Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.

Waldemar freute sich fast des Eindrucks, den das schöne Mädchen auf sein sonst so gemächliches Herz auszuüben schien. Es war etwas Zufriedenstellendes in diesem Gefühl. Er kam sich vor wie ein guter Sohn, der den Wünschen seines Vaters nicht nur Folge leistet, sondern seinen Gehorsam auch mit frohem Herzen darbringt.

In gemessenen Zwischenräumen wiederholte er seinen Besuch bei den Santalatona.

Mehr als einmal, wenn er unter seinen Kameraden eine Aufforderung mit dem Bedeuten ablehnte, daß er eine Stunde im Hause der Baronin zugesagt habe, begegnete er einem gewissen verständnißinnigen Lächeln. Diese Absicht ausgesprochen, versuchte niemals einer der artigen Herren, ihn von so gutem Vorsatz abzubringen.

Es war nicht anders, als respektirten sie ein Geheimniß – ein Geheimniß, von dem er eigentlich nichts wußte. 252

Sein Vater begegnete ihm dieser Tage einmal, lobte seine Aufführung, lachte ihm in's Gesicht und ließ ihn stehen – gleichsam als wollte er sich nicht von diesem Allerweltsgeheimniß dupirt stellen und ihm doch den Gefallen thun, es nicht zu bereden.

Die alte Excellenz mußte offenbar ganz unverantwortlicherweise geplaudert haben. Und wer widersprach einer Excellenz!

Waldemar lebte noch immer des guten Glaubens, ungebundener Herr seiner Entschlüsse zu sein. Behäbig, wie er war, legte er sich nicht einmal die Frage vor, ob er das Mädchen wirklich liebe. Hätte er sich gefragt, wer weiß, nachdem der Zauber der ersten Begegnung überstanden war, hätte er vielleicht mit Nein geantwortet.

Aber es that ihm wohl, zuweilen ein halbes Stündchen neben dem schönen Kinde zu sitzen. Leonilla plauderte so klug, so ruhig, so sicher. Niemals ein Wort von Liebe! Nie wieder ein zärtlicher Händedruck wie jene beiden ersten. Nur das Auge strahlte ihn an. Jenun, es strahlte seine eigene Schönheit aus. Es konnte wohl nicht anders und sah wohl immer so in die Welt.

Er durfte mit ihr über Alles reden; über Politik und Theater, über Moden und Menschen, über Frieden und Krieg, über die Rangliste, über den Exerzierplatz, ja selbst über den neuen Hufbeschlag. 253 Sie hatte Sinn für Alles und für Alles ein vernünftiges Wort, wie er's liebte.

Je öfter er kam, desto ruhiger schien das Mädchen. Er machte eigentlich wenig Umstände mit ihr. Das gerade that Leonilla gut. Es war ihr jedenfalls neu. Und gerade darum waren sie bald wie alte Bekannte. Er sah schon nichts Besonderes mehr und gar nichts Arges in seinen Besuchen und fiel ihm kein Grund ein, warum er von dieser guten Gewohnheit so bald wieder ablassen sollte.

Und doch fand sich auf einmal so ein Grund und er pflanzte sich aufdringlich und gebieterisch genug vor Beiden auf.

Es war ein Unglück und Waldemar empfand es aus mehr als einem Grunde gar nicht anders. Aber Theodora begrüßte es mit stillem Jubel, wie Rettung in der Noth, obschon es bald auch ihr große Sorgen bereiten sollte.

Diese wohltemperirten Besuche, bei denen es nie zu einer Erklärung kam, spotteten lange genug ihrer guten Absichten. Leonilla, die, sobald Waldemar in seiner heldenhaften Gelassenheit neben ihr saß, sich in einer ebenbürtigen Seelenruhe glücklich zu fühlen schien, rang alle Zeit, da der Geliebte fern war, so fruchtlos nach Fassung, daß das ganze Haus der Santalatona auf dem Kopf zu tanzen hatte, Niemand ihr's recht zu machen wußte und die Mutter 254 immer wieder am Seelenheil aller Betheiligten verzweifelte.

Dieses Zagen und Zittern in der Unentschiedenheit war unerträglich geworden. Da brachte ein Ereigniß, daran Theodora's Witz keinen Theil hatte, Wunsch und Schicksal der Entscheidung nahe.

Es hieß eines Tages in der ganzen Stadt, die kühnen Unternehmungen des Freiherrn Thassilo von Waldenberg hätten vor der Zeit, ja kaum, daß sie recht in die Höhe zu schießen begonnen. ein klägliches Ende genommen.

Welches Rädchen in der großen Spekulationsmaschine gebrochen und den Ruin des Ganzen verschuldet hätte, darüber war man in der Aufregung, welche dieß Ereigniß in kaufmännischen wie adeligen Kreisen hervorbrachte, annoch der verschiedensten Meinung. Die Nächstbetheiligten selbst gaben in begreiflicher Bestürzung nicht gleichlautende Gründe vor.

Die Einen redeten von sanguinischer Ueberstürzung, welche mehr in der Kühnheit als in der Sicherheit der Berechnung sich wohl gefühlt habe; Andere klagten den Treubruch eines Theilhabers an, der seine Gesellschafter gewissenlos in die Patsche gelockt; die Kaufleute spotteten über den Dilettantismus gewisser Kreise, der nun auf einmal auch die Börse zu vergewaltigen drohe; die höheren Schichten beklagten es, daß überhaupt einer der Ihrigen sich zu solchen Dingen 255 herabgelassen und einen ehrwürdigen Namen dem Gerede der Ungeborenen preisgegeben habe.

