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Achtes Kapitel

Es ist schwer, solche Erlebnisse ruhigen Hörern zu übermitteln, und um so schwerer, je weniger die überstandenen Empfindungen uns heute noch aufregen. Jetzt, da alles darauf ankommt, das was weiter geschah, zu erzählen, fühle ich, daß es mir unmöglich ist, all das mit jener Lebendigkeit wiederzugeben, sozusagen mit jener Fülle, Schnelligkeit und Wucht, mit der sich damals die Ereignisse überstürzten, drängten, eins auf dem anderen aufbauten, und zwar nur, um danach von irgendeiner schicksalvollen Höhe her auf die menschliche Kleinsinnigkeit herabzuschauen und schließlich aufs neue in der Natur zu verströmen.

Wenn Ihnen jemals vor Augen kam, was Jacolio geschrieben, oder was unsere Landsmännin Rada-Bay über die rätselhaften Dinge schreibt, dann haben Sie vielleicht auch im Auge, was sie von der »psychischen Kraft« der Indier schreibt und von der Abhängigkeit dieser Kraft von dem »geistigen Zustande«. Psychische Kraft schlummert vielleicht auch in jenem Gecken, der dort auf dem Trottoir spazieren geht und sein Stöckchen schwingend aus dem Orpheus in der Unterwelt vor sich hinpfeift: »So gingen wir, – so gingen wir.« Aber gehn Sie mal und schauen Sie in ihn hinein, wo wohl diese Kraft verborgen liegt und wie man sie nutzbar machen könnte. Der Prediger Salomonis stellt uns das vortrefflich im Beispiel jenes Schattens dar, der vom Baum in der Richtung der empfangenen Beleuchtung fällt … In einer allgemeinen Verwirrung pflegen alle durcheinanderzulaufen und das für das Wichtigste anzusehen, was ganz und gar unwichtig ist, ein einziger anders gestimmter Blick jedoch kann mit einem Male das Wesentliche und in diesem Augenblick Hauptsächliche sehen und wahrnehmen, – und bitte, da haben Sie die »psychische Kraft«.

Ein wenig hiervon funkelte auch in mir auf, als Sascha hinauslief. Etwas Furchterregendes lag in seinen Bewegungen und auch in dem, wie er sich umdrehte, – und lag ferner in seinem schnellen Sprunge, und zwar nicht eigentlich im Sprunge, sondern in einer gewissen Ferne, ganz, als hätte er sich losgerissen und wäre spurlos fortgeflogen … Und was dort über den Korridor eilte, das waren keine Schritte mehr, sondern nur ein Lärm, der vorüberzog … Der Pole eilte ihm sogleich nach … Wir dachten, er hätte die Absicht, ihn einzuholen und ihn des Diebstahls zu überführen, denn, wie Sie sich noch erinnern werden, hatte Sascha das verhängnisvolle Unglück gehabt, irrtümlicherweise in sein Zimmer zu dringen, wodurch natürlich der Verdacht hinsichtlich des verlorengegangenen Geldes sich noch mehr auf ihn konzentrierte (denn ob wir nun wollten oder nicht, daran glaubten wir bereits alle, daß das Geld dagewesen war und nun nicht mehr da war). Einige von uns machten eine schnelle Bewegung, um Awgust Matwejewitsch den Weg zur Türe zu verlegen, der Oberst aber rief ihm zu:

»Halt, mein bester Herr, Ihr Geld wird Ihnen zurückbezahlt werden!«

Doch mit erstaunlicher Kraft schüttelte der Pole die Offiziere ab und rief dem Obersten zu:

»Hol das Geld doch der Teufel!« und eilte Sascha nach.

Und jetzt erst schoß uns der unverzeihliche Fehler, den wir begangen hatten, durch den Kopf, denn obwohl wir gestattet hatten, daß man uns untersuche, hatten wir verabsäumt, das gleiche von dem Polen der ja die Ursache unserer ganzen Aufregung geworden war, zu verlangen, und nun stürzten wir ihm nach, um ihn zu fassen und ihm jede Möglichkeit zu nehmen, die Gelder zu verstecken und nachher die erniedrigendsten Verleumdungen über uns zu erzählen; im selben Augenblick jedoch, und zwar ging das alles viel schneller, als ich erzählen kann, ertönte aus einiger Entfernung vom Korridor her ein Schall, als hätte jemand in die Hand geklatscht …

Brennend durchfuhr uns der Gedanke, der Pole könnte Sascha einen Schlag ins Gesicht versetzt haben, und schon eilten wir unserem Kameraden zu Hilfe, jedoch … jedoch da stellte sich heraus, daß hier jede weitere Hilfe umsonst war …

Schwankend stand vor uns in der Tür die lange Figur Awgust Matwejewitschs mit seinem Grahamschen Zifferblatt, dessen Zeiger jetzt alle nach unten wiesen …

»Zu spät,« stöhnte er »er hat sich erschossen.«


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