Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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XII.

Was ist aus den Kleinen von den Meinen geworden?

Wo ist Bettina?

Wo soll sie anders sein in der wüsten Welt als bei dem einzigen Manne, an den sie noch Bande der Dankbarkeit und wahrer Theilnahme binden, bei Vater Bolle, der die Heimkehrende mit jenem bösen Lächeln aufgenommen hat, das wir Alle an ihm kennen.

Zwei Briefe, die Basil an sie geschrieben, hat sie nicht beantwortet, bis zu dem Tage, da irgend ein Mensch Namens Fridolin Löwe bei dem braven Bolle einsprach und ihm eine wunderliche Geschichte von der Frau seines ehemaligen Hausgenossen erzählte, eine Geschichte, die auch er nur vom Hörensagen hatte, wenn schon von dem zuverlässigsten Berichterstatter, dem Arzt in jenem kleinen Städtchen an der Bahn nächst Waldenberg, der sie alle Drei vor kurzer Zeit gepflegt und geheilt hatte.

Bettina horchte der seltsamen Geschichte von dem 273 Scheintode und dem Wiederaufleben der Frau von Waldenberg zu, ohne ein Wort zu sagen. Dann ging sie hinaus und schrieb zwei Zeilen an Basilius, daß er kommen möge und um sie werben dürfe.

Der jüngste Bolle ließ sich denn auch nicht lange rufen, er kam rasch und warb gar emsiglich. Und wie ein Wort das andere gab, und ein Tag hinter den andern ging, und Erinnerungen aus alter und neuester Zeit ihnen halfen, und vollends Vater Bolle die widerborstige Erklärung abgab, daß ihm solch' eine Heirath durchaus nicht in den Kram passe . . . da fingen sie allmälig an, sich gut zu verstehen, und wurden Eins in Frieden.

Da hatte Fridolin viel Arbeit mit dem alten Fechter, der sich auf einmal einbildete, sein Basilius solle sich ein Weib aus einer guten, schlichten, einfachen Bürgersfamilie wählen, nicht den Wildfang Orlando's, der ihm schon so viel Verdruß und Sorgen gemacht hatte.

Der treue Knecht gab ihm zu verstehen, daß er doch selber Bettinen erzogen hätte und dieß Geschäft doch Niemand besser auf Erden verstünde, als eben er.

Aber Këyx Bolle ließ das nicht so glatthin gelten, sprach vom Apfel und seinem Stamm, gab noch viel andere Sprüchwörter drein und meinte schließlich, wenn er schon dem unausstehlichen Fridolin Löwe und dem noch unausstehlicheren Basilio und dem 274 allerunausstehlichsten Hausmütterchen und ihren Gründen und Bitten nachgäbe, so müsse wenigstens der künftige Gatte sein Hauswesen diesseits des Meeres, ja womöglich in dieser selbigen Stadt begründen, damit der alternde Eduard sich die noch immer unerschütterlichen Athletenkniee nicht an fremdem Herde zu wärmen brauche und doch auch etwas vom Glück seiner Kinder habe.

Davon aber wollte nun wieder Bettina nichts hören. Wenn Basil in dieser Stadt, schon jetzt in dieser Stadt bleiben wolle, da mög' er nur in irgend einer frommem altangesessenen Familie sich ein Bräutchen aussuchen. Sie sehnte sich weit weg unter fremde Menschen, fremde Verhältnisse, fremdartige Gedanken und Zumuthungen neuer Art. Sie wollte vergessen und mit der Vergangenheit aufräumen und, wenn an Basilio's Hand, ein neues Leben beginnen.

Der Mensch denkt und die Frau lenkt! So blieb's denn auch dabei, wie es Bettina wollte. Und Vater Bolle gab sich in Gottes Namen drein. Genau besehen, war ja Alles »ganz einfach« auch so.

Und als er sich endlich drein ergeben, merkte er erst, daß ihm eigentlich ein Lieblingswunsch seines Lebens in Erfüllung ginge und daß es ihn recht glücklich machen werde, das herzige Hausmütterchen nun auch im bessern Sinn als bisher seine Tochter nennen zu dürfen. 275

So rüsteten sie denn zur Hochzeit mit allerhand und meist frohen Gedanken.

Fridolin Löwe nur wollt' es derweilen scheinen, wie wenn ihm die schöne Stadt, der sonst so liebliche Schauplatz seines Faulenzens und Berühmens, die Stadt, der er zum Leben und Sterben vor allen den Vorzug zu geben pflegte, noch nie so fremd und fremdartig erschienen wäre, als gerade nun in dieser wundervollen Maienzeit. Er konnt' es nicht ausdenken, daß er sich irgend einmal so einsam in der Welt empfunden hätte, wie nun eben.

Und warum nur? Trieb er sein Dasein nicht genau so hin, wie immer vordem? Oder hatte er andern Gang gelernt und paßten seine Schritte nicht mehr in die alten Fußspuren?

