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Drittes Kapitel

Unser Regimentskommandeur war schon ziemlich alt, er war ein ehrlicher und wackerer Kriegersmann, seine Art war barsch und hatte nichts »von den Annehmlichkeiten für das schwächere Geschlecht«, wie man sich zu jener Zeit auszudrücken pflegte. Er war bereits über die Fünfzig. Zweimal schon war er verheiratet gewesen, als er jedoch in T. wiederum Witwer wurde, fiel sein Blick auf ein junges Fräulein, das aus dem dortigen Kreise der nicht besonders begüterten Gutsbesitzer stammte. Sie hieß Anna Nikolájewna. Der Name sagte wenig und paßte vortrefflich zu ihr, denn auch alles andere an ihr war ebenso nichtssagend. Sie war von mittlerem Wuchs und von mittlerer Fülle und weder hübsch noch häßlich, ihre Haare waren blond, ihre Augen blau, ihre Lippen rot und ihre Zähnchen weiß, das Gesicht war rund und frisch, auf den roten Wangen war je ein Grübchen, mit einem Wort, sie war ein Persönchen, das keinen sehr begeistern konnte und recht ausgesprochen das, was man so gemeinhin den »Alterstrost« nennt.

Unser Kommandeur lernte sie im Kasino durch ihren Bruder kennen, der in unserem Regiment als Kornett diente, und dieser war es auch, durch den er den Eltern seinen Antrag zukommen ließ.

Sie machten es sehr einfach, sozusagen auf kameradschaftliche Art. Er bat den Offizier zu sich und sagte:

»Hören Sie einmal: Ihre verehrte Schwester hat auf mich den allerangenehmsten Eindruck gemacht, aber Sie wissen, daß es mir in meinem Alter und in meiner Stellung außerordentlich unangenehm wäre, eine Absage zu erhalten, andererseits jedoch sind Sie und ich als Soldaten mehr oder weniger von der gleichen Art, und darum wird mich Ihre Aufrichtigkeit, wie immer sie auch laute, keineswegs kränken … Falls es geht, ist es gut, sollte man aber die Absicht haben, mir abzusagen, so verhüte Gott, daß ich hierdurch auch nur die geringste persönliche Gekränktheit Ihnen nachtragen wollte; immerhin bitte ich Sie, in Erfahrung bringen zu wollen …«

Und jener antwortete genau so offen:

»Schön, ich wills tun.«

»Vielen Dank.«

»Könnte ich nicht«, sprach jener weiter: »zu diesem Zweck drei bis vier Tage Urlaub haben, um nach Hause zu fahren?«

»Selbstverständlich, meinetwegen eine Woche.«

»Und würden Sie nicht gestatten, daß auch mein Cousin mit mir fährt?«

Sein Cousin war ein junger und rosiger Bursche, genau wie er, und wurde seiner Jugend und seiner jungfräulichen Frische wegen von uns allen »Sascha, das Röschen« genannt. Keiner von diesen beiden jungen Leuten braucht besonders beschrieben zu werden, denn keiner von den beiden hatte irgend etwas Besonderes oder Hervorstechendes.

Der Kommandeur fragte den Kornett:

»Wozu brauchen Sie eigentlich Ihren Cousin, da es doch eine Familienangelegenheit ist?«

Jener aber antwortete, daß er ihn gerade, weil es eine Familienangelegenheit sei, brauche.

»Ich nämlich,« sagte er, »ich werde mit Vater und Mutter sprechen müssen, derweilen soll er die Schwester beschäftigen und während ich die Sache in Ordnung bringe, ihre Aufmerksamkeit abzulenken versuchen.«

Der Kommandeur darauf:

»Schon gut, wenn das so ist, dann nehmen Sie Ihren Vetter mit, ich gebe ihm Urlaub.«

Die beiden Kornetts reisten ab und ihre Mission nahm einen zufriedenstellenden Ausgang. Denn bereits nach einigen Tagen war der Bruder wieder da und meldete sich beim Kommandeur:

»Wenn es Ihnen beliebt, können Sie meinen Eltern schreiben, oder Ihren Antrag mündlich vorbringen, einen Korb brauchen Sie nicht zu fürchten.«

»Nun, und,« fragte dieser, »und was meint Ihre Schwester?«

»Auch die Schwester ist einverstanden,« bekam er zur Antwort.

