Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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IX.

Wie ein Mensch, der eben von einer langen Reise zurückgekehrt ist, den Segen bequemer Häuslichkeit dreifach empfindet und sich die langentbehrten Gewohnheiten, die er vordem nur mehr unbewußt genossen, mit erhöhtem Bewußtsein schmecken läßt, so saß Waldemar am Abend dieses Tags in seiner stillen Stube. Er hatte die Reise zwar nur in Gedanken gemacht, nur in Gedanken waren die Grundpfeiler seiner Junggesellenexistenz in's Schwanken gebracht worden . . . aber Gedanken sind auch schon gefährlich. Ihm war wohl, daß ihr Sturm abgeschlagen und seine bescheidene Behaglichkeit wieder gefestigt war.

Die Sonne ging so schön unter hinter jenen Bäumen. Er empfand die angenehme Müdigkeit eines Mannes, der Muskeln und Knochen nicht geschont und darauf gut zu Mittag gespeist hat. Er war unschlüssig, wie er den Abend verbringen sollte. Ueber ihm tönte Bettinens Klavier . . . ein ihm unbekanntes, 169 aber wohlgefälliges Stück. Aus dem obersten Dachkämmerlein vernahm er in den Pausen der Musik, gedämpft durch Vorsicht und Ferne, den Hammer Bolle's, der sich auf alte Stiefel neue Sohlen klopfte.

Ihm war's, als wollte sanfter Schlaf über ihn kommen. Nur eine Minute zuckten ihm die Wimpern. Da pochte man an der Thüre . . . so wie man nur zum zweiten Male zu pochen pflegt . . . er hatte wohl das erste Pochen überhört.

Auf sein »Herein« kam ein Diener in Sicht, der modische Livrée trug. Der sollte höflichst anfragen, ob der Herr Rittmeister für die Baronin von Santalatona zu sprechen wäre.

»Ei,« dachte der Ulan, »heute mag sie nur kommen; ich will der fetten Dame schon begreiflich machen, daß wir hier ungestört wohnen bleiben wollen, daß die Gartenstraße nur schlechte Spekulationen gestattet, daß das Geld anderswo auf der Straße liegt und was sie sonst zu hören Lust hat und Vater Bolle Freude macht.«

Er knöpfte sich den Waffenrock zu und hatte gerade noch Zeit, einen regulirenden Finger zwischen Hals und Kravate zu schieben . . . da rauschte es schon von einem schweren Seidenkleide, eine elegant gekleidete Frau kam grüßend in's Zimmer und der Diener verschwand mit einer letzten Verbeugung hinter der Thüre. 170

Mit jener schönen Urbanität, welche bevorrechteten und vernünftigen Menschen auch das erste Begegnen erleichtert, bot sie dem Rittmeister die Hand und sagte: »Entschuldigen Sie, Baron Waldenberg, wenn ich so sans façons in Ihren häuslichen Frieden eindringe. Aber, wenn auch ich bisher des Vergnügens entbehrt habe, Sie persönlich zu kennen, unsere Familien sind alte Bekannte und es handelt sich – wie man jetzt zu sagen pflegt – um Geschäfte.«

Die Dame mußte über das häßliche bürgerliche Wort in ihrem schönen Munde lachen.

Der Mund war in der That schön. Güte, Wohlwollen und Heiterkeit schienen in diesen sanften Linien, in diesen noch immer frischen Farben wie kleine Genien zu lächeln. Das ganze Gesicht war noch hübsch zu nennen, besonders die Augen. Dem munteren, dem gesprächigen Munde zum Trotz sahen diese Augen aus, als ob sie viel geweint hätten, auch viel im Verborgenen geweint. Tiefe Schatten lagen um sie her. Die langen Wimpern, die so hastig zuckten, schienen noch von der letzten Thräne feucht.

