Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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XV.

Ein Unglück kommt selten allein und die Häuser wie die Menschen haben wunderliche Schicksale. Bei Frau von Santalatona war nun freilich keine Rede mehr davon, das wackere Häuslein, darin ihr zukünftiger Schwiegersohn wohnte, umzubauen oder zu verkaufen. Und doch schien es am Tage nach Waldemar's Verlobung, als hätte die Vorsehung beschlossen, die langjährige Fröhlichkeit und das behagliche Zusammensein jener wackeren Menschen, die im lustigsten Winkel der stillen Gartenstraße hausten, auf einmal zu zerstören.

Einer nach dem Andern kriegte sein Theil Mißgeschick aufgesackt und hatte daran zu schleppen.

Freilich, es waren widerstandskräftige Menschen und man brauchte nicht zu fürchten, daß sie gleich unter ihrer Last zusammenbrechen würden. Aber man sah ihnen doch an, daß ihnen diese Last schwerer wurde als sonst, und die alte gemüthliche Wirthschaft krachte in allen ihren Fugen. 281

Es wollte just Abend werden. Da dachte Waldemar, ehe er sich anschickte, zu seiner Braut hinüberzugehen: Du sollst doch noch dem guten Bolle die neue Mär sagen, damit er wisse, was mit seinem langjährigen Hausgenossen sich für Veränderung zugetragen habe, und sich bei Zeiten darauf einrichte, meine Wohnung an einen würdigen Nachfolger zu vergeben. Bis zum Herbste hat's freilich damit noch Zeit. Aber soll er meine Verlobung von Anderen erfahren? Das würde leicht, trotz ihres siebenfachen Lederüberzugs, diese Künstlerseele kränken.

Waldemar hatte Recht. Auch der Panzer dieses Helden hatte seine Lücken.

Durch eine dieser Lücken war er gerade heute schwer getroffen worden.

Waldemar mußte lange nach dem Hausvater suchen. Endlich fand er ihn auf der Giebelhöhe in einer Dachkammer. Hier hatte sich der Brave die Werkstatt eingerichtet, um seinen Miethsleuten mit dem unerläßlichen Lärmen so wenig als möglich beschwerlich zu fallen. In dem engen Raume war nicht eben viel zu sehen. An der Langwand befand sich eine Drehbank, darüber hingen Sägen, Zangen, Hämmer, Bohrer, Ahlen, Hobel und andere Werkzeuge. Eine Lithographie ohne Rahmen, mit derben Stiften an die Wand geheftet und von mancher Sommerfliege betupft, zeigte Bolle den Tenoristen, 282 wie er vordem gewesen. An einem Nagel im Winkel hing auch eine alte Guitarre mit verschossenem Bande, und unter ihr ein welker, staubzerfressener Lorbeerkranz, sein einziger, den man ihm irgend einmal irgendwo in der Provinz geworfen hatte.

Bolle hockte auf einem dreibeinigen Schemel dicht an der Dachluke, deren in Blei gefaßtes Scheibchenfenster weit offen stand. Während es auf der Straße nicht mehr ganz lichter Tag war, flog ein letzter Sonnenschimmer noch die schräge Wand entlang an die weißgetünchte Decke und leuchtete von Oben auf das ergraute Haupt und den mächtigen, nach vorn gebeugten Nacken zurück, der aus dem offenen Hemde hervorsah.

Zwischen den Knieen hielt er einen alten Schuh, auf dessen neugelbe Sohle seine gewaltige Rechte Schlag um Schlag aus ehrbarem Hammer fallen ließ.

Dazu sang er mit halber Stimme die berühmte Arie des Gluck'schen Achilles, bei deren berauschenden Tönen einst die begeisterten Offiziere des Königs von Frankreich mitten im Theater unwillkürlich ihre Degen gezogen hatten.

Auch Bolle hatte dereinst mit dieser Arie des Peliden Thränen und Beifall geerntet. Die Leute hatten Thränen gelacht, daß der göttliche Heros im Zorne solch' ein lächelndes Gesicht schneiden mochte. Aber der Beifall war ehrlich gewesen. Das war 283 lange, lange her. Leise klirrten in der Zugluft des Abends die starrgetrockneten Blätter des verstaubten Kranzes in der Ecke. Wie ändern sich die Zeiten! Aber noch immer, wenn er zornig war und das sonst allzu ruhig fließende Künstlerblut in ihm einmal heftig aufwallte, sang er die Heldenweise vor sich hin, sich zum Trost und zur Beruhigung.

