihn doch der Teufel!«

»Welch ein heimtückisches Volk, diese Polen!«

Und der Geistliche pflichtete bei und brummte: »Ja, ja, ja.«

Und nun wurde wieder tief nachgedacht und man kam zum Entschluß, daß es nicht anginge, Markos Erwägungen vor dem Kommandeur zu verbergen, freilich müßte man ihm verhehlen, daß sie von Marko kämen, denn das könnte den Eindruck schwächen, man müßte also eine bedeutendere und jedenfalls verantwortungslosere Quelle nennen.

»Im Wirtshaus oder im Billardzimmer hätte jemand darüber gesprochen …«

»Nein, – das geht nicht. Der Oberst könnte mit Recht entgegnen: Wie kommt es, daß Sie so etwas gehört haben und nicht sofort eingesprungen sind. Den, der das aussprach, hätte man sogleich verhaften lassen müssen.«

»Man muß etwas Besonderes finden.«

»Aber was?«

Und hier war es, daß der Geistliche uns half.

»Es wäre am gescheitesten,« warf er ein, »zu sagen, man hätte im öffentlichen Bade darüber gesprochen.«

Das gefiel allen. Und in der Tat, war das etwa nicht klug? Das Bad ist doch ein Volksplatz, geschrien wird dort, gelärmt und geschwatzt, nackte Leiber drängen sich und wieder andere schwitzen auf dem hohen Gerüst des Dampfbades, – und überall wird mit Wasser gespritzt … Wer es gesagt? … das soll mir einer feststellen, oder gar jemand verhaften … Besten Falles müßte man eben alle miteinander einstecken, denn im Bade sind alle einander gleich, einer so nackt wie der andere.

Und so geschah es denn auch: der Geistliche wurde gebeten, selber mit der Meldung zum Obersten zu gehen.

Er war dazu bereit, und trat den Gang bereits am nächsten Tage an.

Der Oberst horchte auf, als er das Gerücht vernahm, und meinte:

»Am schlimmsten ist, daß diese Ansicht bereits Allgemeingut geworden ist … da schon das Volk in der Badeanstalt darüber spricht.«

Und der Geistliche entgegnete:

»Ja, ja, ja, in der Badeanstalt … Ich hörte es in der Badeanstalt.«

»Und Sie … konnten Sie denn absolut nicht in Erfahrung bringen, wer es war, der da sprach?«

»Es ging nicht. Ja, ja, ja, es ging absolut nicht.«

»Sehr schade.«

»Ja … ich wollte es heraus bekommen, aber es ging nicht, denn alle, ja … wissen Sie, im Bade sind alle einander gleich. Uns Geistliche kann man von den anderen freilich unterscheiden, denn wiewohl wir Männer sind, tragen wir lange geflochtene Haare … die einfachen Leute jedoch, die das nicht haben, die sehen alle einander gleich.«

»Hätten Sie nicht den, der es sagte, schnell packen können.«

»Aber ich bitte Sie, ein eingeseifter Mann, wie wollen Sie den halten! … Und da ich außerdem grade in dem Augenblick oben im Schwitzbad war, konnte ich ihn nicht einmal greifen.«

»Nun ja, wo man nicht greifen kann, da ist auch begreiflicherweise nichts zu machen … Dennoch will mir scheinen, es wäre besser, die Sache zunächst auf sich beruhen zu lassen … Es ist jetzt einige Zeit darüber vergangen und der Pole hat ja versprochen, nach einem Jahr wiederzukommen … Ich denke, er wird sein Wort halten. Jetzt hingegen bitte ich Sie, mir Aufschluß darüber zu geben, wie sich die Kirche zu Träumen stellt? Sind es Narreteien oder nicht?

Der Geistliche entgegnete:

»Das hängt alles von der Ansicht ab.«

»Inwiefern von der Ansicht?«

»Ja, das heißt, nein, – ich wollte nicht das sagen … Es gibt Träume, die von Gott sind, aufklärende Träume, aber es gibt auch andere Träume, – Träume, die auf die natürlichste Art von Speisen herrühren, und schädliche Träume, die uns der Böse schickt.«

»Na also,« meinte der Kommandeur: »doch immerhin ist mir auch das noch nicht genug. Denn wie zum Beispiel wollen Sie folgenden Traum bewerten? Meine Frau – Sie wissen – ist eine sehr junge Frau, der verstorbene Kornett war ihr Verwandter und der Freund ihrer Kindheit, und somit hat sein Tod sie sehr betroffen, so daß sie sogar ein wenig abergläubisch geworden ist. Zu dem kommt, daß wir unser Kindchen verloren haben, allein bevor das geschah, hatte sie einen Traum.«

»Was Sie sagen!«

»Ja, ja, ja. Was nun Träume im allgemeinen betrifft, – sie verhält sich zu ihnen genau so, wie Sie vorhin sagten. Ich teile diese Ansicht nicht, will sie aber auch nicht widerlegen, obwohl ich sehr gut weiß, daß man, wenn man zu spät zu Abend ißt, pfui Teufel, was man da zuweilen träumen kann – es gibt also Träume, die vom Magen kommen.«

»Ja, auch vom Magen,« stimmte ihm der Geistliche zu, »sogar meistens vom Magen,« aber das half ihm nicht viel, es stand ihm noch eine tüchtige Plage bevor.

