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Viertes Kapitel

Für die gute Meinung, die wir jetzt alle von Pawlin hatten, mußte er sich bei Tante Olga bedanken; freilich behandelte er diese bei jeder Begegnung mit größter Zuvorkommenheit und errang bald ihr Wohlwollen. Mama meinte manchmal im Scherz, daß Tante Olga das Wunder des Daniel mit den Raubtieren gelungen sei, und daß sie sich Pawlin zum Sklaven gemacht hätte, aber es war in diesem Scherz ein Körnchen Wahrheit: Pawlin verehrte die Tante, wenn auch zu seiner Ehre gesagt werden muß, daß er dieser Verehrung nur mit voller Aufrechterhaltung seiner unerschütterlichen Würde Ausdruck verlieh. Allein er verbeugte sich tiefer vor ihr, als vor allen anderen und machte ihr sogar noch ehrfürchtiger als Anna Lwowna Platz, Tante Olga glaubte nämlich bemerkt zu haben, daß er diese einfach nicht ausstehen konnte, und sie verachtete. Ich kann allerdings nicht sagen, worauf sich diese ihre Schlüsse und Folgerungen gründeten, denn niemals hatte sie sich mit Pawlin unterhalten, dennoch aber hatten wir das Gefühl, daß ihre Folgerungen auf Wahrheit beruhen könnten. Schon hieraus können Sie den Schluß ziehen, daß wir uns aus irgendeinem Grunde beständig mit Pawlin beschäftigten: seine Person interessierte uns und nicht nur mich, der ich seine bunte Livree nicht genug anstarren konnte, sondern auch die Mama, der er durch die von Tante Olga wahrgenommene Abneigung gegen Anna Lwowna sympathisch geworden war.

So ging das einige Zeit hindurch: wir lebten nach wie vor im Hause Anna Lwownas und beobachteten Pawlin aus der Ferne, als plötzlich, und zwar völlig unverhofft, sich ein Anlaß zu näherer Bekanntschaft mit ihm darbot. Und zwar kam das so: Mama hatte sich über jemand aus unserer Dienerschaft geärgert und sah sich nach einem anderen um. An Stelle des Abgehenden wurde ein anderer Diener engagiert, und zwar sollte dieser neue Diener schon am nächsten Tage eintreffen und seinen Dienst antreten, am Abend vorher jedoch erhielt Tante Olga durch einen der Hausknechte ein Kuvert, auf dem ihr Name stand. Die Handschrift war ihr unbekannt, und war zudem sehr einfach, – es war die in Rußland übliche Handschrift derjenigen, die das Schreiben durch Selbstunterricht gelernt haben: in diesem Kuvert lag ein Brief, sorgfältig auf weißes Papier geschrieben und wiederum mit der gleichen Handschrift des Autodidakten, der Inhalt aber dieses Schreibens lautete, und zwar kann ich mich, wie ich glaube, wörtlich daran erinnern: »Euer Hochwohlgeboren, Olga Petrowna! Die gnädige Frau, Ihre Schwester, hat einen Diener (folgte der Namen) angenommen, dieser ist aber ein leichtfertiger Mensch und ist auf ihn kein Verlaß, worüber ich die Dreistigkeit habe, Sie der Vorsicht halber zu unterrichten.« Und nun kam die Unterschrift: »Portier Pawlin Pjewunow.« Die Tante zeigte den Brief Mama und diese beschloß, die Warnung Pawlins zu beachten: dem angenommenen leichtfertigen Diener wurde eine Absage übermittelt und als Mama darauf ihren gewöhnlichen Spaziergang machte und hierbei Pawlin auf dem Hofe begegnete, bedankte sie sich bei ihm für seine Aufmerksamkeit. Der Antike zog seine Mütze mit den Goldtressen und erwiderte Mama mit einem stummen, aber höflichen Gruß. – Abends, als Mama am Teetisch saß, meinte sie zu Tante Olga:

»Immerhin brauchen wir auf jeden Fall einen Diener. Pawlin hat uns den einen verekelt, allein wo wir einen besseren finden sollen, hat er uns nicht mitgeteilt.«

»Das war auch nicht seine Sache,« entgegnete die Tante.

»Ich weiß, aber … ich denke, er könnte, wenn er wollte, uns ganz gut einen empfehlen.«

»Hast du ihn etwa danach gefragt?«

»Nein; und es scheint mir auch, daß er mit mir nicht zu sprechen wünscht – er musterte mich mit einem Blick, der zum mindesten so würdevoll wie der eines Ministers war und zog den Hut. Es wäre eine andere Sache,« fuhr Mama scherzend fort, »wenn du ihn darum bitten wolltest: wenn es für dich geschieht, wird er es sich bestimmt zur hohen Ehre anrechnen, uns diesen Dienst zu erweisen.«

Die Tante nahm den Scherz auf ihre gewöhnliche luftige Art auf und antwortete ebenso scherzend:

»Schon gut ich werde ihn darum bitten.«

Als die Tante am nächsten Lage mit mir vor dem Abendessen einen Spaziergang machte, nahm sie mich zur Loge des Portiers mit, in welcher Pawlin wie immer allein in seinem Sessel saß und beim Licht der mit einem grünen Schirm versehenen Lampe in einem Buche las.

