Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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Drittes Buch.

I.

Nach einem strengen Winter kam ein Frühling wie der Hochsommer so heiß. In den letzten Nächten war das Unterholz grün geworden, und die Menschen, welche, verblüfft wie sie waren, die warmen Ueberkleider noch nicht abzulegen wagten, blieben bei jedem Bekannten auf der Straße stehen, um sich über die unerträgliche Temperatur zu beklagen.

Alle Fenster standen offen, alle Leute lachten, und wo es was zu sehen gab, rottete man sich in aller Behaglichkeit zusammen.

Das größte Gedränge war vor der bekannten Buch- und Kunsthandlung drüben an der Ecke, in deren Schaufenstern eben das neueste Arrangement zu bewundern war.

Durch die Gaffer wühlte sich jetzt ein junger Mann, an dem nichts auffallend war, als daß er zu seiner abgeschabten, ausgeblaßten Kleidung, zu einem verschossenen Hut und ausgefransten Hosen ein Paar funkelnagelneue Handschuhe von ziemlich greller Farbe trug. 4

Mit seinen elegant beschuhten Händen schob er ohne viel Federlesen zwei jener Müßiggänger beiseite, welche ihm die Aussicht verdarben, und suchte dann, fast die Nase auf der Scheibe, hin und her in dem Auslagekasten, bis seine Augen den ersehnten Gegenstand gefunden hatten.

Gleich darauf wandte er sich in offenbarem Aerger wieder ab, schnalzte leicht mit der Zunge, und wenn er vorhin die Hände gebraucht hatte, um vor das Schaufenster zu gelangen, so arbeitete er sich jetzt mit den Ellenbogen durch die harmlosen Leute, denen es mehr um die ausgestellten Kupferstiche und Farbendrucke, als um die daneben verschwindenden Neuigkeiten des österlichen Büchermarktes zu thun war.

Daß man hinter ihm sich nicht sehr zufrieden äußerte, kümmerte den Erzürnten wenig. Ohne Umsehen trat er in die Handlung und drang unaufhaltsam in die Hinterbude zum Chef des Hauses.

Während er sich bei diesem über den schlechten Platz beklagte, den sein neuestes Werk unter der Spiegelscheibe erhalten, und sich erbot, mit eigenen Händen die Sache so zu ordnen, daß schon der unvermeidliche Beleuchtungseffekt, der auf das Buch fallen müsse, den Käufer zu der Waare locke, warfen sich die beiden Commis über die Federn weg verständnißinnige Blicke zu und lachten in brutalem Handelsstolz über den besorgten Musensohn. 5

»Trösten Sie sich, Herr Doktor,« sagte der Prinzipal, der jetzt mit Fridolin Löwe wieder in den Laden zurückkam, »trösten Sie sich, es sind fast alle ans Lager genommenen Exemplare verkauft. Ich habe heute schon einen neuen Bestellzettel nach Leipzig laufen lassen.«

»Das freut mich, – für meinen armen alten Orlando freut es mich,« erwiederte Fridolin, sich würdevoll fassend.

Der zweite Commis glaubte nun den Augenblick gekommen, seine Bosheit loszulegen, und er sprach: »In der Zeitung steht ja, daß Sie schon wieder eine Biographie unter der Feder hätten. Ist das wahr?«

»In welcher Zeitung?« fragte Fridolin, die Augenbrauen hochziehend und den Jüngling eines halbseitigen Blickes würdigend.

»Das weiß ich nicht,« entgegnete der Listige, »ich selbst habe das Blatt nicht gesehen, aber ein Anderer, der es gelesen, sagte mir, daß Sie nunmehr mit einem Lebensbilde des seligen Naphtali Hertz beschäftigt wären.«

Fridolin gab auf diesen elenden Scherz keine Antwort. Der alte friedfertige Buchhändler beeilte sich, das dümmste Zeug zu reden und allerhand Neuigkeiten vorzulegen, um die Naseweisheit seines lieben Söhnchens nach Kräften zu verwischen. 6

Die beiden Commis aber schnitten vergnügte Gesichter und kritzelten mit den Federn gar emsig, bis wieder eine Kundschaft eintrat, der sie entgegengingen.

Unsern Fridolin hatte der Hieb des Boshaften nicht bloß gestreift. Während er mit den Fingern allerhand Novitäten durchblätterte und bald dieß, bald jenes Werk vor die Augen hielt, waren seine Gedanken wieder bei jener nächtlichen Szene, da er den Leichnam des Selbstmörders eine bange Stunde lang gehütet hatte.

Arger Freund, der auch im Tode noch seinen Spott an ihm üben gemußt! Was hatte er sich nicht von ihm versprochen? Ein fettes Legat, das ihm für Zeit seines Lebens alle Nahrungssorgen vertreiben mußte, oder doch ein solches, daß er ein paar Jahre ohne schnöden Broderwerb hätte nach Höherem »streben« können . . . Weit gefehlt! Die schönen Reste dieses einst fürstlichen Vermögens gingen ohne Anfechtung mäzenatischer Freundschaft ihren geweisten Weg zu entfernten Vettern und Basen, welche seit Jahrzehnten vielleicht nicht einmal an den entfremdeten Naphtali gedacht hatten, an Leute, die ohnehin schon reich waren und mit schlecht verholenem Aerger über des Erblassers unbegreifliche Geschäftsgebahrung die anfallenden Summen zu den übrigen legten.

Ein paar Legate hatte man allerdings dem sonst so uninteressanten Testamente noch angefügt gefunden. 7 Naphtali's Dienstleuten sollte ein ganzer Jahreslohn ausbezahlt werden. Der alte Jakob sollte den seinigen auf Lebenszeit als Rente bekommen. Daran reihten sich etliche Geschenke an gute Freunde. Der Eine wurde mit Naphtali's Brillantnadel, der Andere mit einem Ringe bedacht; ein Dritter, der bekanntermaßen unter einem schweren Pantoffel seufzte, sollte ein französisches Oelgemälde, das eine der galanten Großthaten des Vaters der Götter und Menschen in satten Farben darstellte, in sein Schlafzimmer hängen, wenn seine Frau nichts dagegen hätte; ein Vierter, ein Schulfreund, der irgendwo eine magere Professur bekleidete, durfte den vergoldeten Spucknapf zu ewigem Angedenken an den Erblasser bewahren. Ganz zuletzt hieß es:

»Einem gewissen Fridolin Löwy, der sich schreibenshalber in unserer Stadt umtreibt, vermache ich meine sämmtlichen Schulbücher. So alt sie sind, werden ihm die meisten neu erscheinen. Insbesondere empfehle ich ihm die deutsche Schulgrammatik eines sicheren Heyse, ein Werk, darin er die merkwürdigsten Aufschlüsse finden wird, die für sein Metier unentbehrlich sind und ihm nicht länger als ebensoviele Geheimnisse vorenthalten bleiben sollen!«

Es versteht sich, daß sich niemalen »ein gewisser Löwy« zur Empfangnahme dieses Legates gemeldet hat. Dennoch wurde die Sache ruchbar und der 8 »treue Knecht« von Unverschämten und Gedankenlosen mehr als einmal mit dem Bedauern geneckt, daß er so viel gute Zeit und ehrliche Freundschaft an einen solchen Bösewicht verschwendet habe.

Fridolin tröstete sich mit dem Datum des Testamentes, das zu einer Zeit abgefaßt worden, da er Naphtali Hertz noch nicht näher getreten war.

Aber konnte der Spötter nicht nachher die Unthat ausstreichen? Freilich, das war einem Menschen wie Naphtali zu umständlich gewesen. Ach, dieser Tod hatte Fridolin in so manchem Stück enttäuscht. Von dem reichen Manne mit dem unvergleichlichen Fauteuil war nichts übrig geblieben, als ein bischen seines schalen Spottes, der sich nicht ganz mit ihm hatte begraben lassen.

Da hatte sein anderer Todter, da hatte sein großer Orlando Hunzelsperger ihm bessere Dienste geleistet.

Freilich nicht bloß der todte Orlando allein.

Eduard Bolle, der Lebendige, hatte vielleicht das Beste daran gethan, und wenn sich Fridolin – in der Stille seiner Seele – dem eisernen Gedächtniß und der musikalischen Entrüstung des alten Tenoristen ernstlich verpflichtet fühlte, so hatte das seine triftigen Gründe.

Bolle war gewiß kein Schriftsteller. Bolle hatte nie daran gedacht, daß irgend etwas, das ihm in 9 seinem Leben vor Augen und Herz gekommen, des Niederschreibens, ja kaum der Rede werth wäre. Mein Gott, das war ja Alles so »ganz einfach gewesen«.

Als es aber eines Abends im vorigen Herbst an seiner Thüre klopfte und der »treue Knecht« eintrat und ihm von seinem Plane sagte, dem heimgegangenen Freunde ein papierenes Monument zu setzen, das, dauernder als Stein und Erz, der blöden Menschheit sagen sollte, was sie an Orlando Hunzelsperger verloren habe, – da kam es gar eigenthümlich über ihn. Sein alter Kopf begann zu sieden wie ein Kessel überm Feuer. Und der neugierige Fridolin versäumte nicht, die nöthigen Späne in dieß Feuer zu legen und das Gebrodel gehörig umzurühren.

Gleich am ersten Abend war bei dem Gedanken, was Alles ein richtiger Biograph Orlando Hunzelsperger's der Welt sagen müsse, der gute Bolle mit einer solchen Menge von Daten, Anekdoten, Angriffen und Rechtfertigungen herausgerückt, daß Fridolin, mit der Fülle des ungeordneten Stoffes zufrieden, um das gesicherte Zustandekommen seiner Arbeit keine Sorge mehr empfand.