Wie groß immerhin Kummer und Traurigkeit gewesen sein mögen, welche die schönen Augen der Frau von Santalatona am hellen Tag umnachteten, mager war sie dabei nicht geworden. Eduard Bolle hatte schändlich übertrieben, mit dem ganzen Haß 171 eines aus Passion, Prinzip und Nothwendigkeit zu Fuße gehenden, gegen alle fahrende Faulheit empörten Spartaners, aber ein Quentchen Wahrheit blieb doch bestehen. Was sag' ich Quentchen, reden wir getrost von Pfunden und Centnern. Frau Theodora war nicht so schwer, wie Bolle sie geschildert, aber schwer war sie, sehr schwer, und wenn ihr von der erhobenen Hand der Spitzenärmel über den weißen Arm zurückfiel, so gab das ein schönes Farbenspiel, aber allerdings die Muskulatur war so mollig mit Fett verhüllt, daß ein Këyx keinen Respekt davor empfinden konnte.

Solche Gedanken machte sich Waldemar, während Beide gesellschaftsmäßig hin und her sprachen, ohne daß der Eine wußte, was die Andere von ihm wollte. Die Andere schien dem Einen sogar recht dankbar zu sein für diesen leichten Dialog, der sie verhinderte, ihr Vorhaben mit entschiedenen Worten anzufassen. Die Frau war entweder außerordentlich geschwätzig oder in peinlicher Verlegenheit, das, was sie eigentlich sagen wollte, vorzubringen.

»Es plaudert sich sehr gut mit Ihnen, Herr von Waldenberg,« sagte die Baronin, über diese Thatsache sichtbar erfreut. »Es ist schade, daß Sie die Gesellschaft so vernachlässigen. Wissen Sie, daß Sie in unseren Salons den Ruf eines Wildlings, eines Nimrod, eines Centauren haben?« 172

»Es ist was dran, gnädigste Frau; an dem Centauren, mein' ich,« sagte Waldenberg. »Als solcher bin ich Ihnen für den Stall in Ihrem Hause noch ganz besonders verpflichtet. Haben Sie den trefflichen Stall je gesehen?«

»Ja, gestern.«

»Vorgestern.«

»Nicht doch, gestern. Ich hatte Ihnen doch für gestern meinen Besuch melden lassen. Als ich kam, waren Sie nicht allein. Ich weiß, Ihr Herr Vater war bei Ihnen. Ich habe die Ehre, ihn von früher her zu kennen. Aber er vernachlässigt mich, seit ich Wittwe geworden bin. Darum wollt' ich Sie nicht stören. Im Glauben, daß die Unterhaltung nicht so lange dauern würde, ließ ich mir Ihre Pferde zeigen. Aber alle viere hatten mir bereits wiederholt Alles gesagt, was sie zu sagen hatten, da schienen Sie Beide noch im besten Zuge und ich gab es für gestern auf.«

»Ich bedaure das unendlich, gnädige Frau.«

»Ich hätte es vielleicht für immer aufgegeben, denn Sie mußten mir, wenn Sie nicht ganz Centaur, den gestrigen Abend vorbehalten, aber heute . . .« Die Baronin stockte ein wenig, dann sagte sie, es kostete sie sichtlich Anstrengung: »Wir bildeten uns nämlich ein, Sie müßten erkrankt sein, und das Mitleid mit dem Nebenmenschen läßt auch die Unarten des Centauren in milderem Lichte betrachten.« 173

»Ich? krank?«

»Nun ja, wir dachten so, weil Sie nicht ausritten . . . wenigstens nicht auf dem gewohnten Wege durch das Thor meines Hauses . . .«

Waldenberg starrte die Baronin an. Es schien ihm plötzlich ein Licht aufzugehen, aber keines, welches erleuchtet, sondern eines, welches blendet.

Theodora merkte seine Ueberraschung und daß dieser Eingang in die Sache ein verfehlter war. Sie kam in Verlegenheit, brachte noch ein paar nichtssagende Worte vor, ward feuerroth und bat um ein Glas Wasser.

