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48. Kapitel

Eines Morgens brachte Braun eine Tüte trockenes Brot für die Elefanten der Schau mit. Es machte ihm Vergnügen, die Tiere zu füttern, mit ihnen zu sprechen und die Geschicklichkeit zu beobachten, mit der ihre Rüsselhand das kleine Stück Brot erfaßte und es schnell im Maule verschwinden ließ.

Die seltsam gefurchten Gesichter der Dickhäuter waren verschieden im Ausdruck. Ganz verknitterte waren darunter, die aussahen wie die von Runen durchzogenen Gesichter alter Bauern. Andere, jüngere, hatten heitere Physiognomien mit ausgesprochenen Schmunzelfalten, während einzelne Tiere den erhabenen Ernst der Weisheit zeigten.

Braun empfand den Elefanten gegenüber eine eindringliche Neugier, und es war sein Kummer, daß er sich nicht mit den Mahouts verständigen konnte. Während er den Tieren das Brot reichte, kam ihm der Gedanke, daß er ja so füttern könnte, wie er es mehrfach von den Mahouts gesehen hatte. Er überwand seine Scheu, trat ganz dicht an den ersten Rüsselträger heran und steckte ihm das Stück Brot direkt ins Maul, ohne es sich erst durch den Rüssel abnehmen zu lassen. Er streichelte dabei die rauhe Kinnlade des Elefanten und war sehr stolz, die Dickhäuter so fachmännisch zu behandeln. Einen nach dem anderen fütterte er in dieser Weise, und alle waren artig und ließen sich diese Annäherung freundlich oder gleichmütig gefallen.

Am Schluß der Reihe stand »Jassu«, die größte und stärkste der Elefantinnen. Braun trat dicht an sie heran, sie nahm wie die anderen das Brot entgegen, doch im nächsten Augenblick schlenkerte sie einmal kurz und unwillig mit dem Rüssel, und Braun flog gute drei Meter rückwärts. Nur dadurch, daß er ganz schnelle, kleine Schritte machte, war es ihm möglich, nicht umzufallen. Betroffen fand er schließlich wieder festen Halt und sah finster auf »Jassu«.

Braun ging an seine Arbeit. Er zeichnete ein schlafendes Inderkind. Die Großmutter des braunen kleinen Mädchens saß daneben und arbeitete still an einer Stickerei. Eigenartig war der Kontrast des tiefbraunen Gesichts zu den silberweißen Haaren. Die weite, bunte Kleidung, der reiche Schmuck farbiger Glasperlen wirkten tropisch, fremd. Doch der freundliche Ernst und die Ruhe der Alten machten, daß sie sich im wesentlichen nicht sehr von einer lebensklugen deutschen Altbäuerin unterschied.

Sie verständigte sich mit Braun durch ein freundliches Lächeln und ein Kopfnicken, und er vergaß während der eifrigen Arbeit bald den Schreck mit »Jassu«.

Die Zeichnung war fast vollendet, da glitt von hinten ein großer Schatten an den Zeichnenden heran. Es war »Jassu« mit ihrem Mahout auf dem Rücken, die, mit dem lautlosen Schritt aller Elefanten, auf dem Wege zur Vorstellung war.

Braun sah zu dem Mann auf und bemühte sich, ihm durch Zeichensprache den Vorfall bei der Fütterung zu erzählen. Dabei sagte er in der Hoffnung, daß der Inder wenigstens dieses eine deutsche Wort verstehen würde: »Dein Elefant – Schwein!« Es zeigte sich, daß der Inder recht gut verstand. »Du bist Schwein, du bist Schwein!« schrie der braune Mann bebend. Sein Gesicht verzerrte sich in Haß und Gekränktsein, und er machte allen Ernstes Miene, von seinem Elefanten herunterzukommen.

Braun hatte in seiner jugendlichen Unbedachtsamkeit nicht in Betracht gezogen, wie tief ein indischer Mahout beleidigt sein muß, dessen Elefanten man mit Schwein tituliert. Das wurde ihm nun klar. Er sah seinen Fehler ein und wandte sich ohne ein weiteres Wort seiner Arbeit zu. Der Mahout sagte noch einige Liebenswürdigkeiten in seiner Heimatsprache, dann lenkte er seinen Elefanten dem Platz zu, auf dem die Vorstellung eben begann.

Am nächsten Tag ging Braun zu dem in der Ehre seines Elefanten gekränkten Mahout und entschuldigte sich. Er tat das mehr durch Zeichensprache als durch Worte. Mit großer Liebenswürdigkeit nahm der Inder die Entschuldigung an und holte zum Zeichen, daß alles wieder in Ordnung sei, ein Ölbild, das ihn selbst und seine Elefantin darstellen sollte. Diese nicht besonders gute Arbeit hatte ihm eine Malerin in Paris geschenkt, als die Indienschau dort gastierte.