Kaum wurde er die Tante gewahr, als er augenblicks sein Buch auf den Tisch legte, sich höflich verbeugte und in seiner ganzen Länge aufrichtete, wobei er die Positur Goethes annahm.

Die Tante äußerte ihre Bitte. Pawlin zog die Augenbrauen hoch, dachte nach und meinte dann:

»Gegenwärtig gibt es für solche Posten keine guten Diener mehr.«

»Dann können Sie uns also niemand empfehlen?«

»Ich wage es nicht, denn ich habe niemand Passenden.«

Wir mußten, ohne etwas erreicht zu haben, abziehen und als wir nach Hause kamen, spottete die Mama weidlich über die Tante, ihre Herrschaft Über Pawlin Pjewunow wäre nicht allzu ertragreich und er sei doch nicht viel mehr als ein grober Wolf; Tante jedoch verteidigte ihn auch diesmal und sagte, daß sie sogar in der Ablehnung nur einen neuen Beweis seiner Zuverlässigkeit und Verständigkeit gewahre: er sei vorsichtig, meinte sie, denn sonst wäre er ja kein so »nützlicher Mensch«. Und wenn er jemand gewußt, für den er hätte einstehen können, so hätte er ihn bestimmt empfohlen.

Tante hatte ganz recht: als sie am nächsten Morgen aufstand, war wieder ein kurzes Brieflein da, in welchem Pawlin in seinem Lapidarstil bat, noch ein zwei Tage mit der Anstellung eines Dieners zuwarten zu wollen, er hätte jetzt bestimmt Nachrichten über einen ihm bekannten »verlässigen Herrschaftsdiener, der mit ihm gleichzeitig bei der gleichen Herrschaft gedient«, bekommen.

Die wahren Gefühle, die Mama Pawlin gegenüber empfand, traten jetzt zutage: sie hörte auf, von ihm als von einem Grobian zu sprechen und war überaus froh, daß sie einen Diener haben könnte, der mit ihm die gleiche Lehrzeit durchgemacht, und war natürlich einverstanden, auf den von Pawlin empfohlenen Mann zu warten, und sei es auch einen Monat. Aber das war nicht einmal nötig, denn bereits am nächsten Tage erschien die erwartete Person und wurde sogleich angestellt und trat die Stellung als bescheidener Lakai in unserem bescheidenen Hauswesen an.

Der Mann, den uns Pawlin verschafft hatte, war ein wenig älter als er und viel einfacher und gutmütiger. Er war durch und durch ein guter Kerl mit einem lustigen und offenen Charakter, dabei war er ungewöhnlich sanft und aufmerksam und gewann mit einem Male das allgemeine Zutrauen und die Zuneigung aller, wenn ihm auch hierbei Pawlins Empfehlung selbstverständlich von Nutzen war: und so hatte denn Pawlin uns den ersten Dienst geleistet.

Bald darauf leistete er uns einen zweiten: wir hatten die Absicht, den Sommer auf dem Lande zu verbringen und waren sehr traurig darüber, daß wir unseren Lieblingsdiener in der Stadt lassen mußten, die Wohnung zu bewachen – doch was geschah? Kaum daß wir in unserer Wohnung abends beim Tee hierüber gesprochen, war am nächsten Morgen wiederum eine Epistel für die Tante da: im gleichen Lapidarstile teilte ihr Pawlin mit, daß wir keineswegs Sommers über jemand in der Wohnung zu lassen brauchten, da nämlich er selber, Pawlin, sie ohne Mühe beaufsichtigen könne. Es war für uns sehr verführerisch, diese Freundlichkeit anzunehmen, denn es paßte uns ausgezeichnet in unseren Kram, es entstand hierbei nur die eine Frage, wie man Pawlin für die Beaufsichtigung entschädigen könnte? Zur Erörterung dieser Frage wurde auch unser Diener zugelassen, allein er sah sich veranlaßt, gegen unsere Absicht auf das entschiedenste zu protestieren.

»Pawlin Petrowitsch ist ein ehrgeiziger Mann,« meinte er: »den Vorschlag hat er aus Freundlichkeit gemacht und mit einer Belohnung würde man ihn unerträglich kränken.«

So blieb es denn dabei: weder Mama noch Tante Olga fiel etwas ein, womit man dem guten Pawlin den Dank hätte ausdrücken können.

Seit der Zeit erhielt Pawlin bei uns den Beinamen »der Gute«. So sehr hatte sich mithin auf der Schwelle der anbrechenden Epoche seine Reputation in unseren Augen bereits verändert, auf der Schwelle jener Epoche, in welcher unser Pawlin durch eine Versuchung, der er ganz und gar nicht gewachsen war, in den Kampf der widerstreitendsten Gefühle gezogen wurde.


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