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30. Kapitel

Die Zoodirektion hatte eine Nachricht empfangen, auf die sie schon gewartet hatte. Die »Johanna« war im Hamburger Hafen eingelaufen und hatte den jungen Gorilla an Bord, dessen Eintreffen seit langem angekündigt war.

Über den sehr hohen Preis hatte man sich, wenn auch schweren Herzens, schriftlich geeinigt. Der Gorilla war sehr teuer. Es kamen nur wenige auf den Markt, und diese waren meistens krank. Heimweh – und Darmkrankheit. Jonny aber sei kerngesund, so behauptete sein Reisebegleiter.

Die Direktion schickte also einen zuverlässigen Mann mit dem nächsten D-Zug nach Hamburg. Es war der Inspektor Bertram, der den etwa zweijährigen Affen abholen sollte, und er brachte denn auch das Gorillakind heil und munter im Garten an. Nur er selbst – – aber wir wollen nicht vorgreifen.

Im Hamburger Hafen wurde der Inspektor von einem Herrn empfangen, der die Tiergroßhandlung vertrat, die den Gorilla geliefert hatte. Nach kurzer Begrüßung gingen die Herren dann gleich in das kleine Hotel am Hafen, wo sie Jonny erwartete.

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Der junge Gorilla hing an der Riesenbrust des Schwarzen

Er hing an der Riesenbrust eines Schwarzen. Der Neger maß zwei Meter und drei Zentimeter. Die Schultern hatten die entsprechende Breite, und Arme und Beine hatten die Ausmaße, wie sie für ein Denkmal des Herkules hätten Verwendung finden können. Er zeigte ein schneeweißes Gebiß und bewillkommnete Herrn Bertram viel freundlicher als der Affe.

Dessen Gesicht war so schwarz wie das des Negers. Er war ein kleiner, gedrungener Bursche mit einem hübschen dicken Bauch, Zeichen der Gesundheit bei Menschenaffen. Die Augen unter den starken Wülsten waren intelligent, und doch hing über ihnen jene leise Melancholie, die alle Menschenaffenaugen mehr oder minder ausdrücken.

Sein Betreuer sprach mit ihm in einer gutturalen Sprache und hängte ihn dem Inspektor an die Brust. Jonny legte auch gleich seinen haarigen Arm um den Hals des Mannes, während er mit der anderen Hand nach der Uhrkette langte. Er schien ganz sanft und artig.

Man kam überein, den Abschied kurz zu machen. Der schwarze Riese nahm den kleinen, dunklen Kopf in seine gewaltigen Hände, näherte sein Gesicht dem des Gorillakindes und brummelte etwas, das innig und traurig klang. Dann verabschiedeten sich die Männer, Herr Bertram schlug eine Decke um den Affen und verließ das Hotel.

Schnell war eine Taxe herangerufen, und fort ging es zum Hauptbahnhof.

Es war höchste Zeit, kaum saßen Mensch und Tier in dem reservierten Abteil, da fuhr der Zug auch schon ab.

Bald kam der Schaffner, offenbar ein Mann mit Humor, steckte den Kopf zur Tür herein und sagte: »Bitte um die Fahrkarten, meine Herren!« Bertram zeigte sie lächelnd, Jonny aber wandte nur flüchtig den Kopf zu dem Mann in der blauen Uniform, dann sah er wieder aus dem Fenster.

Der Inspektor war nun bemüht, die kleine vereinsamte Seele zu erwärmen. Er legte den Arm liebevoll um das afrikanische Kind, beugte den Kopf zu dem merkwürdig kleinen Ohr und sprach aufmunternd auf das Junge ein. Jonny reagierte erst gar nicht, er sah still aus dem Fenster, und sein kleines, faltiges Maul spitzte sich nur leicht, wenn er in dem ihm unverständlichen Stadtgetriebe ein Pferd oder einen Hund sah.

Es war der zweite Abschied in seinem jungen Leben, den er heute erfahren hatte.

Der Schmerz um den Verlust des großen schwarzen Mannes, der ihm immer wie ein klügerer, älterer Bruder erschienen war, kam ihm jetzt viel größer vor als vor eineinhalb Jahren der Verlust der Mutter. Frische Wunden schmerzen heftiger als alte. So weit entfernt die Seele des Gorillas von der des Negers wohnt, so fern ist die des Negers der des Weißen. Wenn aber ein kindliches Gemüt im Menschen lebt, so ist die Brücke zum Wesen des Tieres geschlagen, und sei auch die trennende Kluft noch so groß.

Schließlich merkte Jonny die innere Wärme und wandte sich dem weißen Manne zu. Da holte Bertram aus seinem Handkoffer eine Flasche Milch mit Sauger und zwei Bananen. Und manierlich und nett, wie er es gelernt hatte, frühstückte der kleine Gorilla.

Nach beendeter Mahlzeit kam ein Vollgummiball zum Vorschein, der wurde auf der Holzbank so lange hin und her gerollt, bis die schwarzen, behaarten Hände zugriffen und mitspielten. Auf diese Weise ließ sich die Fahrt sehr gut an. Der Kleine begriff, daß er einen neuen, verständnisvollen Freund gefunden hatte, er verlor nach und nach seine wehmutsvolle Zurückhaltung und wurde fröhlich und vergnügt, wie ein Kind sein soll.

Dann kam ein kleiner Zwischenfall, der allerdings im Programm vorgesehen war, Jonny machte schmutzig. Doch ein herbeigerufener Mann des Zugpersonals brachte schnell wieder alles in Ordnung, nahm seine Zigarre in Empfang, freute sich noch einen Augenblick über den kleinen »Negerjungen«, wie er ihn nannte, und ging wieder.