Das Unbehagen war nicht etwa allmälig gekommen. Er hatte es schon von der Reise mitgebracht am ersten Tag. Es war sozusagen wie ein unsichtbarer Begleiter mit ihm aus dem Wagen gestiegen und folgte nun überallhin. Er begriff das kaum und that lange nicht dergleichen, als ob er's merkte.

So ging er noch am Tage seiner Ankunft in das gewohnte Kaffeehaus, wo er sonst den größten Theil seiner Zeit zuzubringen gepflegt hatte. Er setzte sich auf denselben Stuhl vor denselben Tisch wie immer, umgab sich mit denselben Zeitungen, die er sonst tagtäglich durchzusehen gewohnt war, und 276 erwartete in einer monumentalen Pose, wie ihm selten eine besser gelungen war, die Willkommsgrüße aller der Zigeuner, Faulenzer und Hanswurste, mit denen er sonst über Gott und Welt im Allgemeinen und über den Verfall der modernen Literatur und Kunst im Besondern zu schimpfen liebte.

Einer nach dem Andern sagte sein: »Petz ist wieder da!«, fragte ihn, wo er sich umgetrieben, verwunderte sich über seine veränderte Haartracht und lachte ihn ob des Verlustes seiner Augenwimpern aus.

Etliche blieben auch fest bei ihm sitzen und kramten ihre neuesten Gedanken und Empfindungen, Beobachtungen und Pläne aus. Es war genau das nämliche Geschwätz, wie er es vor drei Wochen verlassen, wie er es seit Jahr und Tag bis zum Ekel gehört hatte.

Er wünschte das ganze Gesindel zum Teufel. Er betrachtete sich inmitten dieser Gruppe, wie einer der großen Wandspiegel sie zurückwarf. Er fand, daß er nicht mehr hiehergehöre, daß er für diesen thörichten Müßiggang nicht mehr jung genug, daß er, ob er's auch heut' erst merkte, in diesen Monaten ein anderer Mensch geworden sei – vielleicht nicht glücklicher, aber besser.

Dagegen fanden seine Freunde, daß »dieser Löwe« auf der geheimnißvollen Fahrt, über deren Ziel und Verlauf er hartnäckig schwieg, Witz und Verfe 277 eingebüßt habe und maulfaul und abgebrannt zurückgekommen sei. Er antwortete kaum und schien ihnen kaum zuzuhören. Da suchten sie sich besser Publikum und ließen den Seltsamen sitzen.

Da saß er denn einsam und allein und sah in den Tabaksqualm, den Andere steigen ließen.

Er dachte an Basil und Bettina – sie würden glücklich werden! Er dachte an Waldemar und Leonilla – auch diese waren es nun! Er dachte an seine häßliche Schlafstelle bei einer armseligen Handwerkerfamilie in der Vorstadt. »Und darum Mordbrenner und Räuber!« sagte er in Erinnerung der letzten Tage. Seufzte dazu und lächelte doch!

Es versteht sich von selbst, daß Fridolin Löwe bei seines Freundes Hochzeit den Brautführer abgab.

Er hatte sich zu dieser Feierlichkeit sogar einen neuen schwarzen Anzug machen lassen. Und ob er sich darin auch etwas seltsam vorkam, die Anderen fanden, daß er so besser aussah, als in seinem gewohnten Diogeneshabit.

Die neuen schwarzen Kleider waren dem treuen Knechte nicht so von ungefähr angeflogen. Das liebe Publikum hatte in der That noch eine dritte Auflage der Orlandobiographie nöthig, und in Folge der Verbreitung desselbigen Werkes hatte Dieser und Jener sich mit Ansuchen und Aufträgen an Fridolin gewandt und Einer und der Andere sogar bessere 278 Honorare versprochen, als der Verfasser der »Schwimmenden Sterne« bislang zu beziehen (oder auch nicht zu beziehen) gewohnt war.

In der Klemme so vieler ehrenvollen Zumuthungen entschloß sich der treffliche Fridolin, nicht durch voreiligen Bescheid zu Eines Gunsten alle die Anderen zu kränken. Er wollte sich's nach alter Art recht reiflich und bequem überlegen. Aber seltsam, eines Tages fand er, daß er unwillkürlich etwas in seinem Kopfe zusammengedacht hatte, was er niederschreiben und einem, der's durchaus drucken wollte, überlassen mußte.

Er beobachtete da, daß er an Gelassenheit bedeutend verloren habe seit der letzten Reise, und schloß daraus, daß auch ihm eine längere Luftveränderung günstig sein würde.

Sein baares Geld – wer sagt zum wievielten Mal! – überzählend, ertappte er sich im Besitz von mehr als tausend Mark. Er schämte sich fast, über solchen Mammon zu gebieten.