»Aber wie … das heißt … freut sie sich drüber oder nicht?«

»Davon weiß ich nichts.«

»Nun also … zum mindesten könnten Sie mir sagen, ob sie zufrieden ist, oder ob sie unzufrieden ist.«

»Die Wahrheit zu sagen, es war fast nichts dergleichen zu bemerken. Sie meinte: ›Wie es Papa und Mama beliebt, ich habe zu gehorchen.‹«

»Ja, ja, sehr schön, daß sie so spricht und daß sie so gehorsam ist, aber auch ohne Worte kann man doch aus den Augen und aus dem Gesicht eines Mädchens schließen, wie es ihr zumute ist.«

Jedoch der Offizier entschuldigte sich, er als Bruder sei an das Gesicht seiner Schwester so sehr gewöhnt, und hätte zudem auf den Ausdruck ihrer Augen nicht achtgegeben und somit könne er leider nichts hierauf Bezügliches berichten.

»Doch Ihr Cousin hätte es bemerken können, haben Sie nicht auf dem Rückwege mit ihm darüber gesprochen?«

»Nein, darüber sprachen wir nicht,« entgegnete jener: »denn mir war nur darum zu tun, Ihren Auftrag so schnell als möglich auszuführen, ich bin allein zurückgekehrt und habe ihn bei den meinigen gelassen, und hier habe ich die Ehre, Ihnen einen Rapport über seine Erkrankung zu übermitteln, denn er fühlt sich schlecht und wir haben sogar Boten geschickt, seinen Vater und seine Mutter zu benachrichtigen.«

»A–a! Und was ist ihm denn zugestoßen?«

»Eine plötzliche Ohnmacht und Schwindel.«

»Schau mir einer, was für Mädchenkrankheiten. Schon gut, ich danke Ihnen sehr und bitte Sie, da wir jetzt schon fast Verwandte sind, mit mir zusammen zu Mittag zu speisen.«

Und beim Mittagessen fragte er ihn alle Minuten lang nach dem Cousin aus, wie er sei und wie man ihn dort aufgenommen, und unter welchen Umständen er in Ohnmacht gefallen. Selber aber goß er dem jungen Manne unablässig Wein ein und machte ihn ziemlich betrunken, so daß jener, wenn da was gewesen wäre, es unbedingt ausgeschwatzt hätte; aber zu gutem Glück gab es nichts dergleichen und so heiratete denn der Kommandeur schon bald darauf seine Anna Nikolajewna und wir alle waren zur Hochzeit geladen und tranken uns einen tüchtigen Rausch an, die zwei Kornetts aber, der Bruder nämlich und der Cousin, waren die Brautführer und keinem von beiden war auch nur das geringste anzusehen, weder ein Kummer noch irgendein Schmerz. Die jungen Leute soffen wie zuvor, unsere neue Frau Oberst aber wurde bald in der vorderen Gegend immer runder und bald zeigten sich auch, was ihren Appetit anbelangt, besondere Wünsche. Der Kommandeur freute sich darüber und wir alle waren eifrig darauf aus, ihre Launen, so gut es immer ging, zu erfüllen, hierbei zeichneten sich die jungen Leute, der Bruder nämlich und der Cousin, ganz besonders aus. Wie oft kam es damals vor, daß die Dreigespanne nach Moskau sprengen mußten, um ihr bald jenes, bald ein anderes zu holen, nach dem sie eben verlangte. Ihr Geschmack war, erinnere ich mich recht, keineswegs auf besonders erlesene Dinge gerichtet, sie hatte eigentlich immer einfache Sachen im Kopf, die jedoch zuweilen nicht so leicht aufzutreiben waren: so zum Beispiel Sultans-Datteln, oder griechische Nuß-Chalwa, mit einem Wort, lauter harmlose und kindliche Dinge, denn sie selber sah ja ebenfalls noch ganz wie ein Kind aus. Und endlich kam die Schicksalsstunde heran und gleichzeitig die Stunde des Gattenglückes, aus Moskau kam eine eigens für Anna Nikolajewna bestimmte Hebamme. Ich kann mich noch gut erinnern, daß als diese Dame in die Stadt fuhr, die Glocken zum Abendgebet läuteten, wir lachten darüber: »Schau mir einer an, das pharaonische Frauenzimmer wird mit Glockengeläute empfangen! Ob sie uns wohl große Freude bringen wird?« Und wir warteten darauf, als sei es in der Tat eine Angelegenheit des Regiments. Unterdessen aber rückte der unerwartete Vorfall heran.


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