Waldemar wurde zunächst von der Sache mit all' der Schonung unterrichtet, die in seiner Umgebung zur guten Sitte gehörte. Die Tragweite des Schlages, der seinen Vater getroffen, war für ihn nicht zu ermessen. Er dachte dabei nicht an sich, denn er hatte weder Hoffnungen noch Wünsche, jemals an den geträumten Reichthümern seines Vaters theilzunehmen, aber er fürchtete Alles für den Mann, dem er mit kindlicher Liebe ergeben war und von dem er wußte, daß ihm Behagen, Ueberfluß, Fülle, Glanz und Ueppigkeit alltägliche Bedürfnisse und ein Leben in kleinlichen Sorgen um das Nothwendigste nicht besser war als der Tod.

Der erste Versuch, seinen Vater selbst zu fragen, führte nicht zum Ziel. Thassilo ließ sich mit dringenden Geschäften entschuldigen, daß er heute auch für seinen Sohn nicht zu sprechen wäre. Der Kammerdiener Anastasius (auch kurzweg Stasi genannt), welcher diese Botschaft ausrichtete, machte dabei ein so bestürztes Gesicht, wie es einem Kammerdiener solchen Hauses selbst an Tagen offenbaren Mißgeschicks nicht mit seiner Würde vereinbar scheinen sollte. Waldemar fiel dieß wohl auf. Zu Worten kam es natürlich zwischen dem schweigsamen Sohne und dem mitfühlenden Diener seines Herrn weiter nicht. 256

Der Rittmeister fuhr stehenden Fußes zu Salomon Feuerstein, der für sein Bedürfniß und seinen Geschmack nun einmal das unfehlbare Orakel in Geldsachen abgab. Und nicht mit Unrecht. Obschon Vater Waldenberg an dem zopfigen, engbrüstigen, unzeitgemäßen Bankier niemals hatte Gefallen finden mögen, war Waldemar doch nicht zu bereden gewesen, sein Vermögen anderen, moderner wirthschaftenden Händen zu übergeben.

Heute kam er, um dieß Vermögen aus diesen Händen zu nehmen.

»Weiß Alles,« sagte Salomon, »weiß vielleicht mehr als Sie, Herr Rittmeister, und Ihr Herr Vater mit einander. Zu Gnaden! . . . Was wollen Sie? Ihr ganzes Geld? Um Ihrem Herrn Papa damit unter die Arme zu greifen? . . . Lassen Sie's bleiben! Zu Gnaden! . . . Entweder er braucht's nicht oder es hilft nichts. Lehren Sie mich die Leut' kennen!«

Der alte Salomon schien erregter als der schweigende Mann, der sich mit einem Federstrich seines Vermögens zu entäußern kam.

»Bedenken Sie, Herr Feuerstein, man spricht vom Ruin meines Vaters.«

»Was heißt Ruin? was heißt, man spricht? Entweder sagen die Leute wahr, dann werfen Sie – wie sagt der Dichter? – Ihr Alles in ein brennend Haus und schöpfen in das lecke Faß des 257 Sisyphus – oder war's der Danaiden – das Faß ohne Boden, oben und unten ein großes Loch? Mir ist's gleich. Ich bin in der alten Geschichte – mit Ausnahme eines gewissen Theils – nicht bewandert. Aber was die Börs' angeht: für Ihren Herrn Vater keinen rothen Heller! . . . Zu Gnaden!«

Waldemar stand vom Stuhl auf und sagte: »Es handelt sich für mich um keine Börsenangelegenheit, sondern um eine Familienangelegenheit. Darf ich Sie um Feder und Papier bitten, Herr Feuerstein?«

Der alte Mann zuckte die spitzigen Achseln, schwieg still und wies nur mit ausgestreckter Hand nach seinem offenen Cylinderbureau, wo Alles, was man zum Schreiben braucht, bereit lag.

Der Rittmeister setzte sich und richtete in wohlgeführten regelmäßigen Schriftzügen dieß kurzgefaßte Briefchen an seinen Vater:

»Es versteht sich von selbst, daß Du über Alles, was mein ist, verfügen kannst. Zum ersten Mal in meinem Leben bedaure ich, daß mein eigenes Vermögen so gering. Ich schreibe diese Zeilen aus Salomon Feuerstein's Kassenstube, wo ich Alles eingeleitet habe, um meine kleinen Fonds flüssig zu machen.

»Mit tausend Grüßen« u. s. w.

Dem Ansuchen, dieß Billet durch einen seiner Diener sofort an seine Adresse bringen zu lassen, 258 willfahrte der weise Salomon Feuerstein mit ruhigem Lächeln.

Ueber dem Reden und Schreiben schien er seine Gelassenheit ebenso wieder gewonnen zu haben, als der Rittmeister in Zorn gerathen schien. Und als dieser mit kurzem Dank sich gleich darauf entfernte, reichte ihm der Alte mit den lebendigen Augen und den abgestorbenen Wangen ganz gegen seine Gewohnheit zuerst die Hand.

»Ein Trost ist für uns Beide!« sprach er.

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.«

»Daß nichts so heiß gegessen, wie gekocht wird!« –

Daheim fand Waldemar ein Briefchen der Frau von Santalatona.

