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Zehntes Kapitel

In Pirjatin (wir nehmen es für gegeben an, daß sich das Ganze dort abspielte) standen Dragoner. Teile des Regimentes lagen freilich auch in anderen Ortschaften. Der Regimentskommandeur befand sich vielleicht in Perejasláw.

Es versteht sich von selber, daß die Offiziere sich in dem kleinen Städtchen furchtbar langweilten, da sie keine Beschäftigung hatten, und daß es fast ihre einzige Zerstreuung war, die in der Nähe wohnenden Gutsbesitzer zu besuchen. An den Tagen, an denen sie zu Hause bleiben mußten, vertrieben sie sich die Zeit, so gut es eben gehn wollte, mit Kartenspiel und zechten im Kellergewölbe eines kleinen Kaufmanns, der mit Naturweinen handelte. Der Kaufmann war ein Jude und ging darauf aus, die Offiziere zu plündern, weswegen er denn auch ihre Gelage nach Möglichkeit förderte, trotzdem jedoch hatte er Furcht vor ihnen und hängte daher, um sie vermutlich zu veranlassen, sich, wenn der Rausch über sie gekommen, wenigstens etwas leiser aufzuführen, ein Bild in jenen Raum, in dem sich die zechenden Gäste aufzuhalten pflegten, das Porträt einer Persönlichkeit, die seiner Ansicht nach den Gästen ständig die Gesetze des Anstandes vor Augen halten sollte. Vermutlich war das sogar ganz gescheit gedacht und dennoch führte es zu einer Affäre.

Einmal, es war um die heißeste und langweiligste Sommerzeit, hatte sich ein Jongleur in der Stadt eingefunden, der überall dort, wo man ihn gewähren ließ, seine einfachen Vorstellungen gab, eine davon war sehr nach dem Geschmack der Herren Offiziere: der Artist setzte seine Tochter auf einen Stuhl, dessen Lehne fest an der Wand lag, zog darauf einige Dolche aus seinem Mantelsack und schleuderte diese so geschickt gegen die Wand, daß ihre Spitzen überall ins Holz fuhren und auf diese Weise des Mädchens Haupt umrahmten, ohne es dabei zu verletzen.

Dieser geschickte und sichere Umgang mit der Waffe mußte natürlich einen jeden, der die Schwierigkeiten kühner Dolchkunststücke kannte, auf das höchste interessieren und darum kann es nicht Wunder nehmen, daß die Offiziere, als sie sich wieder einmal versammelt hatten, um zu trinken und dazu kleine Käsestückchen zu verzehren, nur noch vom Schleudern der Dolche sprachen, und daß, als sie betrunken waren, einem von ihnen der Gedanke kam, es zu probieren.

Dolche waren keine da, doch befanden sich Gabeln auf dem Tisch, die bei diesem Experiment die Dolche in einem gewissen Maße ersetzen konnten. Und wenn es auch nicht so einfach war, mit diesen gleich wie mit jenen zu zielen, so hatten sie doch den Vorzug, ebenfalls in der Wand stecken bleiben zu können.

Das einzige, dessen sie ermangelten, war eben ein Menschenkopf, den man mit den Gabeln hätte einrahmen können. Von den Offizieren hatte kein einziger das Verlangen, sich zu diesem Versuche herzugeben. Man mußte mithin eine Persönlichkeit geringeren Kalibers finden, und natürlich war hierzu der geeignetste ein Jude, – sogleich wandten sich die angeheiterten Offiziere mit Vorschlägen der Art an die jüdische Bedienung, diese aber erklärte sich teils aus Feigheit, teils aus Lebenslust ganz und gar nicht einverstanden, zu dieser Seance zu sitzen, verließ schleunigst ihre Posten und ließ den ganzen Laden in der Hand der Herren Offiziere, um allerdings von verschwiegenen Orten aus, wohin sie sich geflüchtet und versteckt, unablässig ein scharfes Auge darauf zu haben, was jene verzehren würden, und was überhaupt die ganze lärmende Gesellschaft noch alles anstellen würde.

Zu allem Unheil brachte der Zufall zwei junge Schreiber in den Laden, oder wie man dortzulande sagt, »Gerichtsherrchen«, die wahrscheinlich an dem Tage jemanden um einen »guten Happen« (das heißt ein gutes Schmiergeld) erleichtert hatten und nun in den Keller gekommen waren, um sich den kalten Wein vom Don, der ein wenig nach Wermut schmeckt, zu Gemüte zu führen.

Den Offizieren kam bei ihrem Anblick sogleich der Gedanke, die beiden Herrchen zu ihrem Experiment zu gebrauchen, aus diesem Grunde wurde den beiden zunächst der Vorschlag gemacht, gemeinsam eines zu trinken, und erst später ging man daran, ihnen auf den Leib zu rücken, einer von ihnen solle doch zu der Seance sitzen.