Der junge Gorilla war nun ganz aufgetaut. Er sprang von einer Bank auf die andere, enterte mit Hilfe der Schulter seines neuen Freundes das Gepäcknetz, schwang sich von diesem in das gegenüberliegende, mit einem Wort, Jonny wurde so ausgelassen, wie man sich das von einem Affen vorstellt. Der Inspektor, froh, daß die Schwermut von seinem Schützling gewichen war, ging auf sein Spiel ein, ließ ihn an der Hand schaukeln und freute sich über die Kraft des kleinen Gorillas.

Da ging die Tür auf, der Speisewagenboy kündigte die Mahlzeit an. In dem Augenblick, da Herr Bertram zu dem jungen Manne aufsah, schoß Jonny durch die offene Tür an dem Boy vorbei, bog rechts ab und ward nicht mehr gesehen.

Als der Inspektor in den Gang stürzte, war der Gorilla schon durch eine der Ziehharmonikas in den nächsten Waggon gelangt. Bertram rannte den Gang weiter, von Wagen zu Wagen, der Boy alarmierte das Zugpersonal, und so konnte ja kein Zweifel sein, daß man des Ausreißers bald wieder habhaft würde.

Inzwischen hatte Jonny schon beträchtlichen Schrecken erregt. Wohin er kam, begegnete ihm Bestürzung oder gar Angst. Er ließ sich jedoch durch kein Fuchteln oder Greifen aufhalten, und wenn dann hinter ihm befreites Gelächter erscholl, so beschleunigte er nur seine Gangart. Als er im letzten Wagen war, holte ihn einer der Beamten ein. Der Mann näherte sich nun nicht ruhig, wie er es hätte tun können, da doch offensichtlich kein Ausweg war, sondern schreiend und gestikulierend, wie ein Indianer auf dem Kriegspfad.

Jonny war in die Enge getrieben. Schon beugte sich der Mann, und zwei große Hände griffen nach dem jungen Gorilla, da bemerkte das geängstigte Tier ein heruntergelassenes Fenster. Den Ausweg sehen und ihn benutzen, das war für den Affen ein und dasselbe. Zwei lange, dunkle Arme langten hoch, zogen den kleinen, gedrungenen Körper nach, und Jonny schwang sich aus dem Fenster.

Da erscholl ein rauher Schrei hinter dem Bahnbeamten, und Bertram drängte den Mann zur Seite, ans Fenster stürzend. Aber so sehr er sich auch anstrengte, von Jonny war nichts zu erblicken. Kein Wunder, denn unmittelbar neben der Böschung wuchs in dichten Büschen Besenginster, da hinein war der Affe offenbar gesprungen, und so war er natürlich unsichtbar.

Der Inspektor fühlte sich wie ein gebrochener Mann.

Das ihm anvertraute Tier stellte nicht nur einen Wert von 25 000 Mark dar, er sah auch seinen guten Ruf als zuverlässiger Mann seiner Direktion gegenüber verloren. Doch er riß sich zusammen und rannte zur nächsten Notbremse. Schon hatte er sie erreicht, schon griff er danach, als eine Hand seinen Arm zurückriß.

»Nur bei Gefahr von Menschenleben zu ziehen!« rief der Zugbeamte.

»Das ist ja doch ein halber Mensch!« schrie der verzweifelte Inspektor und versuchte mit Gewalt an den Handgriff zu kommen.

Da rangen die Männer, beide im vollen Bewußtsein, das allein Richtige zu tun, miteinander. Doch dann sah Bertram ein, daß es ja zwecklos sei, da der Affe wahrscheinlich doch ums Leben gekommen war, und traurig ging er zurück in sein Abteil.

Dort steckte er sich als vernünftiger Mensch eine Beruhigungszigarre an und überlegte, was zu tun sei. Er kam zu dem Schluß, auf der nächsten Station seinem Zoo zu telegraphieren und die Direktion von dem Unglück in Kenntnis zu setzen. Er selbst wollte dann nicht eher weiterreisen, als bis er die Strecke zurückgegangen und den Gorilla tot, verwundet oder gesund gefunden hätte.

So saß denn Herr Bertram still und in sich gekehrt und sah in den Rauch seiner Zigarre. Er dachte daran, wie schwer es ihm geworden war, bis zu seiner heutigen Stellung vorzudringen, und wie durch dieses unselige Mißgeschick ein Makel auf ihn fallen müsse. Auch an die Summe, die er selbstverständlich würde ersetzen müssen, dachte er mit schweren Sorgen, denn seines Wissens sollte der Affe erst in diesen Tagen versichert werden.

Dann kam endlich die Station. Er übergab einem Gepäckträger seine Sachen und trat auf den Bahnsteig. Er ging durch das Gewühl von Reisenden, Gepäckträgern, Obst- und Zeitungsverkäufern zu den Stationsräumen, als ein dunkler Klumpen von oben her an seine Schulter flog, so daß er taumelte und beinahe umgefallen wäre. Grunzend und Laute der Affensprache ausstoßend, hing Jonny an seinem Halse.

Der Affe war keineswegs ins Leere gesprungen, sondern hatte mit der berühmten affenartigen Gewandtheit durch das Fenster das Dach erlangt. Schwindelfrei wie er war, reiste er da oben genau so gut wie unten im Abteil. Als er aber dann auf der Station seinen neugewonnenen Freund erblickte, eilte er, sich an seine Brust zu werfen. Der Inspektor kehrte, vom Gepäckträger gefolgt, um, erkletterte sein Abteil und brachte den Rest der Reise, den müde gewordenen Gorilla an der Brust, in einer an Seligkeit grenzenden Stimmung zu.


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