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36. Kapitel

Es gibt vieles auf dem weiten Felde der Zoologie, das unerforscht ist. Da sind die Gebiete, zu denen der menschliche Geist noch nicht vorgedrungen ist, viel ausgedehnter als die geographischen, die noch keines Menschen Fuß betreten hat.

Der Laie verfällt immer wieder in den Fehler, von menschlichen Gesichtspunkten auszugehen, wenn er Tiere beurteilt.

Die Zoologen dagegen wollen sich nicht von so ungewissen Eindrücken beirren lassen und glauben nur an das, was sie sehen. Für sie gilt nur der wissenschaftliche Beweis, wenn es sich darum handelt, neue Erkenntnisse in der Zoologie zu erhärten. Dieser mühevolle, aber gründliche Weg ist auch nicht zu umgehen, wenn es sich darum handelt, Schlüsse zu ziehen, die absolut sicher sein müssen, insofern sie geeignet sein sollen, auf ihnen weiterzubauen.

Aber die Forscherarbeit, die sich auf genaueste Beobachtungen stützt, gerät in den Zwang, alles, was nicht unbedingt auf der einmal eingeschlagenen Linie liegt, beiseite zu lassen, da sonst der Wissenschaftler den Faden verliert, wie ein Spürhund, der in seiner Fährtenarbeit dadurch gestört wird, daß zu viele andere Fährten die auszuarbeitende Spur kreuzen.

Infolge dieser durch die Art der Arbeit erzwungenen Einengung entstehen dann oft Urteile, selbst namhafter Gelehrter, die das Tier gegenüber dem Menschen mehr oder minder primitiv erscheinen lassen.

Die körperlichen Funktionen vieler Tiere sind weitgehend erforscht. Doch das Gebiet der Seele ist »terra incognita«, unbekanntes Land.

Aber gerade die seelischen Eigenschaften sind bestimmend für Mensch und Tier. Auf diesem Feld der Forschung werden der wissenschaftliche Versuch und die Beobachtung nur dann umfassende Resultate erzielen, wenn man sich darüber klar geworden ist, daß das Tier dem Menschen, selbst unter den günstigsten Bedingungen, während der Beobachtung nur einen kleinen Teil seiner wahren inneren Wesensgestalt zeigt.

Der Umfang des Gehirns allein gibt keinen Aufschluß über das Ausmaß der geistigen Kräfte. Der bekannte Ornithologe Dr. Heinroth sagte einmal anläßlich eines Vortrages: »Die Riesenschlange hat zwar sehr wenig Gehirn, doch wird sie den Anforderungen ihres Existenzkampfes auch mit ihrem geringen Quantum an Gehirnmasse vollauf gerecht, denn sie hat andere Teile ihres Wesens entsprechend hoch entwickelt. Womit ein Geschöpf das Leben meistert, bleibt untergeordnet, wenn es nur besteht. Tatsächlich besteht die Riesenschlange sehr gut, obwohl ihr Wild zum Teil kleinere Paarhufer sind, die über die feinsten Sinne verfügen.«

Aus diesen Worten eines so bedeutenden Fachmannes wird ersichtlich, wie. weit die Möglichkeiten der Natur sind. Die Riesenschlange ist taub, ihre Sehkraft ist gering, ihre Fähigkeit zu wittern gleichfalls. Und doch ist ihr Überfall von tödlicher Sicherheit und blitzschnell.

Der Begriff des sechsten Sinnes ist geprägt worden für die unendlich feinen Apparate der Wahrnehmung, über deren Sitz und Art man sich nicht klar ist. Was weiß zum Beispiel die Wissenschaft über die Regungen des Gemütes bei den Tieren? Wie ist es zu erklären, daß ein Hund nur seinen Herrn liebt, der wenig Zeit für ihn hat und, da er überarbeitet ist, den Hund oft grob anfährt, ihn mitunter sogar schlägt? Gefüttert wird das Tier von der Köchin, auf die Straße bringt ihn das Kind, und doch liebt dieser Hund nur seinen Herrn und verteidigt ihn wütend, wenn Anlaß dazu vorhanden ist.

Eine sehr starke Bulldogge beschützte einen kleinen, herrenlosen Hund, indem sie sich über ihn stellte, obwohl sie ihn vorher nie gesehen hatte, als eine Meute von Straßenhunden dem Kleinen arg zusetzte.

Eine andere Seite des Innenlebens der Tiere ist ihre Empfänglichkeit für Schönheit.

Wir Menschen freuen uns an dem Gesang der Nachtigall. Doch nicht für uns hat die Schöpfung den süßen Schall in der Kehle des Nachtigallenhahnes entstehen lassen, sondern für das Nachtigallenweibchen.

Es ist richtig, daß sich mit dem Lied das Männchen dem Weibchen bemerkbar macht. Doch nur um sich bemerkbar zu machen, würde sehr viel weniger genügen als der bezaubernde Gesang. Man kann auch annehmen, daß ein Männchen bessere Aussicht hat ein Weibchen zu gewinnen, je reicher sein Lied ist. Und doch geht gerade daraus hervor, wie empfänglich das Weibchen für das Lied des Männchens sein muß. Auch die berückende Gefiederpracht vieler Vogelmännchen setzt eine sehr starke Auffassungsfähigkeit des Weibchens voraus.

Wer einmal einen Amherstfasan in voller Balz sich um seine Erwählte bemühen sah und den Tanz eines Spaniers um seine Erkorene damit vergleicht, der wird finden, daß der Unterschied zwischen Mensch und Tier, in diesem Fall zumindest, gleich Null ist.

