Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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II.

Das Ideal einer Kavalleristenwohnung lag in einem kleinen Hause in einer schmalen langen Straße, welche die Bauwuth der modernsten Menschen bislang verschont hatte. Keine himmelanragenden Fassaden zwangen den Betrachter, sich den Hals auszurenken. Von dem braunen Ziegeldache des einstöckigen Gebäudes flogen die Tauben auf, wenn Jemand im Inneren allzuheftig eine Thüre zuwarf. Zur Linken sah man über den alten Bretterzaun buschige Akazien und ein paar dunklere Kastanien herüberwinken; auf der anderen Seite ragten zwei Pappeln nebeneinander über dichtem Buschwerk in die Höhe.

Zwischen schmalem Bürgersteig und Fahrstraße wucherten da und dort lange Grasbüschel. Selten fuhr hier ein Wagen und wenn das hauptstädtische Geräusch aus den nächstliegenden Straßen nicht allzulaut herüberdröhnte, hörte man das Murmeln eines unsichtbaren Baches, der zum Theil überbrückt unter der Straße dahinlief. In der Nachbarschaft sah man 11 wenige meist niedrige Häuser zwischen langen Gartenmauern stehen; alle mit grau oder gelb beworfenen Wänden und grünen Läden.

Hier liefen die Hunde ohne Maulkorb über die Straße und nicht selten lag einer, vor jeder Störung sicher, mitten auf dem Fahrdamm, alle Viere von sich streckend, in der Sonne. Auf den Zäunen hockten die Katzen und spannen oder buckelten den Fremdling an, wenn anders ein solcher des Weges vorbei wandelte.

Ein einziger Verkaufsladen war sichtbar. Er hatte eine dörferlich vorlaute Schelle an der Thür, welche jedesmal gewissenhaft und laut den Umwohnenden verkündete, wann wieder eine Kundschaft beim Nachbar Krämer eintrat und wann sie sein Geschäft verließ.

Man hätte glauben können, meilenweit weg von der volkreichen Stadt in einer Dorfstraße oder doch in einem kleinen Landstädtchen zu sein. Manch' Einer konnte sich nicht genug wundern, daß die sonst so kühne Spekulation noch nicht von diesen Gärten Besitz ergriffen, ihre Bäume geschlagen und Baugerüste und Zinshäuser an ihre Stelle gepflanzt hatte.

Aber die Gartenstraße galt nun einmal für ein vergessenes Fleckchen in der Stadt, mit deren Gründen nichts zu gewinnen wäre. Kam ja einmal einer der Unternehmungslustigen, Großartiggesinnten in 12 Verirrung oder Geschäften hier durch, so zuckte er nur verächtlich die Achseln und sagte zu sich, wenn er allein war, oder zu seinem Begleiter, wenn er einen hatte, nichts weiter als: »Und so ein Nest, das noch eine solche Straße aufzuweisen hat, will eine Großstadt sein! Machen wir, daß wir in belebtere Gegenden kommen. Hier sagen sich Hund' und Katzen am hellen Tage gute Nacht.«

In dieser Straße wohnten meist Gärtner, die hier ihre Nutzgründe hatten, oder kleine Rentner und Pensionisten, die ihr bischen Einkommen in Gemüthlichkeit und Ruhe verzehren wollten. Nur in dem Hause, das zunächst unsere Aufmerksamkeit gewonnen hatte, wohnte seit Menschengedenken immer auch ein Offizier, manchmal sogar ihrer zweie und zwar immer Reiter, niemals Infanteristen.

Das schien einer Tradition im Regimente zu entsprechen. Man konnte sicher sein, sobald der letzte Bewohner versetzt worden oder mit Tod abgegangen war, so zog in Erdgeschoß und Stall alsbald mit Roß und Troß einer seiner bisherigen Kameraden ein, der gleichsam darauf vorgemerkt erschien.

Und das war leicht begreiflich, obwohl die Straße nicht zu den eleganten zählte und das Häuschen selbst sich mehr eines gemüthlichen als stattlichen Aussehens erfreute.

