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Vierzehntes Kapitel

Als ich, der ich zu jener Zeit noch ziemlich ungeduldig war, am nächsten Morgen bei der bekümmerten Tante Anna Lwowna erschien, war sie bereits aufgestanden und saß nicht ohne Grazie in ihrem tiefen Lehnstuhl – sie spielte, so gut sie konnte, die Rolle der unschuldig Gepeinigten, indem sie von Zeit zu Zeit ein wenig weinte und sich mit dem Taschentuch über die Augen fuhr. Sie war gesprächig und verbreitete sich mit aller Ausführlichkeit über das Thema der bösartigen Kameraden, die mit Beihilfe des abscheulichsten Frauenzimmers den unvorsichtigen Dodja dahin gebracht hatten, daß sich nun die allerunverdientesten Verdächtigungen an seinen Fuß hefteten.

Anna Lwowna kramte hierbei so vielen Unsinn aus und gefiel sich im Ausmalen so phantastischer Bilder, daß man unwillkürlich die Überzeugung gewinnen mußte, in ihren Worten liege nichts als Unsinn und Verleumdung.

Während dieses ganzen Tages konnte ich weder Ljuba oder Pawlin weder beim Hinkommen noch beim Fortgehen erblicken, das Amt des Letzteren wurde im Laufe dieser verrückten Stunden von niemand versehen und so war denn auch niemand da, bei dem ich mich nach ihm hätte erkundigen können. Da ich jedoch auch im Verlaufe des nächsten Tages keinerlei Nachricht von ihm erhielt, begab ich mich abends einfach hin, um ohne weitere Umstände Erkundigungen einzuziehen. Ich erfuhr folgendes. Pawlins Zimmer stand bereits seit dem gestrigen Lage leer: sein Eigentum hatte er in einer wilden Unordnung zurückgelassen, als hätten Diebe einen Einbruch bei ihm verübt, er selber war verschwunden, und auch seine Frau war nirgends zu finden und niemand war da, der von ihnen etwas wußte. Einzig ich konnte bezeugen, daß Pawlin mir gesagt hätte, seine Frau sei jetzt zu Hause und er wolle sie vor der Sünde retten und auch seine eigne Seele rein erhalten: allein konnten diese Worte nicht auch noch eine andere Bedeutung haben? Die allerverschiedensten Hintergedanken wurden jetzt diesen Worten beigelegt, und gelegentlich wurden die unwahrscheinlichsten Dinge in sie hineingeheimnißt. »Meine Frau ist jetzt zu Hause« – das bedeutete, sagte man, daß er sie getötet und auf diese Weise nach Hause ins ewige Haus geschickt hätte: und daß er gehn wollte, seine eigne Seele rein erhalten, – damit hatte er gewiß gemeint, daß er in irgendeine Einöde flüchten wolle. Sagen Sie, was Sie wollen: es konnte etwas Glaubwürdiges daran sein und darum klammerte sich ein jeder an diese Erzählung. Außerdem wurde nach etwa zwei Wochen oder ein wenig später in der Nähe von Jekateringof oder von Tschekuschy ein bereits im Zustand der Verwesung befindlicher Leichnam einer jungen Frau an den Strand gespült, das Gesicht war freilich unerkennbar, der Körper jedoch war mit feiner Wäsche bekleidet und einem schwarzen Seidenkleide … und zwar sah dieses genau aus wie das Kleid, das die Schweizerin Ljuba am letzten Tage angehabt hatte. Allerdings muß zugegeben werden, daß die meisten dieser schwarzen Seidenkleider eines wie das andere aussehen, aber danach fragt der Verdacht nicht erst lange: es fand sich niemand, der jene junge Ertrunkene als seine Verwandte oder Bekannte anerkannt hätte, – und darum beschlossen und behaupteten Anna Lwowna und ihre Hausgenossen, daß die Ertrunkene niemand anderes sei, als die unglückliche Ljuba, die Frau des wilden racheschnaubenden Raoul, des spurlos verschwundenen Portiers Pawlin Pjewunow.

Dieser Zustand konnte nicht ohne Folgen vorübergehen: die zugrunde gegangene Frau wurde beerdigt und Anna Lwowna hatte hierbei die Güte, zehn Rubel für den Sarg und eine Seelenmesse für Ljuba zu stiften. Und so wurde dann dank Anna Lwownas christlicher Fürsorge für die Seele der vorzeitig hingeschiedenen Ljuba gebetet, Pawlin aber wurde darüber vergessen. Und so völlig war dieses Vergessen, daß seiner bis auf den heutigen Tag nie mehr gedacht worden ist, mit einer einzigen Ausnahme und zwar, als in der Auktionshalle die übriggebliebenen Stücke des Eigentums »des spurlos verschwundenen Pjewunow« verkauft wurden.

Was aber war mit Pawlin und Ljuba geschehen?

Zu der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns wieder jener Zeit zuwenden, da wir die beiden aus dem Gesicht verloren.


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