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53. Kapitel

Braun zog in die Stadtrandsiedlung, in der er früher schon einmal gewohnt hatte. Als die Geldknappheit ihren Höchstgrad erreicht hatte und Braun, befreit von der Tierschar, sich ordentlich ins Zeug legte, erhielt er den Auftrag, eine Fuchsartikelserie zu illustrieren. Das tat er schnell und ordentlich, und so konnte er bald ein ganz hübsches Sümmchen abholen.

Auf diese Weise flott geworden, war es ihm möglich, die Kosten des Umzugs und alles, was drum und dran hing, zu bestreiten.

Er wohnte noch nicht allzu lange in der neuen kleinen Wohnung, als ihm eine Dauerkarte zum Aquarium ausgestellt wurde. Damit war ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen, und dem Maler eröffnete sich eine neue Welt.

Als er zum erstenmal seit langer Zeit wieder in die dunkle Halle trat, hinter deren hell erleuchteten, in die Wände eingelassenen Glasscheiben der Bassins das vielfältige, farben- und formenreiche Leben der Fische dahinzog, da wurde es Jochen ganz feierlich zumute. Wie im Traum schwammen die schönen Lebewesen durch das stille, leuchtende Wasser. Rubinrote und goldene Augen sahen in die Dunkelheit, und blasse, menschenähnliche Münder bewegten sich, als sprächen sie eine lautlose Sprache.

An veralgten, braungrünen Rohrhalmen standen Fische, deren volle runde Leiber schimmerten, als wären sie mit Juwelen besetzt. Schwärme von solchen, die wie Zebras gestreift waren, standen beisammen und bewegten kaum merklich ihre durchsichtigen Flossen.

In einem anderen Bassin standen Hechte. Ihre Leiber waren graugrün und hatten goldene Flecken. Der lange, grimmige Schädel war erschreckend eindeutig in seinem Ausdruck brutaler Gier. Nichts Versöhnliches war um das Räubermaul oder in den harten Augen.

Plötzlich fiel von oben ein kleiner Schwarm silberner Fischchen in das Becken. Sie fuhren aufgeregt durcheinander, und ihre silberweißen Flanken blitzten bei jeder Wendung. Da schoß der Hecht unter sie. So schnell die Ukleie auch waren, der große Räuber holte sich einen von ihnen. Ein feiner, blinkender Schuppenregen fiel, als die grausamen Kiefer zuschlugen.

Drüben, auf der anderen Seite des großen, dunklen Raumes hingen zwei gewaltige Unholde an dunklem Gestein: japanische Riesensalamander. Länger als ein Männerarm, graubraun und schwarz gefleckt, erschienen sie mit ihren vielen Hautfalten und Lappen häßlich und bizarr. Der Kopf, formlos und plump, hatte nur winzige Äuglein, die kaum zu entdecken waren. In den dunklen Felsenhöhlen ihrer Heimat brauchten die Salamander die Sehkraft nicht. Sie orientierten sich mit ihrem außerordentlich feinen Gefühl.

In den Gebirgsbächen Japans leben nur noch ganz wenige dieser Kaltblüter. Sie galten zu lange als hochbezahlte Delikatesse. Nur auf dem Tisch sehr reicher Leute war dieser äußerlich so wenig ansprechende, aber nach der Meinung aller Kenner ausgezeichnet schmeckende Salamander zu finden. Jetzt setzt sich eines der ungeschlachten Tiere in Bewegung. Leichtes, weiches Rudern des langen Schwanzes, der oben und unten einen Kamm hat, schwerfällige Bewegungen des langgestreckten, faltigen Leibes, und einer der Riesenburschen nähert sich dem anderen, der, in düsterer Höhle liegend, nur undeutlich zu erkennen ist. Der klobige Kopf stößt wiederholt in das Dunkel vor, bis der andere Salamander unter den Steinen hervorkommt. Genau so plump und unbeholfen in den Bewegungen rudert jetzt auch das aufgestörte Tier im Hellen umher. Dann aber schwimmen die beiden langsam auf und nieder, ihre Körper wälzen sich umeinander, die breiten Schwimmschwänze schlagen, und die beiden Riesensalamander erwecken den Eindruck, als wenn sie bei aller langsamen Ungeschicklichkeit spielten. Oft reiben sie sich bei ihren Bewegungen aneinander, und ganz plötzlich entsendet der eine milchige Schleier aus seinem Leibe.

Ein Paarungsspiel findet seinen Abschluß. Wolkige Nebel hüllen das Salamanderpaar ein. Zuletzt erscheinen die Bewegungen nur noch undeutlich wie Schattenspiele hinter diesem bewegten Vorhang, den Millionen Lebenskeime gewoben haben.

So im Weiterschreiten von Bassin zu Bassin wurde es Jochen Braun bewußt, wie man sich angesichts dieser wunderbaren Anlage zeitweise kaum erinnerte, daß man die Wesen der Tiefe nicht in Freiheit in ihrer natürlichen Umgebung sah.

Was er jetzt beobachten sollte, war allerdings geeignet, jeden vergessen zu lassen, daß er in einem Haus mitten in der Großstadt stand.

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Japanische Riesensalamander im Paarungsspiel

Im grün durchleuchteten Wasser, zwischen Schluchten und Säulen von Tuffstein tobte ein Kampf. Ein Tintenfisch war entgegen den Erwartungen der Aquariumwärter mit einem mächtigen Hummer aneinandergeraten.

