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Fünfzehntes Kapitel

So waren also die tollen Streiche unseres Originals beschaffen, die freilich in unserer tadelswürdigen Zeit unmöglich wären, ohne daß man sie heute mindestens für psychopathisch erklären würde. Allerdings kann nicht verschwiegen werden, daß Wischnewkijs Geschmack und seine Empfindungswelt einen psychopathischen Anstrich hatten. So zum Beispiel war er keineswegs für Naturschönheiten empfänglich, er liebte nur die Nacht und Gewittererscheinungen, in der Tierwelt gehörte seine Neigung den Tauben und den Pferden. Die Tauben gefielen ihm, weil sie sich »küßten«, die Pferde jedoch liebte er, weil sie Verwegenheit besaßen, Schnelligkeit und Stimme. – Ja, ja, ja, freilich, – ihm gefiel der Pferde Stimme ganz außergewöhnlich, das heißt ihr Wiehern.

Um sich ein Vergnügen der ersten Art zu verschaffen, hielt Stepan Iwanowitsch vor seinen Fenstern einen großen Taubenschlag und konnte manchmal stundenlang zuschauen, »wie sie sich küßten«. Zu diesem Schauspiel pflegte er meistens auch Stepanida Wassiljewna dazuzuziehen.

»Schau, – sie küssen sich.«

Und lange, lange schauten die beiden zu und sicherlich mit den besten Gefühlen.

Um Pferde wiehern zu hören, ritt Stepan Iwanowitsch nie anders als auf Hengsten aus und ließ es mit dem größten Gleichmut hingehen, wenn sie irgendeine Wagen- oder Kutschenreihe in die größte Unordnung brachten. Doch auch das war ihm noch zu wenig: wo immer er auch Pferde wiehern hörte, auf der Fahrt oder zu Hause, gleich mußte alles ringsum ruhig sein, er erhob den Finger und verstummte … Und sicherlich hat es nie einen Melomanen gegeben, der so leidenschaftlich dem Gesang der Tamberlick oder der Patti lauschte.

Wischnewskijs Lieblingsschauspiel war, ein Pferderudel zu beobachten, in dessen Mitte ein schöner und kraftvoller Hengst sein Wesen trieb. Selbst, wenn Stepan Iwanowitsch dieses Wiehern noch in der Ferne hörte, blieb er jedesmal stehen, sein Gesicht nahm dann den Ausdruck des vollkommenen Genusses an … Es schien, als sähen seine Augen über jede Entfernung hinweg, wie der Hengst, die Nüstern blähend, dahinsprengt, sprühend vor Leidenschaft …

»Hörst dus, Stepanida Wassiljewna?«

»Ich höre es, mein Freund.«

Und da ihr auf der Welt nur das Glückseligkeit bereitete, was ihrem Gatten Vergnügen machte, so war denn auch dieses eine reine Glückseligkeit für sie … Und Stepan Iwanowitsch wußte das zu schätzen.

Er war sechzig Jahre alt geworden, da starb Stepanida Wassiljewna, er weinte ihr bittere Tränen nach, ging aber dennoch, trotz seines bereits sehr vorgerückten Alters, ziemlich bald eine neue Ehe mit einem achtzehnjährigen hübschen kleinrussischen Mädchen namens Gordijenko ein. Er wurde auch mit dieser Gattin glücklich, aber … aber Stepanida Wassiljewna vergaß er trotzdem nicht … Seiner zweiten jungen Gemahlin fehlte nämlich bei all ihren sonstigen Vorzügen jede Einfühlung in seine Schwächen und Manien … Küssende Täubchen konnte Stepan Iwanowitsch dieser nicht zeigen, und er mochte sie auch nicht fragen, ob sie wohl höre, wie der Sultan der Herde seine Triller tönen und schmettern ließ und sie darauf eine Oktave tiefer ausklingen ließ …

Wischnewskij hatte es freilich versucht, die Aufmerksamkeit seiner jungen Frau auch darauf zu lenken, aber sie war in dieser Hinsicht gefühllos, – sie erhob sich nicht und lächelte ihm nicht einmal zu, sondern meinte nur kalt:

»Ja, freilich höre ichs, ein Pferd hat irgendwo gewiehert!« – und nahm dann wieder ruhig ihre Arbeit auf …

Nicht derartig, nicht so durfte eine Frau mit lebhafter Phantasie sich zu diesen leidenschaftlichen Dingen verhalten! …

Und Stepan Iwanowitsch erkannte, daß seine neue Frau dessen ermangelte, was die vorige in so reichem Maße besessen hatte, und versuchte nicht mehr, sie aufs neue in den Zyklus der Begriffe hineinzuziehen, die ihr unerreichbar waren.

Es blieb ihm jetzt nicht viel mehr, als in den Augenblicken seelischer Erhebung leise zu seufzen, er suchte dann mit den Augen Stepanida Wassiljewnas Porträt, das an der Wand hing, und lächelte ihr zu …


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