Auf Vollständigkeit des Materials war es ihm nie angekommen, sondern auf einen oeuvre littéraire, das, nett und rund und stimmungsvoll beleuchtet, anregen und unterhalten sollte. Dafür meinte er nun 10 schon genug zu wissen und in der Hitze des Empfangenen ging er sofort daran, das erste Kapitel niederzuschreiben.

Es drängte ihn, den biderben Bolle gleich merken zu lassen, was für ein kleines Kunstwerk aus seinen rohen Blöcken aufzubauen wäre von Meisterhand. Mit den noch nassen Blättern rückte er dem Tenoristen auf die Stube.

Dieser hörte ihm mit jener eisernen Geduld zu, die er zu jeder Arbeit und zu jedem Schmerz mitbrachte. Dießmal brauchte Bolle nicht einmal viel von der himmlischen Tugend aufzuwenden, denn da »das wahre Kunstwerk klein«, so waren begreiflicherweise seine Theile winzig. Sowie aber Fridolin sein letztes Wort gesprochen hatte, versicherte ihn der athletische Freund, daß, wenn er in dieser ebenso ungenauen wie affektirten Weise fortfahren wollte, das gute Gedächtniß seines verstorbenen Hausgenossen mit schlechten Mätzchen zu verunglimpfen, er ihm lieber alle Knochen im Leibe zerschlagen, als derlei Affenschande auf einem Grabe dulden werde. Was man auch gegen Orlando vorbringen möge, ein ganzer Kerl sei er gewesen und nur ein ganzer Kerl auch dürfe sich an seine Lebensbeschreibung wagen.

Der stolze Fridolin Löwe wollte sich selbstverständlich nach dieser Kritik auf Nimmerwiedersehen empfehlen, da jedoch der starke Mann seine Heftigkeit11 sofort bedauerte, so machte auch Jener alsbald die Entdeckung, daß er trotz Bolle's Mißkennung gar wohl der ganze Kerl sei, der eines Ebenbürtigen Lebensbild an die Wand zu malen vermöchte, wenn ihm auch der erste Anlauf mißglückte.

Dieß war immerhin ein Geständniß, welches Fridolin vor den größten Meistern seines Faches niemals abgelegt hätte. Diesem schreibensunkundigen, man konnte in gewissem Sinne sagen, diesem ungebildeten Naturmenschen gegenüber that es seinem Selbstgefühl keinen Abbruch. Andererseits sagte sich auch der kluge Bolle, daß er selber mit dem besten Willen nie im Stande sein werde, zehn Seiten, welche kunstgerecht ihre Wirkung üben sollten, dem Druck zu übergeben. Er sagte sich, daß, wie die Welt beschaffen und die Zeitgenossen auf dem musikalischen Holzwege wären, kein anderer Schriftsteller seine Feder zu einem Denkmal Orlando's im gewollten Sinne hergeben werde, daß er also – wenn anders ein solches zu Stande kommen sollte – auf den gutwilligen »treuen Knecht« ebenso angewiesen sei, wie dieser auf ihn.

So geschah es, daß ein Jeder von Beiden in der Stille seiner Gedanken beschloß, dem guten Zweck zuliebe mit dem Andern Geduld zu haben, und Jenen dazu auszunutzen, was er selber nicht allein leisten konnte. Manchmal ging es dabei freilich her, 12 wie wenn der Lahme den Blinden führte. Dennoch erreichten sie auf diese Weise schließlich ihr Ziel.

Fridolin's widerborstiger Kopf ward von dem schlichten Geist in die Schule genommen. Und der Erhabene duldete diese Zucht mit Lächeln, indem er sich an die Magd Molière's erinnerte, der dieser größte Dichter jedes seiner Stücke vorgelesen, und wenn sie es nicht verstand, wenn es ihr nicht gefiel, so lange daran modelte, bis er mit ihrem Beifall auch des Beifalls der Menge gewiß war.

Also kam der Verfasser der »Schwimmenden Sterne« jeden zweiten oder dritten Tag zu der Dachkammer gepilgert, wo Bolle sich einen Stiefel sohlte oder einen brüchigen Topf mit Draht band, und las ihm während solcher Hantirung vor, was er seit der letzten Sitzung geschrieben hatte.

Ganz zufrieden war Bolle selten. Immer fiel ihm noch etwas ein, was man auch sagen konnte und was in Orlando's Leben nicht vergessen oder seinen Gegnern nicht erspart bleiben sollte.

Fridolin gab nur selten klein bei. Er empfand, daß die Ueberfülle des Stoffes sein kleines Kunstwerk aus Rand und Band sprengen müsse. Sie schrieen gegen einander und zankten sich, daß Bolle Mühe hatte, mit dem Hammer auf der Sohle nicht aus dem Takte zu fallen. Nicht selten gingen sie mit blutrothen Köpfen auseinander. 13

Daheim aber, das heißt in einem Winkel des gewohnten Kaffeehauses, kämpfte Fridolin gegen die aufgezwungenen Gedanken des Tenoristen weiter und fand meist in diesem einen brauchbaren Zug zur Charakteristik, in jenem ein aufsetzbares Licht. Und wenn er dann zu dem halsstarrigen Genossen wieder kam, hatte er dessen Material zwar nicht so benützt, wie Jener vorgeschlagen, aber meist war es doch irgendwie benützt worden, oft kaum merklich, so daß man mit der Nase auf die Thatsache stoßen mußte . . . Dieß geschah denn auch und Bolle fand hernach – auch ganz für sich in seinen Gedanken, – daß der Andere die Sache denn doch nicht so übel verstünde.

Also ward endlich ein kleines Werk vollendet. Und dieß war nicht der alleinige Gewinn, mit dem Fridolin sich erfreuen konnte, er war dabei auch – ohne daß er's vielleicht merkte – durch eine harte Schule gezogen worden, die für sein ganzes Leben gute Früchte trug. Er, der irrlichterirende, fahrlässige Schwärmer, der renommistische Müßiggänger, der sich jede Schrulle hingehen ließ, durch eine Schule geraden, nüchternen Sinnes, durch eine Schule ernsthafter Wahrheit und unbestechlicher Treue.

Was kein berühmter Autor seiner Zeit ihm hätte bieten dürfen, der schlichte Mann, der keine standhafte Zeile schreiben, sondern nur reinlich denken, männlich 14 empfinden und frisch von der Leber weg reden konnte, der hatte es heilsam zu Stande gebracht.

Es dünkte den guten Fridolin manchmal selber verwunderlich, daß er so viel Ausdauer besessen, eine Schrift von mehr als hundert Seiten Großoktav zu vollenden. Und noch verwunderlicher ward ihm, je deutlicher sich die Zeichen mehrten, daß dieses jüngste Werk, das in seiner Meinung tief unter seine früheren Versuche zu stellen war, ungleich rascheren Weg in's liebe Publikum als jene fand. Während sein stürmisches Erstlingswerk und selbst die famosen »Schwimmenden Sterne« dem Schicksal der Ladenhüter und Krebse unwiderruflich verfallen blieben, meldete sein Verleger, daß die erste Auflage der Orlandobiographie so gut wie vergriffen und eine zweite fertig im Druck sei.

Selbstverständlich waren es nicht nur die guten Eigenschaften dieser Schrift, vielleicht durchaus nicht diese, welche den raschen Erfolg entschieden. Man suchte darin nach Skandal und fand ihn, wo er auch nicht beabsichtigt war. Unwillkürlich formten sich des einst berühmten, später verkannten und endlich bei Lebzeiten vergessenen Hunzelsperger's Schicksal und Ende zu einem symbolischen Proteste gegen die herrschende Richtung in der Musik. Und Alle, die unter ihrem Szepter seufzten, viele von Denen auch, die sich der Welt und Mode halber offen unter ihre Korybanten gereiht hatten, insgeheim aber jene 15 herrliche Zeit zurücksehnten, da sie noch Freude an ihren Ohren erlebt, alle Diese, und die Gleichgültigen und die Spottsüchtigen dazu, griffen nach der pikanten Lektüre. Alle freuten sich der Gelegenheit, das schöne Menschenrecht auszuüben und den Namen eines Verstorbenen in den Himmel zu heben, welchen man bei Lebzeiten ohne Gewissensbisse gekränkt, mißachtet und dem Elend preisgegeben hatte.

Es fehlte der Schrift auch bald nicht an solchen begeisterten Lesern, die mehr als der Autor wissen wollten und Jedem, der da horchte, versicherten, es sei nicht wahr, daß der hochbegabte Tonsetzer am großen Durst verkommen. Nichts Anderes als die neue Richtung, der er sich gegen seine Ueberzeugung mit Gewalt habe anschließen wollen, habe ihn auf dem Gewissen. Ueber einem neuen Werke, das er im Zwiespalt seiner besseren Einsicht und der eifersüchtigen Willenskraft durchzuführen im Begriff gewesen, hab' er den Verstand verloren.

Ein paar überwitzte Damen wußten's noch besser. Sie lispelten geradezu von schleichendem Gift, dem der Götterliebling erst sein Talent und dann sein Leben opfern gemußt – und sicher, wie sie gingen, meinten sie damit keineswegs das süße Gift der Trauben oder des Traubenzuckers.

Wie dem nun sei, über Orlando's bescheidenem Grabe, das ärmlich und prunklos zwischen Fridolin 16 und Bolle, zwischen einem mundtodten Pfarrer und den singenden Mitgliedern des Opernchors war geschlossen worden, ging die Sonne der Popularität noch einmal auf. Man fand seine Photographie in allen Schaufenstern und in jedem Album, das der Mode gerecht war, man verlangte an öffentlichen Orten bei allen schicklichen und unschicklichen Gelegenheiten von Orlando's Tondichtungen zu hören, die Hofopernintendanz ließ das falsche Gerücht ausstreuen, daß sie das Werk des vaterländischen Komponisten, die bewußten »Keller von Pistoja«, neu in Szene zu setzen beabsichtige, und Fridolin Löwe's Broschüre ging reißend ab.