»Ich wollte ja eigentlich von Geschäften mit Ihnen reden,« ergriff sie nach einer Pause wieder das Wort, aber ohne den Rittmeister anzusehen und mit wachsendem Unbehagen. »Ich möchte dieses Haus verkaufen . . . Oder vielmehr ein anderes an dessen Stelle bauen . . . ein größeres . . . oder doch ein . . . ein bequemeres . . .«

»Ach, Frau Baronin, unsere Hütte dünkt uns so bequem.«

»Also meinen Sie, es sollte nichts umgebaut werden? Dann mag es nur bleiben, wie es ist . . . Ich werde mich ganz und gar Ihrer Meinung fügen.«

Allmälig war nun Waldemar nahe daran, in Verlegenheit zu gerathen. Er wußte nicht, wie er sich die Reden der Hausbesitzerin auslegen sollte. 174 Dabei wurde der Augenaufschlag der Dame Theodora immer trauriger und die Pausen in ihren Reden wurden immer länger. Eins nur war ihm klar, daß die geschäftliche Rücksprache eitel Vorwand war und sein Gegenüber noch immer mit der Sprache nicht heraus wollte.

»Meine Meinung, Frau Baronin, wird in diesem Fall von meiner Bequemlichkeit und Gewohnheit diktirt. Diese jedoch können nicht zur Richtschnur Ihres Handelns dienen. Sie haben vielleicht große Projekte, sichere Vortheile, nicht so bald wiederkehrende Verkaufsgelegenheiten in Aussicht. Freilich, wenn dem nicht so ist, so werden die guten Leute, welche dieß Haus bewohnen . . . Kennen Sie Bolle? Jenen Bolle, den wir mit Stolz den Unsern nennen?«

Waldemar merkte schon bei den letzten Sätzen, daß ihm die Baronin nicht zuhörte. Sie saß da, die Hände im Schooß gerungen, die Augen auf ihre Hände gerichtet. Ihre Gedanken schienen sich in Rathlosigkeit zu zermartern. Auf des Rittmeisters lautere Frage gab sie keine Antwort. Erst die Stille, welche darnach entstand, schien sie aus ihrem Brüten aufzuwecken. Sie warf das Haupt empor; wollte etwas sagen; wußte nicht, was. Ihre Augenlider fingen an heftig zu zucken, eine feuchte Perle löste sich von ihrer Wimper los. Ein Strom von Thränen stürzte alsbald dieser ersten nach. 175

Sie schlug die Hände vor das glühende Gesicht. Die ganze Gestalt erbebte von heftigem Weinen und tiefinnerster Bewegung.

Waldemar von Waldenberg rückte ganz nahe an sie heran und versuchte ihr zuzureden.

»Ach, ich bin eine unglückselige Frau!« rief sie aus und schluchzte nur um so lauter fort.

»Verehrte Frau Baronin,« sagte nun der Rittmeister. »Sie haben Schweres auf dem Herzen. Ich kann nicht ahnen, nicht errathen, wie ich mit dem Kummer, der Sie bedrückt, in Zusammenhang stehe. Aber ich fühl' es aus Ihrem Benehmen, aus Ihren Worten heraus, daß ein solcher Zusammenhang besteht und daß Sie zu mir gekommen sind mit dem festen Vorhaben, mich einzuweihen, mir mein Theil an diesem mir annoch verschleierten Schicksal aufzudecken.«

Ohne ihn anzusehen nickte die Santalatona heftig bejahend mit dem Haupte.

»Nun denn, gnädige Frau, suchen Sie nicht lange nach den besten Worten und konvenabelsten Redensarten. Noch weiß ich zwar nicht, welcher Umstand mich Ihres Vertrauens würdig macht. Aber wenn es sich um eine Sache handelt, in der ein schlichter, braver Kerl Ihnen mit Rath oder That einen Dienst erweisen soll, so sprechen Sie frei und gerade heraus. Ohne Umschweife, wie's Ihnen das Herz auf die 176 Zunge legt. Ich bin nicht so verwildert, um nicht mit Leidenden mitzufühlen und jeden Schmerz zu begreifen. Ich bin ein Ehrenmann; ich weiß, was ich edlem Zutrauen schulde. Ich werde schweigen unter allen Umständen und helfen, wenn ich kann.«

Die Baronin von Santalatona hatte nach und nach die Augen auf ihn gerichtet. Sie blickten ihn jetzt mit voller Zuversicht an. Seine Worte hatten ihr offenbar sehr wohl gethan. Der tröstliche Glaube, daß der Schritt, den sie unternommen, denn doch zum rechten Ziele führen könnte, wehte sie mit frischer Hoffnung an. Sie legte ihre rundliche Hand wie mit leisem Dank auf seinen Arm und sprach: »Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen?«