Der guten Theodora war die traurige Nachricht, die sie über Thassilo's Unstern erhalten hatte, noch schwerer auf's Herz gefallen, als dem eigenen Sohne des waghalsigen Mannes. Ihr war nicht anders, als drohten alle Wände um sie her einzustürzen. Um keinen Preis der Welt wäre sie zu bewegen gewesen, ihrer aufgeregten Tochter von dieser Neuigkeit eine Erwähnung zu thun.

Eitle Sorgfalt! Leonilla machte kein Hehl daraus, daß liebevolle Hausfreunde sie bereits von der ganzen Geschichte mit sämmtlichen Variationen unterrichtet hatten.

Nur einen Augenblick rathlos, leuchtete es 259 plötzlich wie ein aufzuckender Strahl in Theodora's verworrene Gedanken. Ohne noch recht zu wissen, wie sie's zum Ende führen sollte, war sie über die Stellung, welche sie zu den neuesten Ereignissen einnehmen mußte, nicht mehr im Unklaren.

Und wahrlich, sie fiel nicht aus der Rolle, wenn sie jetzt ihrer Tochter kurz und bündig erklärte, daß ihr unter diesen so auffallend veränderten Umständen die Besuche des Herrn Rittmeisters von Waldenberg nicht mehr erwünscht schienen. Es verstünde sich bei ihr von selbst, daß sie es an Höflichkeit gegen den Mann nicht werde fehlen lassen, aber sie hoffe, daß er selbst so taktvoll sein und von der heutigen Abendgesellschaft in ihrem Hause wegbleiben werde.

Leonilla nickte der Mutter wortlos zu. Ihre Kopfbewegung hatte wohl den verborgenen Sinn: Ich habe mir von deiner Eifersucht nichts Anderes erwartet.

Sie hatte sich aber so fest an Waldemar's unausgesprochene Liebe zu glauben gewöhnt, daß sie kein Zweifel anfocht, ob dieser nach wie vor gegen sie Derselbe bleiben werde.

Der Mutter sagte sie von dieser Zuversicht ihres Herzens kein Wort. Um in kein unliebsames Gespräch verwickelt zu werden, ging sie auf ihr Zimmer, schloß sich ein und dachte an der seligen Schwestern Schicksal 260 und Rath: Klammere dich an's Erreichbare und sei deines eigenen Glückes Schmied!

– Theodora hatte nur auf der Tochter Abgehen gewartet, dann eilte sie an den Schreibtisch und sandte ein parfümirtes Briefchen in's Hinterhaus, darin Waldemar mit aller Angst und Zärtlichkeit einer Mutter die Versicherung erhielt, daß, was auch geschehen sei und noch geschehen möge, ihre Achtung, ihre Theilnahme, ihre Hoffnung auf ihn dieselben blieben. Der Schluß drückte die zuversichtliche Erwartung aus, den Rittmeister heut Abend in ihrem Salon zu sehen.

Seltsame Stimmung, die dieß Billet in Waldemar erregte! Er hatte bei der ganzen Angelegenheit nicht an Leonilla, nicht an sein Verhältniß zum Hause der Santalatona gedacht!

Drüben schien man die Sache bereits anders anzusehen. Das heißt, die Mutter schien's zu thun. Leonilla war ihm ja, wie er glaubte, bloß eine gute, nüchterne Freundin geworden, so etwas, wie ein lieber Kamerad.

Ohne den Brief wäre er gewiß für eine halbe oder ganze Stunde hinübergegangen und hätte sich den Aerger mit dem Mädchen weggeplaudert. Aber wenn's die Alte bereits so schwer auffaßte, da war's wohl Zeit, einen Riegel vorzuschieben, sein Verhalten zu regeln und gleich die gute, will sagen 261 die traurige, also schlechte Gelegenheit zu benützen und heut Abend erst recht von der Mausefalle fern zu bleiben.

Was wird er auch viel dabei entbehren! Lächerlich!

Er streckte sich auf seinem Lotterstuhl und blies den Rauch der türkischen Pfeife in die Dämmerung seiner Stube, wo sich die Ringel und Schatten verloren, man sah's nicht wie.

Ein über's andere Mal zog er die Uhr. Bald konnt' er auch nicht mehr wahrnehmen, was der Zeiger auf seinem Zifferblatt ansagte.

Seltsam, was für ein Gewohnheitsthier der Mensch ist. Nun gerade heute, wo ihm die Seele voll war, wäre Waldemar gern zu Leonilla hinübergegangen. Der Teufel mußte es der zappeligen Baronin eingeben, ihm die Nase draufzustoßen, daß sie große Gesellschaft erwartete und diese ihn mit ihren Beileidsbezeugungen gewiß nicht verschonen würde.

Solches freilich wäre ihm lästig gewesen. Als armer Ritter wollte er nicht in fremden Salons umgehen. Auch nicht vor Leonilla.

Eigenthümlich! Er dachte sich's nur so rein akademisch, nur so als theoretischen Fall aus: Würde ihn wirklich der Unstern seines Vaters und die Hingabe seines eigenen Vermögens verhindern, um Leonilla's blasse Hand zu werben?

Wenn ihn zwingende Leidenschaft antriebe, gewiß 262 nicht! sagte er zu seiner türkischen Pfeife. Aber solche Leidenschaft war ja nicht vorhanden! gab er an ihrer Statt zur Antwort.