Für den Autor derselben war dieß allerdings das Wichtigste. Wenn er nun aber durch die Straße ging und erblickte an allen Ecken in riesigen Lettern den Namen Orlando Hunzelsperger's angeschlagen, wo immer ein Trompeterkorps oder ein Streichquartett zu seinem Besuch einlud, wenn er von allen Drehorgeln alte Melodieen seines Schützlings zu hören bekam und in gesinnungstüchtigen Schaufenstern das Bild Orlando's dem sonst daselbst alleinherrschenden Konterfei des »Meisters« der »Nibelungen« gegenüber gehängt sah – sollte den darbenden Fridolin Löwe nicht das Bewußtsein beschleichen, daß er ein ganzer Kerl sei und nicht nur Lebende, sondern auch Todte mit seiner Protektion glücklich und berühmt machen könne. 17

Und darum focht es ihn nicht mehr an in seiner Selbstachtung, wenn ein dummer Ladenjunge sich eines schlechten Scherzes über ihn vermaß oder gar ihn an den bösartigen Selbstmörder erinnerte, der ihn noch letztwillig zu einem genaueren Studium der deutschen Schulgrammatik hatte bemüßigen wollen.

Daß seine Gedanken über allerhand Bücher weg noch manchmal zu diesem Schabernack zurückkehrten, das konnte Fridolin seinem leicht erregbaren Gemüthe nicht immer verwehren.

So mußte auch jetzt der Prinzipal der Buchhandlung den Geistesabwesenden zweimal anreden, um ihm mittheilen zu dürfen, daß ein Herr unter den Kunden die persönliche Bekanntschaft des gefeierten Autors zu machen wünsche, nachdem er auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht worden war.

Fridolin, der rasch Verwöhnte, empfand es nicht einmal als angenehme Ueberraschung, daß man ihn mit einem Herrn, und noch dazu mit einem ziemlich betagten, nicht eben besonders vornehm aussehenden Herrn, bekannt machte. Den Namen hatte er, wie das so bei Vorstellungen üblich ist, überhört oder falsch verstanden. Der Kopf des Alten war kurzgeschoren, grau, das Gesicht zeigte tiefe Furchen um den Mund und an den Schläfen, der Schnurrbart jene unbestimmte, verblichene Rostfarbe, wie sie Haaren eigen, denen sonst ein wenig mit Farbe nachgeholfen 18 worden und die nun nicht recht angeben können, ob sie grau, roth oder grün sind, die Kleider waren gut gemacht, aber abgetragen – freilich noch lange nicht so, wie die des jungen Cynikers und literarischen Zigeuners Fridolin Löwe.

Die ersten Worte des Mannes, der sich artig auszudrücken verstand, gingen dem Gefeierten prickelnd in die Nase. Er fand alsbald, daß der graue Herr sehr viel Geist besitze, und gleich darauf, daß er trotz seiner abgenützten Hülle ein ungemein distinguirtes Wesen an sich habe, wie es sich nicht Jeder, sobald er wollte, anzueignen vermöchte.

Seiner vollen Achtung ward der Mann gewiß, als er kurz vor Verlassen des Ladens auf ein Halbdutzend kostbarer Prachtwerke hinwies, die man ihm mit etlichen kleineren Einkäufen . . .

»Entschuldigen Sie, mein Herr,« sagte Fridolin beim Verlassen des Ladens zu seinem Begleiter, der bei lebendigem Leibe deutsche Bücher stoßweise kaufte, »wohin befahlen Sie, daß die Bücher zu senden seien?«

»Nach Waldenberg. Als Geschenke für Sohn und Schwiegertochter nämlich. Ich habe ein Gut, das Waldenberg heißt, davon ich ja den Namen trage.«

»Verzeihen Sie, Herr Baron, man hört bei Vorstellungen die Namen immer falsch.« 19

»Namen, wie den Ihrigen, nicht!« versetzte der Diplomat mit vollendeter Höflichkeit, und Fridolin, der wußte, was gut war, säumte nicht, ihm dieß Kompliment in anderer Form zurückzugeben.

Also unterhielten sich die Beiden gar artig, wie sie mit einander über die Straße gingen. Sie lachten vollends, als es sich im Gespräch herausstellte, daß sie Beide sogar nach einem und demselben Hause auf dem Wege waren.

Fridolin nämlich drängte es, seinem verschwiegenen Mitarbeiter die freudige Nachricht von der zweiten Auflage – und ihm damit den Beweis zu bringen, daß der Schreiber die Sache doch nicht so übel verstanden habe. Und Thassilo wollte die Frau Baronin von Santalatona heimsuchen, die nunmehr auch in der kleinen Gartenstraße, in dem bescheidenen Hause mit den grünen Laden wohnte.

Die große, stattliche Zinskaserne, die sie vordem beherrscht, war glücklich verkauft worden. Das Hintergebäude mit der eingeplankten Reitbahn und dem verwahrlosten Gemüsegarten war so ziemlich Alles, was der vor Kurzem noch so reichen Frau an liegender Habe in der Stadt geblieben war. In dieser schlechten Zeit, wo alle Baulust eingeschlafen, war für diese alte Baracke noch weniger ein erfreulicher Käufer zu beschaffen als vordem, da noch das Geld auf der Straße und die großen Projekte in 20 der Luft lagen. Darum hatte sie gute Miene zum bösen Spiel gemacht, hatte die alten Räume mit ihrem besten Hausrath vollgestopft und war aus der belebtesten in die stillste Straße der Stadt gezogen. Obschon sie die beiden Stockwerke bewohnte, war für ihre Gepflogenheiten dieß Heim etwas enge gerathen. Allein Jeder, der in diese Nußschale trat, lobte doch ihre Behaglichkeit, und die verwöhnte Dame war doch in der Hauptstadt verblieben, sie saß doch auf ihrem Eigenthum, und überdieß that – wie sie sagte – die Ruhe dieser abgelegenen Straße ihren aufgeregten Nerven ungemein wohl.

Eduard Bolle hatte seine Kammern behalten dürfen. Er nahm nicht viel Platz weg. Auch ging es der abergläubischen Dame gegen das Gemüth, einen Miether, der zwanzig Jahre pünktlich seinen Zins bezahlt hatte, nun auf einmal vor die Thüre zu bitten. Davon abgesehen, war der gewaltige Këyx trotz seiner Jahre dermaßen beleumundet, daß schon der Name seiner Hausgenossenschaft genügte, jeden Dieb und Einbrecher von allenfallsigem Besuch abzuschrecken. Frau Theodora wußte diese Sicherheit zu schätzen und sprach von dem starken Tenoristen nie anders, als von ihrem »unsichtbaren Portier«.

Aus dieser schalkhaften Aeußerung mag man erkennen, daß der Frau Baronin von Santalatona im Mißgeschick nicht alle gute Laune abhanden gekommen 21 war. Sie seufzte freilich noch bei jeder Mahlzeit, bei jedem Spaziergang, bei jedem Besuche, denn Alles, was sie genoß oder erfuhr, brachte die schöne Zeit und das entschwundene Glück ihr zu schmerzhaftem Bewußtsein. Wenn sie sich aber eine Zeitlang satt geschmält und satt geseufzt hatte, fing sie an zu klatschen oder zu erzählen und mitunter auch zu lachen.

Das Leben wär' ihr auch so erträglich erschienen, hätten die Folgen der Krankheit, die sie im Herbst überfallen, sie nicht noch schwerfälliger gemacht, als sie schon immer gewesen, und wäre das Unglück nicht gar so grausam bei ihrer einzigen Tochter eingekehrt.

Sie sprach mit Niemand über ihre arme Leonilla, als mit Thilo Waldenberg, den sie nach etlichen Wochen einschneidendsten Zerwürfnisses wieder zu Gnaden aufgenommen hatte.

Nun ging der alte Herr wieder tagtäglich zu der alten Frau. Und sie plauderten zusammen von Glück und Unglück ihrer Kinder und lobten die gute alte Zeit und verwünschten die heutige schlechte. Man durfte ihnen das Eine gönnen und brauchte ihnen das Andere nicht zu verargen.

Ein Thassilo von Waldenberg konnte es auch an der ihm zur andern Natur gewordenen Galanterie und Aufmerksamkeit nicht ganz fehlen lassen.

Und wie er so mit dem Autor der 22 Orlandobiographie durch die volkbelebte Straße schlenderte, blieb er plötzlich vor dem Schaufenster eines Antiquars stehen und zwang auch den Begleiter, obschon der annoch wenig Sinn für Raritäten hatte, bei den ausgestellten Sächelchen zu verweilen.

»Sehen Sie, mein junger Freund, die schönsten und kostbarsten Stücke, mit denen dieser gelehrte Trödler hier Staat macht, waren einst mein, diese Silberkanne, von Benvenuto Cellini's eigener Hand getrieben, just so wie diese Regenbogenschüsselchen, und dieser wunderbare Brustharnisch Heinrich's II. nicht minder als diese japanesische Elfenbeinschnitzerei. Ich hatte noch schönere Sachen. Schade, daß wir uns nicht schon damals kannten, ich hätte Ihnen allerhand Interessantes zu zeigen gehabt. Jenun, man muß entbehren lernen!«

Kaum daß dieser weise Ausspruch seinen schmalen Lippen entflohen war, hefteten sich seine sachverständigen Augen schon auf ein kleinwinziges Kästchen von Ebenholz mit eingelegten Silber- und Perlmutterplättchen. Der Gegenstand schien nicht besonders werthvoll, doch war die Zeichnung der Ornamente wie die Form des Ganzen überaus zierlich.