Seine Vorzüge lagen sozusagen in der Tiefe. 13 Das Stockwerk, welches nach der Straße sich als Erdgeschoß darstellte, befand sich gegen den Hof zu um zwölf Fuß höher vom Boden und wurde auf dieser Seite . . . Ja, wie sagt man nur auf Deutsch? »Beletage«, »eine Treppe« oder »erster Stock« . . . genannt. Darunter auf gleichem Plane mit dem Hofe befand sich ein guter geräumiger Stall für vier Pferde oder auch mehr. Der freie Raum davor wurde von den anderen Hausgenossen kaum benützt und war seit Urväter Zeit als Reitbahn abgesteckt, mit Lohe oder Sägespänen beworfen und mit alten wurmstichigen Planken eingefaßt, die einst bemalt gewesen sein mußten, jetzt aber keine Farbe mehr zu erkennen gaben. Wahrscheinlich waren Hof, Gärtchen und Haus vordem Theile eines großen Gutes oder Dependenzen eines herrschaftlichen Landsitzes gewesen und hatten sich als dürftige Ueberbleibsel alter Herrlichkeit in unsere baugierigen Jahrzehnte herüber gerettet, während die Haupttheile allmälig der Stadterweiterung zum Opfer gefallen und an Stelle des düsteren Waldes eine breite Straße, an Stelle des verwitterten Jagdschlößchens eine elegante Zinskaserne, an Stelle des Parks ein Gemüsegarten und Hintergebäude aller Art mit großen und kleinen Schornsteinen entstanden waren.

Die Ungleichheit des Terrains brachte gewiß auch die vom Rittmeister von Waldenberg erwähnte, seit 14 unvordenklicher Zeit bestehende Erlaubniß mit sich, daß der Miether, welcher seine Pferde im Stall stehen hatte, geradeaus durch die Höfe und durch's Thor des neuen großen Hauses der Baronin Santalatona auf die gleicher Höhe liegende Straße reiten durfte, statt die dem Stalle zunächst liegende Gasse erst hinauf und dann nach wenigen hundert Schritten wieder hinab klettern zu müssen.

Seit drei bis vier Jahren war Waldemar von Waldenberg Herr in Haus und Stall, obgleich er, wie alle seine Vorgänger, hier nur in Aftermiethe wohnte. Und wie kaum irgend einer seiner Vorgänger fand er's behaglich hier und ganz nach seinem Geschmack.

Der Rittmeister war ein Mann von wenigen Bedürfnissen. Man konnte leicht sagen, er hatte deren für seinen Stand und seine Jahre zu wenig. Er schlief in einem Feldbett, er besaß keinen Schreibtisch, ja man fand nicht einmal andere als die ordonnanzmäßigen Waffen bei ihm, und an seinen glatt und matt getünchten Wänden sah man nur wenige eingerahmte Glastafeln. Die größeren derselben zeigten etliche namhafte Pferde, die kleineren Familienporträts in Pastellen oder Photographieen.

Die Stühle waren Rohrgeflechte, die Tische ohne Politur, nur mit weißen Decken überhangen. An den Fenstern nur weiße Tüllgardinen; zwei oder drei 15 Scherben mit Blattpflanzen dahinter. In der ganzen Wohnung lagen etwa zwei Dutzend Bücher herum, alle sehr zerlesen. Ein paar davon noch offenbar aus der Schulzeit stammend. Das größte von allen merkwürdigerweise ein französisches Kochbuch in Lexikonformat mit vielen kolorirten Abbildungen. Schiller's Werke in zwei Bänden; Vega's Logarithmen; das Lahrer Commersbuch; einige Abhandlungen über Agrikulturchemie; Rabelais' »Pantagruel« und »Gargantua«; Montaigne's »Essais«; das erste Heft der populären Vorträge von Helmholtz; etliche französische Romane des vorigen Jahrhunderts und Goethe's Gedichte – der größere Rest hippologische Schriften aller Farben und Formate.

Die drei Stuben, welche der Rittmeister bewohnte, sahen nicht viel weltlicher als Mönchszellen aus, und nicht viel eleganter als Zimmer einer Kaserne.