»Ich bitte darum, gnädige Frau,« sagte der Rittmeister. Es war ihm aber nicht ganz zuversichtlich bei dieser Redensart zu Muthe. Nach der Verwirrung, welche die weinende Dame bisher gezeigt, schien sie ihm zum Geschichtenerzählen durchaus nicht geeignet heute. Bald jedoch merkte Waldemar, daß die Frau nun durch seine Hülfe an dem Punkte angelangt war, von dem aus sie ihre Gedanken und Worte vollkommen beherrschte, daß dieser Theil ihrer Unterhaltung ihrem Geiste oft genug vorgeschwebt haben mußte und wohl von ihr überlegt worden war. Sie sprach langsam, aber fließend, leise und schlicht, aber klar und ergreifend. 177

»Ich lebte in einer glücklichen Ehe. Ich hatte nur den einen Gram, daß ein Sohn, den ich als Erstling geboren, sehr früh starb. Mir blieben drei Töchter, blühende, schöne, herzensgute Kinder. Als mir – ach leider viel zu früh – der Gatte starb, waren die älteren beiden kaum erwachsen, die dritte noch ein Kind, das eben lesen lernte. War ich schon früher auf meine Kleinen mit Liebe und Sorgfalt bedacht gewesen, so widmete ich ihnen nun mein ganzes Herz, alle meine Gedanken und alle meine Zeit. Mir war jede Stunde, die ich nicht unter meinen Mädchen verbrachte, eine verlorene. Was ich ihnen nur an den Augen absehen konnte, that ich ihnen zuliebe. Gibt es eine größere Wonne auf Erden, als Diejenigen, die man liebt, glücklich und zufrieden zu machen – und wär's nur auf Tage, auf Augenblicke? Alle menschliche Glückseligkeit besteht ja nur aus Augenblicken. Und Kinderherzen sind so reich an Wünschen. So glaubt' ich lange, daß es keine glücklicheren Kinder als die meinen, und darum keine glücklichere Mutter gäbe als mich.

»Denken Sie sich meinen Schrecken, meinen Kummer, als eines Tages mir klar wurde, daß meine älteste Tochter einen Wunsch im Herzen hegte, den zu erfüllen gegen mein Gewissen, gegen meine Mutterpflichten ging. Denken Sie sich meine 178 Verzweiflung, als sich mir die Ueberzeugung aufdrängte, daß dieser Wunsch das Denken und Empfinden meiner Carlotta vollkommen beherrschte. Eine stille, hartnäckige Leidenschaft.

»Haben Sie nie von dem jungen Herrn von Stock gehört? Man nannte ihn immer nur so kurzweg den ›kleinen Stock‹. Es war ein unmöglicher Mensch, über dessen Erscheinung in der Gesellschaft man sich jedesmal wunderte. Aber man mußte ihn dulden seiner Familie halber. Er hatte bereits wegen Schulden und Narrheiten aller Art sein Regiment verlassen müssen. Er konnte sich überhaupt nicht in der Armee halten. Nachdem er sich ein Jährchen, ich weiß nicht wo, in der Welt umhergetrieben hatte, machte er auf einmal wieder die Salons unsicher. Zwar schien er dieß weniger aus eigenem Wunsch als vielmehr auf Anordnung seiner Familie zu thun, die ihn so allmälig wieder zu rehabilitiren hoffte. Er selber hätte leicht lieber anderswo sein Vergnügen gesucht. Demgemäß und unter dem unbequemen Bewußtsein, daß die Leute in seiner Person auch eine nicht lobenswerthe Vergangenheit sähen, benahm er sich bescheiden, still und gleichgültig. Er bewies in dieser Beziehung sogar ziemlich viel Takt. Er huschte, ohne die Leute viel zu belästigen, so an den Wänden hin wie ein Schatten, den man mit Gewalt berufen, der aber Niemandem Böses will und sich 179 sehnt, vorüberzugehen. Mit seinem blassen Gesicht, seinen glatten schwarzen Haaren und seinen leichtsinnigen düsteren Augen stand er sein Stündchen ab und empfahl sich, sobald es anging.

