Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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XV.

Bettina hatte während der zwei kurzen Wochen still für sich gelebt. In der Einsamkeit war sie zu einem neuen Leben gediehen, zu einer Klarheit über ihre Vergangenheit, wie sie glaubte, die nichts Schmerzliches mehr an sich hatte. Sie webte sich in ein inniges Verhältniß zu der sie umgebenden stillen Natur ein, die ihr ungemeinen Trost zu gewähren schien. Sie streifte tagelang im Freien umher, fand neue Wege zu unbesuchten Plätzen unter Bäumen, auf Klippen, am Flusse. Sie zeichnete schöne Bäume, wand um große Feldsteine, die mitten in bebauten Fluren lagen, lange Laubkränze und pflog mit den Tauben auf dem Dach, mit den Hühnern im Hof, mit den Kühen im Stall, mit den Spatzen auf den Straßen und mit den Amseln im Garten allerhand persönliche Zwiesprach.

Losgelöst von aller Rücksicht auf eine Herrin, die sie argwöhnisch betrachtete, dabei doch frei von drückenden Sorgen um die Zukunft, genoß sie diese 308 glücklichen Tage zu vollem Aufathmen in der Freiheit und genas von allem Wahn, von allem Haß, von allen Träumen.

So viel des Störenden, Bedrückenden, Erhitzenden fiel von ihr ab im stillen, beschaulichen, beseligenden Verkehr mit der freien Natur, daß sie sich selbst ein anderes Wesen geworden zu sein schien.

Von der alten Liebe hatte sie nicht genesen wollen. Ob sie auch davon frei geworden, fragte sie sich nicht, wußte sie nicht. Wußte sie doch kaum, was eigentlich Liebe sei.

Ihr war's genug, daß auch die fratzenhaften Gestalten, die einst ihre verliebte Phantasie mit ihren Possen verfolgten, in dieser freien Luft ihr nichts mehr anhaben konnten.

Daß ab und zu auf ihrem Pfade ein recht leibhaftiger Schatten sichtbar wurde, und allzu oft nicht nur der Schatten des übereifrigen Wächters Joseph, störte sie nicht mehr.

Die pflichtschuldige Verlegenheit des braven Burschen, der ihr nichts weniger als feindlich gesinnt war, konnte sie rühren. Und manchmal, wenn ihm ihr Wandel kreuz und quer durch Hain und Feld und Forst und Wiese gar zu viel zu schaffen machte, rief sie den ungeschickt sich Versteckenden heran, lachte ihn aus, vertröstete ihn seiner Sorgen und pflag auch mit ihm harmloser Unterhaltung, nicht viel umständlicher 309 als mit den Kühen im Stall oder den Spatzen am Wege.

Es gelang ihr nach und nach, den rastlosen Wächter, der doch nicht überall ein Argusauge haben konnte, zu überzeugen, daß er ihretwegen ruhig schlafen könnte – auch am Tage, wenn es ihn manchmal darnach gelüstete.

Sie machte sich einen besonderen Spaß daraus, ihn zu überzeugen, daß, wenn sie wollte, sie trotz seiner Wachsamkeit entfliehen könnte, daß ein schlaues Mädchen nicht zu hüten und daß es deßhalb klüger von ihm sei, ihrem Versprechen zu trauen, als ihre Anschläge zu beargwöhnen.

So bildete sich nachgerade ein freundliches Verhältniß aus, das dem Thürhüter immer mehr Ruhe und Bettinen immer mehr Freiheit gewährte. Er ließ sie endlich wie eine Gefangene auf Ehrenwort aus der Festung gehen, wann und wohin sie wollte. Wenn sie sich zur bestimmten Stunde wie zum Appell meldete, war er zufrieden.

Gerade da Bettina der vollen Freiheit zu genießen sich gewöhnt hatte, schickte Frau von Santalatona die Meldung, daß man das Haus auf den Empfang der Herrin vorbereiten sollte.