Und darum, meinte er schließlich, darum sei es recht gut, ja sogar nothwendig – wenn auch schon nicht angenehm – daß er längere Zeit und ganz sicher heute von den Santalatona sich fernhielte.

Kaum daß er sich diese Ueberzeugung so recht zu eigen gemacht hatte, ward draußen die Schelle gezogen, an seiner Thüre geklopft und auf sein schallendes »Herein!« betrat der Kammerdiener seines Vaters das dunkle Zimmer, um ihm die Antwort auf seine opferfreudige Botschaft zu überreichen.

Schade, daß es so dunkel war, Waldemar hätte dann beobachten können, wie sehr diese Blume der Dienerschaft ihr Angesicht in der Gewalt hatte. Wunderte sich doch der biedere Anastas fast selber, daß das Leuchten seiner Augen nicht ein wenig Licht in die verdüsterte Reiterstube brachte.

Bis es der Ulan für nöthig fand, seine Kerzen anzuzünden, so lange hatte der formvolle Stasi nicht warten können. Mit einem barschen »Schon gut!« war er ohne Weiteres entlassen worden.

Waldemar schien es so gar nicht eilig zu haben, das Briefchen zu lesen. Er versprach sich dabei keine Aufheiterung, und nach Erklärung der Dinge, davon er nichts verstand, war er nicht lüstern. 263

Jenun, nachdem er noch eine Weile mit dem uneröffneten Brief in der Hand weiter geraucht hatte, griff er denn doch schließlich nach seinem Feuerzeug, machte hell, räusperte sich und schnitt das Couvert auf.

*

»Herzlichen Dank, theuerster Waldemar« – schrieb sein Vater – »für Deine schöne Regung. Eine Thräne der Rührung dafür! Die erste seit zwölf Jahren! Du bist ein seltener Mensch! Aber laß es bei der ersten Regung bewenden. Thue nichts, ohne mich gesprochen zu haben. Du weißt, wie mein großer Gönner mir immer zu sagen pflegte: ›Vor Allem keinen Eifer!‹

»Ich war damals so jung wie Du. Nein, noch viel jünger! Schöne Zeit! So gut wie Du war ich niemals. Aber auch Güte kann schaden. Also Vorsicht. Der Auftrag an den Pedanten Feuerstein könnte meinen Kredit ruiniren. Nimm ihn zurück! Sofort zurück!

»Sei fröhlich, verlaß Dich im Uebrigen auf mich und glaube, daß meine Angelegenheiten nie in besserem Flor gestanden als eben jetzt. Aber den Finger auf den Mund!

»Ich würde Dir mehr von der Sache erklären. Allein Du willst ja nichts von dergleichen verstehen. – Vielleicht hast Du Recht. Lasse mir immerhin die 264 Freude, Derlei für uns Beide allein zu besorgen. Ich aber müßte ein elender Diplomat sein, wenn mir geborene Börsenleute in die Karten sähen.

»Also habe Dank und behalte, was Dein, bis ich Dir's verdreifachen kann. Sei vergnügt und schweigsam. Dich umarmt

Dein glücklicher Vater.«

*

Mechanisch gab der Rittmeister die gewünschte Weisung an Salomon Feuerstein. Beinahe hätte er mit seiner ruhigen Hand diese Botschaft also begonnen: »Sie hatten Recht, es wird nichts so heiß gegessen, als gekocht!«

So tröstlich die Nachricht war, welche bange Sorgen verscheuchte und sein Eigenthum wieder sicher stellte, er konnte sich nicht darüber freuen.

Solch' ein Börsenmanöver und ein alter Waldenberg!

Reim's zusammen, wem's klingt! Ihm blieb es peinliche Dissonanz.

Ein Gutes freilich war an der Geschichte. Nun konnte Waldemar getrost zu den Santalatona hinübergehen. Ja, er fühlte so recht ein Bedürfniß, nach all' dem Wirrwarr und kleinlichen Verdruß mit dem sanften, klaren Wesen von ewigen und ernsten Dingen – oder auch nur von recht gleichgültigen 265 zu plaudern. Leonilla's Stimme, ihre Augen, ihre Nähe würden ihm heute wohl thun.

Aber Eile war vonnöthen, wenn er heute dieser Wohlthat überhaupt noch theilhaftig werden wollte. Ueber dem Schreiben, Sinnen und Rauchen war's spät geworden.

Ja wohl, sehr spät.

Niemand war die Zeit so peinlich lange geworden, wie den beiden Damen Santalatona.

Es bedurfte des ganzen feinen Taktes, der einer Frau wie Theodora zur anderen Natur geworden war, es bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, um allen den Leuten, die in ihren Salons wandelten, der Hausfrau immer lächelnde Miene zu zeigen und jenen tausend Nichtsen weltläufiger Unterhaltung Aufmerksamkeit und freundliche Antwort bereit zu halten.

Ab und zu sprach wohl Einer von dem neuesten Ereigniß, welches die Stadt bewegte. Da man jedoch schon lang etwas läuten gehört haben wollte, daß die Schicksale der Waldenberger dem Hause Santalatona nicht mehr gleichgültig sein dürften, da Dame Sidonie, ganz in vergilbte Spitzen gewickelt, zu allem Ueberfluß noch von Einem zum Andern ging, ihn ganz im Vertrauen zu ersuchen, die heikle Sache nur ja nicht vor den Ohren ihrer ältesten Freundin zu berühren, so übte man die Tugend der Diskretion und verschonte die Hausfrau, sie mit dem 266 Unangenehmen zu unterhalten, obschon es das Neueste und das Interessanteste war.