»Als ich eines Abends meine Carlotta nach einem Walzer in sehr eifrigem Gespräche mit diesem Herrn traf, ging mir eine schlimme Ahnung wie ein Stich durch's Herz. Ich schützte Unwohlsein vor und verließ den Ball mit meinen Töchtern sofort. ›Wie hast Du Dich mit dem kleinen Stock unterhalten?‹ fragt' ich Carlotta möglichst unbefangen schon während des Nachhausefahrens.

»›Ach ganz vortrefflich, Mama!‹

»Es war ein Ton überwallender Innigkeit in diesen Worten, der meine schlimmste Befürchtung zu bestätigen schien. Und als Carlotta, ihrer Schwester dabei die Hände drückend, von freien Stücken fortfuhr: ›Das ist ein reizender Mensch!‹ da platzt' ich heraus: ›Das ist ein abscheulicher Mensch! Ich begreife nicht, wie man solch' einem Auswurf alle Thüren in der Gesellschaft öffnet. Die meinige bleibt ihm verschlossen. Richtet euch darnach!‹

»Ich erschrak über meine eigene Aufregung und biß mir auf die Zunge. Noch nie hatte ich gegen meine Kinder mit solcher Heftigkeit gesprochen. Ich fühlte es, daß diese Worte, dieser Ton einen tiefen Eindruck auf sie machen mußten. Aber ich wollte 180 diesen Eindruck. Ich war damals noch jünger als heute und liebte meine Töchter leidenschaftlich und zärtlich. Mir war der Gedanke unerträglich, daß solch' ein Geschöpf mich um die beste Liebe meiner Carlotta bringen, daß das herrliche Mädchen ihre erste, ihre schönste, vielleicht die einzige Neigung ihres Lebens an einen lüderlichen, hoffnungslosen Burschen wegschenkte, der seine Gefühle durch allen Schmutz gezogen hatte und von seiner Familie als ein Unglück angesehen wurde.

»Ich brachte nach jenem Abend das Gespräch absichtlich öfters auf den kleinen Stock. Carlotta nahm anfangs kräftig seine Partei. Da ich aber immer, wenn es sich um diesen Gesellen handelte, heftiger wurde, als meine Töchter es von mir gewohnt waren, so unterließ es das Kind allmälig, mir zu antworten. Da sie nicht mehr antwortete, was sollt' ich sie quälen mit Fragen und Sticheln. Das konnte das Uebel nur verschlimmern. Sie schwieg denn so vor sich hin.

»Die Beiden sahen sich wohl noch ein und anderes Mal in Gesellschaft, doch konnte ich nicht wieder bemerken, daß sie länger, als man zum Grüßen braucht, mit einander gesprochen hätten.

»Eines Tages erfuhr ich zu meiner nicht geringen Ueberraschung, daß es dem kleinen Stock geglückt wäre, als Lieutenant in das Heer eines 181 Kleinstaates einzutreten. Es mag seiner Familie Mühe genug gekostet haben. Sie war sehr einflußreich. Als bald darauf der Krieg ausbrach, wußten sie es sogar durchzusetzen, daß das Stöckchen in preußische Dienste übertreten durfte. – –

»Er war einer der Ersten, die bei dem ruhmreichen Reiterangriff bei Mars-la-Tour vom Pferde geschossen wurden. Man fand ihn mit zwei Kugeln und einem Lanzenstich in der Brust. So wurde dieß unnütze Leben mit der Glorie des Heldentodes beschlossen.

»Ich hatte lange nicht mehr mit Carlotta über Stock gesprochen. Ich hätte ihr gerne die traurige Nachricht verhehlt. Aber wie wäre das möglich gewesen in jener Zeit! Ich sehe sie noch, wie das Zeitungsblatt in ihrer Hand zu zittern anfängt; wie sie aufschreit und vom Stuhle fällt. Aber auch nachdem sie wieder zu sich gekommen war, erwähnte sie des Gebliebenen mit keinem Worte mehr. Sie hatte schon vorher ein Bischen gekränkelt. Sie wurde auch in der nächsten Folge nicht sichtbar schlimmer. Sie klagte nie. Aber sie magerte zusehends ab. Es ekelte sie vor der gewohnten Nahrung, und wenn ich mich des Nachts an ihr Bette schlich, fand ich sie immer wach. Die Aerzte meinten, sie hätte zu viel getanzt. Sie versprach mir gern, im nächsten Winter gar nicht zu tanzen . . . Im nächsten Winter! . . . 182 Als der nächste Frühling . . . den ersten warmen Sonnenstrahl in's Land schickte . . . da war sie todt . . . ausgegangen wie ein Licht. – –