Der brave Joseph hatte von den schlimmen Dingen, die es in der Hauptstadt mittlerweile gegeben hatte, wohl munkeln hören. Drunten im 310 Dorf im Gemeindewirthshause waren Leute, die Alles in der Welt wußten, beredeten und verwünschten. Auch aus Zeitungsblättern hatte man ihm vorgelesen, daß nun einmal Gottes Donnerwetter auch über die Reichen und Vornehmen mit Blitz und Krach sich entladen habe – versteht sich, nicht ohne eine entsprechende Anzahl kleiner und kleinster Leute in ihren Ruin mit einzubegreifen.

In Stall und Küche des Hauses Waldenberg steckten die Dienstleute gar oft die Köpfe zusammen, und bis auf den gottesfürchtigen Kutscher und Thorwächter Joseph fanden es Alle gerathen, sich in der Stille anderswo um sichere Plätze zu bewerben. Die Herrschaft sollte schon mit so langen Gesichtern empfangen werden, daß sie an kein X für ein U denken könnte, um braven Dienstleuten Sand in die Augen zu streuen.

Bettina kümmerte sich wenig um derlei Klatsch auf den Hintertreppen. Nur als jener Brief der Frau von Santalatona an sie kam, fuhr ihr ein Schrecken in die Glieder. Möglich, daß die überspannte Frau in ihrer Affenliebe und Gespensterfurcht übertrieb. Allein zwölf Seiten Verhaltungsmaßregeln, wie Leonilla zu behandeln sei, mit Schmerzensrufen und Beschwörungen untermischt, die außerordentliche Aufregung, die in der ganzen Schreibweise kenntlich, und die Thränen, die ihre Spuren auf dem Papier 311 zurückgelassen hatten, führten doch zu der Sorge, daß Frau von Waldenberg ernstlich krank sei.

Es faßte Bettinen schaurig an, wenn sie dachte, daß sie geschworen habe, dieß Haus nicht zu verlassen. Welch' eine Zukunft sah ihr entgegen, wenn sie durch diesen Eid zeitlebens an das Siechbett einer Argwöhnischen gekettet war!

Ein Glück, daß ihr dieß Fleckchen Erde so lieb geworden, daß sie nun wußte, wo hier in Feldern und Wäldern Trost zu finden war für mancherlei Gram und Befürchtung.

Und da der Tage nächster mit Frau von Waldenberg Gewißheit bringen werde, so wollte sie heute noch einmal hinaus, weithinaus, in die freie, sonnenfrohe Herbstesluft schwärmen, ehe der Faden, der sich jetzt noch unsichtbar dehnte und dehnte, sie wieder kürzer an's Haus fesselte und vielleicht recht lästig wie eine Fessel zu empfinden war. –

Leonilla, die unterwegs eines halben Rasttages hätte pflegen sollen, sehnte sich so heftig nach ihrem stillen Heim, daß Waldemar ihrer Bitte nachgab und sie Beide – ungelegen wie jede Ueberraschung – um einen halben Tag früher in Waldenberg anlangten, als sie dort erwartet wurden.

Der biedere Joseph meinte in die Erde zu sinken, als er einen Miethwagen von der Station die Allee herauffahren sah. Wie wollte er vor der 312 finsterblickenden Herrin bestehen, wenn er auf ihre Frage versichern mußte, daß er keine Ahnung davon habe, wie viel Kilometer weit vom Herrenhaus entfernt sich augenblicklich Fräulein Hunzelsperger auf sorglosem Spaziergang befände.

Er schickte sofort einen Stallknecht in's Blaue hinaus, Bettinen einzufangen. Viel Hoffnung war nicht bei dem Versuch.

Um so größer war sein Erstaunen, als Leonilla gar nicht nach dem Schatze fragte, zu dessen Hüter sie ihn so dringend bestellt hatte, und statt dessen der Herr ihn beiseite nahm, was wieder sonst nicht in dessen Gewohnheiten war.

»Ist das Fräulein im Hause?«

»Nein, Herr Major, es muß wohl irgendwo unterwegs sein. Ich habe schon darnach geschickt.«

»Nun, wenn sie nach Hause kommt, so gib mir einen Wink. Ich habe Wichtiges mit ihr zu reden.«

Joseph sperrte Maul und Augen auf und legte sich sofort pflichtschuldig auf die Lauer. –

Waldemar und Leonilla nahmen ein flüchtiges Mahl ein. Leonilla fragte dabei nicht, wo Bettina bliebe. Sie wartete darauf, daß Waldemar nach dem Mädchen fragen werde.