Wenn jemand sagt, ich habe nicht viel für die Natur übrig, dann meint er notwendigerweise, er hätte auch nichts für sich selbst übrig, denn er ist ja auch nur ein Teil der Natur. Und weil die Menschen so vielerlei Sichtbares hingestellt haben und ihre Entwicklung so ganz auf das Bequemermachen des Lebens und auf die Erkenntnis eingestellt worden ist, so glauben sie weit höher organisiert zu sein als die Tiere. Doch ob sie so intensiv und feinfühlig zu leben verstehen wie ihre jüngeren Brüder, die Tiere, das ist mehr als zweifelhaft.

Man denke an die tausendfältigen Zufälle eines Vogellebens im Urwald, wenn man sich den Reichtum an Lebensintensität eines Tieres vorstellen will.

Die Tiere der Freiheit haben ihre Entwicklung nach einer anderen Richtung aufgebaut als wir Menschen, doch brauchen sie deshalb nicht unkomplizierter zu sein.

Im Zoo lebte längere Zeit ein Orang-Utan-Ehepaar, das für die Unterschiedlichkeit seiner Gefühle charakteristisch war.

Das Weibchen hatte vorher schon einen anderen Gatten gehabt, der aber eingegangen war.

Das Kind von dem Verstorbenen hatte auch nicht lange gelebt, weil die Mutter, ein etwas törichtes Geschöpf, das kleine Ding unachtsam und lieblos behandelt hatte.

Der Vater, dessen tiefschwarzes Gesicht meistens teilnahmslos von erhöhtem Sitz herabsah, fühlte wohl schon den Tod in sich, denn er suchte immer die Wärme der Höhensonne, die außerhalb des Gitters für ihn aufgestellt war. Sonst rührte ihn nichts.

Als dann der Orangmann tot war, folgte ihm sein Söhnchen im allerzartesten Alter bald nach.

Einige Monate war das Weibchen nun allein. Gebückt schob sie im Innen- und Außenkäfig herum, sie zog meistens eine Decke hinter sich her, in die sie sich dann und wann einhüllte. Dann hockte sie vermummt wie ein Beduine da, und nur das Gesicht mit den asiatischen Augen sah melancholisch aus der Umhüllung.

Dann aber kam der neue Mann.

Er zeichnete sich durch sehr breite Backenwülste und selbst für einen Orang-Utan athletischen Körperbau aus. Auch hatte er eine phantastisch reiche Behaarung, die wie Portieren an Kopf, Körper und Gliedern herabhing.

Bald entstand große Liebe zwischen den feuerrot behaarten Gatten. Die körperlichen Vereinigungen fanden mitunter in einer Weise statt, die an eine jener grotesk ornamentalen chinesischen Zeichnungen erinnerte.

Denn während eine Paarung bei allen Lebewesen nur bei mehr oder weniger inniger Verschlingung oder doch Berührung stattfinden kann, begegneten sich bei dem Orangpärchen fast nur die Zeugungsorgane. Beide Tiere hingen mit den Armen hoch oben am Deckengitter, mit je einem Bein hielten sie sich an den Stäben, während sie mit dem anderen aneinander Halt suchten. Die Hände der beiden Menschenaffen waren etwa drei Meter voneinander entfernt. Auch geschah die Vereinigung ohne Hast, viel eher in inniger Beschaulichkeit. Es sprach ein Sinn für die Phantasie daraus, die diese Geschöpfe besitzen mußten, die in dem an Farben, Formen und Lebendigkeiten so überreichen tropischen Urwald entstanden waren.

Dieser Liebe entsproß ein Söhnlein.

Die ersten Monate hindurch war wenig von ihm zu sehen, denn er verschwand im Brustfell der Mutter. Doch kaum konnte er sich, wenn auch in rührender Hilflosigkeit, allein fortbewegen, so fing die Mutter an, Unfug mit ihm zu treiben. Genau wie sie es mit seinem dahingegangenen Halbbruder getan hatte, schwenkte sie auch diesen Kleinen im Luftraum herum. Hin und wieder schlug er gegen Holz oder Eisen, und dann schrie er.

Doch lange sah der Vater dieser Behandlung nicht zu. Er faßte die Mutter unsanft an und nahm ihr seinen Erstgeborenen weg. Dieses Weibchen muß wohl geistig nicht intakt gewesen sein oder aber ihre Gefühle waren durch die Gefangenschaft gestört, jedenfalls wiederholte sie diese Art von Säuglingsgymnastik. Doch ehe es zum Schlimmsten kam und der Kleine etwa innere Verletzungen davontrug, nahm ihn der Vater wiederum an sich und gab der Mutter einen solchen Schlag, daß sie sich rückwärts überschlug, wobei sie durch den halben Käfig flog. Halb besinnungslos zog sie sich in eine entlegene Ecke zurück.

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Der Orang straft sein Weibchen

Mit diesem Tage war eine Wendung im Leben des kleinen Orang-Utan eingetreten. Man konnte das seltene Schauspiel beobachten, daß ein riesiger finsterer Orangmann in rührender Sorgfalt um sein winziges Kind bemüht war. Wenn der Kleine Hunger hatte, ging er zur Mutter und trank. Doch dann kehrte er zu Papa zurück, lag zufrieden zwischen zwei ungeschlachten, rotbehaarten Händen, und der Vater kraute zart und liebevoll an dem kleinen Jungen herum. Dann stand das Söhnchen auf und schlug mit seinen Ärmchen auf den Vater ein, was dieser geduldig geschehen ließ. Aus einiger Entfernung sah die Mutter zu. Es war nicht zu erkennen, ob in ihrem Gesicht Ärger, Trauer oder Gleichgültigkeit stand.


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