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Die Nacht ist gekommen. Der Zoologische Garten liegt im Schatten seiner Bäume. Die Lampen auf den Hauptalleen sind erloschen, die Musik hat aufgehört, ihre Klänge zu den grünen Laubkuppeln aufsteigen zu lassen, die vom Licht der Kapelle angestrahlt sind.
Die letzten Pärchen sind aus den dunklen Wegen und Promenaden höflich, aber entschieden vertrieben worden, und nun ist der Nachtwächter der einzige Mensch, der die Parkanlagen durchstreift. Außer ihm aber läuft auch Cäsar, der große, gelbe Doggenrüde, durch den nächtlichen Zoo. Er ist schon ein alter Hund, und unzählige Male ist er in der Dunkelheit seine Runde getrottet.
Einmal kam ein Mann über die Mauer, der es auf ein Paar der kleinen, entzückenden Zwerggazellen abgesehen hatte, die er im Auftrage eines »Geschäftsmannes« stehlen wollte. Cäsar stellte ihn und verbellte ihn so lange, bis der Nachtwächter kam und den Kerl zur nahen Wache brachte.
Ein anderes Mal fand die große Dogge tief im Schatten einer sehr versteckt stehenden Bank ein kleines Mädchen liegen, das fest eingeschlafen war. Still und friedlich lag es da in der warmen Sommernacht, nachdem es sich, vom Spielen ermüdet, am Abend einen Augenblick hatte ausruhen wollen.
Cäsar stupste es mit seiner großen schwarzen Nase sanft, aber stetig ins Gesicht, bis es erwachte. Dann verschwand er in der Dunkelheit und ließ das nun weinende kleine Ding zurück. Doch bald kam er in Begleitung des Wächters wieder, der es zum Nachtportier brachte. Dann wurde der Vater telephonisch herbeigerufen, der bald darauf zusammen mit der in Tränen aufgelösten Mama im Auto eintraf und das schon verloren geglaubte Töchterchen nach Hause holte.
Heute gab es nichts, das den alten Cäsar genötigt hätte, einzuschreiten. Eben war er am Käfig der Hamadryasse vorbeigekommen und verschwand im Dunkel eines Seitenweges. Die Mantelpaviane hockten in aneinandergeschmiegten Gruppen und schliefen. Hin und wieder wurde ein Grunzen laut, oder in dem dunklen Schatten des Affenkäfigs regte es sich einen Augenblick. In einer der dichtgeschlossenen Gruppen erhob sich jetzt ein Pavian, um seine Lage zu verändern. Als er sich reckte, stieß er einen von den Jungaffen an. Der fiel von dem Stein, an dessen Kante er gesessen hatte. Er tat sich nichts, doch quiekte und schnatterte er, so daß seine Mutter, ärgerlich und besorgt zugleich, keckerte. Sofort erhob sich das charakteristische Grunzen eines zornigen Pavianmannes. Die wütenden Rufe wurden von einem anderen Männchen aufgenommen, und im nächsten Augenblick war die ganze Gruppe in Bewegung.
Der Mond war aufgestiegen, sein weißgrünes Licht traf den Käfig. In dem Gewirr der Schatten, die die Gitterstäbe warfen, huschten jagende und fliehende Schatten. Schreien und Kreischen gellte, und grollend klang der dröhnende Lärm der kämpfenden Affenmänner. In der Zebrastreifung, die der Mond und die Schatten der Eisenstäbe entstehen ließen, war eine grimmige Schlacht entbrannt.
Nicht wie am Tage vorher übte ein grausamer Despot seine Rache, sondern ein wütender Knäuel rasender Bestien tobte im ungewissen Licht. Doch es schien fast, als brauchten die da drinnen keine Helligkeit. Aus dem wahllosen Kämpfen aller gegen alle entwickelte sich immer mehr und mehr ein zielbewußtes Vorgehen. Noch gingen Gruppen von zwei und drei hier und da mit ihren fürchterlichen Reißzähnen gegeneinander an. Aber in einer der Ecken wehrte sich ein einzelner, starker und gewandter Pavianmann gegen drei andere Mähnenträger.
Wie ein in die Enge gedrückter Fechter wirbelte der Bedrängte herum. Seine Ausfälle waren blitzschnell; einer der Angreifer hatte ein aufgerissenes Kinn, aus dem das Blut floß, und ein anderer erhielt eine böse Schmarre über der Hand.
Jetzt aber stürzte ein vierter Hamadryas auf den einen, und so plötzlich und gewaltsam war sein Angriff, daß der tapfere Kämpe in der Ecke überrollt wurde.
Da war es, als wenn ein Magnet sämtliche Affenmänner in diese eine Ecke riß. Plötzlich hatten es alle begriffen: der da um sein Leben kämpfte, das war der Leitpavian, den alle haßten, weil er seine Stellung jeden Tag aufs neue grausam mißbrauchte.
Der aus vielen Wunden Blutende brach aus der Meute hervor, um sich zu retten. Doch er kam nicht weit.
Sie schlugen ihm die entsetzlichen Hauer von allen Seiten zugleich in sein Fleisch und rissen ihn, dessen gellendes Kreischen die Stille der Nacht zerriß, lebendigen Leibes in Fetzen.
Am Morgen zeigten die Hamadryasse Blutspuren auf ihrem Pelz. Doch von dem Zerrissenen waren nur noch Hautstücke, der Schädel und die großen Knochen übrig.
Der Wärter konnte es erst gar nicht glauben. Er suchte in den Winkeln, in den Felslöchern und auf den hoch angebrachten Brettern, bis er den Schädel und die anderen übriggebliebenen Teile fand, und so war kein Zweifel mehr möglich.
Nach dem ersten Schreck war der Wärter genau so froh wie die Paviane. Jeden Tag hatte er sich über diesen Bösewicht geärgert. Nun war er neugierig, welcher von den Hamadryasmännern wohl Häuptling werden würde.
Er tippte auf einen ganz bestimmten Affen, der körperlich am stärksten schien. Er war nur ruhiger als der Verstorbene und nicht ganz so gewandt.
Es gab auch in den nächsten drei Tagen verschiedene Beißereien, dann war der Vorausgesehene tatsächlich der Leitaffe. Ein Rauhbein war auch er, doch zerbiß er weder seine Weibchen, noch richtete er die anderen Männer so greulich zu, wie es sein Vorgänger getan hatte.
Er übernahm zu den beiden Frauen, die er schon hatte, nur eine von den drei frei gewordenen. Mehr als drei Weibchen konnte er nicht halten, dazu waren zu viele Männchen im Gehege. Ohrenbetäubender Krach war auch fernerhin im Hamadryaskäfig an der Tagesordnung, aber es ging seit dem Regierungswechsel fast immer unblutig ab.