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Siebentes Kapitel

Keine der Erzählungen, die ich von ihm gehört, schildert Wischnewskij als Vater und Erzieher, in dieser Hinsicht scheint es nichts Charakteristisches gegeben zu haben, denn überall wird seiner lediglich als Erzeuger Erwähnung getan. Es wird übrigens mitgeteilt, daß, als in Petersburg die Institute begründet wurden, und der angesehene Adel, dem Wunsch der Herrscherin zufolge, Einladungen erhielt, die Töchter dorthin zur Erziehung zu geben, – Stepan Iwanowitsch damals nach Petersburg fuhr und seine Tochter dorthin brachte. Allein auch dieses Umstandes wird nicht etwa gedacht, um Wischnewskijs väterliche Fürsorge zu zeigen, sondern lediglich, weil diese Reise mit einem anderen merkwürdigen Ereignis in Zusammenhang stand, von dem wir weiter unten sprechen werden. Als Gutsbesitzer und Hauswirt, als Richter und Herr über die Seelen der ihm gehörenden Leibeigenen, scheint Wischnewskij ebenfalls nichts Originelles gehabt zu haben. Er bestellte sein Haus »wie es seit alters Gepflogenheit war«. Alles wurde durch leibeigene oder angestellte Aufseher erledigt, von denen einige rechtgläubig waren, andere dagegen Polen. In Wischnewskijs Diensten standen immer einige Polen, er war ihnen nicht feindlich gesinnt, doch liebte er es, sie gelegentlich zur Zielscheibe seines Spottes zu machen. Es gab auch einige Hebräer in seiner Umgebung, die unser Psychopath gern mit schrecklichen Dingen peinigte. Manch einer von diesen war dabei eingegangen und hatte vor Furcht das Diesseits verlassen, trotzdem jedoch hängten sie sich an ihn, denn Wischnewskij konnte gelegentlich sehr freigebig sein und gab ihnen manchmal etwas Erkleckiiches zu verdienen. Im übrigen nahm er sehr gerne die Vermittlungsdienste der Hebräer in Anspruch. Aber wehe, wenn einer ihn betrügen wollte … Weniger die Rutenprügel waren dann zu fürchten und nicht einmal die Peitsche, als der Schrecken, den er jedem einzujagen verstand. Wischnewskij war in seiner Art ein Patriot, obwohl sein Patriotismus sich à la longue mehr oder minder auf seine Leidenschaft für den ukrainischen Überrock beschränkte und seine Vorliebe für die kleinrussische Sprache, und außerdem noch – auf die Verachtung gegen alles Ausländische. Besonders hatte er es auf die Deutschen abgesehen, die zu respektieren er aus folgenden zwei Gründen nicht für möglich hielt: erstens einmal behauptete er, daß sie »dünnbeinig« seien, zweitens jedoch kam dazu, daß ihr Glauben ihm nicht gefiel – »sie verehren die Heiligen nicht«. Stepan Iwanowitsch war nämlich der Ansicht, daß er selber allerdings »die Heiligen verehre«. In allen Fragen des Glaubens war er denkbar ungebildet und ließ sich weder auf eine Kritik, noch gar auf eine Philosophie der religiösen Fragen ein, denn er fand, daß das eine »Sache der Pfaffen« sei, er jedoch habe als »Ritter« für »seinen Glauben« einzustehen und ihn auf jede Weise vor den »Ungläubigen« zu verteidigen, wobei er in diesem Punkte freilich mit den Augen des Volkes auf die Sache blickte und nur die Rechtgläubigen als »Christen« anerkannte, alle anderen aber, die sogenannten »andersgläubigen« Christen sah er als »Mißgläubige« oder »Geringgläubige« an, und die Hebräer und »das ganze übrige Pack« hielt er kurzerhand für unrein. Allerdings durfte auch ein Ausländer »und sogar ein Deutscher« sich an Stepan Iwanowitsch – Tisch setzen, und einem von diesen – und zwar eben einem Deutschen – war es sogar gelungen, in sein Haus einzudringen und sein Vertrauen zu erwerben, freilich suchte Wischnewskijs religiöses Gewissen immer nach einer Genugtuung und einem Auswege, ehe solch ein »Mißgläubiger« zugelassen wurde. Stepan Iwanowitsch, der, wie er selber freimütig gestand, »katechisieren nicht gelernt«, hatte sich nämlich eine selbsterdachte Prüfung zur Aufnahme Andersgläubiger zurechtgelegt und brachte diese sehr konkret zur Anwendung.

