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Pawlin


Ich nahm einst an einer kleinen Übertretung der strengen Klosterbräuche auf Walaám Walaám – eine kleine russische Inselgruppe in dem in Nordrußland befindlichen Ladogasee: um eine große Insel, auf der das Kloster liegt, gruppieren sich viele (etwa 40) kleinere Inseln. (Anmerkung des Herausgebers.) teil.

Müßige Spaziergänge sieht man nicht eben gern auf dieser rauhen Klippe: und wie weite Strecken auch der ferne Besucher zurücklegte, und wie groß auch sein Verlangen sei, die Insel kennenzulernen, er muß sich trotzdem dieses wahrhaft große Vergnügen versagen, – ich sage mit Absicht wahrhaft große, denn wahrhaftig, die Insel ist wundervoll und die grandiosen Bilder auf ihr sind bezaubernd. Auf Walaam ist es Sitte, daß ein jeder Pilger sich der Pflicht des Gehorsams unterwirft; er hat in die Kirche zu gehen, zu beten, im Klostersaal mit den andern zu speisen, darauf hat er zu arbeiten und schließlich darf er ausruhen. Spaziergänge und Besichtigungen kennt man hier nicht; dennoch gelang es mir einmal, in Gesellschaft von drei Herren und zwei Damen im Laufe einer Nacht die ganze Insel zu durchforschen und das unvergleichliche Bild tief in meinen Geist zu prägen: beim bleichen Zwielicht der nordischen Sommernacht dies Bild wilder Klippen, dunkler Schluchten und der stillen Einsiedeleien des russischen Athos. Und zwar sind die Einsiedeleien in ihrer unerschütterlichen Ruhe ganz besonders schön, am überraschendsten aber ist die Einsiedelei zum Vorläufer So wird in der russischen Kirche Johannes der Täufer häufig genannt. (Anmerkung des Herausgebers.) auf der kleinen Insel Ssernitschan. Hier leben die Einsiedler, denen die Strenge des allgemeinen Lebens auf Walaam noch nicht genügt: Sie entfernen sich in die Einsiedelei zum Vorläufer, da die Klosterobrigkeit ihre Abgeschlossenheit vor jedem Eindringen weltlich gesinnter Menschen hier aufs peinlichste hütet. Hier brennen ewig die Lämpchen derjenigen, die für die Welt gestorben sind, die aber dennoch unausgesetzt für die Welt beten: hier herrschen ewiges Fasten, ewiges Schweigen und ewiges Gebet.

Da wir die Richtung der Fußpfade auf Walaam nicht kannten, gelangten wir unvermutet zu der Bucht, die das Inselchen Ssernitschan von der Hauptinsel trennt, – ganz hingerissen von den dichten Farnkräutern, die den Talkessel hier überwucherten, ließen wir uns nieder, um auszuruhen, und hierbei kam unser Gespräch auf die Menschen, die sich diese öde Einsamkeit zum Schauplatz ihres dem Gebet und der Betrachtung gewidmeten Lebens erwählten.

»Was das wohl für Leute sein mögen, die hierher kommen, um sich auf ewig lebendig zu begraben, mit wieviel Kraft kommen sie hierher und mit was für einer Vergangenheit?« rief einer von uns. »Ich muß unwillkürlich denken, daß es Titanen sind und wirkliche Helden des Geistes.«

»Sie haben sicherlich recht,« entgegnete ein anderer. »Es sind Helden, freilich Helden, die in ihrer Armut groß sind. Körner sind es, die schon ins Wachstum kamen, und die nun in die Höhe schießen.«

»Und bevor sie zum Wachstum kamen?«

Der andere lächelte, als er antwortete:

»Bevor sie zum Wachstum kamen … da lagen sie auf den Straßen, erstickt vom Gestrüpp, und verdarben, wie Sie und ich und die ganze Welt, bis dann der Wind kam, der sie ergriff und auf gutes Erdreich warf.«

»Sie sprechen, als ob Ihnen einer jener Menschen, die die Kraft fanden, sich lebendig in diesen Klüften zu vergraben, bekannt wäre?«

»Ja, mir scheint, daß ich in der Tat einen solchen Menschen gekannt habe.«

»Und war er klug?«

»Ja.«

»Und auch vernünftig?«

»Hm! … ja. Übrigens kann ich über ihn nicht urteilen, denn ich habe ihn sehr gern und verehre sein Andenken.«

»Dann ist er vermutlich gestorben?«

»Ja.«

»Starb er hier?«

»Unweit von hier,« entgegnete der andere und lächelte wiederum sein stilles Lächeln.

»Das Leben eines solchen Menschen interessiert mich immer auf das lebhafteste.«

»Auch mich, und uns ebenfalls,« fielen die anderen ein.

Die Damen schienen noch neugieriger zu sein als wir Männer, zumal eine von ihnen, eine schöne Blondine mit schwarzen Augen, – diese wandte sich an unseren Reisegefährten und sagte:

»Wissen Sie auch, daß Sie uns ein sehr großes Vergnügen bereiten würden, wenn Sie uns hier, in der Stille dieser Schlucht, in die wir so unvermutet geraten sind, die Geschichte des Ihnen bekannten Einsiedlers erzählen wollten?«

Die zweite Dame und auch wir anderen schlossen uns der Bitte an – und schließlich erklärte jener, an den wir sie richteten, sich einverstanden, unseren Wunsch zu erfüllen, und begann:


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