Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Es graute der Tag, da Waldemar mit seinem Joseph zurückkam. Sie hatten Niemand gefunden.

Fridolin athmete auf. Wenn auch die Sorgen um Basil sich bald in anderer Gestalt und kaum geringer wieder einfanden, aber er war doch sicher, daß der Wackere nicht im Walde liegen geblieben, daß er entkommen und Bettina nicht umgekehrt war.

Sowie er sich auf das Lager hingestreckt, was ihm der Hausherr angeboten, waren ihm alle Gedanken vergangen, die tröstlichen wie die ängstlichen auf einmal. Und als er neu gestärkt erwachte, lachte die Sonne so schön, daß der erquickte Mensch keinem quälenden Verdacht in sich Gehör schenken wollte. Er fand es stimmungsvoller und zweckentsprechender, an eine gute Vorsehung zu glauben, die einen tollkühnen, rücksichtslosen, aber braven, thatkräftigen und sehr verliebten Burschen wie Basil nicht zu Schanden werden lasse. 159

Er dachte daran, was es für ihn auf dem Hause noch zu schaffen gäbe. Er wollte seine Schicksalsrolle heute noch zu Ende spielen. Seine Zuversicht ward immer größer. Aber auch sein Hunger.

Er hatte auf dieser Reise sich allzu sehr von des jungen Bolle Gewohnheiten beeinflussen lassen. Er hatte sich an tägliche Fleischkost gewöhnt. Und unter Sorgen, Trost und guten Vorsätzen machte sich ein unabweisbares Bedürfniß zu frühstücken immer empfindlicher geltend.

Er ging von einem Zimmer in's andere. Das Schlößchen war leer wie ein Bauernhaus, wenn die Leute auf dem Felde arbeiten. Endlich in der Waschküche fand er eine Magd.

Er fragte nach etwas zu essen.

Die Dirne sah ihn groß an. Frühstückszeit war lange vorüber.

»Wo ist die Küche?«

»Dort!«

»Wann wird denn gekocht?«

»Heute wohl gar nicht!« sagte die glotzäugige Wäscherin und lachte, ohne im Klatschen und Kneten und Winden auszusetzen. »Die Wirthschafterin ist heute Nacht auf und davon. Haben Sie von dem Skandal nichts gehört? Sie quälten sich die ganze Nacht, den raren Vogel wieder einzufangen. Mit Recht! Eine solche Person kriegen sie auch nicht zum 160 zweiten Male. Die hatte das Geheimniß von Gott, zweitausend Mann mit sieben Fischen und drei Broden zu speisen. Unter Der war's hier gut sein. Jeder wurde satt. Was jetzt werden wird, weiß der Teufel!«

»Jenun,« glaubte Fridolin versetzen zu müssen, »die Frau im Hause wird's wohl wissen.«

Die Magd machte noch größere Augen als zuvor. Der Stadtherr hatte mit diesem Einwurf jeden Kredit bei ihr eingebüßt. Sie schwang ein Stück nassen Linnens verächtlich in der Hand und rief: »Die Frau im Hause, mein guter Herr, das war eben die Andere . . . Die mein' ich, die's gestern satt gekriegt hat, Fünfe gerade und Null eßbar zu machen. Die wirkliche Frau, die Dame des Herrn . . . Jenun, es ist eine vortreffliche Seele! Eine wahre Heilige könnte man sie nennen. Aber wenn die für Essen und Trinken der Leute sorgen soll, dann wird vor dem Verhungern nur das Entlaufen schützen. Dann geh' ich der Andern nach! Mich dünkt, das wird überhaupt das Gescheidteste sein. Je früher, desto gescheidter!«

Sie lachte laut auf, wie sie jetzt das Linnen zum Trocknen ausbreitete, und da Fridolin genug gehört hatte und zum Gehen sich wendete, rief ihm die maulfertige Dirne noch nach: »In den Mond gaffen, die Hände falten, zu was weiß ich wem beten, mit 161 einem Wort, verdreht sein und sich um nichts kümmern, das ist Alles, was die kann! Solche Leute sollten fein immer hübsch reich bleiben. Wenn sie arm werden, schnappen sie leicht über. Da lob' ich mir, was arm geboren wird! Unkraut verdirbt nicht!«

Fridolin hörte die letzten Worte nur mehr von ferne. Er ging nach dem Hause zurück. Klopfte an Waldemar's Stube. Niemand rief herein. Er öffnete die Thüre und sah, die Stube war leer.