Stepan Iwanowitsch pflegte den »Luther« oder den »Katholen« folgendes zu fragen:

»Jenun, wenn du schon nicht auf unsere Art glaubst oder betest, den Heiligen Nikolaus respektierst du doch gewiß?«

Dem examinierten »Andersgläubigen« waren sicherlich überzeugende Gerüchte zu Ohren gedrungen, was ihm zustoßen würde, sollte er es wagen, zu behaupten, daß er den Heiligen, für den sich der Pan von Farbowanaja einsetzte, nicht verehre … Sogleich wäre ihm alsdann vordemonstriert worden, wie stark die Stühle seien, auf die Stepan Iwanowitsch seine Gäste zu setzen pflegte, und wie biegsam und kräftig die Weidenruten, die an den Ufern des Ssupoj wuchsen und ihre Zweige in seinen Wassern badeten. Und darum antwortete ein jeder Andersgläubige, der so glücklich war, Wischnewskijs Gunst in so hohem Maße zu gewinnen, daß er mit ihm über Religion sprach, natürlich genau das, was gerade notwendig war, um angenehm zu wirken.

»Oh, freilich!« pflegte so ein befragter Andersgläubiger zu entgegnen: »wie sollte man den Heiligen Nikolaus nicht verehren, – die ganze Welt verehrt ihn ja.«

»Die ganze Welt, – nein, Brüderchen, das scheint mir doch etwas übertrieben zu sein,« erwiderte Stepan Iwanowitsch: »denn du mußt wissen, daß der Heilige Nikolaus von Moskowitkscher Herkunft ist, du solltest auch unseren russischen Jarko verehren.«

Das Wort »russisch«, und zwar im Sinne von kleinrussisch oder südrussisch gebraucht, wurde damals in scharfem Gegensatz zu der Bezeichnung »moskowitisch« verwendet, denn unter diesem Ausdruck wurde alles Großrussische, alles Nördliche zusammengefaßt. Das »Moskowitische« und das »Russische« waren damals zwei sehr verschiedene Begriffe, sowohl auf Erden, als auch im Himmel. Die irdischen Unterschiede konnte ein jeder mit seinen leiblichen Augen wahrnehmen, die Berechnungen aber, die den himmlischen Dingen galten, waren nur dem Glauben zugänglich. Der Glauben nun bestimmte, daß alle großrussischen Angelegenheiten vom wundertätigen Nikolaus betreut würden, da er Rußlands Beschirmer sei, die kleinrussischen Dinge dagegen hätten ihre Stütze und ihre Verteidigung in dem Elfer des besonders für die Ukraine eingenommenen heiligen Jurij, oder, wie man ihn heutzutage häufiger nennt, den heiligen Georg (den das Volk als »Jurko« kennt).

Und ein jeder Andersgläubige, der das Examen über den heiligen Nikolaus zu bestehen hatte, antwortete Wischnewskij natürlich mit noch größerer Bestimmtheit, daß er den heiligen Jurij »noch mehr als den Nikolaus« verehre.

Das gefiel Stepan Iwanowitsch. Damit war die ganze Katechisation des Neuaufzunehmenden bereits zu Ende, und dem Zugelassenen wurde nie wieder der Vorwurf der Andersgläubigkeit gemacht. Sogar wenn jemand unversehens die Verschiedenheit der Auffassungen mit einem Worte streifte, wurde er von Stepan Iwanowitsch zurückgewiesen, denn dieser pflegte dann zu sagen:

»Es gibt keinen Unterschied: Nikolaus verehrt man, aber den heiligen Jurko noch mehr.«


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