»Florentiner Arbeit!« sagte Thassilo leise, jedoch mit ungemein wichtiger Miene. »Echt und alt! Sehen Sie sich's genau an!«

Eh' aber Fridolin dazu Zeit fand, zog ihn der 23 Andere schon in den Laden hinein und fragte, ohne Jenes Arm loszulassen, um den Preis des kleinen Dings, das seine Kennerschaft in steigende Aufregung brachte.

Es wollte Fridolin scheinen, daß er sich an seinen Arm wie zur Vorsicht hinge und, ließ' er ihn fahren, die ganze Bude auskaufen möchte.

Nach kurzem Handel warf Thassilo ein paar Goldstücke auf's Brett und nahm das Kästchen, wohlverpackt und zärtlich ergriffen, mit sich fort.

Fridolin Löwe konnte sich nicht genug wundern. In der kurzen halben Stunde, seit er die Bekanntschaft des ausgedienten Diplomaten gemacht, hatte dieser für, genau betrachtet, recht entbehrliche Dinge, wie illustrirte Prachtwerke und florentinische Nippes, ein Sümmchen verloren, das einem Menschen, wie Fridolin, durchaus nicht gering erschien. Dem abgehausten Freiherrn ging es demnach gar nicht so knapp, wie die Eingeweihten wissen wollten.

Obwohl ihm diese Beobachtung recht erfreulich schien, konnte er doch nicht umhin, den Vater Waldemar's zu fragen: »Was für Verwendung geben Sie eigentlich diesem kleinen Ding?«

»Sie meinen, für einen Herrn sei das kein Gegenstand,« antwortete lächelnd der glückliche Käufer. »Und darin haben Sie Recht. Auch erlauben mir meine Verhältnisse nicht, zum Ersatz der aufgelassenen 24 geht mir noch immer gegen den Strich, etwas wirklich künstlerisch Werthvolles, besonders wenn es dem Laien gegenüber in so leicht verkennbarer Gestalt vorliegt, dem ersten besten Tölpel oder Barbaren zu überlassen. Ich zieh' es vor, guten Menschen damit eine Freude zu machen. Da ist nun die Baronin . . . Sie wissen ja wohl, daß mein Sohn eine Tochter der Frau von Santalatona geheirathet hat? . . . Die Dame hat in jüngster Zeit auch Trübes genug erfahren müssen. So ein kleines, unbedeutendes Geschenk zerstreut sie ein wenig. Man nimmt Gelegenheit, sein bischen Archäologie auszukramen, man schwatzt von florentinischer Kunst, von italienischem Leben, von Reisen und Reiseabenteuern; ein Wort gibt das andere; und so verbringt man einen angenehmen Abend, anstatt daß man heute wie gestern wieder seine jüngsten und bittersten Erfahrungen wiederkäut.«

So sehr Fridolin Löwe dieser Auseinandersetzung beipflichtete, konnte er doch nicht umhin, ein wenig an diese jüngsten Erfahrungen des Freiherrn zu rühren. Die Frage, welche seit dem Augenblick, daß er den Namen der neuen Bekanntschaft erfahren, ihm immer und immer wieder auf die Zunge trat, mußte dennoch endlich laut werden. Er erkundigte sich in aller Zartheit um das Befinden Leonilla's. 25

Die Familie hatte sich wohl gehütet, in der Stadt etwas über der Frau von Waldenberg Gesundheit verlauten zu lassen. Man nahm dort allgemein an, daß der Major nach Erschütterung seines Vermögens den Dienst in seinem Kavallerieregimente zu kostspielig und ein seinen jetzigen Verhältnissen angemessenes Verbleiben in der Hauptstadt ebensowenig nach seinem Geschmack, als den Gewohnheiten seiner Frau erträglich befunden und demnach zur Verbesserung seiner Umstände sich wie mancher Andere auf sein Gut zurückgezogen habe. Dort könne er, ohne von unliebsamen Vergleichen und müßigem Bedauern belästigt zu werden, sich eben nach der Decke strecken. Seine Gattin leiste ihm dabei pflichtschuldige Gesellschaft – selbstverständlich ohne Enthusiasmus.

Lange war diese Anschauung der Sachlage ungestört die allgemeine geblieben. Aber nach und nach war etwas von der Wahrheit dennoch durchgesickert. Man fand es befremdlich, daß die Waldenberger nicht ein einziges Mal den ganzen Winter lang sich in der Hauptstadt blicken ließen. Man horchte herum, man fragte, man kombinirte. War's, daß Theodora zu laut geseufzt, war's, daß einer der Aerzte zu weit mit der Sprache herausgerückt oder ein Dienstmädchen aus dem Hause geschwatzt hatte – allmälig fanden sich Leute, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit es Einem in's Ohr sagten, daß Leonilla 26 von Waldenberg gemüthskrank sei – Einige setzten sogar hinzu: »Was man so ›gemüthskrank‹ nennt, und das nicht eben in der bequemsten Form! Der arme Waldenberg!«

Auch Fridolin Löwe hatte so etwas läuten hören und es ging ihm die trübe Kunde gar verdrießlich im Kopfe herum.

Ob er aber auch noch so fein und listig seine Fragen stellte, der alte Thilo wich ihm jedesmal sonder Anstrengung aus und ließ ihn der Sache nicht näher auf den Leib rücken. Der Mensch, der als Handwerkszeug eine Feder führte, schien dem Diplomaten der alten Schule der Allerletzte, dem er ein Familiengeheimniß anvertrauen möchte. Das galt ihm eben so viel, wie wenn er's an die große Glocke gehängt haben wollte. Wie aber endlich der treue Knecht ihm mitzutheilen für räthlich fand, daß er nicht nur seine Schwiegertochter persönlich zu kennen die Ehre hätte, sondern daß er ihr auch zu einem Besuche Beistand geleistet, der mit dem letzten Kapitel der Biographie Orlando's in lockeren Zusammenhang zu bringen wäre – da sah ihn der überraschte Schwiegervater mit solcher Betrübniß an, daß er für Glück und Heil seiner stillverehrten Muse ernstlich fürchten mußte.

»Es wäre vielleicht besser gewesen, Sie hätten unsere Tochter nicht auf diesen Weg gebracht. Es 27 hat dieselbe jedenfalls zu tief erschüttert,« sagte Thassilo mit einem Seufzer.

Fridolin's offenbare Bestürzung, wie seine hitzigen Fragen fruchteten gleich wenig. »Lassen wir den Gegenstand fallen! Es thut weh, davon zu reden!« Das war Alles, was er von dem betrübten Herrn noch zu hören bekam.

Verstimmt, übermäßig förmlich, nicht anders, als hätte Löwe mit seinem unerbetenen Geständniß seine Gunst verscherzt, entließ ihn der alte Waldenberg, kaum daß er den Schwellenstein des kleinen Hauses mit dem Fuß berührte.

Der Biograph Orlando's dachte zunächst, daß vielleicht Bolle, der Hausgenosse der Mutter, von dem geheimnißvollen Schicksal der Tochter mehr Witterung habe, als er zu verlautbaren für angezeigt hielt. Wenn er sich die halbdunklen Gerüchte, davon er gehört hatte, mit Leonilla's Gebahren und Reden auf jenem Heimwege zu Hamlet's Haus zu erhellen suchte, so kam eine Schlußfolgerung heraus, die den treuen Knecht in die furchtbarste Aufregung versetzte.

In wenigen Sprüngen war er bei dem Tenoristen oben und wie er den ursprünglichen Zweck seines Kommens, die famose zweite Auflage für den Augenblick vergessen hatte, wär' er am liebsten mit der Thür' in's Haus gefallen.

Aber diese Gefahr, sein sonst so wohlgehütet Herz 28 vor dem pedantischen Sänger zu verrathen, ward durch den Umstand vereitelt, daß er denselben nicht allein traf.

Das konnte den Besucher zwar wohl verdrießen, aber nicht überraschen. Seit einigen Tagen war Bolle's jüngster Sohn Basilius aus England heimgekehrt und seitdem, wie wenigstens Fridolin urtheilte, mit dem Alten nichts Gescheidtes mehr anzufangen.

Die Beiden hatten sich freilich an die zehn Jahre nicht gesehen, aus dem grünen Jungen war ein Mann, ein gemachter Mann geworden, der ein Stück Welt durchwandert und Allerhand zu erzählen hatte.

Fridolin fand nun zwar, daß Basil nichts weniger als lebhaft zu erzählen verstünde und daß man wenigstens sein Vater sein müßte, um sich für das, was er erzählte, zu interessiren.

Der Verfasser der Orlandobiographie hatte ja eine gewisse Nutzbarkeit Bolle's nur allzu gut erfahren, er bestritt diese gute Seite nicht an Jenem. Aber wenn er diese von ihm abzog, so wußte er schlechterdings nicht, warum die Welt nicht mit einem solchen philiströsen Klotz sich begnügt hatte, und wozu zwei so ungefüge Kerle neben einander herliefen. Zwei Solche neben einander nahmen viel Raum ein und an ein vernünftiges Gespräch mit ihnen war, wenn sie beisammen saßen, gar nicht zu denken.