Der Herr von Waldenberg war längst über Feld. Der hatte sich nicht schlafen gelegt. Dem war anders zu Muth als seinem Gaste. Keine frohe Zuversicht kehrte bei seiner Seele ein, ob die Sonne noch so warm auf sein Haupt schien.

Waldemar hatte die letzten Tage schon finstere Gedanken mit sich zur Arbeit geschleppt. So düstere wie heute noch nie.

Was sollte nun aus der Wirthschaft werden? Nicht nur das arme Gesinde, auch der noch ärmere Herr wußte, was dem Hause mit Bettinen war verloren gegangen.

Jetzt erst dünkte er sich ein Bettler zu sein – oder nichts Besseres. Auch er fragte sich, woher sie Alle heute zu essen bekommen sollten. Und er schämte sich, von der Scholle aufzusehen, um keinem der Tagwerker vom Gesichte die Frage ablesen zu müssen, 162 was denn nun aus der Wirthschaft werden sollte, seit die Wirthschafterin davongegangen.

Waldemar konnte sich nicht erinnern, einen Tag wie diesen im Gemüth erlebt zu haben. Denn das war das Neue, war das Bitterste, das Entwürdigende, daß er sich sagen mußte: Wärest du Herr deiner selbst geblieben gestern wie sonst, so könntest du unter allem Mißgeschick Jedem, Herrn oder Knecht, freimüthig in's Auge sehen. Kein Vater und kein Vormund hätte sein Kind aus deinem Hause nehmen dürfen, hättest du selbst die Würde und Sicherheit deines Hauses geachtet. Hätte Bolle seinen Pflegling in Ruh' und Ehre unter deinem Dache gefunden, er hätte Bettinen gelassen, wo sie war. Bisher glaubtest du, ohne Verschulden zu dulden, da durftest du stolz sein und trotzig, jetzt büßest du, was du verschuldet hast. Und dieses Bewußtseins Würze macht das Brod des Elends erst bitter.

Er sah keinen andern Ausweg, als daß nun eben Alles zu Grunde ginge, folgerichtig, wie's angefangen hatte. Wenn er erst ganz verschuldet, das Haus vergantet, das Restchen Besitz verschleudert und er dem Nichts gegenüber war, dann ging Leonilla zu ihrer Mutter zurück, die immer noch genug für zwei arme Frauensleute besaß. Und er war sozusagen frei. Vogelfrei!

Weiter kam er mit dem Denken nicht. Die 163 Gedanken, die etwa noch darüber hinauszuspinnen schienen, waren so klein und kleinlich, daß sie im engen Lauf einer Pistole Platz hatten.

Elendes Ende vom schönen Lied!

Er wollte dieß Ende nicht. Lieber an's Nächste denken!

Da fiel ihm ein, daß das Nächste, was ihm bevorstünde, vielleicht ein Gerichtsdiener sei, der den edlen Freiherrn, eines Meuchelmords verdächtig, in die erste beste Frohnveste abzuführen käme.

Der Letzte des Geschlechts auf der Anklagebank zwischen zwei Gendarmen vor Geschworenen und Richtern! . . . Das war noch ein scheußlicheres Ende vom alten Liede der Waldenberger, als das vorhin ausgedachte. Pfui!

Es trieb ihn vom Felde weg. Trieb ihn wieder in den Wald.

Darin strich er herum wie ein Geächteter. Er sah in jede Schlucht, ob Keiner darin läge, der sich über Nacht nicht hätte weiterschleppen können. Er sah auf die welken Blätter unter den Bäumen, ob keine Blutspuren frische Fährte verriethen. Er untersuchte die Furten im Bach, ob sie keine Zeichen böten.

Er hörte von ferne Mittag läuten. Durch die Kronen des stillen Waldes schien ein Zauberhauch zu wehen; es war, als machten die leise 164 herüberschwingenden Töne sanft die Wipfel der Tannen nicken, während alles tiefere Holz ruhig blieb.

Er sah dem Spiele gedankenlos zu, auch da kein Ton mehr zu hören war, als der Gesang der Vögel über ihm.

Was derweilen die Knechte auf dem Felde trieben, darum wollte sich der sonst so sorgsame Wirth nicht mehr kümmern. Werde nun aus der Arbeit was da wolle! Wußte doch Keiner, für wen sie nun gemacht würde.