Allein es stellte sich heraus, daß die Herrchen sehr sonderbare Burschen waren und von ganz verschiedener Gemütsart, – war der eine wie Heraklit, so gemahnte der andere mehr an Demokrit. Da sie von der Hitze draußen in den kalten Keller gekommen und sogleich über den kalten Wein geraten waren, hatte es sie sogleich gepackt, und als nunmehr die Offiziere ihnen auf den Leib rückten, standen sie nicht etwa auf, um schleunigst fortzugehen, sondern rührten sich nicht vom Fleck. Als Autochthonen fühlten sie sich mit jenen auf gleichem Fuß und begannen ihnen nun zu zeigen, wer sie waren. Der eine von ihnen lachte nur und machte kleinrussische Witze, die die Offiziere reizten, der andere jedoch wurde zusehends saurer und fing zu weinen an. Und obwohl ihm niemand etwas zuleide tat, schluchzte er in einem fort und jammerte: »Rührt mich nicht an! Geht doch zum Teufel! laßt mir meine heilige Ruhe!«

Die Offiziere wurden der beiden Herrchen nach und nach so überdrüssig, daß sie endlich mit ihnen auf ihre Art verfuhren, – das heißt, man klopfte sie ein wenig durch und stieß sie alsdann unter den Tisch, wo man sie bis zum Ende des Gelages »wie Ferkel« zu halten beschloß. Das war sowohl bequem, als auch ungefährlich, denn um die beiden Herrchen unter dem Tisch festzuhalten, brauchten die Offiziere nur ihre Beine, und hatten Arme und Münder mithin frei, andererseits wurde auf diese Weise, indem man sie unschädlich gemacht hatte, jeder Skandal vermieden, zu welchem es sonst bei dem häßlichen Charakter, den die beiden unerbittlichen Helden gezeigt hatten, unbedingt gekommen wäre. Der eine von ihnen hätte doch bestimmt auf dem Platz oder irgendwo auf der Straße zu heulen angefangen, so daß die ganze Stadt zusammengelaufen wäre, und der andere, konnte er nicht am Ende auf den Zaun klettern, oder ans Fenster von draußen herantreten und von dorther zu witzeln beginnen?

Dann aber mußte man ihm nachlaufen und ihn fangen und herschleppen, – das würde Skandal geben und unbedingt einen Haufen von Weibern und Judenjungen herbeilocken. Mit einem Wort, das alles ließ sich keineswegs mit der Würde des Offiziersstandes vereinigen, – so aber saßen die unter den Tisch geschobenen Herrchen still da, umarmten sich und drängten sich auf dem kleinen Platz, der ihnen zur Verfügung stand, möglichst eng aneinander, um weniger die Offiziersfüße spüren zu müssen, die ja zudem in Stiefeln mit Sporen staken.

Alles ging mithin nach Wunsch, aber da mischte sich der Teufel unter die Gesellschaft und verdarb das ganze Ding: die Offiziere wurden immer betrunkener und begannen schließlich mit ihren Gabeln nach dem Bilde zu zielen, denn sie meinten, es würde ihnen genau so gut gelingen, es zu umrahmen, wie es jenem Jongleur gelungen war, mit seinen Dolchen ein menschliches Haupt einzurahmen. Aber das war ja eben der Teufel: kaum war der erste Offizier dabei, seine Gabel zu schleudern, da zwickte ihn der Teufel in den Ellenbogen – und die Gabel fuhr in das eine Auge des Bildes. Der zweite Offizier hatte dasselbe Pech, denn auch bei ihm lenkte der Teufel die Gabel in der Richtung auf das zweite Auge und nun begann die ganze betrunkene Kompanie darin zu wetteifern, – die Gabeln flogen nur so, eine nach der anderen, und schon bald war das Antlitz, das auf dem Bilde dargestellt war, völlig entstellt.

In ihrer betrunkenen Laune, die schon fast den Zustand der Geisteszerrüttung angenommen hatte, schenkten die Offiziere diesem Vorfall keinerlei Beachtung. Sie hatten ein Bild zerstört – nichts mehr. Zudem war es von keinem besonderen Maler gemalt und natürlich von keinem Raffael und konnte keine erheblichen Summen kosten. Morgen würde man eben den jüdischen Hauswirt holen lassen, ihn fragen, was das Bild wert sei, ordentlich mit ihm feilschen und schließlich bezahlen, – und damit basta. Dafür hatte es viel Spaß gegeben, viel Scherze und es war bei den verunglückten Versuchen, genau so geschickt zu werfen, wie jener Jongleur, viel gelacht worden.

»Nein doch, der Schelm hat es wirklich besser gemacht. Das können wir nicht so gut. Und gottlob, daß kein Mensch sich einverstanden erklärt hat, uns zu sitzen, wir würden ihm am Ende noch die Augen ausgestochen haben, – das wäre eine Geschichte geworden!«

Die mutigen Tollköpfe waren wahrhaftig recht froh darüber, daß die ganze Sache mit Lachen und Späßen ein gutes Ende genommen, und wankten endlich, einander stützend, ihren Behausungen zu. Sie vergaßen sogar beim Weggehen völlig auf ihre Gerichtsherrchen, die dort unter dem Tisch ganz still geworden waren und nicht mehr mucksten.

Und dennoch war die Sache lange nicht so einfach und durchaus nicht so glücklich, wie die braven Kinder dachten, als sie nach Hause gingen, um auszuruhen.


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