»Ich begriff nicht, wie das möglich war . . . Ich hatte sie so unsäglich lieb. Ihr Hinscheiden mit dem Tode Stock's in Zusammenhang zu bringen, widerstrebte mir ganz und gar. Ich hätte diesen Einfall, wenn er überhaupt meinem Stolze nahe gekommen wäre, wie eine Narrheit von mir gewiesen, wie einen Frevel gegen Gott.

»Aber ich habe nie wieder so von Herzen lachen können wie vordem.

»Mein einziger Trost war Theodolinde, meine zweite Tochter, das klügste und innigste Geschöpf, das mir je vorgekommen. Wenn nur sie mir bleibt! rief ich zu Gott alle Stunden und hütete das süße Kind wie meinen Augapfel. Es war leicht zu hüten. Linda war so einfach, so vernünftig, so ernsthaft über ihre Jahre und ohne Sinn für Tändeleien und verliebte Scherze, wie sie dem jungen Volk gern die Köpfe verdrehen. Sie hatte Neigung zu ernsten Studien. Ich kam gerne dieser Anlage nach. Die kostbarsten Bücher kauft' ich, die besten Lehrer hielt ich ihr. Berühmte Gelehrte selbst plauderten gern mit meiner Linda und eiferten sie an. Sie ward von ihrem Treiben nicht wie so viele Andere vordringlich, männisch, eckig. Schöner nur ward sie 183 und anmuthiger von Tag zu Tag, und ich nicht müde, sie zu betrachten, zu lieben, zu bewundern.

»In die große Welt gingen wir nicht mehr. Das Trauerjahr hatte uns der Geselligkeit entwöhnt und wir trugen kein Verlangen nach viel Verkehr. Einige befreundete Familien genügten für unsere Bedürfnisse, ein kleiner Kreis intimer Menschen.

»Und doch – –

»Es war ein ausgezeichneter Mensch in diesem Kreise. Kein Jüngling mehr. Ein Mann in Amt und Würde. Ich verschweige seinen Namen, denn er lebt noch und ich habe ihm nicht das Geringste vorzuwerfen. Es war ein Mann, den zum Schwiegersohne zu erhalten, jede brave Frau sich zur Ehre angerechnet hätte. – – Nur schade, es gab schon so eine brave Frau, die dieser Ehre theilhaftig geworden. Der Mann war verheirathet, glücklich verheirathet und hatte Kinder.

»Ihn liebte meine Tochter, mit einer wilden, rasenden Leidenschaft, die kein Heil und keine Frömmigkeit mehr kannte. Sie log kein Falsch vor ihm. Er wußte denn auch um ihre Neigung. Auch sie war ihm nicht gleichgültig. Und er sagt' es ihr. Aber er war ein Ehrenmann und ohne einen Zug von Frivolität. Er durfte später Neigung nicht alte Pflichten opfern. Darum nahm er ihr jede Hoffnung und fand bald einen gesellschaftlichen Grund, aus unserem Kreise wegzubleiben. 184

»Linda hatte keinen besseren Freund als ihre Mutter. Sie vertraute mir Alles an. Tagelang, halbe Nächte lang sprach sie mit mir von ihrer unseligen Liebe, von ihrer Verzweiflung.