Und dennoch wußte hier jedes Kind, daß der Rittmeister von Waldenberg aus einer sehr wohlhabenden Familie stammte und daß sein Vater eines der fashionabelsten Quartiere in der Stadt bewohnte, wo derselbe zwischen flandrischen Gobelinstapeten, venetianischen Glaslüstern und orientalischen Teppichen sich in einem kleinen Museum von sprüchwörtlich gewordenen Raritäten und Kunstsächelchen hin und her bewegte. Man wußte, daß der Sohn selbst für Pferde schöne Summen ausgab. Auch konnte man 16 ihm nachsagen, daß er auf dem Turf Wetten gewonnen und, ohne Spieler von Passion zu sein, einer gelegentlichen Abendunterhaltung mit den Karten nicht aus dem Wege ging.

So waren Manche geneigt, ihn anzuklagen, daß er absichtlich diese militärisch übertriebene Einfachheit in allen Stücken häuslichen Behagens zur Schau trüge. Indessen war der ganze Mann so frei von aller Affektation, so natürlich in Gemüth und Gehaben, ja man konnte sagen, so derbe, drall und geradezu, daß nichts übrig blieb, als ihm auf Wort und Gewohnheit hin zu glauben, daß sein Bett zum schlafen gut genug und sein Heim, so wie wir es kennen, sehr behaglich war.

Seine einzige Leidenschaft waren seine Pferde. Er lebte mit seinen Pferden. Er war Kavallerist nicht bloß von Beruf und aus Passion, er war es mit einer gewissen Religiosität, mit einem fröhlichen Pflichtgefühl und einer väterlichen Besorgniß, die sich auf den dümmsten Kerl und den schwächsten Gaul seiner Schwadron erstreckte.

Trotzdem hatte Waldenberg im Regimente den Ruf, etwas geizig zu sein. Jedenfalls ging er auffallend vorsichtiger mit Geld und Geldeswerth um, als dieß bei unverheiratheten Offizieren seiner Waffe gebräuchlich war. Kein Wunder, daß in Folge dessen seine Vermögensverhältnisse nicht nur für geordnet, 17 sondern für glänzend galten. Man nahm eben an, daß er für allerhand Vergnügungen keinen Sinn habe. Auch an der hauptstädtischen Geselligkeit schien er geringe Freude zu finden. Selbst um die schönen Frauenzimmer, deren es in der Stadt so viele gab, kümmerte sich der Rittmeister wenig oder gar nicht. Man konnte ihm in all' der Zeit nicht eine ernsthafte Liebschaft nachsagen.

Freilich war er schon über die erste Jugend weg, als er zum Regimente kam. Er hatte früher in einem anderen Staate gedient. Seine Heimat hatte bis zum Jahre Sechsundsechzig ein eigenes Heerwesen und einen eigenen obersten Kriegsherrn besessen.

Waldemar's Vater hatte diesem »obersten Herrn« an verschiedenen europäischen Höfen in hohen und vertraulichen Stellungen gedient. Er war mehr als einmal nahe daran gewesen, nicht nur die engere diplomatische, sondern auch die weite politisch erregte Welt durch seine staatsmännischen Fähigkeiten in Erstaunen zu setzen. Leider verschoben sich die Verhältnisse, die Jener so genau berechnet hatte, im Momente der Entscheidung immer ganz unerwartet oder die Kräfte des kleinen Gemeinwesens boten für die großen Absichten des genialen Diplomaten zu ungenügende Hülfen – der Name Waldenberg's blieb der großen Welt immer nur aus dem gothaischen Kalender bekannt, während er allerdings in 18 hocharistokratischen und diplomatischen Kreisen den Ruf eines Genies genoß, dem es bloß an der richtigen Gelegenheit, sich zu bethätigen, gebrach. Endlich hieß es allgemein, Waldenberg, der Vater, würde demnächst berufen werden, einen wirklichen Gesandtschaftsposten zu bekleiden. Nun mußte es sich und besonders in also schwierigen Zeitläufen denn doch erweisen, was mit seinem Talent Alles zu leisten sei – da schlägt das Wetter drein! Noch ehe seine Ernennung vollzogen wird, geht das ganze ehrwürdige Staatswesen zu Grunde, der Herrscher siedelt in's Ausland über und die Krone Preußen sorgt von nun an für das staatliche Glück seiner vormaligen Unterthanen sowie für die Vertretung ihrer Interessen an fremden Höfen. Der diplomatische Körper, dem Vater Waldenberg bislang angehört, hatte aufgehört zu sein.