Hielt man sich doch dafür in allen Winkeln und allen Fensternischen, wo Niemand von der Familie zugegen war, für solche Tugend schadlos und beschwatzte reichlich alle möglichen und unmöglichen Interessen, welche den beiden Familien als gemeinsam angedichtet werden konnten.

Der Name Waldenberg war leise auf allen Lippen. Daß Waldemar, wiewohl man ihn geladen wußte, nicht erschien, bestärkte nur allerhand Vermuthungen.

Theodora wußte recht wohl, was für Gespräche heute beiseite geworfen wurden, sobald sie selbst ihren Gästen nahe kam; sie war gewandt und besorgt genug, ihre eigenen Befürchtungen in ihr Herz zurückzubannen. So oft sie's nur vermochte, warf sie einen Blick nach ihrer Tochter. Ihr war, als hätte keines ihrer Kinder, so viel sie die Mutter hatten weinen machen, ihr also nagenden Kummer bereitet, wie heute Leonilla.

Diese that sich kaum Zwang an, den Gram, die Furcht, die ihr die Seele durchwühlten, mit lächelnder Maske vor der Gesellschaft zu verbergen. Sie saß in einem kleinen Salon und hielt es schon für übermenschliche Geduld, daß sie zwei junge Märtyrer neben sich duldete, unglückliche Anbeter, welche mit dem Bewußtsein, sich zu opfern, durch ein 267 gleichgültiges Gespräch, daran sie keinen Theil nahm, andere Zudringliche oder Arglose von ihr fern zu halten beflissen waren.

Sie saßen vor Leonilla's Sopha unbeweglich auf den kleinen Fauteuils wie zwei Wächter, jedem Dritten den Zugang schließend und sich mit hingeworfenen »Ja wohl!« oder »Was Sie sagen!« ihrer nicht auf sie hörenden Königin reichlich belohnt fühlend.

Neben dem Sopha des Fräuleins saß die alte Excellenz, sich gleichsam als einen Eingeweihten in das Geheimniß erachtend und wahrscheinlich für alle Fälle von seiner Frau so postirt, um den gewaltsamen Ausbruch von Leonilla's wachsendem Unmuth oder sonst ein Unglück zu verhindern.

Wenn ja einem der opfermuthigen Ritter der Faden des Gesprächs ausging oder unter dem geringschätzigen Trutz seiner Dame die Geduld zu reißen drohte, so brachte die Excellenz einen Einwurf, der zu gefälliger Fortsetzung verpflichtete.

Dieses seltsame Colloquium, das in seinem Pflichteifer wie in seiner Befangenheit mehr einem Kandidatenexamen oder einem Disputatorium glich als einem heiteren Salongespräch, hätte jedes andere Mädchen, das sich nicht in Leonilla's Lage befand, zum Lachen gebracht.

Sie hörte keine Sylbe. Sie blickte kaum auf und das nur zuweilen, um nach der goldenen Uhr 268 zu sehen, die auf dem Mantel des Kamins gelassen ihren Zeiger vorwärts rückte.

Ihre Augen wurden immer größer, ihre blassen Wangen immer blässer. Ihr Athem schien ihr mehr als einmal Beschwerde zu machen. Wie sie dann das Tüchelchen vor den Mund brachte und sich die trockenen Lippen wischte, meinte der eine der armen Jünglinge deutlich zu bemerken, daß sie mit den Zähnen in den Batist biß und es also eine Weile krampfhaft festhielt.

Sie hatte keine Thräne zu weinen. Zu Thränen war's zu spät. In ihr war Alles trocken. Die Augen, die Lippen, das Herz.

Wer sie so ansah, der wußte nicht, ob sie die Nacht überleben werde. Sie wußte es selbst nicht. Seit Stunden war ihr zu Muth, wie einer zum Tode Verurtheilten.

Wer hatte sie zu diesem Tode verurtheilt? Nur sie sich selber, sagte sie. Sie hielt Zwiesprach mit ihren abgeschiedenen Schwestern. Riefen sie die Schatten? Nicht doch! Aber sie machten ihr Vorwürfe. Sie meinte, sie trotz den Reden der Excellenz und dem Gelispel der Jünglinge deutlich flüstern zu hören, ja sie sah sie, wenn sie aufblickte, Carlotta links, Theodolinde rechts, in langen, langgezogenen, duftartigen Gewändern, schwebend, sich erhebend, mit dem Antlitz gegen die Decke wachsend. Sah sie, auch wenn 269 sie die Lider senkte und, den Ellenbogen auf der Faust, die Lider noch mit der Hand schirmte.

Haben wir dir darum alle Ansprüche an's liebe Leben vermacht, daß du unglücklich werdest gleich uns und vor der Zeit zur Grube fahrest, liebelos gleich uns? Hat die Weiblichkeit keine Waffen, die Schönheit keine List, die Liebe keinen Zauber mehr, daß Einer Tag für Tag zu dir sitzen kann und doch keine Worte finden, die dein Glück und seines entscheiden? Wenn's nun zu spät ist – denn die Männer sind stolz bis zur Thorheit – was willst du thun? Sterben gleich uns? Wehe, der Tod ist kalt und das Grab kein Trost für entgangene Liebe! Saumselige, Zagherzige, Unentschlossene, haben wir dich darum gemahnt mit Rath und Schicksal! Ist eine Hand zu klein, der Schmied ihres eigenen Glücks zu werden! Ach, wir Armen! Wir arm und du!