So auch heute. Fast feierlich war es anzuhören, wie er treu dem anapästischen Rhythmus der Gluck'schen Begleitung in knapp abgemessenem Dreischlag die blanken Nägel in die Sohle hämmerte und dazu sein Lied über's Dach schallen ließ.

Erstaunt sah der Sänger auf, als der unerwartete Besuch in seine weltabgeschiedene Werkstatt trat. Er machte einen Augenblick Miene, den Hammer beiseite zu legen – es war ein Ausbeugen des Arms nach rechts, das man nach der Heftigkeit, besonders wenn man dabei seine Augen funkeln sah, eher für den nächsten Versuch hätte halten können, dem Störenfried das Werkzeug an den Kopf zu werfen. Er besann sich aber gleich, entschuldigte sich, weil er noch vor Dunkelheit mit dem Nageln fertig werden möchte, und weiter klang der anapästische Hammerschlag, während er sich mit seinem Hausgenossen besprach.

Als dieser ihm bekannt machte, daß er nicht nur das Miethsverhältniß Bolle's zur Frau von Santalatona im alten Bestande gesichert, sondern sich noch 284 überdieß mit der Tochter der Hauseigenthümerin verlobt habe, da hielt Jener im Hämmern einen Augenblick inne und sah den Rittmeister lächelnd an. Aber es war kein Lächeln der Gemüthlichkeit, sondern jene zugespitzte Grimasse, wenn der Tenorist eben sehr ernsthaft aussehen wollte. Und er sprach:

»Ich danke bestens, Herr Rittmeister, für Mühewaltung und Mittheilung, aber ich kann mich nicht darüber freuen.«

»Warum nicht?« versetzte der gutmüthige Waldenberg.

Und ohne sich im heftigen Klopfen nunmehr zu unterbrechen, fuhr Bolle fort: »Ich weiß nicht, ob ich das Haus werde behalten können. Mir scheint, man will mich pensioniren. Ich habe da so ein Anzeichen für diese Vermuthung. Da!«

Er hatte im Nu ein Heftchen aus seiner Tasche gezogen und es mitten in die Stube auf den Fußboden geschleudert.

Es war offenbar eine neue Rolle und eine sehr geringe. Denn der Abendwind, der durch's Fenster strich und sich Mühe gab, die Blätter des Heftchens umzudrehen, zeigte kaum Schrift.

»Die Pferde sind gesattelt?« fragte Waldemar den Erzürnten.

»Nicht viel mehr,« antwortete Jener, »und doch nennt man's einen Shakespeare'schen Charakterkopf.« 285

»Zum Beispiel?«

»Der Todtengräber im ›Hamlet‹!« rief der Entrüstete, mit ausgestrecktem Hammer verächtlich nach dem Heft am Boden deutend.

»Nun und das wäre keine gute Rolle, Bolle?«

»Ja – wenn's der erste Todtengräber wäre, aber es ist nur der zweite!« Heftiger klangen die Anapäste auf der mürben Sohle.

»Deßhalb bleiben Sie doch eines der brauchbarsten Mitglieder unseres Theaters,« tröstete Waldemar. »Man kann Sie nicht entbehren, nicht ersetzen.«

»Mag sein,« antwortete Bolle. »Aber daß man den braven Hunzelsperger als regens chori entbehren kann und ersetzen wird, das weiß ich gewiß. Ich hatte wenig Mühe, heute die Hiobspost herauszuschnüffeln.«

Hatte Waldemar bislang nicht umhin gekonnt, über Bolle's Aerger ein wenig zu lächeln, so sah er jetzt doch ernstlich betroffen aus.