Seine Hoffnungen waren mit seiner Carrière zerstört. Dennoch fand er es nicht für schicklich, dem neuen Gemeinwesen sofort seine Dienste anzutragen. Dazu war er persönlich dem früheren Herrscher zu nahe gestanden, wenn dieser auch – wie die Geschichte beweist – sein Genie nie vollauf zu würdigen gewußt hatte. Er zog sich wie Cincinnatus von den Geschäften zurück, auf eigener Scholle seinen Kohl zu bauen und – wie man in intimen Kreisen verlauten ließ – seine Denkwürdigkeiten zu schreiben. 19

Dagegen war er mit dem Entschlusse seines Sohnes vollkommen einverstanden, der auch unter veränderten Verhältnissen, ja unter diesen erst recht die militärische Laufbahn weiter verfolgen wollte. Es währte dann auch gar nicht lange, bis der elegante Wittwer sich in der nämlichen Stadt, in welcher Waldemar's Regiment garnisonirte, ein niedliches Winterquartier einrichtete und dort alle die kleinen Schätze zusammentrug, die er an nachgedunkelten Kunstwerken, alten Bildern, barocken Möbeln und wunderlichen Kleinigkeiten auf seinen Reisen erstanden hatte.

Wie in vielen Stücken so war der alte Herr auch darin seinem Sohn unähnlich, daß er nicht ohne Geselligkeit und bald konnte man hinzusetzen, daß auch die Geselligkeit nicht ohne ihn leben konnte. Ohne den immer geistreichen und trotz seiner Jahre noch sehr liebenswürdigen Baron Waldenberg wäre die gesellschaftliche Physiognomie unserer heiteren Stadt nicht vollkommen gewesen. Seine Anekdoten gingen von Mund zu Munde; seine boshaften bon-mots hallten gar lange nach und, so gut er auch seine Würde zu bewahren wußte, ab und zu erzählte man sich so ganz kleine Geschichtchen von dem rüstigen, leider unbeschäftigten Diplomaten, über welche die Damen nur hinter ihren Fächern kicherten und die Herren nichts weiter sagten als: »Ein unverwüstlicher 20 Mensch, dieser alte Waldenberg!« Oder gar nur: »Rasse hat er!«

Lauter Geschichten übrigens, bei denen Vater Waldenberg nicht schlecht weg kam.

Eine kleine Geschichte der Art, bei welcher der Alte aber nicht so ganz gut wegkam, wurde übrigens nie erzählt. Schon aus dem Einen Grunde nicht, weil sie außer dem Baron nur Einer wußte und dieser sie Keinem mitzutheilen Lust hatte.

Sie mag dafür hier ihren Platz finden.

Waldemar von Waldenberg schlenderte eines Abends ziemlich spät von einem Kameraden nach Hause. Es war im Anfang des Herbstes. Ueber den Glanz der Gaslaternen spann sich ein dünner Nebelschleier. Aber schon nach einer halben Stunde hatte sich der Nebel so verdichtet, daß die Lampen Mühe hatten, ihre Strahlen durch den Dunst zu bohren. Man sah kaum die Hand vor den Augen und an schlechter beleuchteten Stellen rannte zuweilen ein Bürger auf den andern.

Der Rittmeister hörte plötzlich hastige, zappelige Schritte hinter sich herlaufen und als er sich umwandte, trat ein ängstliches Mädchen so nah', als nur schicklich war, an ihn heran und sagte mit eiligen Worten, während ihr die Schamröthe über die Wangen flog: »Ach bitte, bitte, Herr Rittmeister, führen Sie mich nach Hause!« 21

Sie kamen gerade dicht unter einer Gaslaterne vorbei. Man konnte das frische Gesicht des Mädchens, das von einem weißen Kaschmirbaschlik umrahmt war, gut erkennen. Im Strahl des nebelverschleierten Lichts blinkten ein Paar große graue Augen, ein zierliches Näschen mit schöngerundeten Nasenflügeln und zwischen halboffenem Munde zwei Reihen prachtvoller Zähne. Die Gestalt war jugendlich hager und schien nicht voll. Das nasse Mäntelchen, das sich über dem Rücken spannte, machte bei solchem Wetter einen gar ungenügenden Eindruck.

