Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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Es gehört nicht in dieß Buch, nicht in die Geschichte der Heirath des Herrn von Waldenberg, wie es dem treuen Knecht in der Fremde ergangen ist, was er dort gewonnen und wieviel er dort ausgegeben hat.

Hier genügt die Thatsache, daß er über ein Jahr ausblieb und, als er endlich nach Deutschland zurückkam, seinen Weg nicht zuerst in die Stadt nahm, wo Eduard und Thassilo lebten und Naphtali Hertz und Orlando Hunzelsperger begraben lagen.

Er hatte dorthin noch ziemlich weit, als er auf einer Haltestelle den Kopf zum Wagenfenster herausstreckte und dem verwunderten Schaffner den Schlag zu öffnen befahl.

Der rußige Mann machte sogar den Reisenden darauf aufmerksam, daß er laut des vorhin gewiesenen Billets noch lange Stunden zu fahren hätte und der Zug hier nur eine Minute hielte.

Allein damit sagte er dem eigenwilligen Herrn nichts Neues. Der meinte, der Zug solle nur fahren und sein Gepäck behalten, er wolle mit einem folgenden nachkommen und einstweilen einen Freund in diesem Städtchen heimsuchen.

Er wollte, wie er sagte, nach dem langen, langen Sitzen auf der Bahn einen Spaziergang machen. 283 Keinen allzu großen Spaziergang, bewahre, nur so . . . ein paar Meilen weit hin und zurück!

Jenun! Die Meilen wurden ihm nicht lang und früher, als er's nach den trüben Erfahrungen jener Maiennacht sich verhofft hätte, kam er auf einen Hügel am Wege, von dem aus er das Dach der Waldenberger, und als er etwas höher stieg, das ganze Haus vor dem Busch, den Baumgang und die Hofmauer, den schimmernden Fluß auf der einen und die gelbe Landstraße auf der andern Seite überschauen konnte.

Es lag Alles wie auf einem grüngedeckten Tisch vor ihm und die Luft war so klar und ließ alle Umrisse so scharf erscheinen, als brauchte man nur mit Händen in die Ferne greifen, um die Dinge zu erreichen.

Er athmete auf und nahm den Hut vom Haupte, als wäre das Haus ein lebendiges Wesen und verstünde des Wanderers Gruß.

Drüben regte sich nichts, nur der Rauch aus dem hohen Schornstein dampfte gemächlich und gerade zu dem blauen Himmel empor.

Fridolin konnte nicht widerstehen, er lief den andern Hang des Hügels hinab und hielt erst still, als das Haus so nahe vor ihm lag, daß er die Fenster unter sich zählen und die Steine in der Hofmauer sehen und das Wasser an der Schleuse rauschen hören konnte.

Von diesem Platz war auch im Dach die neue 284 Stelle wahrzunehmen, wo die blanken Schieferplatten, die man im vorigen Sommer über die schadhafte Stelle gedeckt hatte, sich von den alten verdunkelten deutlich abhoben. Leonilla's Erker war nicht mehr da.

Das Zimmer schien wohl wieder in Stand gesetzt, aber statt des alterthümlichen, spitzgiebeligen Schmollwinkels in der runden Fensterverschalung lief ein breiter Altan mit luftigem Vordach an der Mauer hin, für mehr als Einen Raum und bequeme Sicht in die schöne Ferne gewährend.

Der betrachtende Wanderer schien mit Allem, was er sah, recht zufrieden. Und doch konnte er sich noch immer nicht von dem freundlichen Anblick trennen.

Er merkte gar nicht, daß ein Bauer, der hinter dem Pfluge ging, seine Arbeit bis dicht an den Fuß des Hügels führte, erst als dieser ihm »Guten Tag« mit lauter Stimme bot, sah er sich um.

Fridolin dankte und der Landmann blieb bei ihm stehen, sich die Stirne wischend und den Fremden betrachtend.

»Ein hübsches Haus!« sagte Dieser.

»Braver Leute Haus!« antwortete der Bauer.

»Wie geht's den braven Leuten?« fragte Löwe wieder.

»Schlecht und recht!« lautete die Antwort und ein Achselzucken war dabei, das keinen Neid verrieth, als wollt' er sagen: wie unsereinem etwa! 285

»Wie kommt es,« fragte Fridolin, »daß man auf den Feldern, die zu jenem Hause gehören, keine Menschen arbeiten sieht? Es ist doch nicht Feiertag heute. Oder wie, hat der Herr von Waldenberg seine Felder ringsum schon verkauft?«

»Mit nichten!« sagte der Bauer und schmunzelte, indem er die rechte Hand wieder an den Pflug legte. »Das Feiern dort hat heute seinen eigenen Grund. Hören Sie nicht? Dort!«

Er streckte die Linke wie einen Weiser über Berg und Thal. Indem Fridolin's Augen der Hand folgten, sahen sie einen Kirchthurm hinter einem Hügel über der gelben Landstraße aufragen. Und wie er den Athem anhielt, um zu horchen, hörte sein Ohr auch Glockengeläut in der Ferne.

