Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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III.

Seit jenem bösen Abend gaben sich Waldemar und Leonilla auch jenen flüchtigen, spitzigen Kuß nicht mehr, mit dem sie sich sonst »Gute Nacht« zu wünschen pflegten.

Die Hausfrau ward des Abends nicht mehr außerhalb ihrer Stube gesehen. Wenn man sie fragte, versicherte sie, mit den Hühnern zu Bette zu gehen, und daß ihr diese neue Lebensweise gar wohl bekomme.

Sie war sehr stille. Sie machte dabei den Eindruck eines Kindes, das Schläge verdient hat und sich vor der Strafe desto mehr fürchtet, je länger diese ausbleibt.

Herr von Waldenberg kam nie früher heim, als er mußte. Der Frühling ließ sich herrlich an und der Landwirth hatte die Hände voll zu thun.

Es wurde schon empfindlich warm. Doch noch lange nicht so warm, daß sich Waldemar hätte des abendlichen Grogs entschlagen mögen. 107

Der war ihm zur Gewohnheit geworden.

Und warum nicht. An den langen, frostigen, einsamen Abenden war doch Trost im warmen Glase gefunden worden.

Irgend einen Trost braucht der müde Mensch.

Bettina hatte sich lange geweigert, wieder an den Tisch des einsamen Zechers zu kommen.

Es schien, als hätte Leonilla's finstere Begegnung, ihr Argwohn und das Wort der Eifersucht alle muthwilligen, alle frohen Gedanken aus des Mädchens Busen hinweggeschreckt, als bereute sie jedes unbedachte Wort, als verwünschte sie jedes zartere Gefühl, als fürchtete sie, durch der Wimper höheren Aufschlag im Auge zu verrathen, was ihre Seele dachte.

Es schien so.

In der That und Wahrheit fühlte sie seit jenem Abende jedes Band der Freundschaft oder Dankbarkeit, das sie an Waldemar's Gattin gefesselt, für immer entzwei gerissen. Sie war nicht darnach geartet, Haß, offenbaren, ungerechten Haß mit Hingebung zu vergelten. Sie war des Glaubens, daß auch Waldemar diesem Weibe nicht mehr schuldig war, als sie dieser Herrin. Sie gestand sich vor dem eigenen Spiegel ihre glühende Liebe zu dem Mann. Es focht sie wenig an, daß das Gesicht im Spiegel ihr zu antworten schien, diese Liebe sei verbrecherisch und unselig. Und sie schwor sich zu, 108 daß Jener ihre Liebe nicht mit geringerem Maß erwiedern sollte.

Er war bald auf dem besten Wege dazu.

In der Liebe war auch Trost und ein besserer Trost als in allen Flaschen, die aus Westindien kamen.

Allmälig hatte sich Bettina wieder erbitten lassen, an Waldemar's Tische zu verweilen, und obschon sie auch noch immer keinen Stuhl an seiner Seite nahm, sie harrte doch stundenlang bei ihm aus, plaudernd als sein holder, gutgelaunter Mundschenk.

Sie wußte wohl, daß sie ihn annoch nur mühsam im Zaume hielt. Sie wußte wohl, daß es nur von einem Lächeln ihrer Augen und einer lustigen Stunde abhing, daß der Mann vergäße, was etwa noch zu bedenken wäre. Sie wußte noch aus der Bibel, daß umkommt, wer sich mit Willen in Gefahr begibt.

Sie sah die Gefahr, sie fühlte sie, sie griff nach ihr mit frevlerischer Hand, und glaubte doch nicht, daß es Gefahr sei.

Wenn sie des Abends stundenlang bei Waldemar stand und das Blut in ihren Ohren zu summen anfing, daß Einer des Andern Worte wohl noch hörte, doch nicht mehr verstand, wenn seine Antwort darnach ausfiel und Beide merkten, daß sie an Anderes dachten, als ihre Lippen redeten, und sie dann lange schwiegen und Waldemar nach Bettinens 109 Hand haschte, sie hielt, bis das Mädchen sich besann, sich losriß und Jedes wieder etwas sagte, wovon das Herz nichts wußte, das erste beste dumme Wort, was ihm auf die Zunge fiel, nur damit etwas gesagt und das Ohr betrogen werde, als sei es nicht ihr eigenes Ohr, . . . Eines hörten sie bei alledem doch, ob sie schwiegen oder thöricht redeten: den Pendel an der alten Uhr.