»Sind Sie es, Hausmütterchen Betti?« sagte der breitschulterige Mann zu dem schlanken Kinde.

Was aber das gute Ding zur Antwort gab, überhörte der Rittmeister vollständig, denn schon war eine andere Gestalt aus dem Nebel dicht auf ihn zugetreten. Ein eleganter Herr in einem der Jahreszeit entsprechenden Paletot, dessen Kragen über den Hals bis an Kinn und Ohren emporragte, dessen Hut tief in die Stirne gedrückt war.

Dennoch brauchte es keines zweiten Blicks, daß der Ulan seinen guten Herrn Vater erkannte. Und auch dieser war nicht länger im Zweifel über die Persönlichkeit seiner unvermutheten Begegnung geblieben. Er sagte weiter nichts, als: »Ah, Du bist es?! Gute Nacht, Waldemar, gute Nacht!« und sofort war er wieder im dichten Nebel verschwunden. 22

Der Rittmeister und das Mädchen gingen ihres Weges weiter. Hart neben einander, aber ohne daß er ihm den Arm bot. Der Soldat schien an diese Artigkeit gar nicht zu denken und das Mädchen ihrerseits dieselbe unmöglich zu machen, denn sie wickelte ihren Oberkörper mit aller Gewalt in das dünne Mäntelchen ein, das ihr kaum über die Taille reichte und, an sich nicht unelegant, für einen Herbstabend wie der heutige doch zu unscheinbar war.

»Wie hieß denn der Herr?« fragte das Mädchen nach kürzer Weile. In ihrer Stimme klang eine kecke Fröhlichkeit, die aus einem gesunden, muthwilligen Herzen zu kommen schien.

»Warum brauchen Sie das zu wissen, Fräulein Betti?« antwortete der Offizier nicht viel freundlicher, als ob er einem Rekruten den Standpunkt klar machen wollte.

»Er war gar so zudringlich, der Alte, der . . .« versetzte Jene. Ihre Stimme klang noch so klar wie zuvor, aber ihre hübschen blonden Brauen zogen sich in zornigen Bogen über der Stirne zusammen.

Dem Rittmeister mußte was in die Kehle gekommen sein, denn er räusperte sich ganz gehörig, bis er dann noch immer ärgerlich, aber doch schon freundlicher erwiederte: »Warum gehen Sie auch bei sinkender Nacht und fallendem Nebel so mutterseelenallein über die Straße?« 23

»Bin ich eines Kalendermachers Tochter, oder haben Sie, Herr Rittmeister, den Nebel schon vor vier Stunden vom fernen Himmel fallen hören? Nein! Nun also! Gab mir Herr Bolle ein Billet in die Oper und ich war sehr froh darum. Ja, ja, es war ganz wunderschön in der Oper . . . Wer aber soll mich, weil just Nebel fällt, nach Hause bringen?«

Sie zuckte mit den Achseln so heftig, daß Gefahr war, sie würde die festgespannte Mantille entzwei sprengen. Dann fuhr sie fort, als ob sie's für nöthig hielte, ihre Worte mit einer eigenen Antwort zu bekräftigen:

»Herr Bolle ist gewiß in's Bräuhaus gegangen und . . .«

Weiter als bis zu diesem »und« kam sie nicht. Es war auch nicht nöthig. Der Rittmeister dachte sich den Satz allein zu Ende, welchen das Kind nicht auszusprechen wagen durfte. »Und der Vater!« sagte er in seinem Geiste. »Ach du lieber Gott, auf ihren Vater könnte die arme Kleine noch lange warten!«

In stillen Gedanken an zwei wunderliche Väter versunken, schienen sich die beiden Leute auch körperlich näher zu rücken. Der Nebel hatte sich in einen feinen Regen aufgelöst, das Mäntelchen war schon tropfnaß und klebte an den abfallenden Schultern des Mädchens. Was Wunder, daß dieses sich so dicht als möglich an den stämmigen Begleiter hielt, dessen 24 breite Gestalt ihre schmächtigere nun so gut von der einen Seite deckte, daß von dieser kein Tropfen auf sie kommen konnte.