Bitterliche Herzensangst ließ Leonilla wie im Fieber zittern. Sie wagte es nicht, aufzusehen, sie hätte sich am liebsten die Ohren mit beiden Händen zugehalten – aber sie wußte wohl, daß dieß nichts helfen und sie die Geisterstimmen in ihrem Innern dennoch hören würde. Sie fühlte eine wunderlich kreisende Bewegung in ihrem Haupt, nicht anders, als blickte sie von hohem Felsen in bodenlosen Abgrund, oder stünde auf der Plattform eines Doms und unter ihr zögen jagende Wolken. Es griff ihr an den 270 Hals. Wäre sie nur aus dem Zimmer fort. Wäre sie nur fort! Sie hielt sich mit beiden Händen am Sopha fest und schloß krampfhaft die Augen.

Und mitten in diesem Schwindel stand wieder die nackte Verstandesfrage so klar und deutlich wie nie vor ihrem Sinn: Warum sollte sie mit dem braven Manne, den sie liebte, nicht glücklich werden? Weil es dem Vater des Mannes zufälligerweise in den leichten Sinn gekommen war, sein Geld an der Börse zu verspielen? Wollte sie denn den Vater oder des Vaters Geld heirathen? Was war überhaupt Geld? Sie hatte doch ihr Lebtag von dem Zeug gehabt, so viel sie brauchte! Hatte das Werth? Oder hatten jene eingebildeten Vorurtheile Werth, welche den einzigen Mann, mit dem sie glücklich werden konnte, von ihr fern hielten, weil sein ihr unsagbar gleichgültiger Vater ein bischen Unglück gehabt hatte?

Thörichte Welt, die ihr mit solchen Gründen ein Schicksal aufjochen wollte. Jede Fiber empörte sich dagegen . . . Empörte sich? Seufzte sie denn nicht schon unter dieses Joches lastendem Druck!

Sie neigte das Haupt tief auf ihre Hände. Ach, wenn er doch noch käme! Da klang es silbertönig und scharf vom Kamine her. Sie zuckte zusammen und blickte hinüber. In fünfzehn gemessenen Schlägen kündete die Uhr die elfte Stunde.

Jeder Schlag auf der silbernen Glocke traf ihr 271 das Herz. Es war ihr, als ob mit jedem dieser Schläge sich ein Stück von der Umspannung ihres Herzens löste. Es schoß ihr warm vom Herzen zum Haupt. Nun sie jede Hoffnung aufgab, behielt die Wehmuth dennoch Recht und sie mußte weinen.

Sie that noch immer, als ob sie nach der Uhr sähe. Aber ihre Augen waren feucht verschleiert und eine Thräne nach der andern rann über die blasse Wange herab.

Die beiden traurigen Ritter verstummten in ihrem reizlosen Geplauder; sie sahen einander auf dem Gipfel ihrer Verlegenheit rathlos an, nicht wissend, sollten sie weiter reden oder schweigen, an den Stühlen kleben bleiben oder sich davon schleichen.

Die alte Excellenz rührte sich nicht mehr, als ob sie versteinert worden wäre oder schliefe.

Gott sei Dank! Da hörte man aus den anderen Sälen jenes energische Sesselrücken, welches den Aufbruch einer Gesellschaft zur Tafel verkündet. Nun war es den armen Märtyrern ja geboten, nicht nur erlaubt, von ihren Sitzchen aufzustehen. Der Weinenden den Arm zu bieten, wagte freilich auch keiner. Den Fall hatte die Excellenz wohl vorgesehen.

»Voyons, voyons, mon enfant!« murmelte er, vor Leonilla tretend und höflich einladend den Arm vor dem trostlosen Kinde krümmend. »Nimm Dich 272 zusammen und komm' mit dem Alten. Du brauchst nichts zu reden. Aber acte de présence muß sein.«

Leonilla saß noch immer auf dem Sopha. Obschon sich zu erheben willens, wußte sie doch noch nicht, ob sie sich werde aufrecht halten können, und schluckte an ihrer Bangigkeit.

In diesem Augenblick war ihr's, als träfe sie ein elektrischer Schlag. Sie warf das Haupt in die Höhe, horchte. Die Thüre ward weit geöffnet. Leonilla stand kerzengerade neben der verwunderten Excellenz.

Da trat der verspätete Waldemar in den Salon.

Mit einem leisen Aufschrei lag Leonilla an des Ueberraschten Brust.

Sie wußte wohl, was sie gethan. Man sah, wie ihr die Röthe purpurn bis in die kleinen Ohren stieg. Schon vor Scham drückte sie das Angesicht fest an des Mannes bergende Brust. Sie konnte ihre Arme nicht von ihm loslassen, sie mußte fürchten, ohne diesen Halt platt an die Erde zu sinken.

Hinter ihrem Rücken hörte sie, wie die verblüffte Excellenz »O, o!« sagte und die beiden jungen Herren etwas Aehnliches, wenn auch mehr in glückwünschendem Tone, murmelten.