Basil's Aehnlichkeit mit dem Vater ging wirklich 29 bis zur Lächerlichkeit, schon aus dem einen Grunde, weil auch er wie Jener die wunderliche Gewohnheit hatte, wenn er in Zorn gerieth, den Mund zu ziehen, als lachte er selbst und forderte Andere zum Lachen heraus. Auch von Angesicht und Knochenbau waren sie einander erstaunlich ähnlich. Freilich, der Eine war jung und hübsch und der Andere war es längst nicht mehr. Der Sänger ging in Kleidern, die im vorigen Jahrzehnt gemacht schienen und im Verdacht standen, ebenso wie seine Stiefel, bei denen er's Wort hatte, von eigener Hand gefertigt zu sein. Den Anforderungen der Bühne gemäß ging er mit glattem Kinn und Mund. Der Andere stak in besseren Gewändern, denen man an Stoff und Schnitt die englische Mache von Weitem ansah, und von seinen Kinnladen hingen zwei rothbraune Bartkoteletten, die gleichfalls jenseits des Kanals angeschafft schienen.

Aber wie sie gingen und standen, wie sie redeten und lachten, wie sie die Glieder reckten und die Fäuste brauchten, das war bei Beiden eine Weise. Und wenn sie mit einander scherzten, da knackten anderen Leuten schon vom Zusehen die Knochen im Leibe. Ein über's andere Mal fragte dann der zärtliche Vater: »Junge, kannst Du noch Dieß oder Das?« Und der hoffnungsvolle Sohn bewies dann dem Vater sofort, daß das Kunst- oder Kraftstück nicht aus dem Bereich seiner Gewohnheiten gefallen und daß er an 30 Muskelkraft und Gewandtheit nicht geringer und des Erzeugers nicht unwürdig geworden war. Das freute den wackeren Eduard um so mehr, als der Beruf eines Chemikers durchaus nicht von selbst auf solche Beflissenheiten führte. Das mußte nur die gute Natur und Erziehung thun.

Manchmal gab auch der Sohn dem Vater was zu rathen auf – lauter Dinge, die für einen Dritten auf die Dauer zu betrachten nicht unterhaltend waren. Und wenn im Zusammenhang mit diesen Leistungen Basil etwas zu erzählen fand, so waren es Geschichten von Schiffsjungen und Pferdeknechten oder Solchen, die es hätten werden können.

Trotz dieser rührenden Uebereinstimmung der beiden Naturen kamen Vater und Sohn – auch dieß war für den Dritten nicht erbaulich – alle halben Stunden in erbitterten Streit mit einander über die gleichgültigsten Dinge von der Welt!

Schon wenn Vater Eduard mit seinem Lieblingswort herausrückte, daß Alles einfach sei, fuhr der Andere mit der Versicherung dagegen, daß es nur wenig Einfaches in der Welt gäbe, und daß es ja gerade seines Berufes Sache wäre, Zusammengesetztes zu scheiden und erst in Folge dessen manchmal auch Getheiltes zusammen zu bringen.

Das nannte Bolle, der Aeltere, ein thöricht Spiel mit Worten, wogegen der Jüngere Genauigkeit und 31 Ernst der wissenschaftlichen Anschauung auch im gewöhnlichsten Ausdruck nicht außer Acht gelassen haben wollte.

Da ihr Zank keine tiefere Veranlassung, als z. B. die genannte vonnöthen hatte, so geriethen sie des Tages öftere Male in lauten Wortwechsel. Bolle hatte von den Dingen etwas naturwüchsige Anschauungen, und wenn sein Sohn von fremden und überseeischen Erfahrungen und Gebräuchen handelte, war dieser auch meist im besseren Wissen. Wenn dann der Alte fühlte, daß er vor seinem Fleisch und Blut den Kürzeren gezogen, dann freute sich der Schalk im Stillen, daß er einen so klugen und welterfahrenen Burschen zum Sohn habe, der seine Meinung zu behaupten verstünde und sich nicht einschüchtern lasse – nicht einmal von ihm selber.

Dagegen sich der Sohn schämte, daß er sich von seinem Temperament und wilden Gewohnheiten hatte hinreißen lassen, dem guten alten Vater in Gegenwart eines Dritten zu widersprechen. Diese Beschämung machte ihn wortkarg und für die nächsten Minuten vielleicht auch dem Fremden gegenüber nicht sehr entgegenkommend. War das etwa für den Dritten angenehm?

Fridolin fand immer wieder, daß sein Urtheil nur allzu begründet, daß mit dem Alten nichts anzufangen sei, wenn Basil ihm Gesellschaft leiste, und 32 mit Basil überhaupt nichts, denn Der war ihm zu englisch, zu steifleinen, zu rostbeafisch. Auch hatte Der an der neuesten deutschen Literatur noch nicht das geringste Interesse kundgegeben, und wenn er jederzeit freundlich gegen ihn sich bezeigte, so war es eine so robuste, respektlose Freundlichkeit, wie wenn sie Beide neben einander auf einem Schiff gedient oder in einem Stall neben einander geschlafen hätten.

Seit Naphtali, der Spötter, still geworden und die Orlandobiographie in's Stadium der zweiten Auflage getreten, war der kleine Löwe gewohnt, mit Auszeichnung behandelt zu werden.

Wo Einer dagegen verstieß, ward er von ihm übersehen. So des Buchhändlers mißrathenes Söhnchen, so der hochgeschossene Basilius Bolle, an dem freilich keine bewußte Bosheit, sondern nur das mangelhafte Gefühl für geistige Bedeutung zu rügen war.

Aus diesen Gründen erwiederte Fridolin Löwe den lauten Gruß des jungen Mannes nur mit sanftem Kopfnicken und machte sofort dem Alten eine Meldung, ohne sich niederzusetzen, ohne die gelben, mit blauer Seide gesteppten Handschuhe auszuziehen, die ihn in dieser Umgebung als Merkzeichen und Symbol seiner feineren Art besonders lieb und nöthig däuchten.

Auch Basil stand vom Stuhl auf, da er hörte, 33 wovon zwischen seinem Vater und Fridolin die Rede war. Und wie bei Jenen ein Wort das andere gab und wie das Gespräch über die famose Biographie und den Entschlafenen, welchen sie verherrlichte, in den besten Zug kam, nahm er hastig seinen Hut zur Hand und griff nach der Thüre.

Solch' ein Zeichen von Geringschätzung oder Theilnahmlosigkeit war unserem Fridolin denn doch zu arg.

Auch er faßte nach seiner Kopfbedeckung und sprach: »Ich bitte sehr um Entschuldigung. In meiner Absicht konnte nichts weniger liegen, als Herrn Bolle den Jüngeren aus seines Vaters Stube zu verjagen. Wie konnt' ich annehmen, daß man in wenigen Jahren jenseits des Meeres das Gefühl für heimischen Künstlerruhm und heimische Künstlergröße so ganz verliert, daß man lieber die Flucht ergreift, als einige Worte über einen deutschen Tonsetzer ersten Ranges mit anhört! . . . Guten Abend, Vater Bolle! Auf ein andermal also!«

Fridolin wollte mit dem ganzen Stolz seines monumentalen Bewußtseins an dem Störenfried zur Thüre hinaus. Der aber pflanzte sich nicht nur in seiner ganzen rohen Kraft vor der Thüre auf, er ging sogar so weit, die Hand nach dem Erzürnten auszustrecken. Er lächelte noch dazu und erst als Fridolin unwirsch vor ihm ausbog, stieg ihm das Blut zornig zu Kopf und er warf den Hut so 34 derb auf den Boden, daß der Staub von der Diele hoch flog.

»Lassen Sie doch Ihre Eitelkeit aus dem Spiele, liebster Löwe!« rief er. »Wenn's mir nicht lieblich schmeckt, von Orlando und seinem Hause plaudern zu hören, so hat es mit des Seligen Künstlergröße nichts zu schaffen und mit der seines Biographen auch nichts. Merkwürdige Leute, die ihr seid! Müßt ihr denn immer glauben, daß man mit euch und euren Werken so oder anders beschäftigt sei! Guter Gott, das fehlte just noch! Ich, deß bleiben Sie getröstet, ich habe mein Deutsch in der Fremde nicht verlernt. Nicht einmal meine deutschen Erinnerungen . . . Und das ist's wohl eben!«

Basilius hatte bei seiner Rede die anderen Beiden voll und scharf angesehen; Einen nach dem Andern. Jetzt warf er das Haupt trotzig beiseite, gab die Thüre frei und ging mit rückwärts gekreuzten Händen in der Stube auf und nieder.

Die anderen Beiden blieben stumm.

Vater Bolle spielte mit dem Hammer in seiner Hand, ohne daß ihn die Lust anwandelte, denselben ernsthaft zu gebrauchen, wodurch er doch den fatalen Engel, der so auffallend langsam durch's Zimmer flog, ganz leicht hätte verscheuchen können.

Fridolin machte keine Miene mehr zum Fortgehen. Halb verlegen, halb erwartungsvoll sah er vor 35 sich hin. Ihm dämmerten allerhand Vermuthungen auf, daß dieser Enakssohn im Begriffe sei, den Schleier vor seiner männlichen Seele zu lüften, und daß etwas zum Vorschein kommen werde, was mit seinen eigenen besten Wünschen wohl in Einklang zu bringen sein möchte.