Aber wovon sie essen sollten, das war er den Knechten doch zu sagen schuldig. Wollt' er sich feige beiseite drücken, statt zu reden? Wollt' er sie glauben machen, daß er äße, während sie sich umsonst nach dem gewohnten Futter umsahen?

Er eilte durch Dick und Dünn aus dem Walde, wo er den nächsten Weg auf sein Feld zu finden glaubte.

Als er draußen stand, sah er, daß es leer gelassen war. Sie waren Alle fortgegangen.

Er setzte sich auf einen Stein am Feldrande. Die Ellenbogen auf den Knieen, die Stirne in den Händen, brütete der letzte Waldenberg auf der letzten Scholle seines Erbbesitzes so hin, in eine trostlose Zukunft wie in einen Abgrund starrend.

Die Sonne brannte auf seinen Rücken. Rings um ihn stiegen die Lerchen aus den Schollen mit 165 Jubelgesang gen Himmel. Die aufgelockerte Erde hauchte stärkenden Geruch aus. Er fühlte nichts, er hörte nichts, er wollte nicht denken – denken that so weh'! – –

Derweilen hatte Fridolin Löwe das Haus in allen Winkeln durchsucht, um einen Apfel oder ein Stück Brod zu finden. Hunger macht keck. Er klopfte zuerst an jeder Thüre und öffnete sie dann, wenn sie nicht – wie leider gerade die Speisekammer – fest verschlossen war.

Etwas Zucker und etwas Arak, Salz und Pfeffer und was im Gewürzkasten aufbewahrt wird, weiter war selbst in der Küche nichts zu entdecken. Und ob er schon genügsam und unerschrocken war in allen kulinarischen Angelegenheiten, Gewürznelken und Muskatnüsse zum Frühstück zu verzehren, das ging selbst über seine Kräfte. Es ward ihm unsäglich flau zu Muth. Seine moralischen Kräfte nahmen im gleichen Maß ab, als der Hunger seine Laune verflüchtigte. Und wie er nun immer mit dem gleichen Erfolg eine Küchenschieblade nach der andern aufzog, schalt er sich einen großen Narren, der, was ihn nicht brannte, eifrig zu blasen beflissen war.

Er sagte sich, was seine Aufgabe wäre: still vor seinem Pult auszudauern, die Stahlfeder zwischen drei Fingern, und aus dem Tintenfasse Menschenstimmungen und Beleuchtungseffekte zu zaubern und diese Produkte 166 seines inoffensiven Gehirns zu mehreren Auflagen zu potenziren. Was Teufel war ihm eingefallen, den Thatkräftigen und den irrenden Rittern in's Handwerk zu pfuschen! Was kümmerte ihn das Eheglück eines Waldenberg's und der Verstandeszustand einer Santalatona? was ging ihn Bolle's Sohn und was Orlando's Tochter an . . .

Halt! Orlando's Tochter war die Tochter seines Orlando! Für seinen großen Freund empfand er nach wie vor etwas wie solidarische Verpflichtungen. Die Tochter eines Mannes, der ihm zu zwei Auflagen verholfen, durfte ihm nicht gleichgültig sein. Er wollte kein Biograph gewöhnlicher Sorte sein, der, sobald er die Feder weglegt, sich nicht mehr um seinen Gegenstand kümmert, als wäre dieser eine Romanfigur, die nie gelebt hätte! Fridolin fühlte für Bettinen Verpflichtungen . . . etwa, wie wenn er sie an Kindesstatt angenommen hätte. Und so wäre Diese bald, ohne sich was träumen zu lassen, noch zu einem dritten Vater gekommen.

Indessen war dafür gesorgt, daß die väterlichen Gefühle in dem Verfasser der »Schwimmenden Sterne« nicht die Oberhand behielten. Wie er so im Hause herumlungernd und hungernd von wechselnden Vorwürfen und Vorsätzen geplagt wurde, dachte er zehnmal mehr an Waldemar's Frau als an Orlando's Tochter. 167

Eines stand leider schon jetzt unanfechtbar fest. Wenn er etwas zum Glück seiner blassen Muse beitragen wollte, so mußte das noch heute geschehen. In diesem Hause, wo die Küche ausgestorben und die Speisekammer mit Salomonis sieben Siegeln verschlossen schien, wo selbst der genügsamste Mensch seiner Zeit Hungers zu sterben Gefahr lief – hier war seines Bleibens nicht.