Es ward dem Horchenden bange zu Muth bei dem Ton. Er hätte gar gern den Landmann noch des Genaueren befragt. Der aber war mit seinem Pflug schon wieder weit im Felde und machte keine Miene, sein Tagewerk durch weiteres überflüssiges Plaudern zu verzögern.

Rathlos sah Fridolin bald auf das Haus, bald auf die fernere Kirchthurmspitze. Da auf einmal mußt' er merken, daß auf der Straße Menschen daherkamen. Sie kamen von der Kirche zurück und ihretwegen läutete die Glocke. Es waren ihrer sechs oder sieben und, wie man an den Kleidern sah, auch 286 Frauensleute darunter. Und inmitten des kleinen Zuges trug Eines etwas Schimmerndes, Weißes auf dem Arm, wie ein blankes Bündel Wäsche. Was das war, konnte Fridolin aus der Ferne nicht erkennen.

Derweilen furchte der Landmann mit dem Pfluge wieder in Fridolin's Nähe heran, und ob ihn des rathlos Dastehenden erbarmte oder ob ihn selber die Neugierde trieb, er verließ sein Geräth, trat einige Schritte den Hügel hinan und sah nach der Straße just wie Jener.

Wieder die knorrige Hand ausstreckend, sagte der Mann dann lachend:

»Sehen Sie! da kommen sie zurück mit dem Kinde. Sie haben heute ihr erstes Söhnchen getauft. Haben lang auf Gottes Gnade warten müssen, da ist sie nun! Gott segne den kleinen Kerl!«

»Gott segne das Kind und die Eltern!« sagte Fridolin Löwe und sah nach dem Zuge, bis dieser im Hause verschwunden war.

Dann stieg auch der Wanderer wieder den Hügel hinan. Er sah in einem Felde, daran er vorüberschritt, einen Pflug stehen. Man schien ihn vor Kurzem erst verlassen zu haben. Denn oben drauf lag noch ein Restchen Brod, darin ein Messer stak, eine halbgerauchte Pfeife daneben und unter jenem ein abgegriffen Büchelchen.

Fridolin konnte sich nicht versagen, es zu 287 betrachten. Es war ein Taschenkalender für Landwirthe. Auf den unbedruckten Blättern standen allerhand Rechnungen, dazwischen etliche Sprüche. Der eine lautete:

»Wenn wir nicht leben können, wie wir wollen, laßt uns nicht minder tapfer weiter leben wie wir müssen

Und ein anderer:

»Das höchste Glück ist: nicht allein sein in diesem unheimlich ungeheuren All; gemeinsam fühlen, gemeinsam hoffen, dulden und sich freuen . . . Und wer auch nur eine Seele sein nenne . . .«

Auch ausgeschriebene Verse fanden sich. Ein Reiterlied, es war kaum mehr leserlich; die Strophe Bettinens, sie war ausgestrichen. Am Ende standen die Zeilen Goethe's:

»Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur Der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.«

Fridolin legte den Kalender wieder unter das Stück Brod auf den Pflug, stieg höher und höher und sah sich erst um, als er oben auf der Spitze angelangt war, wo es jenseits wieder hinab und in den Wald ging.

Und wie er sich nun dort umwandte, wo nur mehr das Dach und die höchsten Fenster des Hauses Waldenberg wahrzunehmen waren, da sah er, daß auf dem Altan ein Menschenpaar bei einander stand, das sich bei den Händen hielt und, wie um einer 288 tiefen Rührung Herr zu werden, schweigend über's weite Land hinblickte.

Ein Mann und ein Weib! Fridolin konnte ihre Gesichter nicht bis in's Einzelne auseinanderdeuten, doch an Gestalt und Haltung und an dem rascheren Schlag des eigenen Herzens erkannte er sie wohl und sah, daß es Waldemar und Leonilla waren.

Da that er einen hellen Ruf und warf seinen Hut in die Luft. Und Jene auf der hohen Zinne schienen des Wanderers auf dem grünen Hügel vor dem Walde wirklich gewahr geworden zu sein. Obschon keine Möglichkeit war, daß die Beiden die Züge des Entfernten erkannten, so mochten sie doch seinen Juhschrei vernommen haben und sie erwiederten den Gruß des Wanderers, Waldemar mit winkender Hand und Leonilla mit wehendem Schleier.

Noch einmal schwenkte der Wanderer seinen Hut zum Danke hoch. Dann ging er mit raschen Füßen den Weg zurück, den er heute gekommen war. Er lächelte noch lang im Weiterschreiten und fühlte es wie ein eigenes Glück, daß seine Freunde glücklich waren und daß sie nun endlich doch zum Guten und Rechten geführt hatte, die seltsame Heirath des Herrn von Waldenberg.

 


 


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