Aber sie hörte das just so wie Einer, der in's Wasser gefallen ist, die Leute droben am hohen Ufer was rufen hört, was ihm nicht helfen kann, während 273 er selber ungewiß ist, ob dieser Sturz nicht sein Tod sein wird.

Mit Blitzesschnelle jagten die Gedanken sich. Ihr war, als hätte sie nie rascher, aber auch nie klarer gedacht, als in diesem Momente. Die Sekunden dehnten sich vor ihrem Empfinden. Sie hatte Zeit, abzuwägen, wie viel des überwallenden Gefühls, wie viel bewußter Ueberlegung in der Gewalt gemischt war, die sie an des Mannes Brust geworfen hatte. Sie wußte, daß keine Macht, selbst seine Abneigung nicht, sie nunmehr von ihm lösen konnte. Die zwingenden Vorurtheile der dummen Welt hatten doch auch ihr Gutes. Sie athmete auf . . . Sie fühlte aber auch, daß sein Arm den ihrigen, obschon diese zitterten, nicht zu Hülfe kam; daß sie an seinem Halse hing, wie der Schiffbrüchige an einem Felsen, der kalt und ungerührt mitten in der Brandung des Sturmes steht. Sie schämte sich, sie bereute, sie jubelte und fühlte sich sicher. Sie hätte unter die Erde sinken mögen und es war ihr, als ob sie gen Himmel getragen würde: Alles in einem Athemzuge.

Nun drängte man sich aus den Salons herzu. Sie hörte das, ohne aufzusehen. Die Ueberraschung, der Skandal, die gute Neuigkeit – wie man's nennen will – rührte die Gesellschaft um und hieß sie sich zum Glückwunsch drängen.

Die Nächste, die über die Schwelle trat, war die 274 Mutter; Leonilla meinte es am Rauschen des Kleides zu erkennen, sie meinte es zu fühlen, und in Liebe, Angst und Schadenfreude barg sie noch fester das Angesicht zur Seite.

Theodora hätte in dieser Sekunde trotz aller Liebe und Voraussicht viel darum gegeben, wenn sie nie den Fuß in des Rittmeisters Stube gesetzt hätte. Doch war sie viel zu sehr Mutter, um nicht mit größester Angst ihren Blick an das Angesicht des Mannes zu heften, der, von ihrem Kinde so unsinnig überrumpelt, sich in der schlimmsten Lage von Allen befand. Er konnte mit dem nächsten Athemzuge Alles, was sie mit so viel Selbstverleugnung vorbereitet hatte und mit solcher Inbrunst hoffte, unrettbar verderben.

Waldemar war es wunderlich zu Muth. Aber er war gewohnt, im Getümmel ruhig zu bleiben. Es ärgerte ihn fast, daß ihn sein Entschluß nicht mehr kostete, als ihm jetzt scheinen wollte. Einen Augenblick zuckte es durch seinen Sinn: Hol' euch Alle der Teufel! Seht selber zu, wie ihr euch aus der Patsche helft! Was kümmert's mich!

Allein es fühlte sich so sonderbar, das Pochen des fremden Herzens an seiner Brust. Ein sonniger Glanz schimmerte über den lichtbraunen Ringeln, die unter seinen Augen lagen. Sollte er zwei Menschen unglücklich machen? »Du bist unachtsam zu weit gegangen!« sprach er zu sich. »Nun kannst du nicht 275 mehr zurück. Ein braver Kerl zahlt mit dem, was er ist!«

Und ehe die Anderen alle sich von Schreck und Ueberraschung erholten, fühlte Leonilla, wie des Soldaten Arm sich um ihren Gürtel schlang – ihrer Erwartung freilich hatte es entsetzlich lang gedauert. Jetzt endlich athmete sie fieberfrei, wie sie ihn reden hörte so sehr freundlich, aber auch so sehr ruhig.

»Seien Sie mir nicht böse, verehrte Mama, daß ich an einem solchen Tage, da Sie der Gesellschaft meine Verlobung mit Fräulein« (er stockte, denn ihm fehlte der Vorname Leonilla und er verbesserte sich), »mit Ihrem Fräulein Tochter bekannt geben wollten, so spät komme. Eine wichtige, ich darf wohl hinzusetzen, eine erfreuliche Nachricht hat mich verzögert. Ich darf mich später bei Ihnen entschuldigen und jetzt meiner Braut den Arm geben.«

Theodora hatte Mühe, nicht auch ihrerseits dem Rittmeister jählings um den Hals zu fallen. Aber ihr ganzes Leben bestand ja aus lauter Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung. Sie nahm sich zusammen, that zwei Schritte ohne Schwanken, faßte die freie Hand ihres Schwiegersohnes mit beiden Händen und konnte doch nicht mehr sagen, als ein halbgebrochenes: »Gott segne Sie!«

Nun durfte auch Leonilla wieder das Haupt heben. Ihr Angesicht war strahlend von Stolz und Freude. 276 Sie brauchte sich nicht mehr zu schämen, sie brauchte nichts mehr zu fürchten. Da stand sie, die schöne Braut des Freiherrn Waldemar von Waldenberg, die einzige von drei Schwestern der Schmied ihres eigenen Glücks.

Und nun drängte sich Einer um den Andern heran. Keiner stellte sich überrascht. Alle hatten es schon lang erwartet. Jeder gab laut seinen Spruch und Jeder meinte im Stillen, daß es doch vernünftiger gewesen wäre, mit dieser Verkündigung bis nach dem Abendbrode zu warten.

