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Io.

Mußt du denn so ruhig gleiten,
Breiter Strom im holden Spiel,
Hast du, Tod mir zu bereiten,
Keine Welle, heil'ger Nil?
Deine Großmut, dein Verbrechen,
Raubst du meinen müden Leib,
Käme keiner je zu rächen –
Io bin ich, nur ein Weib!

Daß du je ein Weib umfingest,
Weh mein Vater Inachos!
Daß du mich als Weib empfingest,
Weh dir, meiner Mutter Schoß!
Hätt' ein Gott mit mächt'gem Spruche,
Ares selbst mit seinem Schwert
Eurer Lust, die ich verfluche,
Grausam jede Nacht gewehrt!

Aber in der Götter Herzen,
Wonne ihre einz'ge Kost,
Ist kein Raum für unsre Schmerzen,
Noch für unsre Wunden Trost.
Wo die Freude im Pokale
Ewig schäumt und nie sich leert,
Flieht das Mitleid aus dem Saale,
Von den Trunknen unverehrt.

Ja du selbst, umglüht vom Blitze,
Wie von meiner Liebe sonst,
Was gilt dir auf sel'gem Sitze,
Wen du strafst und wen du lohnst?
Ob beschwörend deinen Willen
Tausend arme Hoffer knien?
Deine eigne Lust zu stillen.
Ist dein einziges Bemühn.

An dem schönsten Sommertage
Trat er strahlend vor mich hin
Mit der sanften Liebesklage
Und entflammte meinen Sinn.
Ach, in seinen Götterblicken
Kämpften Demut und Begier,
Flehend lag, mich zu umstricken,
Der Unsterbliche vor mir.

Meer und Himmel und die Erde,
Der Gestirne feurig Band,
Schlachtenlos und Glück der Herde
Hielt ich all' in meiner Hand.
Denn ein Zucken meiner Brauen
Warf den Donn'rer vor mich hin,
Die geliebteste der Frauen,
Im Olymp Gebieterin!

Aber wer nach Liebesgaben
Schmachtet, was sind Kronen dem?
Den Geliebten wollt' ich haben
Und verwarf sein Diadem.
Seines Atems Balsamfluten,
Wenn sein Herz an meines schlug,
Wenn wir Lipp' an Lippe ruhten.
War die Krone die ich trug.

Aber du, im Schwur Verräther,
Feig vertrauend deiner Macht,
Thronend in dem reinen Äther
Wirfst du mich in tiefste Nacht.
Mit des Wahnsinns giftgen Pfeilen
Jagt mich Hera's Rachezorn:
Ach, ich möchte gern verweilen,
Doch mich treibt der wilde Sporn.

Immerhin! nicht ungenossen
Macht sie mein empfangenes Glück.
Was im Strom der Zeit verflossen,
Ruft kein Götterwort zurück.
Stolz auf meine Schultern bürd' ich
Ihre Strafe meiner Schuld;
Du nur bist des Hasses würdig,
Der geschwelgt in meiner Huld!

Nicht genug mich zu verlassen,
Aller Erdenlust beraubt,
Lenkst du noch der Gattin Hassen
Auf das einst geliebte Haupt.
Thoren, Thoren, kalte, denen
Nicht das Herz gefühlvoll schlägt,
Die in Dike's Händen wähnen
Eine Wage die uns wägt.

Denn von Kraft und Glück bestochen
Schwankt die feile Richterin;
Noch kein Spruch ward recht gesprochen,
Trat das Elend vor sie hin.
Eine würdelose Dirne
Giebt sie willig dem sich preis,
Der mit Gold und dreister Stirne
Sie zu überwinden weiß.

Kein Verdienst, kein heißes Ringen
Bringt die goldne Frucht vom Zweig;
Wer sie will herniederzwingen
Sei nur mächtig, stark und reich.
Wenn der Bessre sie auch pflückte,
Noch erschlug ihn ihre Last,
Während sorglos der Beglückte
Seinen edlen Schatz verpraßt.

Warum schwingt sich froh verbunden
Alles nicht im gleichen Tanz?
Doch aus des Erschlag'nen Wunden
Flicht der Sieger seinen Kranz.
Soll die blasse Schwester steigen,
Muß Hyperion untergehn,
Und der holde Pan muß schweigen,
Wo Apollo's Haine stehn.

Ach, schon zuckt mein Eingeweide!
Rettet mich nicht dein Gebot
Von den Qualen, die ich leide,
Feiger, trügerischer Gott?
Ach, die Flamme meines Busens
Brennt noch mehr als diese Pein;
Vor dem Schreckenshaupt Medusens
Möcht ich stehn, erstarrt zu Stein!

Könnt' ich deiner Zauber walten,
Unerforschte Hekate,
Ließ ich Gäa's Schoß erkalten,
Der stets neu gebiert zum Weh.
Was sie in geheimster Spalte
Liebend birgt mit Muttersinn,
Über alles Leben wallte
Lethe's dunkle Welle hin!

*


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