»Ich suchte sie zu trösten. ›Man stirbt nicht am gebrochenen Herzen.‹

»Da lachte sie mir wild in's Gesicht und rief: ›Bist Du dessen so sicher, gute Mutter? Nun ich weiß es besser. Die arme Carlotta war ein verschüchtertes Ding, sie schwieg vor Dir . . . aber mit mir sprach sie, wie ihr's um's gebrochene Herz war. Laß die Aerzte plaudern! Lottchen ist an ihrer armseligen Liebe gestorben. Sie sagt' es mir damals voraus, wie ich es Dir heute voraussage, daß mich die unerwiederte Sehnsucht und der Gram um den einzigen Mann umbringen werden. Wir stehen ja gut zusammen, Mutter, Du und ich, wir verhehlen uns nichts. Wozu auch noch? Du wirst mir nicht fluchen um eines redlichen Gefühls willen. Es ist stärker als ich. Es liegt in unserer Natur. Wir sind eine gar zu seltsame Sorte Mädchen. Wir sind von denen, 'welche sterben, wenn sie lieben'.‹«

Die arme Frau von Santalatona konnte nicht weitersprechen. Sie mußte nach Fassung, nach Worten ringen. Mühsam brachte sie's heraus:

»Linda hatte wahr gesagt.

»Kaum zwei Jahre nach dem Heimgang 185 Carlotta's hab' ich die zweite Tochter neben der ersten begraben.«

*

Es war nun ganz still im Zimmer. Die Erzählerin saß da in krampfhaftem Weinen und verhüllte ihr Haupt. Auch Waldemar fand keine Worte. Tief erschüttert von fremdem Geschick, starrte er mit düsteren Blicken vor sich hin. Es war ihm, als säh' er von hohem Bergesgipfel in ein unter ihm tosendes Gewitter, darin die Wolken sich balgten und immer dunkler über einander quollen und immer höher und höher emporstiegen. Schon umwogte der Dampf seine Füße. Noch ein Augenblick und die dunklen, fratzenhaften Wolken wirbelten gegen die Brust, um das Haupt und verschlangen auch ihn.

Frau von Santalatona sah jetzt auf aus ihren Thränen. Von ihrem Antlitz war alle Fassung gewichen. Todesangst sprach aus ihren Blicken. Es gab für sie in dieser Stunde nur noch drei Wesen auf der Welt und nur eines, das sie liebte.

»Herr von Waldenberg,« rief sie, die bebenden Hände wie zum letzten Stoßgebete faltend, und ihre laute Stimme zitterte: »Herr von Waldenberg, ich habe noch eine Tochter!«

Sie sah den Rittmeister an wie ein Verbrecher seinen Richter, von dessen Lippen ihm jetzt Leben oder Tod verkündet werden soll. 186

Waldenberg schwieg.

»O mein Gott!« rief die geängstete Mutter, »wie find' ich Worte, was soll ich noch sagen! Haben Sie denn kein Mitleid? Haben Sie keine Ahnung, was in dem Herzen einer Frau vorgegangen sein muß, was sie fürchtet, was sie leidet, ehe sie Stand und Sitte, Namen, Brauch und Schamgefühl so weit überwindet, sich zu solch' einem Schritt zu erniedrigen, ehe sie einem Manne, einem fremden Manne das sagt, was sie bisher nur Gott im Gebete gesagt, das, was ich Ihnen gesagt habe! . . . Um des Heilands willen, haben Sie mich nicht verstanden?!«

»Ich habe Sie verstanden!« antwortete Waldenberg so gütig in Ton und Gebärde, als es ihm eben möglich war.

Frau von Santalatona biß sich auf die Lippen. Sie suchte nach einem weiteren Wort und zerknitterte rathlos die Spitzen ihres Ueberwurfs. Dann sagte sie leise, da ihr nichts Besseres einfiel:

»Meine Tochter heißt Leonilla.«

Der Rittmeister fand auch kein Wort, er nickte nur mit dem Kopf, als könnt' er nichts dagegen haben, daß ein junges Mädchen auf einen so außerordentlichen Namen getauft worden war. Dabei mocht' er sich nicht verhehlen, daß ihm der Name gefiel. Es war ihm jetzt zu Sinnen, als hätte sich das Gewitter verzogen, als wär' es früher, sonniger 187 Morgen, als säß' er zu Pferde, als hört' er hinter sich ein Fenster klirren und als empfänd' er zum ersten Male Lust, sich umzuwenden, wer das sei.

»Haben Sie meine Tochter nie gesehen?« fragte Theodora mit leiser Stimme.