Dabei fehlte es nicht an Toasten. Den ersten brachte die gute Excellenz aus, die sich dabei auf den alten Eingeweihten hinausspielte. Theodora wußt' es ihm heute Dank.

Alle waren froh, als die Tafel aufgehoben wurde. Und die Säle leerten sich rasch.

Nur Sidonie und ihr gefälliger Gatte zögerten mit Absicht ein Weniges, einige Lehren der Weisheit an Mann und Fräulein zu bringen.

Als auch diese mit den Letzten das Feld geräumt, bat Waldemar um Urlaub. Es war spät und er wollte seinen Vater selbst von seiner Verlobung benachrichtigen, ehe der Stadtklatsch ihm zuvorkam, der bereits entfesselt war.

Er fand noch einige herzliche Worte zum Abschied, aber er vergaß es ganz, seiner Braut einen Kuß zu geben. 277

»Auf morgen!« sagte Leonilla leise.

Noch ein Händedruck, noch eine Verbeugung wie in einem Tanzsaal und Herr von Waldenberg war gegangen und Mutter und Tochter allein.

Die Augen der Liebe vergolden Alles. Leonilla wußte es dem Geliebten noch Dank, daß er dieß erste Finden kürzer abgebrochen hatte, als ihr eigentlich recht war. Indessen fühlte sie wohl, daß etwas Peinliches in der an sich so glücklichen Entwicklung ihrer Wünsche haften geblieben war. Aber sie hoffte, das werde bis zum nächsten Wiedersehen nicht mehr zu verspüren sein. Bis zum nächsten Wiedersehen! Bis morgen!

Zwar um ein Weniges gefühlvoller hätte sein Abschied und sein Dank immerhin ausfallen dürfen . . . Jenun, Waldemar war eben, wie er war, und sie wollte ihn um eine Welt nicht anders.

 Ich hab's gewagt mit Sinnen
Und trag' daß doch kein' Reu'!«

sagte sie, als sie die langen silbernen Nadeln aus dem dichten jungfräulichen Haare zog. Dann stand sie lächelnd still, die eine Nadel noch lang unbewußt in der Hand haltend. Sie lächelte, blickte auf, schüttelte das herabfallende Gelock und prüfte sich im Spiegel, ob sie denn auch ein schönes Bräutchen sei.

Kein König brauchte sich ihrer zu schämen. Das wußte sie wohl. 278

»Habt Dank, Carlotta und Theodolinde!« lispelte sie auf einmal, die Hände vor dem Munde gefaltet. Dann sprang sie aus der Kammer und klopfte bei der Mutter an. Noch einmal forderten die Thränen ihr Recht. Und dießmal ward es ihnen reichlich und von Beiden.

Leonilla saß zu der Mutter Füßen und gab sich alle erdenkliche Mühe, die vermeintlich schwer Erboste zu versöhnen. Die Mutter spielte verständig mit. Dazwischen sprachen die Beiden über Ausstattung, Monogramm, vereinigte Wappen, Erstaunen der Gäste, Klugheit und Geistesgegenwart der Excellenz und endlich auch über den Tag der Vermählung. Die Kerzen waren tief herabgebrannt, als sie sie endlich löschten. –

. . . Der Rittmeister ging gemessenen Schrittes durch die Höfe nach dem kleinen Hause hin.

»Wie rasch man über so viele Bedenken hinweggesetzt wird,« sagte er zu sich selber. Und später einmal: »Sie hat mich genommen, wie man eine Hecke nimmt!« Dann zuckte er die Achseln.

»Sie ist sehr schön. Aber sie sieht viel jünger aus, als sie ist. Das ist eigentlich kein Fehler. Schmächtig wie ein Kind. Ich könnte sie in meinen Händen zerbrechen.«

Viel mehr dachte Waldemar eben nicht. Es ging ihm gegen den Strich, murrenden Gedanken viel 279 Audienz zu geben und das Geschehene noch einmal zu überlegen, als sei es erst noch zu thun oder zu leiden.

Vorwärts! Auch wer zurückgeht, fängt seinen Schatten nicht ein.

Das Erste, was er daheim that, war, ein Briefchen an Thassilo von Waldenberg zu schreiben:

»Eine gute Nachricht für die andere, theuerster Vater!

»Dein frommer Wunsch ist vom Himmel erhört worden. Ich erwarte Dich morgen Mittag, um Dir in Fräulein Leonilla von Santalatona die schöne Braut Deines glücklichen Sohnes vorzustellen« u. s. f.

Noch ein paar freundliche Worte mit fliegender Feder. Dann ward das Billet geschlossen. Er weckte seinen Reitknecht auf, gab ihm den Brief und hieß den Verdrossenen, Verdutzten sein schnellstes Pferd vorführen.

Dann ließ er sich mitten in der Nacht die grüne Pforte nach der Gartenstraße öffnen. So war die Mühe Bolle's doch nicht umsonst gewesen.

Waldemar sprengte weit hinaus vor die Stadt in die Ebene.

Als er heimwärts trabte, zog schon Frühgrauen über die Stadt. Als er in die Gartenstraße am oberen Ende wieder einritt, sah er am unteren Ende seinen Hausgenossen Bolle mit einem Korbe dahin gehen, um wie allmorgendlich über Land seine schmale Küche zu versorgen. 280

 


 


 << zurück weiter >>