Das Wiedersehen des stillen, kleinen, bescheidenen Eigenthums, das den Beiden im Schiffbruch ihres Vermögens geblieben war, schien auf Leonilla 313 freundlich zu wirken. Sie zeigte mehr Theilnahme an Menschen und Dingen, als man seit Wochen an ihr wahrgenommen. Die Aufregung, warum Bettina sich nicht blicken ließ, die Aufregung, mit der sie sich im Stillen abfinden mußte, machte sie beweglicher, als sie wußte und wollte.

Nachdem sie sich vom Tisch erhoben, gingen beide Gatten, wie auf gemeinsame Verabredung, zu verschiedenen Seiten in den Garten, um Bettinen zu suchen. Leonilla ging über die Wiese nach dem Fluß hinab. Waldemar blieb unter den Bäumen auf der andern Seite des Hauses und wandelte hin und her in wachsender Ungeduld, die peinliche Botschaft überlegend. die ihm ein Fremder mit auf den Weg gegeben.

Endlich sah er die Erwartete über den Hügel herab unter dem Baumgang daherkommen. Ihre Schritte flogen, sie hatte den Sommerhut wie ein Körbchen am Arme hängen, seine blauen Bänder züngelten hinter ihr her. Ihre Wangen waren geröthet vom hastigen Lauf. Ihr flatterndes Kleid war blank und licht.

Waldemar ging ihr nicht entgegen. So heftig er ihre Heimkehr erwünscht hatte, jetzt wollte er ihr die Gnadenfrist nicht verkürzen, die ihr noch in Freude vergönnt blieb. Kürzte sie sie doch selber mit eilenden Schritten ab! Wie bald wird sie die 314 lichten Kleider ablegen, die sie so munter umwallen; wie bald die fliegenden Schritte zum schleichenden Gange mäßigen, wie bald die lachenden Augen weinend zur Alles verschlingenden Erde senken!

Also blieb er, die Nahende mit ernsten Blicken betrachtend, am untersten Ende des Baumganges stehen, selbst als sie schon nahe kam, rührte er sich nicht und grüßte nur sanft nickenden Hauptes.

»Sie überraschen uns,« rief Bettina schon aus der Ferne. »Ich war noch einmal über Feld gegangen, weil ja erst auf morgen die Ankunft angesagt war. Wie geht es Ihrer Frau?«

»Es geht nicht gut,« sprach Waldemar leise.

»Wo ist sie?!« rief Bettina in ehrlicher Besorgniß und wollte nach dem Hause eilen.

Aber Waldemar hielt die Flüchtige an der Hand zurück, um nicht zu laut sprechen zu müssen. »Erlauben Sie mir einige Worte, bevor Sie mit meiner Frau reden. Es ist nicht allzu freundlich, was ich zu sagen habe.«

»Sie erschrecken mich!«

»Ich brauche Ihre ganze Fassung. Auch Ihre ganze Freundschaft brauche ich. Ich weiß, Sie sind Leonilla herzlich zugethan. Sie ist leidend im Gemüth. Sie bedarf unserer Aufmerksamkeit, unserer Schonung. Sie werden ihr gern ein Opfer bringen – auch wenn es Sie schmerzen, auch wenn es 315 Sie Bedenken kosten sollte, so zu handeln, wie ich bitte.«

»Gewiß! Aber reden Sie doch nur!«

Es ward Waldemar immer schwerer, die entsetzliche Wahrheit preiszugeben, je größere Mühe er sich gab, das Mädchen auf dieselbe vorzubereiten.

