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32. Kapitel

Jochen hatte nicht nur die Zeichnung des schwimmenden Nilpferdes beendet, sondern es war ihm auch eine Skizze aus dem Gedächtnis von der Geburt des jungen Nilpferdes gelungen, auf die er stolz war. Er trennte sich nur sehr ungern von ihr, doch wurde ihm ein so guter Preis geboten, daß er sie verkaufte.

Diese Arbeit war wirklich gelungen, doch war das nicht allein der Grund dafür, warum er sie so prompt und gut losgeschlagen hatte.

Es lagen verschiedene Blätter in seiner Mappe, die er zu seinen besten, künstlerisch wertvollsten rechnete, und kein Mensch kaufte sie ihm ab. Verkäuflich waren im allgemeinen die Arbeiten, die einem Bedürfnis des Marktes entgegenkamen, und nicht die, denen ein künstlerisches Problem zugrunde lag. Beides zu vereinigen wird jungen Künstlern nur in Ausnahmefällen gelingen, und so einer war eben die Zeichnung von der Geburt des jungen Nilpferdes.

Das, was die Maler und Zeichner reizt, und das, was die Abnehmer haben wollen, liegt ja leider oft sehr weit auseinander.

Deshalb ist der Weg des mit Farbe und Stift hantierenden Jünglings auch nur während der Arbeit selbst schön. Vor der Arbeit und nachher ist es ein steiniger Pfad.

Das gilt natürlich nur für die Ehrlichen, die, während sie bei ihrer Arbeit sitzen, den Verkaufszweck vergessen und die Freude am Werk höher einschätzen als das Geld. Sie sind zahlenmäßig gering.

Die anderen haben es leichter. Sie dienen bedingungslos denen, die sie bezahlen, und wenn sie auch manchmal das Gefühl haben, eigentlich umsonst auf der Welt zu sein, so verzichten sie doch lieber auf das Echte als auf die Annehmlichkeiten. Faul sind diese Vertreter des Berufes durchaus nicht. Es gibt unter ihnen unermüdliche Arbeiter und große Könner, während unter den erstgenannten träge Burschen sind, die sich nur hin und wieder zu verzweifelter Anstrengung hochreißen. So scheint es oftmals, als wäre ihre Art die mindere und die der anderen die rechte.

Doch von Zeit zu Zeit taucht einer auf, leider sehr selten, der unbeirrbar der wahren Kunst folgt, außerdem aber alle Tage fleißig arbeitet. Um ihn kommt man auf die Dauer nicht herum, er wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen.

Auch im Zoo stehen Maler aller Art.

Alte Damen, denen das Malen so zur zweiten Natur geworden ist, daß sie bis an ihr Ende nicht davon lassen können. Einige von ihnen erreichen selbst den niedrigsten Grad des Könnens niemals. Ob mit kleinen Skizzenblöckchen für fünfzehn Pfennig, Bleistift und Radiergummi, oder Malkasten, Staffelei und Sitzstuhl: es bleiben nur Ansätze, oft nicht mal das.

Die andere Sorte sieht ihnen zum Verwechseln ähnlich. Doch der Unterschied ist beträchtlich, denn sie können was. Unter ihren altmodischen Hüten blinzeln zusammengekniffene Augen aus faltigen Gesichtern, Fischbeinkragen schließen den Hals hoch ein. Und auf ihrer Leinwand entstehen Bilder, die mit Sicherheit in Farbe und Zeichnung das Motiv wiedergeben. Nur schade, daß das Motiv jahrzehntelang immer dasselbe ist.

So malt die eine seit dreißig Jahren »Löwenidylle«: süße kleine Löwchen über Mama hinpurzelnd, ernste aber gütige Löwenväter, denen nur die Zipfelmütze und die Tabakspfeife fehlt, damit man darunter schreiben könnte: »Unser Großpapa an seinem sechzigsten Geburtstag.«

Bei aller Technik haben diese Bilder keine Spur von Originalität, sie sind ohne Kraft gemalt und schwach im Ausdruck.

Nichtsdestoweniger verkaufen sie sich gut, und die alte Dame schüttelt überlegen den Kopf, wenn sie von den notleidenden Künstlern hört.

Auch Männer gibt es in diesen beiden Kategorien. Ihre Krawatten, Hüte und Haartracht kennzeichnen sie schon von weitem als »Künstler«. Über die, die nichts können, ist nichts weiter zu sagen. Die anderen malen auch mit Vorliebe Raubtiere. Sie geben dem abkonterfeiten Tier einen Hintergrund, wie ihn sich nur eine beschwingte Phantasie vorstellen kann.

Ihre Farben sind süß oder gewalttätig, und ihre Technik ist kompliziert und überbetont, und sie erstickt das wenige Echte, das das Bild möglicherweise anfänglich hatte.

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Eine der alten Malerinnen

Unter dieser Unterart von Malern sind solche, die geeignet sind, die ganze Innung in Verruf zu bringen. Sie haben einen unerträglichen Dünkel und sind hochnäsig allen gegenüber, die ihnen nicht schmeicheln. Sie lernen sich des Rüstzeugs der Kunst bedienen, ohne jemals auch nur einen Hauch der Kunst verspürt zu haben.

Sie verkaufen ihren Kitsch gut.

Ein anderer Typ älterer Maler, den man in den Anlagen des Zoologischen Gartens sieht, erscheint wesentlich unscheinbarer.