Das war klar. Aber die klarsten Gedanken machen nicht satt.

Dessen gewiß, war er endlich über eine schmale Seitentreppe in das oberste Stockwerk gelangt. Es ward ihm so wunderlich zu Muthe hier auf dem langen schmalen Gang, an dessen einem Ende trotz des hellen Tageslichtes, welches durch das Fenster auf dem andern eindrang, ein kleines Lämpchen brannte. Das brannte sicherlich noch von der Nacht her. Die geschäftige Hand, die es sonst beim Schlafengehen zu löschen pflegte, war weit!

Er horchte. Das dünkten ihn Schritte hinter der einen Thüre. Und das war sein thörichtes Herz, das so heftig in seiner Brust klopfte. Noch einmal kam ihm sein Thun abenteuerlich und lächerlich vor. Aber nur einen Augenblick noch. Und wenn er sich auch einen Federhelden schalt, er wollte auch in der That ein Held mit der Feder sein. Und nicht anders im Leben als im Schreiben fühlen und vorgehen. 168

Es war im Verkehr mit Bolle von dessen derber Art zu viel an ihm hängen geblieben, mußt' er denken, als er den Finger schon zum Anklopfen krümmte. Und dann gab's ihm doch wieder einen Ruck in die Höhe, wie ihm die gestrige Nachtszene neuerdings vor Augen stand.

Unwillkürlich warf er sich in die Brust. Wo war denn einer unter den großmäuligen Bummlern, die in seinem Kaffeehause mit ihm über das Elend der zeitgenössischen Bestrebungen schimpften, der sagen durfte, daß ein wüthender Kerl wie Waldenberg – an ihm vorbeigeschossen hätte? Er hatte Stimmungen erlebt seit gestern! Vorwärts!

Er erschrak selber, als er sich klopfen hörte. Aber nun war's auch vorüber mit dem Besinnen. Fast hastiger als höflich riß er das Pförtchen auf und trat, ohne ein »Herein!« gehört zu haben, in die Stube der Frau von Waldenberg.

Diese sah ihn mit großen Augen an. Gewohnt, mit sich allein vollauf beschäftigt zu sein und sich um nichts im Hause zu kümmern, hatte sie der Anwesenheit eines Gastes offenbar vergessen.

Obschon sie just nichts Wichtigeres gethan zu haben schien, als daß sie ihre Gedanken im Zimmer hin und wieder geführt, blieb sie doch betroffen stehen und erwiederte Fridolin's Gruß mit unzufriedener Zurückhaltung, als wollte sie ihm unzweideutig zu 169 verstehen geben, daß sie hier oben Besuche nicht empfinge.

Für den guten Löwe gab es nun aber kein Umkehren mehr. Ob es gut oder schlimm ausfiel, jetzt war der entscheidende Augenblick da. Drum, ohne sich an den Ausdruck der Verwunderung und Entrüstung zu kehren, ja, ohne die Dame nur anzusehen, ging er an ihr vorbei und – setzte sich zwar auf keinen Stuhl, aber nahm doch einen in die Hände. Theils um ein Zeichen zu geben, daß er sich nicht abweisen lasse, theils um seiner Verlegenheit einen Halt zu geben.

Was ihm während dieses etwas gewaltsamen Eintritts zuerst auffiel, war, daß, obwohl die Fenster der warmen Frühlingssonne weit offen standen, in einem zierlichen Kamin noch ein loderndes Feuerchen unterhalten wurde. Wie sich die Flackerflammen in dem glattpolirten weißen Marmor spiegelten, war für den Virtuosen der Beleuchtungseffekte eine Betrachtung, die ihn zu jeder andern Zeit noch mehr beschäftigt haben würde. Heute sorgte schon sein knurrender Magen dafür, daß er über dem Farbenzauber nicht den höhern Zweck seines Kommens vergaß. So nun erschien ihm dieß Kaminfeuer im Sommer, im Gegensatz zum kalten Herde, wie das Symbol der Zustände im Hause Waldenberg.

Hier oben warf man noch Geld zum Fenster hinaus, während man drunten hungerte. 170

Leonilla wußte nicht, wie ihr geschah. Kein Mensch hatte sich noch eine ähnliche Frechheit ihr gegenüber herausgenommen. Dieß mußte besondern Grund haben. Und auf einmal fiel ihr's auf das Herz: dieser Grund könnte nur ein Unglück sein, das mit den gestrigen räthselhaften Vorgängen im Zusammenhang stünde.