»Vor Allem geht meine Bitte dahin, an Ihrer Kleidung so wenig als möglich zu ändern.«

Bettina lächelte und wies nach den Blättern, die einzeln hier und dort von den Bäumen niederschwebten. »Das Laub sinkt zur Erde,« sagte sie. »Es ist schon jetzt Leichtsinn, mit also leichten Fähnchen, wie ich, im Winde zu laufen.«

»Ich meine nur die Farbe der Kleider,« sagte Waldemar und hatte Pein mit jedem Worte. »Der Trübsinn Leonilla's sollte nur lichte Farben um sich sehen. Dunkle Gewänder, dunkle Gestalten müßten sie nur noch mehr verstimmen . . .«

Ein schalkhaftes Lächeln flog über Bettina's argloses Antlitz und scherzend sprach sie: »Ich habe gar keine Neigung zu finsteren Gewanden.«

»Es gibt Umstände, wo Einen die Sitte zwingt, auch gegen Neigung und Gewohnheit . . .«

»Jesus, Maria! Mein Vater!« schrie das Mädchen plötzlich auf. Ihre just noch so harmlosen Augen schienen sich aus den Höhlen zu drängen. Ohne zu wissen, was sie that, ergriff sie mit 316 zerrenden Fingern Waldemar's Arm und rief: »Reden Sie die Wahrheit . . . Ist mein Vater todt? Um Gottes willen, sagen Sie mir Alles! . . . Ach, ach, mein armer Vater ist gestorben!«

»In vorgestriger Nacht ist er sanft verschieden!« sprach der Major leise; Bettina jedoch schrie laut auf, bis ein Strom von Thränen ihre Stimme erstickte. Sie wand sich und brach zusammen und wäre der Länge lang auf die Erde hingeschlagen, wenn Waldemar die Verzweifelnde nicht erfaßt und, bis der ärgste Sturm ihre Seele losgelassen, in seinen Armen behalten hätte.

Dann ließ er sie auf eine Bank nieder, die neben ihm unter dem Baume stand, und setzte sich zu ihr. Und redete ihr zu Herzen, und erzählte so schön von ihrem Vater und sprach ihr so freundlich Muth ein, daß ihr wilder Schmerz sich sanfter in die Seele schmiegte und leiser ihre Thränen rannen. Nur zuweilen noch kam es heftiger über sie, daß sie sich wie im Fieber schüttelte und sie aufspringen und aufschreien wollte.

Dann faßte der besorgte Mann wohl die zuckende Hand oder klopfte begütigend auf ihre Schulter. Und wie sie weinend das Haupt senkte und stöhnte, fiel wohl das Haupt an seine Brust. Er dachte nicht daran, das weinende »Hausmütterchen« von sich zu stoßen, sondern ließ es so im Frieden weinen. Es war 317 ihm, als wären Jahre zurückgeschwunden und Orlando's halbwüchsiges Töchterlein säße neben ihm. Er streichelte ihr sanft das Haar über Scheitel und Schläfe, arglos, wie man schluchzenden Kindern thut, um sie zu trösten und ihnen unser Mitleid zu zeigen.

Wie er nun also, nichts Böses denkend, zu dem zuckenden Haupt an seiner Brust von dem theuren Heimgegangenen redete, schrie es auf einmal unfern von ihm auf. Ein gellender, unheimlicher, lang nachhallender Schrei. Er kam von der andern Seite, kam von der Wiese her, welcher Waldemar und Bettina den Rücken zuwandten. Sie sprangen Beide von der Bank empor und sahen, etwa vierzig Schritt weit, mitten in der Wiese, Leonilla stehen, die, noch den Mund geöffnet, in den weitoffenen Augen Entsetzen, am ganzen Leibe zitterte, als sollte sie, wie Lot's Weib, zur Säule werden.

Als Waldemar seine Gattin erkannte, winkte er sie herbei. Er dachte nicht daran, daß er das trostbedürftige Mädchen noch immer bei der einen Hand hielt. Er dachte nur, daß es vielleicht doch gerathener sein möchte, Leonilla von dem Schmerz Bettinens etwas wissen zu lassen, die ihm in diesem Augenblick weit mehr als seine Gattin außer Fassung zu sein schien.

