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41. Kapitel

Glücklicherweise geht es nicht immer auf Leben und Tod, wenn eines der Tiere im Zoo den immer gleichen Kreislauf seiner Tage durchbricht.

Es war der Gepard, der eines Tages den ganzen Zoologischen Garten in Aufregung versetzte. Dieses merkwürdige Raubtier mit den hohen Läufen, den Hundepfoten und auch dem hundeartigen Gebäude hat ein Katzengesicht. Tatsächlich stellt der Gepard den Übergang vom Hund zur Katze dar. Das ähnlich dem Leoparden gefleckte Tier ist sehr leicht zu zähmen, und jung aufgezogene Geparden sind Menschen gegenüber von großer Zuverlässigkeit. Jedenfalls ist der Dobermann-Pinscher ebenso wie mancher andere Haushund seinem Herrn sehr viel häufiger gefährlich geworden als ein gezähmter Gepard.

Afrikanische Jäger gebrauchen ihn zur Antilopenjagd, denn dieser Katzenhund ist auf kurze Strecken schneller als jedes andere Raubtier der Welt.

Auch der Gepard des Zoo war völlig zahm und gab niemals Grund zur Klage. Doch eines Tages riß er aus, und da war zwei Stunden der Teufel los. Doch nicht das in panischem Schrecken fliehende Tier war der Teufel.

Es war der Teufel der Angst, der den sonst so friedlichen Zoo zu einer Stätte des Irrsinns machte.

Als der Wärter den Geparden an Halsband und Leine durch den Zoo spazierenführte und der Gepard heftig an der Leine zog, weil er vergnügt war, der Käfighaft wieder einmal entronnen zu sein, löste sich der Karabinerhaken vom Halsband, und »Jonny« war frei. Mit einer wohl zu schnellen, hastigen Bewegung versuchte der Wärter des Geparden habhaft zu werden, und das Tier erschrak.

Von diesem Augenblick an überstürzten sich die Ereignisse.

Jonny sauste in seinem besten Tempo um die Ecke des Raubtierhauses und sprengte eine Gruppe von einigen Zeichnerinnen in alle Winde. Mit dem schrillen Schrei: »Ein Tiger, ein Tiger!«, rannten die jungen Damen um ihr Leben.

Doch sie wurden gar nicht verfolgt, denn der Gepard war, Weg und Steg nicht achtend, durch das Gebüsch gebrochen.

Auf der anderen Seite stand eine Bank, auf der saßen zwei ältere Herren, die sich über ihre Angelegenheiten unterhielten. Da sahen sie das große, buntgefleckte Raubtier hart an sich vorüberspringen, und dem einen der Herren, einem behäbigen, gesetzten Mann, fiel der Unterkiefer herunter, die Augen standen ihm vor dem Kopf, und mit zitternden Fingern in die Richtung deutend, in der Jonny verschwunden war, sagte er nur immer: »Da, da, da – –«.

Der andere, ein kleines, spitzes Männlein, hielt den Kopf schief wie ein Huhn, das gerade ein Korn entdeckt, und lächelte ungläubig vor sich hin. Dabei bewegte er nicht ein Glied. Doch plötzlich stieß er einen Schreckensruf aus und raste, unablässig schreiend, dem Ausgang des Zoologischen Gartens zu. Der Behäbige rief ihm nach, er möchte auf ihn warten, er selbst hätte auch Weib und Kind, doch der andere sauste weiter.

Plötzlich hielt er im Rennen inne, machte kehrt und sauste wieder zurück.

Sein Gesicht war weiß, auch schrie er nicht mehr, aber dafür flackerte das Licht fanatischer Entschlossenheit aus seinen Augen. So kam er außer Atem zurück, als, um das Nilpferdhaus biegend, Jonny hinter ihm erschien. Auch er kam in mächtiger Fahrt daher. Rasch holte er auf, und ehe man bis zehn zählen konnte, hatte er sein Opfer erreicht.

Der Verzweifelte raste immer noch dahin, doch hatte er die Augen geschlossen, und sein Mund war nur ein Strich.

Als er schon die grausigen Zähne im Genick fühlte, schoß Jonny an ihm vorbei, ohne auch nur den Kopf nach ihm zu wenden.

Der Behäbige hatte sich längst hinter einen Busch geworfen und betete, das Untier möchte den anderen fassen.