Je wilder ihr Blut aufwallte, je weniger sie Einer auf des Andern Worte achteten, desto heftiger schien der Pendel zu schlagen. Oft war's Bettinen, als schlüg' er mit Hammers Gewalt in ihrem eigenen Herzen. Dann horchte sie ängstlich, fast andächtig auf ihn. Es kam ihr ein, die Sekunden zählen zu wollen. Auf einmal wußte das Mädchen auch, daß seine Tage gezählt seien. Und im nächsten Augenblicke doch, die Haare in den Nacken schüttelnd, schrill auflachend, griff sie nach dem Glase und glaubte nicht mehr an Gefahr.

Eines wußten sie, Leonilla würde sie nicht wieder überraschen. Und doch dachten sie manchmal an sie und sprachen dann leiser eine Weile.

Leonilla schlief, während sie unten lachten. Nicht um eine Welt, nicht um Waldemar's Liebe wäre sie noch einmal so hinab gegangen wie damals.

Sie sah voraus. Sie glaubte sich um Monate älter. Sie glaubte Alles längst geschehen, was Jene noch sich versagten. Sie glaubte, selbst die Beiden 110 einander in die Arme geworfen zu haben, und sie wünschte sich den Tod.

Sie wünschte sich den Tod und glaubte, daß er bald kommen würde, die Stube der Hausfrau leer und den Herrn von Waldenberg zum Wittwer zu machen.

Früh vor Tage schon war sie immer wach und saß am offenen Fenster in der hohen Stube. Aus den Waldwipfeln blinkte der erste Strahl der aufgehenden Sonne, derweil drunten im Thal noch in der Dämmerung leichte Nebel schwammen. Und je lichter es wurde, desto weiter spähte sie um sich, über Felder, über Straßen, ob sie den Tod nicht kommen sähe, der aufräumen wollte mit ihrem Herzeleid.

Aber wer über's Land kam, war gar nicht der Tod, sondern der Mai mit seiner grünen Wonne. Die Natur lachte ringsum, da Leonilla weinte.

Was half das Weinen mehr? Sie wußte, daß Thränen nichts gut machen konnten. Hin war hin! Sie trocknete die Augen und spähte wieder über Straßen und Feld.

Die Arbeiter zogen über die Schollen. Man trieb Thiere, man schwang Geräth. Eine Postkutsche rückte langsam auf der Straße zwischen den Feldern fort. Drüben am Walde hinter dem Hügel huschte, wie der wallende Federbusch eines gigantischen Reiters, der Dampf der Eisenbahn hin, deren Wagen man nicht sehen konnte. 111

Sie sah wie der Wald immer grüner, die Welt immer schöner und ihr Herz immer ärmer wurde. Und doch war Trost in der Wehmuth, welche die verjüngte Natur ausathmete. Die frische Kraft von Wald und Flur sandte den wonnigen Hauch bis in ihre hohe Kammer hinauf, bis in ihr armes Herz.

Sie ging wohl in den Garten hinab und schlich im Hause herum – nur damit man sie sehe und zufrieden lasse, nicht wie die Hausfrau, die zu walten und zu schalten kommt.

Der Ehrgeiz war auch dahin.

Droben an ihrem Fenster, wo ein altes Schwalbennest leerhing und man hinausschaute in die blühende Natur, die aus dieser Ferne stumm und nur von Vogelsang überschwebt schien – dort droben war ihr am wohlsten. Dort war ihr manchmal wirklich wohl.

Sie hatte ja nichts mehr zu verlieren. Sie hoffte: bald, bald wird ihre Seele bei Lerchensang und Amselschlag unterm Himmel hinfliegen, wie dort das Wölkchen zerflattert, das auch nichts davon weiß, daß ein Blitz in ihm sich entladen hat und daß Menschen unter ihm Böses thun. Sie wollte keinen Herbst und ja gewiß keinen Winter mehr erleben. Sie fürchtete, wenn der Frühling seinen besten Zauber erst verweht hätte und der Sommer über Dünsten brütete, dann kämen auch ihr wieder heißere, quälende Gedanken. Sie wollte keine mehr! 112

Nur der Mai wirkt Wunder.