Und so war es auch. Der Unmuth ließ Basil aus der Schule schwatzen. Als er, wieder einmal an der Wand umwendend, dem schweigenden Fridolin das Gesicht zukehren mußte, sprach er: »Sie sind mir der rechte Herzenskündiger! Gerade von Ihnen hätte ich etwas mehr psychologisches Verständniß erwartet. Nun scheint mir, Sie können sich in keinen Andern hineindenken und wissen den Teufel was, wie einem armen, halbwüchsigen Burschen zu Muth ist, der in der Mitternacht über Bord in's Wasser sieht. Der Himmel ist voller Sterne, ja, aber die wogende, schaumgeifernde Welle unter ihm gibt kein Bild, keinen Glanz zurück, der von Oben kommt. Nur ein phosphorisches Leuchten blinkt zuweilen dämonisch an den Wogen hin und Keiner kann es erklären. Da, lieber Herr, wird Einem oft wunderlich um's Herz, da kommt oft über den stärksten Rüpel ein Heimweh – jenes schreiende Heimweh zwischen Planken und Takelage, das keine Hülfe und keine Hoffnung hat, das der Wind auspfeift und das Wogengeräusch übertäuben will. Wer's da nicht 36 in sich und um sich um die Wette heulen gehört, der rede nicht mit. Verflucht!

»Ich habe so der Heimat gedacht und daß mir das Herzblut weh that! Der Heimat und des Vaters . . . und Orlando's auch, der mir – ich will nicht sagen wie ein zweiter Vater gewesen ist, – wer Dich zum Vater hat, der hat und braucht keinen zweiten! (damit schüttelte er dem Alten die Hand) – aber wie ein Onkel, ein Hausrath, ein . . . ich weiß nicht was! aber wie Einer eben, den man von Kindesbeinen an kennt, der von Anfang an und immer herzensgut zu Einem gewesen ist und den man herzlich lieb gehabt hat, so lange man denken kann.

»Und dann . . . verflucht! . . . dann, wenn die lieben alten Erinnerungen sich Einem so festgestellt haben, daß beileibe nicht daran gerührt und gerüttelt werden darf, ohne Einem das ganze Herz durcheinander zu werfen, dann kommt man heim und das Erste, was Einem die Leute sagen, ist: ›Nach Deinem alten Hunzelsperger darfst Du nicht fragen. Verflucht! Der ist hin! Eines schönen Abends ist er mit einem guten Freund vor die Stadt hinausgegangen und von dem Gang ist nur der Andere wieder heimgekehrt. Der gute Alte kam nicht wieder aus dem entsetzlichen Hause . . . nur einmal . . . aber dann mit den Füßen voraus!‹«

Es trug vielleicht zu Fridolin's Rührung etwas 37 bei, daß er nun doch in der zornigen Erinnerung, wenn auch ungenannt, eine Rolle spielte. Er säumte nicht länger, begütigend auf Basilius Bolle zuzutreten und ihm, ein Zeichen seines Mitgefühls, die breite Hand zu schütteln.

Der Andere erwiederte das nicht nur auf's Kräftigste, da ihm der Gruß des noch kürzlich so Erbosten wie eine Zustimmung zu seinen noch gar nicht ausgesprochenen Gedanken erschien, so vergaß er die Hand des Theilnehmenden zurückzugeben, und agirte damit im Feuer der Rede weiter, daß dem guten Fridolin die Gelenke knackten, bis es ihm endlich gelang, seine federkundige Rechte aus den vom Handwerk etwas angefärbten Fingern des aufgeregten Chemikers frei zu machen.

Derweilen fuhr der Andere fort: »Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen und für den Wahnsinn kein Arzt. Der Eine wie der Andere kommt und kein Freund kann das Opfer vor dem Verhängniß zur Seite schieben. Sei's drum! Friede dem Todten! Aber daß ihr das Mädel so mir nichts dir nichts in die Welt habt hinausziehen lassen, das, Vater, verzeih' mir's, aber das verstehe ich nicht!«

»Nein!« sagte Bolle, »das verstehst Du nicht und redest eben, wie Du's verstehst! Hätt' ich sie behalten sollen, hätt' ich sie hüten können?!«

Basil zuckte die Achseln. Ohne den Vater 38 anzusehen, schien er ihm schweigend einen Vorwurf zu machen aus seinem ablehnenden Verhalten.

Eduard Bolle zog die Brauen hoch und spitzte lächelnd den Mund. Er ärgerte sich offenbar gewaltig über den grünen Meister, ließ aber den Groll nicht Herr werden und sprach, nur den Hammer fester fassend: »Wo sie ist, ist Bettina gut aufgehoben.«

»In dem windigen Hause jener abgewirthschafteten Krautjunker!« versetzte Basil geringschätzig.

»Laß Deinen manchesternen Stolz, wo er hingehört!« rief der wackere Tenorist. »Es sind ehrliche Leute, die Waldenberger, die sie jedenfalls besser hüten, als ich es hier in der Stadt vermocht hätte.«

Mehr wollte der brave Mann nicht sagen und biß sich lieber fest auf die immer zur Unzeit lächelnde Lippe.

Dafür konnt' es Fridolin nicht verwinden, seine Versicherung länger zurückzuhalten, daß Frau von Waldenberg eine wahrhaft ausgezeichnete Dame wäre.

Basil zuckte die Achseln und sprach halblaut: »Brave Leute! Eine ausgezeichnete Dame! Schon gut! Eine unzurechnungsfähige Frau ist sie!«

»Was!« rief Fridolin Löwe laut und trat, plötzliche Blutröthe auf der sonst blassen Stirne, hart, wie fragend an den jungen Bolle heran.

Der machte mit dem Mittelfinger eine kreisförmige Bewegung über seiner Stirne, deren Sinn nicht 39 schwer zu verstehen war. Fridolin legte still die Hände zusammen und ließ den Kopf hängen. Eduard, der Gestrenge, den der Aerger übermannte, weil Basil ein Geheimniß preisgegeben, das er dem schriftstellernden Windbeutel nicht an den Hals gehängt hätte, warf den Hammer auf die Drehbank, daß es knallte, und sprang von seinem Hackstock auf.

Nun standen sie alle Drei neben einander. Unwillkürlich redeten sie leiser als zuvor. Und so fuhr Basil fort:

»Ein überglückliches Eheleben kann das nicht sein. Ihr Alle sagt, Bettina wäre als Mädchen noch schöner geworden, wie sie schon als Kind gewesen. Nun gut, da steht sie denn neben jenen Beiden – vielleicht schon zwischen Beiden. Ich möchte sagen: gewiß, es ist so! Bei der Kavallerie pflegt man keine Asceten groß zu ziehen. ›Nichts ist heilig für einen Ulan!‹ sagt ein altes, dummes Lied. Aber es will mir nicht aus dem Kopfe, seit ich weiß, wo das Hausmütterchen hingerathen ist.«

»Sapperlot!« rief Bolle, der Vater, nun in den höchsten Tönen, die ihm noch zu Gebote standen. »Hätte das Hausmütterchen sich denn zurückhalten lassen! Unsinn! . . . Uebrigens merke Dir das: der Herr von Waldenberg ist ein Ehrenmann, und ich kann wohl sagen, er ist mir etwas wie ein Freund. Nicht Du und Keiner sollen Schlimmes über ihn reden!« 40

»Schlimmes?!« antwortete Basil. »Ich halte mich auch für einen leiblichen Ehrenmann. Aber sperrt mich mit Bettinen in einen alten Thurm ein und ich stehe euch weder für mich, noch für sie. Jener Mann hat doch auch Augen im Kopf und Blut im Leibe. Wenn Zwei einen Kranken pflegen, reichen sie sich allzu oft, ohne es zu wollen, die Hände. Geht mir doch und nehmt die Welt, wie sie ist, und balgt die Menschen nicht aus, ehe sie todt sind!«

Fridolin hatte sich während dieser Rede nicht nur von seinem Schrecken nothdürftig erholt, es war ihm auch ein Gedanke gekommen, den er für gut erachtete, und er lauerte nur darauf, daß Basil in seinem Erguß inne hielt, um ihn an den Mann zu bringen.

Sofort hub er an: »Fräulein Hunzelsperger ist nun einmal, wo sie ist . . .«

Weiter ließ ihn Basil nicht kommen. Wie Dieser keine Ahnung davon hatte, was der Biograph des Vaters ihm in den nächsten Worten vorzuschlagen dachte, so hielt er es für dringend geboten, demselben endlich sein vielleicht allzu lebhaftes Interesse an der Tochter zu erklären.

»Verstehen Sie mich ja nicht falsch, liebster Herr Löwe! Glauben Sie ja nicht, daß irgend eine dumme Jungenliebelei mich an Bettinen fesselt. Als ich von 41 Hause ging, war ich ein alberner Kerl in den Flegeljahren, der sich verdammt was um so halbgewachsene Brut kümmerte. Das Ding war damals kaum so hoch – ein ganzes Kind noch. Aber es gehörte doch zum Hause. Man hängt das Herz daran, wie an eine Schwester – ja, gerade so – und man nimmt ihr Schicksal auf die eigene Ehre, wie . . . wie eben das Schicksal einer Schwester . . .«

Basil wußte selbst nicht, warum er auf einmal nicht weiter wußte. Er sah, daß sein Vater ein recht wunderliches Gesicht machte, gerade wie wenn er ein mitleidig Lächeln verbisse. Auch Fridolin machte ihn verlegen, wie er ihm in Einem fort mit großen Augen auf den Mund blickte. Sie erschienen ihm Beide so kühl, so unbetheiligt, so unüberzeugt. Es kam ihm alle Lust abhanden, ihnen noch mehr zu sagen.