Wogend und sich schlängelnd mit seinen langen, beweglichen Armen, wirkte der Tintenfisch, besonders auch durch seine wechselnden zartbraunen und blaßgrünen Tönungen, gespenstisch. Der leicht geblähte Sack, der den größten Teil seines Körpers bildet, war überlaufen von eigenartigen, sich kreuzenden Runzeln, und da, wo er in den Kopf überging, ragte etwa vier Zentimeter lang das Ventil, aus dem der Oktopus die Sepia schießen läßt, wenn er seine Flucht in Undurchsichtigkeit hüllen will. Dies Ventil sah aus wie ein glatt abgeschnittener Gummischlauch. Vier der dehnbaren Arme waren fest um den Hummer verstrickt, die vier anderen hatten sich teils am Gestein festgeklammert, teils wogten und irrten sie in allen Richtungen umher.

Das ganze Tier war in wuselnder, vibrierender Bewegung und erweckte den Eindruck, als ließen sich viele Lebewesen widerwillig von dem Willen einer Zentrale lenken.

Dieser Wille kam zum Ausdruck in den Augen, die unter sehr starken Erhöhungen lagen. Die Augen hatten die Form eines länglichen Vierecks und waren schwarz. Sie wirkten entsetzlich. Dieses Tier, das aussah wie ein Bündel sich windender Würmer, blickte mit einem Ausdruck, der menschlich war. Es lag etwas so Bewußtes darin. Doch da sie ganz unbeweglich und starr blickten, ohne je zu blinzeln oder ein Lid zu senken, so wirkten sie bei allem Ausdruck tot. Darin lag ein unheimlicher Widerspruch, der jeden, der in diese Seelenfenster eines Wesens aus einer anderen Welt schaute, erschrecken ließ.

Leidenschaftslos, doch unerbittlich starrte der Polyp. Die Arme mit den unzähligen krankhaft weißen Saugnäpfen fesselten den schwarzbraunen Hummer mit zäher Kraft. Aber der Kruster hatte Scheren, die so groß waren wie Hände. Die eine umklammerte zwei der umherirrenden Fangarme mit stählernem Griff, während die andere bald hier, bald da zupackte und in dem weichen und doch so starken Gegner wühlte.

Der Hummer schob sich auf seinen kräftigen Beinen ständig hin und her, sein gepanzerter, muskelstarker Schwanz schlug mit schnellen, wuchtigen Schlägen, stemmte sich bald gegen den Boden, bald bog er sich mit gefächertem Ende nach oben, die Position des Hummers verändernd.

Wo auch der Kämpfer im harten Panzer mit seinen gewaltigen Kneifzangen zupackte, immer hatte es den Anschein, als würde das Fleisch des Tintenfisches glatt durchschnitten.

Aber kein Stück der Fangarme fiel ab, denn es gibt kaum etwas Dehnbareres und Geschmeidigeres als einen Oktopus.

Der Achtarmige schien überlegen zu werden. Wo die Saugnäpfe erst einmal saßen, ließen sie nicht mehr los. Sie umschnürten den Hummer immer fester, zogen sich noch ein wenig enger und schraubten dem Kruster allmählich die Gelenke auseinander. Die eine Schere war schon vollkommen blockiert, wenn sie auch noch ehern die beiden Saugarme umspannt hielt. Es begann sich auch schon ihre Wirkung zu zeigen. Die abgeschnürten Arme verloren plötzlich jegliche Kraft. Sie machten noch einige müde Bewegungen, dann aber hörte die Aktionsmöglichkeit auf, sie hingen leblos herab und schleiften im Sande. Der Ritter im Panzer hatte zwei seiner Feinde besiegt, sechs andere lebten noch. Als er keinerlei Gegenwehr mehr in den herabhängenden Armen verspürte, ließ er los und grub die frei gewordene Schere von unten in den Leib seines Feindes. Da begann der Tintenfisch wie irrsinnig im Bassin umherzuschwimmen. Mit erstaunlichen Bewegungen schoß der rasend Gepeinigte rückwärts gegen die Glasscheiben, gegen die Wände, nach oben und unten. Dabei arbeiteten die Arme wie besessen. Soweit er sie nicht zum Schwimmen gebrauchte, schnürten und rissen sie mit noch immer wachsender Kraft. Der Hummer aber ließ nicht los. Er wühlte im Leben des anderen, und obwohl er kaum noch freien Gebrauch eines seiner Glieder hatte, verrichteten seine Scheren immer vernichtendere Arbeit.

Da plötzlich schoß aus dem Ventil des Polypen ein dunkler Strahl, der sich zu einer düsteren Wolke ausbreitete.

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Polyp im Kampf mit Hummer

In der schnell jede Sicht verhindernden Sepia raste der Kampf auf Leben und Tod weiter. Braun sah einen Augenblick lang einen sich windenden Arm mit weißen Saugnäpfen dicht an der Scheibe, dann verschwand er wieder in der bewegten Sepiawolke. Gleich darauf war es der wildschlagende Schwanz des Hummers, der auf eine Sekunde in Erscheinung trat.

Nachdem eine weitere halbe Stunde vergangen war, wurde es nach und nach ruhiger, und als allmählich die Finsternis sich senkte, lagen die beiden Tiere ineinander verknäult am Boden. Nur der Oktopus zeigte noch etwas Leben. Dem Hummer war der Schwanz, da, wo er an den Rückenpanzer ansetzt, gebrochen. Scheren und Beine waren verrenkt, er war tot. Später erfuhr Jochen, daß auch der Tintenfisch am nächsten Tag verendet war.

So oft Braun auch in der Folge in das Aquarium ging, nie wieder sah er so viel wildbewegtes Leben während eines Besuches.


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