Sie wollte sie ausgenießen diese Wunder in Natur und Gemüth und sterben. Oben in ihrem Fenster, den Kopf am Rahmen, die Hände auf dem Herzen, den letzten Blick über des Waldes nickende Wipfel, beim Amselschlag, im Abendroth – so wäre sie am liebsten gestorben. So lebte sie noch am liebsten.

Wenn sie die letzten Gänge durch Garten und Haus nothgedrungen noch einmal gemacht und Genossen und Gesinde guten Abend geboten hatte, flog sie nur so die Treppen empor, um der Sonne Lebewohl zu sagen, die langsam gegen den Wald sich neigte – das waren ihre besten Stunden.

Sie löste das Haar. Der Wind spielte mit der rothbraunen flatternden Herrlichkeit. Sie zog langsam den Kamm durch die Wellen, warf ihn beiseite nach gethaner Arbeit und ließ den reichen Schmuck des blassen Angesichts frei um die Schultern wallen.

Den Kopf zurückgelehnt, die Hände um's Knie gefaltet, sah sie über die Straßen und dachte, wie lange des Wonnemonds Leben noch dauern konnte. Der Kalender an der Wand sagte, daß er gerade Mitte Wegs gediehen sei. Noch einmal fünfzehn Tage, dann war er hin. Leonilla seufzte darum, als gält' es ihr eigenes Dasein.

Die Luft war so rein heute. Die fernsten Dinge 113 zeichneten sich klar und scharf umrissen aus, als könnte man sie sich mit längerem Arm aus dem Fenster greifen. Drüben am Walde, weit unter den Bäumen, sah Leonilla zwei Wanderburschen Rast halten. So weit an die Stelle hin war, ein gutes Auge sah sie doch.

Der Eine lag in's Moos gestreckt, der Andere ging vor Jenem hin und her, einer Schildwache vergleichbar. Der Eine schien müde vom Wandern zu sein oder es doch nicht eilig zu haben. Der Andere schien ungeduldig auf die Sekunde zu lauern, da sein Kumpan sich erheben möchte. Dem aber waren seine Gedanken lieber als vorzeitiger Aufbruch und er verweilte, dem Zuruf der Ungeduld zum Trotz, den der Andere wohl nicht sparen mochte.

Leonilla mußte denken, der behäbige Mann auf dem Moos sähe wohl nach ihres Hauses Thürmchen und Dach, die sich, vom Waldesrand betrachtet, jetzt gar wundersam ausnehmen mußten.

Leonilla erinnerte sich, selbst das Haus von jener Stelle zu solcher Zeit des Sonnenuntergangs betrachtet zu haben. Die Schau war freilich Verweilens werth. Der behäbige Mann im Moose hatte recht. Was konnte des Genossen Ungeduld ihm für diese köstlichen Minuten bieten? Leonilla's Freuden lebten lange schon im Auge nur. Es war ihr, als fühlte dieser ferne Mensch mit ihr.

Da war die Sonne hinter dem Wald. Noch 114 einmal schlugen die Vögel Lärm und still war's hier droben über Gottes schöner Maienwelt.

Dennoch sah Leonilla, wie der liegende Mann aus dem Gras aufsprang, wie sich die Beiden zu gehen anschickten und wie der Eine kleiner war als der Andere. Der Ungeduldige, der voraus schritt, war der größere.

Sie schaute noch eine Weile den wandernden Punkten zu, die immer tiefer in's Thal, in die Dämmerung herabstiegen und immer undeutlicher wurden und endlich in unbestimmten Farben, die über der Tiefe wie Streifen aufzogen, Einer nach dem Andern verschwanden.

Ein herber Wind strich in die offenen Fenster.

Von drunten klang eine frische Menschenstimme. Nur ein paar Takte eines heiteren Liedes, dann riß es ab und blieb still. Die Einsame auf dem Erker wußte wohl, das war Bettina, die sich vergaß und sich besann. Die Geschäftige, die Nützliche, die Einzige, die singen und reden und schweigen konnte, wann und wie sie wollte.

Leonilla warf das Fenster zu.

Die Dämmerung wob ihre Schleier nun auch um ihr hohes Gemach. Wald und Straße lagen längst im Dunkel. 115

 


 


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