»Niemals, Frau Baronin.«

»Haben auch nie von ihr gehört?«

»So viel wie nichts . . . doch ja, man sagte, glaub' ich, daß sie achtzehn Jahre zähle.«

»Neunzehn, Herr Rittmeister.«

». . . Und sehr schön sei.«

»Man hat Sie nicht belogen.«

Wieder trat eine Pause ein. Die geängstigte Mutter wagte dann einen letzten Versuch und sagte ganz leise:

»Wollen Sie uns nicht einmal besuchen?«

Der Rittmeister faßte die Frau ernsthaft in's Auge. Ihr Angesicht hatte so rührenden Ausdruck und leise erhoben sich, wenn auch nur ganz wenig, die im Schooß gefalteten Hände, als wäre die Frage denn doch eine Bitte.

»Ich werde mir die Ehre geben, Frau Baronin,« erwiederte Waldemar, und da Theodora aussah wie eine Frau, die so höflich gefügten Worten keinen Glauben schenken mag, so setzte er mit lauter Stimme hinzu: »Gewiß, das werd' ich, gnädige Frau. Sie können sich darauf verlassen.« 188

Theodora versuchte sich die Augen zu trocknen. Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie dem Rittmeister in überwallender Dankbarkeit die Hand küssen.

Dieser sprang auf und redete ihr zu, sich zu fassen und zu beruhigen.

»Gestatten Sie mir noch ein Weilchen zu bleiben, Herr von Waldenberg. Ich mag nicht so verweint auf die Straße. Meine Diener sollen nicht merken, daß es sich hier um andere Dinge als Kaufgeschäfte und derlei Lumpereien, die diese Leute begreifen, gehandelt habe.«

»Schicken wir den Wagen fort, ich begleite Sie nach Ihrem Hause,« versetzte der Offizier.

»Nein, das würde Leonilla stutzig machen und vielleicht Alles verderben. Sie darf nie erfahren, was für einen Schritt ihre Mutter gethan hat, nie erfahren, daß ich die erste Veranlassung gegeben habe zu Ihrem Besuche. Das könnte sie tödten.«

»Jenun, aber unter welchem Vorwande soll ich Ihnen denn mit der Thür in's Haus fallen? . . . Wollen wir uns in einem dritten Salon begegnen?«

»Leonilla würde an meiner Aufregung die Veranstaltung merken. Das geht nicht . . . Sinnen Sie was Anderes aus. Sie sind wahrlich ein guter Mensch, Herr von Waldenberg!«

»Wie wär's, mit dem Häuschen hier . . .« 189

»Das ich verkaufen will . . .«

»Und das wir nicht verkauft haben wollen!«

»Triumph, das geht! Aber was werden Sie sagen?«

»Die Wahrheit. Daß mich Vater Bolle und Vater . . .« Waldemar stockte ein wenig, bis er den Vater Hunzelsperger mit seinem Namen ergänzte. Dann fuhr er mit gemindertem Eifer fort: »daß mich meine Hausgenossen gebeten haben, Ihnen, Frau Baronin, Vorstellungen gegen den Verkauf des braven Häuschens zu machen und daß mir die Hoffnung, so drohende Projekte vereiteln zu können, die Kühnheit eingeflößt, mich Ihnen in ganzer Person zu präsentiren.«

»Darf ich Ihnen dann um den Hals fallen?«

»Beileibe nicht, Frau Baronin, Sie würden auch dadurch den Verdacht Ihrer Tochter erregen – und vielleicht ganz ungerechtfertigten Verdacht.«

»Ei, Sie können auch boshaft sein!«

Waldenberg verbeugte sich und lächelte.

»Noch ein Wort, Herr Baron,« sagte Frau von Santalatona. »Aber die Hand auf's Herz. Ein Ehrenwort! Ist diese Hand und dieses Herz noch frei? – vollkommen frei?«

»Ja wohl, Frau Baronin. Aber – ich darf es nicht verhehlen: Hand und Herz wünschen auch, frei zu bleiben.« 190

Theodora schloß für einen Moment die Augen. Dann schüttelte sie den lästigen Gedanken ab und klammerte sich an die Hoffnung, die ihr aufgegangen. »Kommen Sie nur erst und lernen sie kennen! . . . Genug für heute! . . . Auf Wiedersehen also und . . . bald!« 191

 


 


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