Nun hat er sich wohl satt geschwatzt! dachte Fridolin, und begann seinen Vorschlag von Frischem: »Fräulein Bettina, wie schon gesagt, ist nun doch einmal im Hause Waldenberg. Ob wohlgeborgen oder in Gefahr, das steht dahin. Ob sie dort weiter verbleiben, vielleicht in Gefahr umkommen oder sich noch rechtzeitig ranzioniren soll, das – steht vielleicht bei uns!«

»Wie, was?!« riefen die beiden Bolle neben einander. 42

Fridolin merkte mit Vergnügen, daß der Funke, den er geworfen, zündete, und fuhr behaglicheren Tones fort: »Mitleid, Brüderlichkeit, Liebe, Sehnsucht nach der unverhofft Entrückten, es ist vorderhand ganz gleich, wie Sie das Gefühl nennen, das Sie für die Tochter meines großen Freundes empfinden, genug, daß es ein lebhaftes ist und Sie ihr Loos vor Uebel sichern wollen. Wäre nun nicht das Gerathenste, sich vor Allem nach diesem Loose zu erkundigen, das heißt sich von der Lage der Dinge mit eigenen Augen zu überzeugen?!«

Wie die beiden Hünen den kleinen Löwe jetzt verwundert ansahen!

»Das scheint freilich ganz einfach,« sprach Vater Bolle, »jedoch . . .!«

»Ein Aber ist bei jedem Ding,« versetzte Fridolin mit überlegenem Muthe, dann zu Basil gewendet, fragte er: »Sie laufen doch in Ferien und verfügen über freie Zeit?«

»Ganz richtig und ich wollte wohl . . .«

»Das ist kein Abenteuer für Einen, der nur von allen Seiten beobachtet würde, ohne dabei selbst beobachten zu können. Es müssen Zwei dabei sein. Auch ich interessire mich auf's Höchste dafür, daß die Nachkommenschaft meines großen Freundes nicht zu Grunde gehe, und wünsche, daß das Glück, welches dem Vater so übel mitgespielt, dafür an seinem Kinde ein Uebriges 43 thun möge. Auch hab' ich sonst Einiges im Hause Waldenberg auszurichten; drum, wenn Sie wollen, so will ich Ihr treuer Gefährte sein, und es müßte wunderlich zugehen, wenn wir Zwei nicht die verwunschene Prinzessin entzaubern und Ihnen – wenn nicht eine Braut, so doch eine Schwester heimbringen sollten.«

Es glänzte was in den Augen Basil's. Er redete nichts, sondern hielt dem Redenden die Hand hin und also lautlos schwur er ihm zu, ein guter Gefährte zu sein, und der Andere that deßgleichen.

Es fruchtete nicht viel, daß der Alte solch' Treiben unnütz schalt. »Ihr denkt wohl auch, getheilte Narrheit sei halber Verstand! Darin irrt ihr euch! Aber macht, was euch recht dünkt. Nur vergeßt nicht, daß, wie auch die Waldenberger verarmt sein mögen, sie doch noch auf dem Gut einen oder mehrere Hausknechte halten werden, stark genug, um ungebetene Gäste vor die Thüre zu setzen.«

Er hatte damit seinen Hammer wieder ergriffen. Als die beiden neuen Freunde ihm gute Nacht boten, nickte er nur so sachte mit dem Kopfe, pfiff sich ein Lied und schusterte weiter dabei, wie's ihm in die Hand kam Mußte man doch laufen lassen, was Einem zu halten nicht anstand. Und es stand ihm nicht an. Ja, als die beiden Kumpane fort und unter der Stiege waren, pfiff er sich gar was Lustiges. 44 Die Jugend hatte in ihrem Sinn ja recht, und er freute sich seines Basil's auch so. Hätt' es selber doch nicht anders gemacht. Nur merken durft' er so was nicht lassen. Dafür war er der Vater, die Respektsperson.

Die beiden jungen Männer, sie, die sich vor wenig Stunden noch mit ziemlich scheelen Augen angesehen hatten, und nun wie ein paar Waffenbrüder in die Welt hinauszuziehen beschlossen, die hatten um so mehr mit einander zu besprechen. Dennoch verschoben sie das Meiste auf den nächsten Tag und trennten sich, weil es Jedem eilte, seine Geschäfte abzuwickeln, eh' er sich mit dem Anderen auf den Weg machte.

Insbesondere hatte es Fridolin Löwe nöthig. Und in der That, er stand vor einem großen Entschluß.

Er sagte sich, daß es die Ehre seines Standes, sowie die Würde seiner Person verbiete, sich neben dem Beefsteakesser von Aepfeln und Kaffee zu nähren auf der Fahrt. Auch hatte er in Aepfeln so seine besonderen Sorten, auf die er gewisse Stücke hielt, die aber beileibe nicht überall zu beschaffen waren. Und den Mundvorrath für etliche Tage mit sich schleppen, das ging schon gar nicht an. Und sich von einem Andern etwas schenken lassen – noch weniger.

Aber das Alles war schon bedacht. 45

Sobald er Bolle den Jüngeren an einer Straßenecke los geworden war, wandt' er sich nach der anderen und ging den Weg, den er gekommen, zurück.

Er langte vor dem Geschäfte des Buchhändlers an, just als sie die Laden vor den Schaufenstern anlegten. Aber im Hinterstübchen stand noch der Prinzipal vor seinem Pult unter der Lampe.

Fridolin zog einen kleinen Wechsel – das karge Honorar für seine Orlandobiographie – aus der Tasche.

Der Wechsel war zwar erst in einigen Wochen in Leipzig zahlbar. Aber der Betrag war gering und der Buchhändler nahm gern eine Gelegenheit wahr, die Unart seines vorlauten Sprößlings durch eine kleine Gefälligkeit auszuwetzen. Die Berechnung war einfach und nach wenigen Umständen zählte er dem in Mode gekommenen Autor seine zweihundertundsiebenzig Mark auf's Brett.

Es geschah nicht ohne Bedauern, daß ein so einschlagendes Werkchen nicht besseren Lohn erzielt habe. Der Andere strich das Geld auch nicht ein, ohne der Entrüstung über die Armseligkeit solcher Honorirung beizupflichten. Dennoch war's ihm dabei etwas wunderlich zu Muth. Es war schauerlich lange her, daß er – so wenig es war – so viel auf einmal in der Hand gehabt. Und fast kam ihm die Schamröthe über's Gesicht, als er zum ersten Mal seit 46 Jahr und Tag die Beobachtung machte, daß er kein Geldtäschchen besaß, worin er sein Gold korrekterweise hätte unterbringen mögen. Gerade noch zur rechten Zeit besann er sich und mit einer geringschätzigen Handbewegung, die ihm nicht Jeder nachmachen konnte, schob er die Zwanzigmarkstücke zusammen und den ganzen Bettel in den Hosensack, als wäre das so Brauch bei einem Hidalgo seinesgleichen.

»Ich hätte Sie nicht belästigt,« sprach er dabei, »wenn ich nicht in diesen Tagen eine kleine Erholungsreise vornehmen müßte. Vielleicht kann ich auch Ihnen dabei gefällig sein. Ich komme an Waldenberg vorüber. Soll ich Ihnen den Packen nicht mitnehmen, darin der alte Herr seinem Sohne die neuesten Prachtwerke zum Geschenke sendet?«

Fridolin hoffte nicht wenig auf diese Bücher, die ihm den Zutritt zum Hause Leonilla's erleichtern sollten und den besten Vorwand gaben, an eine Pforte zu pochen, die sich sonst wohl nicht so leicht aufthat.

Um so unerfreulicher war es ihm, als er den Buchhändler seltsam mit der Antwort zögern sah. Erst nachdem Dieser sich ein wenig hinter den Ohren gekratzt und mehrere vergebliche Versuche zu lächeln gemacht hatte, sagte der Mann der reinlichen Geschäfte:

»Mit den Bestellungen des alten Herrn Baron hat es so seine eigene Bewandtniß. Ich spreche ungern davon, aber ein Mann, wie Sie sind, 47 mißbraucht dergleichen ja nicht. Wie soll ich nur sagen? . . . Ja, der alte Herr war eben ziemlich wohlhabend gewesen, eine Zeitlang recht reich sogar, und auch vordem immer sorglos nach seinem Rechte und freigebig, ja, freigebig wie ein echter Kavalier. Schenken war ihm Herzenslust und Bedürfniß. Er war vielen Geschäftsleuten und auch mir dereinst eine gute Kundschaft. Und nun . . . Ja, wie soll ich's nur klar machen? Ja, Gewohnheiten legen sich eben so leicht nicht ab. Sie verstehen. Wer grau geworden ist, ohne Tag für Tag seine Pfennige zusammenzuzählen, wie unsereiner, der vergißt zuweilen leicht, daß es heute nicht mehr ist wie gestern vor einem Jahr. Das Geldwegwerfen ist eine Uebung des Handgelenks, die Einem zur andern Natur wird. Nichts begreiflicher als das! Wir sind allesammt Sklaven der Gewohnheit. Und wer so mit Herz und Hand an's Verschenken gewöhnt ist, der vergißt sich denn auch so ab und zu und schenkt in seiner Vergeßlichkeit denn auch noch immer so fort, wenn er schon lange nichts mehr zu verschenken hat.

»Große Herren haben nicht die schlichte Gewohnheit der kleinen Leute, zu zahlen, ohne gemahnt zu werden. Wenn am Jahresende die Rechnung zum Baron Waldenberg käme, säh' er sie an wie etwas ganz Fremdes, legte sie zu den übrigen und dächte nicht weiter daran. Zahlen würd' er sie jedenfalls 48 nicht – gutwillig nicht. Sollt' ich ihn dann mahnen, drängeln, verklagen? Ich müßt' es, aber ich mag das nicht.

»Warum aber sollt' ich ihn in seiner Freude stören? Seine Freude ist, Geschenke aussuchen, wie da er reich war. Da kramt er nun und sucht und prüft und entscheidet – und hat seine Lust dahin.