Nun überlegte er, was damit anzufangen.

Sollte er nach Paris oder nach Rom reisen, um dort ein halbes oder ganzes Jahr zu lernen und zu schaffen?

Basilius, dem er dieses Dilemma mit all' der Ernsthaftigkeit mittheilte, die seine eigenen Angelegenheiten allemal für ihn hatten, lachte dem Zweifelhaften in's Gesicht. 279

Paris oder Rom! . . . Tausend Mark . . . und Monate im Plural! Was er wohl denke! Kaum die Reisekosten hin und zurück wären damit zu bestreiten.

»Laß gut sein, davon verstehst Du nichts!« antwortete Fridolin seinem lachenden Freunde, der ihm mit dieser einen Aeußerung schon im Brautstande aller Junggesellenwirthschaftsrechnung heillos entwachsen schien. Dann ging er ernsthaft und getrost an alle Vorbereitungen zu einer langen Reise.

Er wollte nur den Tag der Hochzeit noch abwarten, die sich aus gleichgültigen Gründen leider um ein' und andere Woche verschob.

Endlich ward sie doch Mitte Juli mit bescheidenem Pomp und großer Freudigkeit gefeiert.

Zum Mahle, das der bürgerlichen und kirchlichen Ceremonie folgte, erschien eine kleine Zahl intimer Freunde.

Durch Zufall oder, wie Vater Bolle seinem etwas überraschten Sohne versicherte, auf Fridolin's Veranlassung hin war auch Thassilo von Waldenberg zu dem kleinen Feste gebeten worden. Bettina freute sich herzlich der Anwesenheit des feinen alten Herrn.

Beim Mahl erhob er sich nach den ersten Trinksprüchen und brachte seinen Wunsch auf das Brautpaar in zierlich gesetzten Worten aus, und nicht nur seinen Glückwunsch, auch die Wünsche und Grüße Waldemar's und Leonilla's von Waldenberg. 280

Er brachte den Spruch mit einem eigenen Becher von getriebenem Silber aus, der – »wie alle wahren Kunstwerke« – zwar klein, aber von vorzüglicher alter Arbeit war. Dieß Angebinde bat er Herrn und Frau Basilius Bolle mit in die neue Heimat zu nehmen und daraus trinkend recht oft und herzlich der Freunde in der alten zu gedenken..

Fridolin Löwe, der neben dem alten Freiherrn bei Tische saß, vertiefte sich sofort in ein scharfsinniges Gespräch mit ihm, worin Thassilo den jungen Mann durch seine ganz besondere Kennerschaft der alten und neuen italienischen Gold- und Silberschmiedekunst überraschte.

Wie ein Wort das andere gab, kamen sie auch auf Antiquitäten und Antiquitätenhandel zu sprechen, und nur als ein Zeichen seiner besonderen Hochachtung und gegen das heilige Versprechen, ihm nicht in's Gehege zu gehen, erfuhr Fridolin sogar Namen und Adresse des Ladens, in dem dieß reizende Becherchen von dem erfahrenen Thilo war erstanden worden.

Drei Tage darauf suchte Fridolin Löwe besagten Kuriositätentrödler auf und stellte sich ihm als einen Beauftragten des Herrn von Waldenberg dar, welcher die kleine Rechnung, die in diesem Laden aufgelaufen war, begleichen sollte.

Er hatte sich nicht getäuscht, auf der kleinen 281 Rechnung standen noch einige andere kleine Kunstwerke, die, allerdings bedeutend geringer an Werth, die Gesamtsumme um einige Mark über dreihundert hoben und nach des Käufers Versicherung am ersten Oktober bezahlt werden sollten.

Es gelang dem »Beauftragten« des Freiherrn, einen ehrbaren Abstrich durchzusetzen, und also leichter um hundert Thaler und eine bezahlte Rechnung, die ihn eigentlich nichts anging, in der Tasche, stolzirte der treue Knecht aus des Trödlers Bude.

Er fürchtete nicht, daß Ehren-Thassilo ihm diesen unzarten Eingriff in seine Privatverhältnisse verübeln werde, schon aus dem einen Grunde nicht, weil dieser nach bekannter Praxis sich keines Gläubigers, der ihm nicht das Messer auf die Brust setzte, zu erinnern pflegte.

Als er am Abende darauf abermals und zum endgültigen Zweck seinen »Mammon« musterte, kam der ihm selbst empfindlich verringert vor. Jenun! ihm geschah kein Leid dabei. War doch auch in seinem Gefühl wieder eine von den Flammen gelöscht, die einst auf Waldenberg gezündet hatten.

Und deß zufrieden, seiner Genügsamkeit bewußt und alles Neuen froh gewärtig, ging er am andern Morgen auf den Bahnhof, sagte der schönen Stadt Ade und der weiten Welt grüß' Gott! 282

 


 


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