»Hat denn unser Orlando über dem Durste den Dienst vernachlässigt oder was hat er sonst verbrochen?«

»Nichts! Wenn es nicht etwa schon ein Verbrechen ist, für Anderes zu schwärmen, als hoch oben Mode ist. Am Tag ist Hunzelsperger so nüchtern wie Sie und ich. Erst wenn die Sonne untergegangen, wird er durstig. Nie hat er im Dienst 286 auch nur die geringste Störung verursacht. Dafür nimmt er's zu ernst mit Beruf und Pflicht. Musik ist ihm heilig. Freilich nicht jede Musik. Und darum fällt er, ein Opfer der neuen Richtung. Wir brauchen Einen, der mit der unendlichen Melodie durch allen Mist geht. Hunzelsperger ist alt und kann nicht mehr anderswo sein Brod suchen, er dient dem Hause dreißig Jahre und ist ein Fachmann, ein Künstler von echtem Schrot und Korn. Aber was thut das? Er hält Mozart für ein dramatisches Genie und Gluck für unübertrefflich, gebt dem zopfigen Narren einen Tritt! Man lauert nur auf die beste Gelegenheit, ihm solchen zu versetzen. In seinem gestrigen Unfall wird man diese Gelegenheit finden . . .«

»Von was für einem Unfall reden Sie?«

»Haben Sie denn nichts gehört? . . . Ach so, Sie leben jetzt in jenem Himmel, wo bekanntlich die Ehen geschlossen werden. Auf solcher Höhe übersieht man leicht, was zunächst auf der Erde vorgeht . . . Nun denn, unser armer Freund muß gestern Nacht – der Kukuk weiß, warum – noch mehr als gewöhnlich getrunken haben. Denn es scheint, er ward früher schläfrig, als er zu unserer Hausschwelle kam. Thatsache ist: er wurde von einem schnell und unbedacht durch die Finsterniß rollenden Wagen überfahren.«

»Und ist er schwer verwundet?«

»Das eben nicht . . . Er brachte eine klaffende 287 Wunde am Kopf mit nach Hause. Gott sei Dank, sie ist nicht gefährlich. Auch der linke Fuß ist aufgeschürft. Er wird trotzdem in etlichen Tagen nach wie vor jedes Pedal treten können. Aber sein froher Sinn, die Heiterkeit seiner Seele ist zum Teufel! Er zittert in Einem fort. Der Schrecken hat ihn seit gestern auf's Merkwürdigste gealtert. Und ein schlimmeres Uebel als ein gebrochenes Bein ist ein gebrochener Muth.«

»Der arme Mensch!« rief Waldemar, von dem Ambos, auf den er sich gesetzt, aufspringend. »Ich will doch gleich zu ihm!«

»Wenn Sie meinen!« brummte der alte Tenorist und zuckte die breiten Schultern, als wollt' er hinzusetzen: Ich kann Sie daran nicht hindern!

»Ich habe Ihnen noch gar nicht zu Ihrer Verlobung gratulirt,« fuhr er dann fort, als Waldemar schon nach der Klinke griff. »Ich bin ein ehrlicher Kerl, ich gestehe. daß es mir schwer wird.«

»Und warum das?« fragte Waldemar verwundert.

»Ich ärgere mich darüber, daß Sie nun reich werden.«

»Reich? . . . Und wenn auch, ich bleibe unter allen Umständen der Nämliche!«

»Wer bleibt sich denn gleich! . . . Indessen will ich ja damit nicht gesagt haben, daß Sie an Tüchtigkeit, wohl aber, daß Sie an Zufriedenheit einbüßen werden. 288 Gehen Sie mir! Reichthum macht nicht glücklich. Und warum mußten Sie sich verändern? Was entbehrten Sie in Ihrer gemüthlichen Existenz? Ich habe Sie nie ohne geheime Freude ansehen können, und nun . . . Aber verzeihen Sie mir, Herr Rittmeister, ich habe heute so meinen dummen Tag und weiß nicht recht, was ich rede. Wie komm' ich, alter Narr, dazu, Ihr Thun und Lassen zu bekritteln! Ich bitte Sie nochmals um Vergebung. Und glauben Sie, daß ich Ihnen jetzt und jederzeit Glück wünsche, so viel nur ein Menschenherz fassen kann.«

Der Tenorist war in seiner plötzlichen Erregung vom Schemel aufgesprungen und schüttelte mit derber Treuherzigkeit des Rittmeisters Hand. Da aber Dieser den Eindruck der ersten Worte Bolle's nicht sogleich verwinden konnte und deßhalb wohl nicht so freundlich auf die plötzliche Wandlung antwortete, so zog sich der Andere flugs auf seinen Schemel zurück und griff wieder nach Hammer und Schuh.

