Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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VII.

Mitternacht war vorüber.

Orlando's verlassenes Kind saß noch immer bei der Lampe vor dem Schreibtisch. Es fand ein grausames Vergnügen daran, in dem verfluchten Golde zu wühlen. Sie hatte es über hundert Mal gezählt und zählte es wieder. Ja, ja, jetzt fehlte kein Stücklein mehr an der Vollzahl. Und endlich nun, da ihr die brennenden Augen aller Aufregung zum Trotze zu versagen drohten, da sie sich so ermattet, so jämmerlich fühlte, daß sie jede nächste Minute vom Stuhl zu sinken fürchtete, – jetzt nahm sie ein Blatt Papier, rollte die Goldstücke zusammen und verklebte es mit so viel Siegeln, als auf dem dünnen Stänglein nur Platz hatten.

Kein Stück konnte mehr davon, eh' Einer diese Siegel brach. Sie hatte ihre Schande, ihr Unglück klein beisammen, sie konnte es ganz in die Hand fassen und mit sich tragen.

Sie trug's zu ihrem Bette. Kaum daß sie sich 163 zur Hälfte entkleidet hatte, fiel sie hin, stöhnte auf, warf die Arme über sich und lag in dumpfem, tiefem Schlaf wie in einer Ohnmacht.

Sie erwachte früh. Sie brauchte sich nicht zu besinnen, was Alles seit gestern hier vorgegangen. Es war, als hätte der letzte Gedanke, mit dem sie entschlafen, unabgelöst vor ihrem Bette Wache gehalten, um sie, sobald die Augen sich öffneten, wieder mit seinem ganzen Entsetzen zu überfallen.

Aber nun war's mit der Gedankenspielerei zu Ende.

Sie versäumte sich keinen Augenblick. Sie fegte die ganze Wohnung aus, wischte von allen Möbeln den Staub und, nachdem sie darauf ein paar Stunden verwendet hatte, wusch sie sich, kämmte und kleidete sich in ihren bescheidenen Staat mit aller Sorgfalt, als ging's geradenwegs zum Fest oder in die Kirche.

Dann steckte sie den Schlüssel innerhalb in die Thüre ihrer Wohnung und warf von draußen die Thüre zu.

Einen Augenblick verweilte sie noch vor Bolle's Thür. Es zuckte die Hand nach der Klingel und fiel trostlos zurück. Ihr Auge schimmerte, aber es kam keine Thräne daraus. Sie biß die Lippen zusammen. Und also stürzte sie fort.

Die Luft that ihr wohl. Sie ging langsam. Sie war lange nicht mehr am Morgen auf der Straße 164 gewesen. Sie konnte sich gar nicht recht besinnen, wie lange!

Wußte sie denn, wohin sie wollte. O, wohl wußte sie's und ging den geraden Weg, ob sie auch geflissentlich nicht daran dachte, sondern sich mit ihren Gedanken an Sonnenschein und Himmelblau und Vogelsang hielt und an Alles, was sonst im Vorübergehen ihre Sinne berührte und ihr sagte, wie schön der Frühling und das Leben sei.

Als sie endlich vor Naphtali Hertzens Hause stand, verhielt sie's wider Willen. Der Frühling that ihr's an. Sie wäre gern noch einmal umgekehrt, um noch einmal eine solche halbe Stunde in andächtigem Selbstvergessen zu verleben. Umsonst. Sie fühlte wohl, daß es auch damit aus war.

Sie schluckte Wunsch und Abscheu hinunter und zog mit entschlossener Hand die elegante Klingel vor der eleganten Thüre.

Sie hatte Entschiedenheit genug, dem Pförtner, der ihr öffnete, mit gelassener Stimme den Namen Dessen zu nennen, dem ihr Besuch galt.

»Belieben Sie eine Treppe zu steigen, mein Fräulein,« versetzte der Thürhüter. »Herr Hertz dürfte just gefrühstückt haben und wird zu sprechen sein.«

Der Mann war sehr höflich. Bettina merkte, wie er ihr mit naiver Bewunderung, mit einer Art 165 von Anerkennung nachsah, während sie die Treppe hinaufstieg. Das frische Gesicht, die schlanke Gestalt gefiel ihm; der treue Diener war dießmal offenbar mit dem neuesten Geschmack seines Herrn zufrieden.

Es kostete auch droben keine Mühe, bei Naphtali vorgelassen zu werden. Selbst wenn Bettina ihrem Vorhaben Verzögerung gewünscht hätte, man öffnete ihr alle Thüren sperrangelweit und verneigte sich noch dabei, als brächte sie Ehren und Gnaden mit.

Da stand sie auf der Schwelle des in der ganzen Stadt berühmten Junggesellenzimmers und sah den glücklichen Naphtali in seinem kleinen Museum sitzen.

Mit einem Aufschrei des Entzückens sprang der so angenehm Ueberraschte aus dem Stuhl empor und eilte ihr entgegen.

Aber ihr Gesicht, ihre ausgestreckte Hand, ihr Wort verzögerte seinen Gang in Mitte.

»Einen Augenblick Geduld!« rief ihm Bettina mit der volltönenden Gewalt ihrer Stimme zu.

Dann bückte sie sich ein wenig, legte das schlanke, zehnfach versiegelte Röllchen auf den Teppich über der Schwelle und gab ihm einen Stoß mit dem Fuße, daß es weithin in's Zimmer rollte.

»Sie haben das gestern in meines Vaters Hause vergessen, Herr Hertz. Da ich Niemand zu meiner Verfügung hatte, der sich der Mühe unterzöge, Ihnen dieß gleich heute früh und mit voller Sicherheit 166 zurückzustellen, so mußt' ich mich in Gottes Namen selbst entschließen, es Ihnen zu bringen. – Bleiben Sie, wo Sie stehen! Kommen Sie mir nicht näher! – Ich hätte freilich Vater Bolle bitten können, mir und Ihnen diesen Liebesdienst zu erweisen, aber ich mußte fürchten, daß er Ihnen dabei alle Knochen im Leibe entzwei schlüge. Und das hätte ein so mitleidiger Wohlthäter wie Sie denn doch nicht verdient. Gott befohlen!«

Die Erinnerung an den alten Këyxspieler und die wahrscheinliche Aktion, mit welcher dieser den eben empfangenen Auftrag bestellt haben würde, trug in der That dazu bei, den erhitzten Naphtali in seinem verliebten Anlauf zu hemmen. Wie gebannt blieb er vor dem wuthblickenden Mädchen stehen und also ließ er es auch unaufgehalten ziehen. Sie hätte gar nicht nöthig gehabt, in solcher Eile davonzulaufen.

»Ei was Tausend, schon wieder zurück!« sagte der Thürhüter, der sie laufen sah. Der weltgewandte Wächter mußte lächeln. Aber dießmal war es kein Lächeln der Zufriedenheit mit seinem Herrn, der solchen Paradiesvogel wohl zu locken, aber nicht zu fangen verstand.

Der allzu bequeme Vogelsteller saß zur selben Zeit halbzufrieden wieder in seinem Stuhl und that in wenigen Minuten, wozu Bettina die halbe Nacht gebraucht. Er überzählte mit technischem Geschick die 167 Summe kleingemünzten Goldes und überzeugte sich, daß die Summe voll.

Dann schloß er's beiseit' und sagte, den Kopf des erfahrenen Mannes schüttelnd: »Scena ed aria?! . . . Und gleich beim Entrée . . . und mit der künstlerischen Verve?! . . . Dann schon lieber nicht!«

Klingelte seinem Diener, ließ sich Kleider und Stiefel anziehen und gähnte. 168

 


 


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