Daß er sich darin täuschte, darüber sollte der nächste Augenblick ihn freilich belehren. 318

Leonilla beantwortete seinen Wink mit einer verzerrten Miene, derengleichen er nie an ihr gesehen hatte. Die Augen schienen größer und dunkler geworden zu sein. Die Lippen hoben sich über den Zähnen. Es war ein Ausdruck von Wuth und Rachsucht und dabei doch wieder von Furcht und Schmerz in diesem Gesichte, daß man es nicht wiederzuerkennen meinte.

Ohne weiteres Besinnen eilte Waldenberg auf die regungslose Frau zu, die seine größte Besorgniß wachrief. Wie diese den Gatten herannahen sah, schien es sie – war's Abscheu, war es Schrecken – höher zu heben. Sie streckte die Hände schüttelnd von sich. Oeffnete wieder den Mund wie zu einem Schrei. Aber aus dem krampfhaft aufgesperrten Schlunde kam kein Ton. Das mit sich selber ringende Weib war entsetzlich anzusehen. Aber nur wenige Sekunden. Noch ehe Waldemar sie erreicht, hatte sie sich gefaßt und gewandt und lief nun, was sie laufen konnte, die steile Wiese hinab.

Auch Bettina hatte sich aufgemacht und war herzugelaufen.

Unterhalb der Wiese, welche die Enteilende hinabfloh, rauschte der Fluß. Bettina fiel dieß Rauschen schrecklich in's Gewissen und sie rief: »Um Gottes willen, sie stürzt sich in's Wasser! Eilen Sie! Greifen Sie sie!« 319

Und nun jagten sich die Dreie die Wiese entlang, wie sich Kinder jagen. Aber ach! nicht mit Kindersinn. Wilde Leidenschaft und fromme Sorge machten einen athemlosen Wettlauf. Leonilla, die merklichen Vorsprung hatte, bog rechts und links zur Seite aus, wenn ihr Waldemar den Weg abzuschneiden drohte. Trotzdem hätte er sie bald erhascht, wär' er nicht gleich zu Anfang in der Angst und Hitze über einen Stein im Grase gestürzt.

Er fühlte den Schmerz kaum in der Aufregung und ob ihn dieser auch zum Hinken zwang, doch lief er wie um seines Lebens Glück und überholte Bettinen, die ihn mittlerweile überholt hatte, und erfaßte Leonilla und riß sie an sich, jäh und heftig, daß sie in die Kniee brach. Es war höchste Zeit. Sie standen aufathmend keine zehn Fuß weit vom steilen Ufer.

Ob Leonilla den Weg in die Tiefe gewollt, konnte Niemand sagen; daß sie, in ihrer Raserei fortrennend, hineingestürzt wäre, schien gewiß.

Jetzt lag sie da und keuchte zu des Mannes Füßen. Er wollte auch ihr mit Zureden gut thun. Derweilen kam auch Orlando's Tochter mit den verweinten Augen heran.

Diese sich gegenüber sehen und wieder aufspringen, war bei Frau von Waldenberg Ein Thun. Doch eh' es zum zweiten Mal entfloh, hatte Waldemar 320 sein wildes Weib ergriffen, und ob es auch stöhnte und ob es ihm die Nägel in's Fleisch drückte und sich aus allen Leibeskräften entwinden wollte, es blieb ihm nichts Anderes übrig, als es auf seinen Armen nach Hause zu tragen, über die Treppe bis in's Zimmer, bis vor das Bette.

Furchtbare Abspannung aller Glieder, einer Ohnmacht vergleichbar, folgte dem Ausbruch der Wuth.

Haupt und Hände hingen willenlos nieder. Die Augen waren geschlossen, die Fäuste geballt, die Zähne in die Lippen gebissen und in den Mundwinkeln zeigte sich ein bischen Schaum, der rasch verging.

Als Leonilla wieder die Augen aufschlug, fand sie sich zu Bette. Sie klagte nicht, sie sprach nicht, sie weinte und schlief, rollte sich wie ein Hund in ihrem Lager klein zurecht und weinte, schwieg und schlief.

Waldemar telegraphirte an sein Regiment, an's Generalkommando, an namhafte Aerzte.