Es sind aber die Richtigen.

Ihre Staffelei oder, wenn es sich um Bildhauer handelt, ihren Modellierbock stellen sie in den ersten Morgenstunden auf, wenn der Garten noch leer ist. Setzt gegen zehn Uhr der eigentliche Publikumsbesuch ein, so gehen sie schon wieder nach Hause. Oder wenn sie später am Tage erscheinen, haben sie einen unauffälligen Block und machen sich ein paar Malernotizen – Skizzen.

Ihr Ideal wäre ein Zoo nur für Maler und Bildhauer. Sie bedürfen nicht des Anreizes, bei ihrer ernsten Arbeit gesehen und bestaunt zu werden, wie es die »Kunstmaler« so gern haben.

Schielt man dann mal auf so einen unscheinbaren Zeichenblock, so ist man überrascht von der Sicherheit, mit der in prägnanter Weise Wesentliches erfaßt ist, und wie gut Perspektiven, Überschneidungen und Ausdruck sind. Nicht jeder dieser Männer ist von Ruf, doch einzelne sind überragende Könner mit einem Namen.

Diesen am nächsten stehen drei oder vier sehr viel jüngere Maler. Sie sind talentiert und von zähem Fleiß, die Kanonen unter den alten Herren »gaben ihnen hin und wieder was ab«, das heißt, sie raten ihnen ab und zu.

Diese etwa Dreißigjährigen setzen gewissermaßen die Tradition fort. Sie können viel und lernen jedes Jahr dazu. Sie haben Talent, leben regelmäßig, sind fleißig und streben den Meistern nach, in einzelnen Fällen versprechen sie sogar besser zu werden als diese.

Diese beiden letzten Kategorien sind mehr oder minder spezialisiert. Ihr hauptsächlichstes Gebiet ist die Tierwelt, die Jagd. Aus diesem Grunde ist auch ihre Wertschätzung an gewisse Kreise gebunden. So festgelegt ist eine andere Gattung von Künstlern nicht. Auch sie sind im Zoo vertreten, doch ebenso sieht man sie auf den Märkten, im Zirkus, auf den Straßen und Plätzen und in der Landschaft.

Sie haben wie jeder Künstler eine eigene Note, doch ist sie nicht so sehr ans Gegenständliche gebunden. Auch bei ihnen herrschen die Gradunterschiede des Talents, aber es verbindet sie die Freiheit und Kühnheit in Auffassung und Wiedergabe. Sie fürchten sich nicht vor dem Nichtverstehen der Beschauer.

Sie riskieren es, malerische Probleme anzugreifen, die im allgemeinen noch gar nicht als solche erkannt sind. Es gibt etliche unter ihnen, deren Bilder bizarr, ja unschön wirken; bei denen hält Können und Auffassung mit dem künstlerischen Instinkt nicht Schritt.

Andere sind sehr unausgeglichen in ihrer Produktion. Sie machen monatelang schwache, mitunter sogar schlechte Arbeiten. Dann plötzlich gelingt ihnen ein Wurf, ein Blatt, überzeugend und ausgeglichen, eine Arbeit voller Zartheit und Kraft. Es folgt eine Periode des absoluten Nichtstuns, die sich manchmal gefährlich lange ausdehnt.

Zu dieser Art von Malern gehörte auch Jochen. Er war sich wohl der Gefahr bewußt, die seine Unausgeglichenheit für ihn bedeutete, doch nur langsam nahmen die Kräfte seines Willens zu, des Willens, durch den allein ein Künstler sich wirklich entwickeln kann.

Es gab auch Jünger der Malerei, die in ganzen Scharen auftraten.

Junge Männer und Mädchen, die, geleitet von einem Lehrer, ihre Studien im Zoo machten. Manche dieser Lehrer waren sehr eifrig, und ihre Art zu lehren war gut. Ihre Klassen standen wie die Mauern und zeichneten. Andere Klassen aber faßten den Zeichenunterricht als eine willkommene Gelegenheit zum Flirt auf. Dann sah man oft sehr hübsche Mädchen auf den Barrieren sitzen und nur gelegentlich einen Strich zum anderen fügen. Jünglinge, die es auch nicht eilig hatten, zum fertigen Künstler heranzureifen, standen vor den jungen Damen und versuchten sich so angenehm wie möglich zu machen.

Die Letzten, weil die Kleinsten und Unscheinbarsten, waren die Kinder, die mit ihrem Zeichenmaterial in den Zoo gingen.

Nicht die gelegentlich auftauchenden Zeichenklassen der Schulen, sondern solche, die allein, ohne jede Begleitung, so wie in seinen ersten Anfängen Jochen Braun, sich vor den Tierkäfigen mit Feuereifer abquälten, um ein Bild zu machen. Sie hielten schnell die Hand über das Begonnene, wenn jemand es sehen wollte, weil sie sich schämten.

Sie mußten ihre ernste Liebhaberei, wie man es nennen könnte, gegen andere Kinder und fremde Erwachsene, oft auch gegen die eigenen Eltern verteidigen, und manche hörten nach ein paar Jahren wieder auf zu zeichnen.

Nur die, bei denen sich Eignung, Verständnis im Elternhaus und Beharrlichkeit zusammenfanden, bewegten sich auf mühevollem Wege voran.


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