Inzwischen wurde klar, warum der Gepard zurückgekommen war: um das Nilpferdhaus preschten wie die Hirsche drei Wärter. Sie trugen Netze und große Kescher in den Händen, und als sie bei dem beinahe zerrissenen Herrn anlangten, fragten sie den erschöpft an einen Baum Gelehnten, wohin der Gepard gelaufen wäre. Der Gerettete machte nur eine müde, unbestimmte Geste und sagte schwer atmend: »Ich hätte ihn beinahe gehabt, aber man ist ja auch nicht mehr der Jüngste.«

Die Männer in den grünen Joppen waren schon wieder weiter. Beim Antilopenhaus scholl ihnen vielstimmiges Geschrei heller Stimmen entgegen, dort war der Gepard in eine Schulklasse von kleinen Jungen geraten.

Je nach Temperament benahmen sich die Knäblein ganz verschieden. Einige flohen mit markerschütterndem Geschrei nach allen Richtungen auseinander, andere scharten sich wie die Küken um die Glucke um ihren Lehrer, der unablässig die Farbe wechselte und seinen Spazierstock steil in die Höhe hielt, um ihn jederzeit herniedersausen lassen zu können.

.

Der Verzweifelte raste dahin

Zwei oder drei der Jungen waren gewandt wie die Äffchen auf Bäume geklettert, und der eine von ihnen, scheinbar ein aufgeweckter Knabe, versorgte seinen Lehrer mit guten Ratschlägen. Ein einziger der Bengel, ein kleiner, stämmiger mit struppigen Haaren, stand ungerührt im Getümmel der Mitschüler und des vor Angst völlig wahnsinnig gewordenen Geparden und schrie immer: »Der tut ja nichts, der tut ja nichts, es ist doch ein Gepard!«

Doch die Stimme der Vernunft ging, wie so oft, in der allgemeinen Angst unter, denn wenn Fränzchen bei seinen Schulkameraden sonst auch als zoologische Autorität galt, heute hörte ihn keiner.

Die drei Wärter aber eilten herbei, um sich mit ihrem Netzwerk auf Jonny zu stürzen. Dabei taten sie das ihre, um den Höllenlärm noch zu vergrößern, indem sie mit Stentorstimme »Ruhe, Ruhe!« riefen. Doch Jonny witschte zwischen seinen Häschern hindurch und flüchtete direkt auf ein Kindermädchen zu, das, ohne einen Laut von sich zu geben, den Säugling im Stich ließ und die Flucht ergriff.

Im nächsten Augenblick war der Gepard am Kinderwagen. Das Kind saß lächelnd da und streckte die Ärmchen nach dem hübschen, bunten Teddybären aus.

Jonny blieb stehen, denn er sah von drei Seiten Leute auf sich zu stürmen. Er bewegte sich ratlos auf dem Fleck, dabei wandte er seine großen, dunklen Augen zu dem Kind, als wollte er bei dem einzigen Wesen Schutz suchen, das nicht schrie, mit den Armen fuchtelte und hinter ihm her rannte.

Aus den Kehlen der Menschen aber entrang sich ein einziger Schrei, als sie die Bewegung des Geparden sahen. Da stürmte der Gejagte weiter, und nun fing auch das Kind an zu weinen. Keuchend und mit fliegenden Flanken verschwand Jonny wiederum im Gebüsch.

Bevor er endlich in die Enge getrieben und mit Netzen gefangen wurde, verursachte er, als er an den Affen vorbeistürmte, einen noch nicht dagewesenen Tumult bei den Vierhändern, die ja bekanntlich sehr leicht in Entsetzen zu bringen sind.

In der Fasanerie und bei den Enten entstand ebenfalls ein Chaos, als er wie ein Komet erschien und verschwand. Besonders die Pfauen konnten sich nicht beruhigen und schickten ihre Schreie immer wieder durch den Zoo.

Eine alte Dame wurde ohnmächtig, als Jonny unvermutet vor ihr auftauchte, einem Maler sprang er in die Staffelei, und ein paar junge Leute, die sich an der Jagd beteiligten, stürzten übereinander, und der eine brach das Schlüsselbein.

Der Presse entging der fette Happen nicht. Sämtliche Zeitungen brachten spaltenlange Berichte, und alle wiesen darauf hin, wie wenig das Publikum in der Zoologie Bescheid wisse, denn daß ein Gepard durchaus friedlich sei, wäre doch oft genug berichtet worden. Aber auch den Presseleuten war es eigentlich bis dahin neu gewesen.

Der einzige, der von diesem dramatischen Vorfall für immer etwas zurückbehielt, das war der Gepard selber, da er von Stund an menschenscheu blieb.


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