Bis diese kamen, verließ er seine Gattin nicht. Er blieb in ihrem Zimmer, schlief auf dem Sopha, half ihr, sprach zu ihr und pflegte dazwischen sein verunglücktes Bein. Bettina ging ab und zu und bediente Leonilla. Diese hatte nichts dawider. Sie schwieg noch immer und weinte zuweilen, aber schlief nicht mehr.

Sie schlief nicht mehr und, was noch schlimmer 321 war, sie erwehrte sich hartnäckig jeder Nahrung. Es war nicht anders, als könnte sie die Zähne nicht mehr auseinanderthun. Als die Aerzte aus der Stadt kamen, hatte sie bereits seit dreißig Stunden keinen Bissen mehr zu sich genommen.

Es blieb nichts Anderes übrig, als die Widerspenstige künstlich mittelst der Röhre eines Strohhalms zu ernähren.

Unter den Aerzten, die aus der Hauptstadt erbeten worden, befand sich auch Doktor Loser. Er säumte nicht, dem besorgten Gatten seine alle Welt als mehr oder weniger verrückt erklärende Theorie zur Beherzigung zu empfehlen, die zwischen den Gesunden und Kranken nur geringfügige Schattirungsgrade zugestand.

Nichtsdestoweniger glaubte er auf Ueberführung Leonilla's in eine Anstalt dringen zu müssen. Hätte man Loser'n gewähren lassen, er hätte wahrscheinlich die ganze Welt in psychiatrische Anstalten vertheilt und vielleicht die Aerzte zu ihrer Behandlung nicht einmal übrig gelassen. Dagegen wußte Waldemar, des gegebenen Versprechens eingedenk, es bei dem älteren Fachmanne durchzusetzen, daß seine Gattin im stillen Hause Waldenberg behalten und gepflegt werden durfte.

Damit dieß mit einiger Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden könnte, war freilich ein Opfer vor 322 Allem nothwendig. Waldemar mußte dem Waffenhandwerk entsagen, sein Regiment verlassen und auf seiner kleinen Scholle wie ein Bauer, in seinem engen Hause wie ein Krankenwärter leben. Mit schwerem Herzen, aber ohne längeres Bedenken, als es kostete, das Traurige seiner Lage zu begreifen, brachte Waldenberg auch dieses Opfer.

Er hatte den jungen Doktor Loser, welchen der zweifelhafte Fall besonders zu interessiren schien, gewonnen, daß er sich von der Anstalt einen Urlaub erwirkte und einige Wochen auf Waldenberg blieb. um die Kranke des Genauesten zu beobachten und alles zu ihrer Wartung Nöthige, zu ihrer Heilung Ersprießliche anzuordnen und festzustellen.

Er hoffte während dieser Zeit in der Hauptstadt alle Geschäfte abzuwickeln und dann den traurigen Abschied so rasch als möglich zu nehmen.

Er entließ seine Dienerschaft bis auf zwei oder drei, und sagte auch Bettinen, daß er kein Recht und keine Hoffnung mehr habe, sie im verarmten Hause zu behalten.

Orlando's Waise antwortete ihm, daß sie schon durch ein gefordertes Versprechen gebunden sei, Leonilla nicht zu verlassen, und daß sie auch ohne diese Zusage sich jetzt nicht von der Armen scheiden könnte. So mög' er sie denn dulden, die ihm gewiß nicht beschwerlich fallen werde. 323

Er sagte nichts darauf und drückte nur gerührt ihre hülfreichen Hände.

Bettina ging auch noch immer in lichten Kleidern, um die Kranke nicht zu erschrecken.

Leonilla wußte nicht, daß Orlando gestorben, nicht, daß ihre Mutter schwer erkrankt sei. Man sprach zu ihr mit jener Vorsicht, die jeder Gelegenheit zu neuer Aufregung auszubeugen sucht. Was draußen in der Welt vorging, ob es das allgemeine Wohl, ob es den kleinen Kreis ihrer näheren Bekannten betraf, sie erhielt davon keine Kunde. Still behütet, ängstlich bedient, verlebte sie ruhige Tage. 324

 


 


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