»Guten Abend, lieber Bolle. Ich will nach unserem Kranken sehen.«

»Ja, ja! . . . Aber seien Sie behutsam, Herr Rittmeister. Und wenn er eben schlafen sollte, so wecken Sie ihn nicht. Der Schlummer ist jetzt sein bester Arzt.«

Waldenberg ließ den brummigen Hausvater allein. Auf der steilen Dachtreppe war es stockfinster. Nicht 289 ohne Vorsicht tastete er sich langsam in's erste Stockwerk hinab, während der alte Kauz zum anapästischen Hammerschlag wiederholt die Achilleischen Worte hören ließ:

»Dann bist schuld du an sei-ne-hem Tod . . . (bum, bum, bum!)
Dann bist schuld du an sei-ne-hem To-hod!«

*

– – »Jesus, Maria und Joseph!« sagte Bettina, leise zusammenzuckend, als sie, die Thüre öffnend, den Rittmeister vor sich in der Dämmerung stehen sah.

»Ich wollte mich nur nach dem Befinden Ihres Vaters erkundigen, liebes Kind. Ich hörte soeben erst von Bolle, daß er Schaden genommen.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Rittmeister,« antwortete die Tochter des Organisten, ohne gleich die Thüre freizugeben.

Wären die Schatten im Treppenhause noch geringer gewesen, der finstere Ausdruck im Gesicht Bettinens hätte dem Theilnahmsvollen nicht entgehen können. So sah er nur ihre lichtblonden Haare aus dem Dunkel leuchten.

»Darf ich den Vater nicht besuchen?«

»Ich glaube, daß er eben schläft. Wollen Sie gefälligst hier eintreten. Ich werde nachsehen.«

Er konnte wohl an ihrer Stimme merken, daß 290 sie es nicht ihm zuliebe that. Vorsichtig legte sie hinter ihm die Thür in's Schloß und ging dann auf den Zehen voran in's Klavierzimmer, wo sie Waldenberg allein ließ.

Alsbald kehrte sie aus Orlando's Schlafkammer zurück und bat den Rittmeister, seinen wohlgemeinten Besuch zu verschieben, da sie nicht das Herz habe, den Vater aus seinem guten Schlummer zu wecken.

Aber Waldemar merkte wohl, daß nur die leere Höflichkeit aus dem Mädchen sprach, daß sein Besuch sie bedrückte und daß er nicht wieder an dieser Thüre klopfen werde.

Trotzdem wollt' er's nicht unterlassen, den braven Leuten in ihrer gefährdeten Lage seine Freundschaft in's Gedächtniß zu rufen. Selbst auf die Gefahr hin, mangelnden Zartgefühls von Seiten eines Kindes beschuldigt zu werden.

Er stand in der Fensternische, als Bettina zu ihm trat. Draußen zog sich das Abendroth immer mehr und mehr hinter die Bäume zurück. Eine dunkle Wolke schwebte über dem Dach und durch die Straße fegte ein schwüler Wind Staub und abgefallene Aeste, wie ein Vorbote nahen Regens.

»Ich habe manche gute Stunde mit Ihrem Vater verlebt, Bettina,« sprach er leise, »ich bin Ihnen Beiden mit aufrichtiger Freundschaft zugethan. Wenn 291 ich Ihnen Beiden in irgend etwas dienlich sein könnte, das würde mich sehr freuen. Es kommen vielleicht harte Zeiten für Sie. Sie sind noch so jung und fremd in der Welt. Erinnern Sie sich daran, daß ich Ihr Hausgenosse und zu jeder Freundeshülfe bereit bin.«