»Freilich,« fuhr der Oberst fort, »die Sache ist aber, daß es im Grunde gar kein Traum ist, sondern eine Art Gesicht …«

»Wieso Gesicht?«

»Jawohl, verstehen Sie mich recht – sie hat diesen Traum nicht im Schlaf, nicht, wenn sie die Augen geschlossen hält, sondern sie sieht ihn, wenn sie wach ist und hört ihn sogar …«

»Sonderbar …«

»Sehr sonderbar, – um so mehr, als sie ihn noch nie wirklich gesehen hat!«

»Ja, ja, ja … Wen meinen Sie eigentlich?«

»Den Polen, versteht sich.«

»Aha … ja, ja, ja, – verstehe.«

»Meine Frau bekam ihn damals nicht zu Gesicht, denn zu jener Zeit, als das unglückselige Ereignis geschah, hütete sie das Bett, – sie konnte nicht einmal Abschied von dem armen Tollkopf nehmen, wir hielten eine Zeitlang sogar seinen Tod vor ihr geheim, damit ihr nicht etwa die Milch in den Kopf stiege.«

»Um Gottes willen!«

»Allerdings … Tod wäre besser, als das … Hat den sicheren Wahnsinn zur Folge. Und stellen Sie sich nur vor, daß er sie jetzt beständig verfolgt …?«

»Der Tote?«

»Aber nein doch – der Pole! Ich bin sogar sehr erfreut, daß Sie daran dachten, mich nach der Badeanstalt aufzusuchen, und daß wir hierüber ins Gespräch kamen, denn Sie haben ja immer die Möglichkeit, aus Ihrer reichen geistlichen Praxis das eine oder das andere zu finden.«

Und nun erzählte der Oberst dem Geistlichen, daß unserer armen, jungen, rosigen Frau Oberst beständig Awgust Matwejewitsch erscheine, und zwar allem Anschein nach genau so, wie er tatsächlich war, das heißt, er stand und sprach, wenn er vor ihr erschien, ganz so, wie eine englische Uhr in ihrem langen Uhrgehäuse …

Der Geistliche fuhr ordentlich in die Höhe.

»Was Sie sagen,« rief er, »aber ich bitte Sie! Die Uhr! Ja, so haben ihn doch die Offiziere benannt …«

»Jenun, ich erzähle Ihnen diese Geschichte, weil sie so erstaunlich ist! Und nun stellen Sie sich bitte vor, daß wir, wie zum Tort, im Salon genau so eine Uhr stehen haben, und sogar ein Spielwerk hat sie: zieht man sie auf, dann tönt es endlos: ting-ting-ting-ting-ting-ting-ting, und neuerdings fürchtet sie sich sogar, in der Dämmerung dort vorüberzugehen: woanders hinstellen kann ich die Uhr aber nicht, und zudem sagt man, es wäre eine sehr wertvolle Sache, und nun kommt noch das dazu, daß meine Frau sie sogar liebgewonnen hat.«

»Ja, wie denn?«

»Sie schwärmt … sie hört etwas im Pendelschlag … Verstehen Sie, wenn er so auf und ab geht … und so seine Schwingung macht, dann hört sie es sprechen: ›Ich-such-ich-such‹. Ja! Und wissen Sie, das zieht sie an und macht ihr doch gleichzeitig Angst, – und dann schmiegt sie sich an mich und bittet mich, ich solle sie recht fest halten. Und dann muß ich wieder denken, es könnte sehr wohl möglich sein, daß sie aufs neue in diesem besonderen Zustande ist.«

»Ja, ja … das kann ja bei einer Verheirateten sehr leicht sein … das kann sehr wohl der Fall sein … Ja, das kann tatsächlich der Fall sein,« meinte erleichtert der Geistliche und war für diesesmal frei und lief sogleich zu uns, naß, als käme er in der Tat aus der Badeanstalt, und schüttete uns sogleich alles aus, freilich bat er, daß wir mit keiner Seele hierüber sprechen möchten.

Das Resultat dieser Verhandlung stellte uns allerdings keineswegs zufrieden. Der Oberst hatte, unserer Ansicht nach, die Eröffnung viel zu wenig ernst genommen und es war ganz und gar überflüssig, daß er zum Schluß alles auf seine ehelichen Interessen zurückführte.

Einer aus unserer Schar, ein hitziger Ukrainer, fand übrigens auch hierfür sogleich eine Erklärung.

»Seine Mutter,« er sprach vom Obersten, »seine Mutter heißt Veronika Stanisláwowna.«

Einige fragten ihn:

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts weiter, als daß sie Veronika Stanislawowna heißt.«

Und nun begriffen wir alle, daß des Obersten Mutter natürlich eine Polin war, und daß es ihm mithin peinlich war, viel über Polen zu hören.

Darum beschlossen wir, uns nicht mehr an den Obersten zu halten, wir wählten im Gegenteil einen ans unserer Schar, der geeignet war, jedem nur erdenklichen Menschen eine Beleidigung zuzufügen, und dieser reiste ab, als führe er in Urlaub, tatsächlich aber reiste er nur ab, um Awgust Matwejewitschs Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen und ihm das Geld zu übergeben, oder um ihn, im Falle er es nicht nähme, – zu beleidigen.

Und er hätte es bestimmt ausgeführt, wenn er ihn gefunden hätte, allein des Schicksals Willen hatte es anders bestimmt.


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