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40. Kapitel

Der Gayalbulle war erschossen worden. Ein dramatisches Unheil war dem Ende des mächtigen, schwarzen Rindes vorausgegangen. Es hatte seinen Wärter beinahe umgebracht. Der Mann, ein Hüne, ein Meter dreiundneunzig groß, breitschultrig und mit starken Knochen, war, wie schon so oft, in das Gehege des Gayals gegangen, um es zu reinigen und zu harken.

Vor der Tür zum Stall stand der Koloß, warmer Dampf stieg von seiner breiten Nase in den frischen Morgen, und das kleine lebhafte Auge sah hinüber zu dem Wärter. Der rief ihm ein »na, alter Junge« zu und harkte weiter.

Aber nicht wie sonst stand der Bulle ruhig wiederkäuend da.

Eine der plötzlichen Veränderungen war in seiner Seele vor sich gegangen. Was immer der Anlaß war, der Gayal war an diesem Tage gereizt.

Unter den gewaltigen Muskelbergen lebhafteren Geistes als der nordamerikanische Bison, hatte irgend etwas den Inder aufgeregt, und der Wärter hätte das sehen müssen. Vielleicht hatte er es auch bemerkt, aber gleichgültig gegen die feineren Unterschiede, wie körperlich sehr starke Menschen mitunter sind, gab er nichts darauf.

So stand er etwa fünfzehn Meter von dem Bullen entfernt, tat seine Arbeit rasch hintereinander, denn er hatte noch die halbe Reihe der Einfriedungen in Ordnung zu bringen, und kehrte dem Gayal den Rücken zu. Auch das darf der Tierpfleger wehrhaften Tieren gegenüber eigentlich nicht, doch wenn ein Tier in der Gefangenschaft jahrelang keinen Anlaß zur Besorgnis gibt, dann glaubt der Pfleger es von Grund auf zu kennen.

Der schwarze Bulle brummte leise und kam im Schritt auf seinen Wärter zu. Der Boden war weich, und da noch die Kuh und das Kalb im Gehege herumliefen, so glaubte der Wärter, eines von diesen beiden bewegte sich hinter ihm. Doch dann stieß ihn der Bulle mit der Nase an.

»Na!« sagte der Mann und wollte den Kopf mit der Hand wegstoßen, doch der Schwarze blieb aufdringlich. Jetzt nahm der Wärter den Harkenstiel und zog dem Bullen eins über.

Im selben Moment verdrehte das Tier die Augen, senkte das klobige Haupt mit den starken Hörnern und warf die Last seines Körpers nach vorn.

Ein ungeheurer Stoß traf die Brust des Mannes. Ächzend fühlte er die Eisenstangen des Zaunes, die sich in seinen Rücken preßten, und in der Woge von Schmerz und Übelkeit, die ihn hinwegtreiben wollte, drosch er dem furchtbaren Angreifer den Harkenstiel in dem Augenblick auf die Nase, in dem der Bulle den Kopf zurücknahm, um aufs neue zuzustoßen. Der Schlag benahm den Bullen auf einen Augenblick, und der außerordentlich starke Mann riß sich hoch, schob sich an dem Kopf des Gayals vorbei und wollte entfliehen. Doch mit einer Schnelligkeit ohnegleichen warf sich das kolossale Rind herum, und ehe der Fliehende fünf Schritte weit gekommen war, überfuhr ihn die Maschine aus Muskeln und Knochen. Als der Wärter von dem entsetzlichen Stoß zu Boden geschmettert lag, stutzte der Bulle. Dann nahm er ihn auf die Hörner, sein Nacken bäumte sich wie eine Woge, und in der nächsten Sekunde flog der Mann in die Luft. Wie ein Bündel Flicken sauste der athletische Mensch über drei Meter in die Höhe und fiel schwer auf das Eisengitter zurück.

Dieser Starke wollte nicht sterben, er hing mit dem Kopf in das Gehege hinein, über dem Eisengitter. Nun klammerte er sich an die Stäbe und zog sich mühevoll hoch. Schon prasselten die zermalmenden, breiten Hörner auf das Gitter, doch sie verfehlten um Haaresbreite den Mann. Im nächsten Augenblick krachte ein Schuß.

.

Der rasende Gayal

Von dem Augenblick an, als der Stier sich auf den Wärter zu bewegte, hatte der Hauptwärter des Rindergeheges das Unglück kommen sehen. Er stand zufällig am Fenster seiner Dienstwohnung und sah hinaus. Er hatte dem Gayalbullen gegenüber immer Mißtrauen empfunden und den anderen Wärter gelegentlich, wenn auch vergeblich, gewarnt. Der blonde, untersetzte Mann mit den merkwürdig hellblauen Augen sah mit gespannter Aufmerksamkeit, wie der Bulle seinen Hilfswärter mit der Nase anstieß. Dann, als der Wärter den Kopf des wie er meinte aufdringlichen Tieres beiseiteschob, nahm der beobachtende Mann am Fenster die Veränderung im Wesen des Gayals wahr, die nichts Gutes verhieß, noch bevor sein bedrängter Kollege den Bullen geschlagen hatte.

Der Revierwärter zögerte nicht. Er war Jäger, und so hing seine Büchse am Riegel. Er riß sie herab, führte mit Blitzesschnelle einen Patronenrahmen ein und war im Nu wieder am Fenster.

Inzwischen war das Unglück schon geschehen, und nur das Allerschlimmste wurde um den Bruchteil einer Sekunde verhindert.

Auf den Schuß hin brach der Gayal wie vom Blitz erschlagen in die Knie, sein schwerer Kopf schlug auf den Boden, und ein kurzer, dumpfer Brüllton wurde laut. Doch dann kam das mächtige Tier wieder in die Höhe und raste in Richtung seines Stalles stumm am Gitter entlang.

Aber bevor es in die Dunkelheit des Stalles einbog, blieb es plötzlich stehen, wandte das drohende Haupt zu seinem Opfer und kam wie eine Lokomotive zurück.

Da donnerte der zweite Schuß. Doch er vermochte nur die Richtung des rasenden Bullen zu ändern. Der massige Körper prallte derart gegen das Eisengitter, das sich die starken Stäbe nach außen bogen. Wieder krachte ein Schuß, aber es war, als wenn der tobende Riese nur immer wachsende Kraft aus jeder neuen Kugel nähme. Er fuhr herum und war im nächsten Augenblick in der Mitte des Geheges. Da empfing er die vierte Kugel genau hinter das Ohr, und nun endlich brach er polternd zusammen. Die ehernen Läufe schlugen tiefe Mulden in den Boden, ehe sich der muskelstrotzende Hals nach unten bog, die Glieder sich streckten und die mächtige Spannung sich löste.

Der Gayal war verendet.

Während des Schießens waren andere Wärter herbeigelaufen und hatten ihren leblosen Kollegen vom Gitter gehoben und in Sicherheit gebracht.

Ein Arm war zweimal, ein Bein einmal und außerdem waren Rippen gebrochen. Mehrere schwere Quetschungen kamen dazu, und es dauerte ein Jahr, bis der Mann wieder arbeiten konnte.

Die Direktion hatte den Ort der Tragödie sofort absperren lassen, und da es noch früh am Morgen war und der Garten des schlechten Wetters wegen kaum Besucher hatte, so ging es trotz der Schüsse mit verhältnismäßig wenig Aufsehen ab.


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