»Sie sind sehr gütig,« antwortete das Mädchen. Unwillkürlich machte sie eine Pause im Sprechen. Sie mußte daran denken, wie unsagbar glücklich sie solche Worte noch vor zwei Tagen gemacht hätten, und wie jäh sich Zeiten und Menschen veränderten. Wie kindisch erschien sie sich in ihrer abgethanen Thorheit. Hart, wenn auch leise, klang ihr Wort: »Wie kämen wir dazu, Ihre Güte zu mißbrauchen? Auch steht es, Gott sei Dank, nicht so schlimm mit Papa. Der Arzt gibt Hoffnung, daß er schon am zweiten, vielleicht schon gar am nächsten Sonntag den Dienst in der Domkirche wird versehen können. Seien Sie getrost, Herr von Waldenberg, Papa wird in der Stunde Ihrer Hochzeit die Orgel so gut spielen wie je zuvor . . . und sollte wirklich Krankheit oder Ungemach ihn an jenem Tage verhindern, jenun, dann würd' ich mir's nicht nehmen lassen, seine Stelle zu vertreten. Ich habe so viel vom Vater gelernt; für ein- und anderesmal reicht meine Erfindungsgabe noch aus. Ich würde ihm keine Schande machen – und mir auch nicht.« 292

Waldemar sah schweigend das Mädchen an, dessen Augen im Halbdunkel glänzten. Er dachte, wie er das Gespräch, ohne zu verletzen, am besten abschließen möchte.

»Sie haben wohl von Papas Pensionirung gehört?« fuhr Bettina fort. »Sei's drum, er wird dadurch viel Aerger und Zeit ersparen. Zeit, die er besser und nutzbringender verwerthen kann. Die Stelle am Dome kann man ihm nicht nehmen. Und dann: wofür bin ich denn auf der Welt? Ich werde Stunden geben, ich werde vielleicht auch Ihren Rath befolgen, mich im Gesang ausbilden . . .«

Unwillkürlich ging ein leiser Ausruf der Verwunderung über Waldemar's Lippen. Es war kein freudiger. Bettina achtete nicht darauf.

»So lange Papa noch Musik machen kann, ist keine Gefahr für ihn, daß er sich unglücklich fühlt. ›Die Kunst tröstet in jedem Leid,‹ pflegt er zu sagen und ›Wen der wahre Genius berührt hat, der kann nie verzweifeln!‹ . . . Jenun, wir werden ja Gelegenheit haben, zu erproben, ob der Genius uns treuer bleibt als die Menschen und ob die Kunst allemal tröstet. Ich glaub' es. Ich hoff' es. Gute Nacht, Herr von Waldenberg.«

»Gute Nacht, liebes Hausmütterchen,« antwortete Waldemar. »Die wahre Kunst tröstet nicht nur Den, 293 der sie übt. Ihres Zaubers und Segens theilhaftig zu werden, ist ein allgemeines Menschenrecht. Wie dem nun sei, sagen Sie Ihrem Vater, daß ich hier gewesen bin und daß ich an seinem Geschicke den herzlichsten Antheil nehme.«

Er hielt ihr die Hand entgegen. Bettina legte mechanisch und mehr aus Gewohnheit denn aus Ueberlegung ihre Fingerspitzen auf die seinen. Vielleicht fühlte auch sie, daß es ein Abschied für's Leben sei, und es ging ihr für einen Augenblick wider Willen an's Herz.

Waldemar drückte sanft ihre schmale Hand, indem er, schon zum Gehen gewandt, treuherzig schloß: »Und erinnern auch Sie sich meiner als eines wahren Freundes!«

Bettina riß die Hand heftig zurück und sagte: »Ich will mich Ihrer nicht erinnern!«

Aus dem Schlafzimmer scholl eine bebende Stimme. »Bettina, mein Kind, mit wem sprichst Du? Komm' zu mir!«

Das Mädchen flog dem Rufe des Vaters entgegen. Zwischen den Vorhängen zeigte sich unter matten Strahlen einer Nachtlampe dem Rittmeister das rührende Bild eines kranken, jählings erblaßten, in's tiefste Herz geängstigten Mannes, der die zitternden Hände nach dem Theuersten ausstreckte, was er noch auf dieser trügerischen Welt besaß, und eines 294 guten Kindes, das sich begütigend über den Hülflosen neigte.

Noch einen Blick wars Waldemar auf den friedlichen Raum, in dem er manche frohe Stunde genossen, mancher Melodie gelauscht, auch manches Glas mit dem wackeren Organisten geleert hatte, dann ging er auf Nimmerwiedersehen rasch hinab. 295

 


 


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