Je unbehaglicher das Wetter sich anließ, desto schweigsamer wurden die Beiden. Der Rittmeister schien so ganz die kleine Person daneben vergessen zu haben, daß er unwillkürlich ein paar Takte vor sich in den Regen hinein pfiff. Dann sagte er einmal: »Ja, ja!« und Betti, das zur Erde gebeugte Stumpfnäschen seitwärts hebend und den infamen dicken Regentropfen, der an demselben baumelte, abschüttelnd, antwortete: »Wie meinen der Herr Rittmeister?«

Aber der Herr Rittmeister verlautbarten nichts weiter.

Sie hatten gute zehn Minuten keine Sylbe mehr gesprochen, als endlich Waldemar von Waldenberg einen altväterischen Hausschlüssel aus seinem triefenden Waffenrock zog und die grüne Hausthüre aufschloß.

»Gott sei's getrommelt und gepfiffen! daheim sind wir!« rief er im Flur und warf die Thüre wieder in's Schloß. Ein einziges Handlämpchen stand hier auf der zweiten Treppenstufe und gab dürftigen Schein.

Der Rittmeister hob es auf und beleuchtete damit seine Hausgenossin. Das Wasser rieselte nur so nieder an der schlanken Gestalt; aber die großen grauen Augen lachten und die blanken starken Zähne guckten so heiter aus den lachenden Lippen. Das 25 ganze nasse Persönchen schien nur Vergnügen zu empfinden, trotzdem schon wieder ein ganz unverschämt großmächtiger Regentropfen an dem lieben Stumpfnäschen baumelte.

»Sie sehen wie ein getauftes Mäuschen aus, liebe Bettina,« sagte der Rittmeister und das Mädchen kicherte helllaut.

Das Mädchen kicherte immer, wenn Herr von Waldenberg es Bettina nannte. Die andern Leute nannten sie zwar auch so, aber Herr von Waldenberg hatte die abscheuliche Gewohnheit angenommen, sie meist nur kurzweg Betti zu rufen. Das kurze Wort auf i kam ihr in seinem Munde nicht viel anders vor, als wenn er einen Pferdenamen ausdrückte. Sagte er dann ja einmal Bettina, so hatte das etwas besonders Freundliches zu bedeuten und sie fand alsdann, daß Niemand ihren Namen so schön und volltönend aussprach. Schade nur, daß es, wie gesagt, so selten geschah.

Auch heute hatte die längere Anrede etwas Besonderes zu bedeuten. Der Rittmeister schickte sich an, der kleinen Hausgenossin eine ganz unerhörte Galanterie zu erweisen. Er hob das Lämpchen hoch und sagte: »Kommen Sie, armes Kind, ich will Ihnen hinaufleuchten; machen Sie, daß Sie aus Ihren nassen Lappen heraus in's Bett oder doch in trockene Kleider kommen!« 26

»Sie bemühen sich?!« sagte Bettina erstaunt und hatte doch große Mühe, den Ausdruck ihrer Freude zu verbeißen.

»Vorwärts!« sagte Herr von Waldenberg trocken und stieg hinan.

»Aber Sie triefen ja selbst wie ein Schwamm, Herr Baron,« antwortete das Mädchen, ihm folgend.

»Ich bin kein zartes Fräulein,« versetzte Jener, und der schwere Kavallerist hatte wahrlich kaum nöthig, diese Versicherung zu geben, denn kaum daß er die schmale Treppe zum oberen Stock beschritten hatte, ächzte das alte Holzwerk in allen Fugen und es knarrte, knaxte, krachte durch den nachtstillen Raum, als läge der Hausgeist auf der Folter und sollte der gewaltige Ritter nicht lebendigen Leibes wieder in's Erdgeschoß hinabkommen.

Es geschah aber weiter kein Unglück. Oben angelangt, gab Waldemar das Lämpchen höflich in Bettina's Hand. Diese beugte sich dann über's Geländer, bis der Rittmeister wieder über die krachende Bretterstiege hinabgestampft war.

»Danke bestens, Fräulein Betti,« sagte er.

»Gute Nacht, Herr Rittmeister,« sagte sie.

Und jedes von Beiden machte hinter sich die Thüre zu. 27

 


 


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