»Ich nehme seine Aufträge mit der größten Höflichkeit entgegen und freue mich jedesmal aufrichtig, so oft die alte, gute Kundschaft wieder einmal mein Geschäft besucht, eine reine, ganz uneigennützige Freude. Nun – wie der Baron aus bloßer Vergeßlichkeit in's Schenken geräth, so . . . so erlaub' auch ich mir, die Ausführung seiner Aufträge glattweg zu vergessen.

»Sehen Sie mich darob nicht scheel an. Der alte Herr selber scheint seine Aufträge nicht besser im Gedächtniß zu behalten als ich. Denn es ist noch nicht dagewesen, daß er sich über mangelhafte Ausführung seiner Befehle beklagt hätte. Im Gegentheil! er kommt und geht ein wie anderesmal mit der größten Zufriedenheit.

»Und ich halte nun einmal darauf, meine Kunden zufrieden zu stellen . . . meine Kunden und mich . . . so oder so . . . Und so kommen der alte Herr von Waldenberg und ich am herrlichsten mit einander aus. Aber aus eben diesem Grunde kann ich von Ihrem liebenswürdigen Anerbieten keinen Gebrauch 49 machen und habe Ihnen leider nichts auf Ihre Reise mitzugeben, als meine herzlichen Wünsche.«

Fridolin Löwe fühlte sich in einer peinlichen Verlegenheit, gerade als ob er dafür verantwortlich wäre, daß der alte Thassilo den Kredit bei seinem Buchhändler verscherzt hatte. Fast stotternd mühte er sich, etwas zu erwiedern, und dabei fiel ihm nichts Gescheidteres ein, als die Frage: »Jenun, würde der Major nicht gern für den Vater bezahlen?«

»Gewiß!« beeilte sich der Geschäftsmann mit unerschütterlicher Verbindlichkeit zu antworten. »Aber welch' eine Geschmacklosigkeit läge darin, den Sohn für Geschenke zahlen zu lassen, die ihm der Vater macht! Ich weiß, daß es Leute genug in der Stadt gibt, die sich dessen nicht schämen. Mir widerstrebt dergleichen. Ich habe Zartgefühl. Außerdem können Sie glauben, auf Waldenberg ist erst recht Schmalhans Küchenmeister. Wenn Sie etwas in der Gegend zu thun haben, gehen Sie lieber an dem Gutshof vorüber, ohne anzuklopfen. Es bringt den Geruhigsten in unangenehme Verlegenheit, Denen, die ihn einmal reich gekannt, zeigen zu sollen, was man so gern verhüllt, wie man sich mit genauer Noth just so durchrackert. Wenn die Armuth im Verborgenen blüht, duftet sie vielleicht lieblich wie ein Veilchen. Zum Sehenlassen ist's keine schöne Pflanze. Und glauben Sie dem älteren Manne, der aus Erfahrung 50 spricht: kein undankbareres Geschäft auf der Welt, als verschämte Armuth zu beleuchten und zu betrachten!«

Der Buchhändler redete gern viel und hörte sich gern reden. Er überließ das Bücherschreiben Anderen, aber er sprach doch wie ein Buch und dabei glänzten seine Augen so vertraulich, als meinten sie: hörst du wohl, wie gut ich reden kann!

Fridolin Löwe gab leider nunmehr kein dankbares Publikum ab. Er hatte es eilig, dem freundlichen Manne Recht zu geben und sich mit diesem Gruße zu entfernen.

Er hatte so sicher auf die Sendung des alten Waldenberg gerechnet, daß er seinen ganzen Plan darauf gebaut hatte. Wie sollt' er nur jetzt dem hitzköpfigen Bolle gleich wieder ausreden, was er ihm selbst durch's Ohr geblasen. Und trieb's ihn nicht selber hinaus, um zu erfahren, ob seine still verehrte, so ganz geheim angebetete Muse in der That und Wahrheit jenen finsteren Mächten verfallen sei, über deren Hauses Schwelle seine Hand sie zum ersten Male geleitet hatte.

Ein Sturm von unnützen Gedanken ging durch sein verschlossenes Herz. Aber es fiel ihm nichts Ersprießliches ein; dazu war der kleine Cyniker nicht weltläufig genug. Alles, was er sich zur Hülfe ausdachte, gerieth so phantastisch, daß er gleich selber merkte, wie es keinen Boden unter die Füße gewann. 51

Auf Basil's gesellschaftlichen Witz schien ihm auch kein Verlaß. Wer sich so, wie Der, in der Welt umgetrieben und den Weg von Untenauf in die Höhe mit gesenkter Stirn und eingesetzten Ellenbogen emporgekämpft hatte, der wußte nicht viel von verbindlichen Formen. Seine Weisheit war, mit der Thür in's Haus zu fallen. Was war damit zu erreichen? Daß sie beim Hinausgehen keine Thüre zuzumachen brauchten – auch schon aus dem Grunde, weil man sie ebenso rasch wieder hinausbitten würde, wie sie hereingekommen.

Rathlos ging Fridolin in der Nacht herum. Er hatte sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, den überlebensgroßen Basil, sowie die zierliche Bettina zu protegiren und, das Wichtigste zuletzt: die einzige Frau von Waldenberg glücklich zu machen. Er hätte weinen mögen, weil sich die Möglichkeit hartnäckig zu versagen schien.

Dabei genirte ihn das ungewohnte Geld in der Tasche seines Beinkleids. Es kratzte und drückte ihn an der Lende. Er hätt' es besser vielleicht in den Westentaschen geborgen – aber deren hatte jede ein Loch. Unwillkürlich schob er die Hand in den Sack und griff in seinen Mammon und ließ wie eine Bankierskarrikatur auf der Bühne das Geld durch seine Finger klirren.

Er mußte doch mitten in seines Gemüthes 52 Bedrängniß schmunzeln, wie ihm der Gedanke kam, daß ihm in wenigen Wochen noch einmal Gold in die Tasche fließen sollte, sobald sich die zweite Auflage bezahlte, – diese und vielleicht noch eine dritte, vierte, fünfte!

»Heidi!« schlug er auf der nächtigen Straße ein Schnippchen in die Luft. Da, die Finger noch in der Höhe, ging's plötzlich wie Erleuchtung über seinen Kopf – nicht viel anders, als wie das Licht der Gasflamme des Vorüberwandelnden Hut überglänzte.

»Die zweite Auflage!« murmelte Fridolin halblaut vor sich hin. Das war's, das gab eine Hülfe!

Eduard Bolle hatte freilich dem Hausmütterchen gleich die ersten Aushängebogen der Biographie ihres Vaters gesendet, sowie sie nur naß aus der Druckerei in seinen Besitz gelangten.

Aber das war Bolle, nicht der Verfasser selbst! Und was waren Aushängebogen gegen die zweite Auflage!

Ein feingebundenes Exemplar! Eine eigenhändige Zueignung darin. So etwas wie:

»Der Tochter, dir, die du des Vaters Hände,
Da schon die Blindheit solchen Geist bezwang,
In kindlich frommer Liebe bis an's Ende
Als Führerin auf düstrem Lebensgang
Gehalten, bis der Tod sie dir entrang,
Gestatte, daß ich dir die kleine Spende,
Dieß Buch, das deines Vaters Lebenswege
Zu schildern sucht, dankbar zu Füßen lege.« 53

Es war zwar nicht ganz richtig, aber das schadete nichts. Und es klang dafür um so schöner. Noch so ein Vierteldutzend Strophen! Sie kamen wie von selbst. Eine Anspielung auf die Beschwerlichkeit der Reise . . . Artiger Vergleich mit Dornröschen . . . Entschuldigung der Dreistigkeit . . .

»Wir traten auf die Schwelle nur mit Zagen  . . .
Der fromme Zweck vertheidige dieß Wagen!«

Oder so was dergleichen. Nichts einfacher als dieß! Es war gefunden!

Freilich, es fehlte nur Eines noch . . . das Wichtigste . . . eben die zweite Auflage!

Zwar sie war im Druck. Sie konnte jeden Tag erscheinen; sie sollte sogar; die Lesewelt verlangte nach ihr, wie nach frischem Brode. »Die Welt sprach von nichts Anderem.« Aber rechne du mit Druckern und Verlegern, die so gern dem eigenen Vortheil in den Haaren liegen! Es konnte vierzehn Tage, es konnte vier Wochen, wenn der Teufel seine Hand im Spiele hatte, zehn Wochen dauern . . . Schwere Noth!

Was würde Basil dazu sagen? »Verdammt!« Gewiß, aber würde der wunderliche Gesell so lang bei Laune bleiben? Man soll das Eisen schmieden, so lang es warm ist. Wenn sich des Jugendfreundes Sehnsucht nach dem schönen und gefährdeten 54 »Hausmütterchen« abkühlte, wenn er gar nicht so lange warten konnte, – was dann! Fridolin war freilich Manns genug, sich mit dem schön eingebundenen Exemplar allein auf den Weg zu machen. Aber würde er dann Leonilla sehen? Und ihm war es doch vor Allem um ihr Heil zu thun, um das Lebensglück seiner schönen blassen Muse, das er nicht verloren geben wollte, das er sich klar und sicher zu stellen vermaß – er konnte sich selbst noch nicht Rechenschaft ablegen, warum er dieß glaubte und so zuversichtlich glaubte.

Einstweilen hieß es: warten und Geduld haben. Die Tage wurden wärmer, Basil Bolle darum nicht vergnüglicher, wahrscheinlich die Setzer und die Drucker dafür um so gemächlicher. Der wunderschöne Monat Mai gab einen sonnigen Tag um den andern hin, einen lachender, blühender, verführerischer als den andern. Die zweite Auflage kam noch immer nicht. Was Alles konnte sich nicht unterdessen ereignen! 55

 


 


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