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34. Kapitel

Man braucht kein kleiner Junge zu sein, um an der Gefiederpracht der Fasanen und anderer Vögel seine Freude zu haben.

Es gab so überaus feine Entwürfe der Natur in diesen Volieren, daß man sich unwillkürlich die Frage stellte: welche Kraft ist es, die da so zielstrebig die Idee einer bestimmten Färb- und Zeichnungswirkung verfolgt? Nur ein paar Schritte entfernt ist die Anlage für die Rassehühner und Tauben. Auch dort leben wunderschöne Tiere. Es blühen da so reizvolle Formen und Farben, daß man vor jedem neuen Gehege immer wieder überrascht ist, und erst bei längerem Verweilen geht einem auf, daß hier ja Gedanken aus menschlichen Köpfen lebendig geworden sind.

Wie eng gesehen ist es, wenn man hin und wieder die Ansicht vertreten hört, zum großen Teil stellten die Produkte der Rassezucht nichts anderes als verzerrte und verbogene Formen der Natur dar. Die Zucht von Rassetieren um ihrer Schönheit willen ist ein Teil der Kultur.

Eine der feinsten Taubenrassen, die im Zoo gezeigt werden, sind die Perückentauben. Es ist wahr, sie sind durch den wundervollen Halsschmuck, aus dem die weiße Kopfplatte so kokett hervorsieht, an ihrer Sicht behindert. Es sind auch keine Tauben, die man frei fliegen läßt, sondern man hält sie in Volieren. Genau so wie altes chinesisches Porzellan nicht auf der Küchenanrichte, sondern in der Vitrine steht.

Dieser Vergleich liegt viel näher, als manche glauben werden. Denn die Zucht von Perückentauben ist nichts weiter als die Betätigung eines Künstlers am lebendigen Material.

Nicht etwa, daß jeder Züchter, der liebe- und verständnisvoll eine so edle Rasse betreut, ein Künstler ist. Künstler war der braune Mann im Lendenschurz, der vor vielen Jahrhunderten als Geflügelwärter eines indischen Fürsten mit seinem inneren Auge die Perückentaube vor sich sah, als sie noch nicht existierte.

Aus den schon seit undenklichen Zeiten gezüchteten Haustauben mit Federhaube mag er wohl ein Tier ausgewählt haben, bei dem diese Bildung besonders stark auftrat. Mit diesem züchtete er weiter, und auf dem Wege der Inzucht, ja der Inzestzucht, erzielte er Fortschritte.

Dann, nach einer Reihe von Jahren zielstrebiger Züchterarbeit, wurde der Maharadscha bei seinem morgendlichen Besuch der Tierhäuser mit der Neuzüchtung überrascht.

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Perücken-, Pfau- und Lockentaube

So oder doch ähnlich wird sich die Geburt mancher der feinen Rassen vollzogen haben, die heute in allen Kulturländern der Welt gepflegt werden. Bei vielen, und zwar ohne Zweifel den auffälligsten und eigenartigsten Tauben- und Hühnerrassen, verliert sich ihr Ursprung im Dunkel vergangener Jahrhunderte Indiens. In diesem Lande der wahrgewordenen Märchen und der tropischen Fülle entstand nicht nur die Perückentaube, sondern auch die Pfautaube mit ihrem immer zum Rad gefächerten Schwanz, und die verblüffend schöne Lockentaube, deren Flügelschilder und Rücken mit dem wundervollen Persianer ihrer zu vollkommenen Locken gezüchteten Federn jeden überrascht.


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