Unter den Handwerkern des kleinen Dorfes der Schau war auch ein Mann, der kurze Handspeere anfertigte. Die Speerspitzen dieser kleinen Waffen schmiedete er mittels eines Handblasebalges und eines kleinen Ambosses in der offenen Hütte, so daß jeder Besucher zusehen konnte.

Braun erkundigte sieb, so gut es ging, was ein Speer kosten solle, oder ob man nicht irgendwie tauschen könnte.

Der Schmied nickte mit dem Kopf, nahm einen Speer, reichte ihn dem Maler hin und zeigte kopfnickend auf die Brust und den Arm Brauns. Der verstand lange nicht, was der andere meinte, bis der Schmied anfing, Braun ganz energisch am Revers seiner Jacke zu ziehen.

Nun wurde es dem Maler klar: der Mann im Turban und indischen Gewand wollte eine gebrauchte Jacke für den Speer haben.

Braun nickte eifrig und ging nach Hause.

Als er das nächste Mal in die Schau kam, trug er ein Paket unterm Arm, das er dem Schmied überreichte. Der wickelte sofort aus, probierte das Kleidungsstück an und war trotz einiger schadhafter Stellen durchaus zufrieden. Sein dunkles Gesicht zog sich in tausend freundliche Falten, als er dem Maler den Speer überreichte.

Neben dem nach vorn offenen Raum, in dem die Elefanten an einem Hinterbein mittels einer Kette gefesselt standen, war der Schuppen für die Futtermittel der Dickhäuter. Auf einigen der Heuballen lag einer der Mahouts und schlief.

Die Stunde des Aufzuges rückte heran, und einer seiner Kollegen trat zu dem Schläfer, faßte ihn an der Schulter und rüttelte ihn, um ihn zu wecken.

Unwillig stöhnend warf sich der schlafende Mann auf die andere Seite. Doch sein Landsmann ließ nicht locker, er schüttelte ihn energisch und rief ihm zu: »Wach auf, du Sohn einer Schildkröte, die Vorstellung beginnt.«

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Der Inder überreicht Jochen Braun den Speer

Da fuhr der andere mit einem heiseren Laut empor, seine weißen Zähne bleckten, die schwarzen Augen loderten, und der Inder war mit einem Sprung von dem Heuballen herunter. Die sehnige, braune Hand riß einen Dolch aus dem Gürtel, und der plötzlich rasend Gewordene sprang, die Waffe schwingend, auf den, der ihn geweckt hatte.

Der zornige Angriff geschah blitzschnell, der Überfallene konnte sich im Augenblick nur dadurch retten, daß er sich zu Boden warf. Da sprang auch schon ein dritter Mahout heran und fiel dem Wütenden in den Arm, als der gerade im Begriff war, dem am Boden Liegenden den Dolch in den Rücken zu stoßen. Eine Sekunde, bevor er Unheil anrichten konnte, entriß man ihm die Waffe, und nun fielen vier Inder über den einen her, um ihn zu bändigen. Aber er schien wahnsinnig geworden zu sein. Er schrie in ganz hellen, kreischenden Tönen, und seine Raserei gab dem an und für sich schmächtigen Mann eine schreckliche Kraft. Der kämpfende Knäuel wälzte sich zur Schuppentür hinaus, und dort, vor den Augen des Publikums, schob er sich ächzend und schreiend hin und her. Und immer ertönte über dem Brüllen und Schnaufen der Männer die gellende Stimme dessen, den eine rauhe Hand aus dem Traum von der tropischen Heimat und der Familie gerissen hatte und dessen lange zurückgedrängte Sehnsucht in rasender Auflehnung frei werden wollte.

Dann kam der Vormann der Mahouts herbeigerannt. Er griff ohne Erregung geschickt und tatkräftig ein, und was die vier Rassegenossen mit all ihrer wilden Kampfeslust nicht vermochten, das schaffte der weiße Mann mit einem Jiu-Jitsu-Griff. Unterstützt von zweien der Mahouts, brachte der Vormann den vergeblich sich Sträubenden ins Gewahrsam. Dort las er ihm gewaltig den Text, aber als der Mahout dann zusammenklappte und in bittere Tränen ausbrach, tröstete er ihn und rechnete ihm vor, daß der Vertrag ja bald abgelaufen wäre und er mit so viel Geld, wie er noch nie beisammen gehabt hätte, seine Familie wiedersehen würde.


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