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47. Kapitel

Jochen Braun war ständiger Gast in der Schau.

Hier gab es so viel Niegesehenes, daß sein mit der Zeit allzusehr auf den Zoo eingestelltes Auge stets neue Anregungen fand. Neben den Elefanten waren es vor allem die Inder selbst, die Braun immer wieder zeichnete. Zwar ließen sie sich nur in schnell hingeworfenen Skizzen fassen. Viele von ihnen mochten wohl gezeichnet werden, doch wenn sie wußten, daß man sie aufs Korn genommen hatte, warfen sie sich in Pose, und das sollten sie gerade nicht.

Den feinsten Kopf hatte der Schullehrer. Da er nicht entrinnen konnte, gelang sein Porträt über Erwarten gut. Was der Lehrer vorsprach, wiederholten die Kinder, etwa acht an der Zahl, im Chor. Zwei von ihnen, kleine Mädchen, waren von rassiger Schönheit. Unwahrscheinlich strahlende, schön geschnittene Augen hatten sie, und sie hielten, sich in ihren prächtigen Gewändern wie kleine Königinnen.

War der Unterricht vorbei, dann wurden die kleinen indischen Damen zu wilden Rangen, die, wenn sie mit den anderen Kindern in Streit gerieten, gar nicht mehr fein waren.

Die Mutter der einen, selbst eine Schönheit, war Tempeltänzerin. Wenn sie zusammen mit einer ebenfalls sehr reizenden Gefährtin tanzte, war es, als wenn zwei schimmernde Blumen Bewegung erlangt hätten.

Fand am Nachmittag der große Umzug statt, bei dem auch Tempeltänzer der verschiedenen Religionen ihre Kunst zeigten, erregte hauptsächlich eine Gruppe von drei Männern große Aufmerksamkeit.

Teile des Oberkörpers und die Arme zeigten die nackte kastanienbraune Haut. Ihre Gewänder und der eigentümliche, oben spitz zulaufende Hut waren über und über mit kleinen Silbermünzen behangen, die bei jedem der Tanzschritte in tausendfältige Bewegung gerieten.

Diese drei Männer führten während des ganzen Rundganges einen Schwerttanz aus. Alle drei, mit den Gesichtern zueinander gewandt, tanzten in wildem Rhythmus und blieben doch innerhalb des Umzuges auf ihrem Platz.

Taktmäßig klangen die rauhen Laute der Strophe, die sie in steter Wiederholung sangen. Scheinbar in wildem, ungezügeltem Temperament schwangen die Tänzer ihre Schwerter, so daß man für ihre heilen Glieder fürchtete. Doch jede Besorgnis war unnötig, denn alle ihre Bewegungen waren abgemessen und das Ergebnis einer langen Schulung.

Jedoch, bei aller Wahrung des äußeren Rahmens, nahm der Rhythmus die Tänzer mit. Sie gerieten manchmal im Verlaufe des Umzuges in Erregung, als wären sie nicht die Mitglieder einer Völkerschau, sondern übten den Tanz im vollen Ernst in ihrer Heimat aus. Besonders der eine der drei Männer war leidenschaftlich bei der Sache und verfiel eines Tages zu Ende des Umzuges in eine Art Ekstase, die ihn niederwarf. Er mußte fortgetragen werden.


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