Sie trat plötzlich einen Schritt näher auf Löwe zu und fragte: »Sie kommen, mir ein Unheil anzukündigen, mein Herr?!«

Fridolin sah sie gefaßt an und erwiederte: »Im Gegentheil, gnädige Frau! Ich habe mir zu kommen erlaubt, um ein Unheil zu beschwören. Ich habe mir erlaubt, hier oben im geweihten Heiligthum zu erscheinen, das freilich keines Profanen Fuß betreten dürfte; aber – verzeihen Sie mir, wie mir Gott verzeihen wird – ich konnte es nicht mehr aushalten, Ihnen zu sagen, daß ich unaussprechlichen Hunger habe. Noth kennt kein Gebot! Ich habe seit gestern Mittag nichts gegessen. Ich habe theils aus Verirrung, theils aus Besorgniß eine unbestimmbare Zahl von Kilometern durchlaufen und dabei die aufreibendsten Gemüthsbewegungen ausgestanden . . .«

Leonilla war dieser scherzhafte Ton so zuwider wie der ernsthafte Vorwurf gegen die Hausfrau, der sich darein hüllte. Mit der ganzen Unnahbarkeit einer Weltdame unterbrach sie den Plaudernden: 171

»Warum kommen Sie zu mir, wenn Sie etwas zu essen haben wollen? Das Speisezimmer ist im untern Geschoß. Wenden Sie sich gefälligst an Fräulein . . .«

Fridolin sah die Entrüstete mit traurigem Blick an. Sie selbst erschrak, stockte und ward über und über roth. Aber noch ließ sie den Trotz nicht fahren.

»Fräulein Bettina ist seit gestern nicht mehr im Hause!« sagte Löwe halblaut.

»Nun denn, so wenden Sie sich an irgend jemand Andern, der dafür sorgen wird.«

»An wen, gnädige Frau? In der Küche, im ganzen Hause ist Niemand außer Ihnen und mir. Ihr Gatte arbeitet im Schweiße seines Angesichtes auf dem Feld wie seine Knechte. Ich erlaube mir zu bemerken, daß man auch bei dieser angestrengten Thätigkeit Hunger zu bekommen pflegt. Bei mir thut das schon die Gewohnheit. Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich bin vor Hunger nicht so rücksichtslos, daß ich Sie gestört hätte, wenn im Bereich erlaubter oder unerlaubter Selbsthülfe Rettung ersichtlich wäre. Aber aus Meilenferne winkt kein Gasthaus und die Schlösser und Angeln der Speisekammer spotten der verminderten Kraft eines dilettantischen Einbrechers wie ich bin.

»Ich weiß, wie unschicklich es ist, einen Heiligen auf seiner Säule zu stören – besonders wenn diese 172 Säule so behaglich und elegant ausgeschlagen ist wie die Ihrige. Ich will auch gerne mein Verbrechen büßen. Werfen Sie mir, gnädige Frau, die rothseidene Schnur Ihrer Fenstervorhänge vor die Füße, die Ihrer Hand am nächsten ist. Ich will mich pflichtschuldigst damit erdrosseln, aber – eine Henkersmahlzeit ist auch dem Verurtheilten gestattet – geben Sie mir vorher etwas zu essen.«

Leonilla hatte mehrmals die Farbe gewechselt, während Fridolin, dem im Reden immer mehr Muth kam, seine grausamen Scherze nur so herunterhaspelte.

»Mein Gott, was soll ich denn?« sagte sie ebenso rathlos als verlegen.

»Die Speisekammer öffnen!« antwortete Fridolin, der nun zuversichtlich genug war, den kläglichen Ton ihrer Frage andeutend nachzuahmen.

Dieser einfache Bescheid machte Leonilla stutzen. Sie sah erst den Eindringling an, dann auf ihre Hände, dann auf ein Kästchen an der Wand.

Mit einer Hast in den Bewegungen, die nur wie Freude zu deuten war, suchte sie die Schlüssel hervor, welche mehr als Ehrenzeichen als zu wirklichem Gebrauch in der Stube der Hausfrau zu hängen pflegten, seitdem Bettina das Duplikat dieses Schlüsselbundes an ihren schmalen Gürtel gesteckt hatte.

Sogar ein Lächeln sah Fridolin über die schmalen 173 Lippen huschen, als sie ihm zulispelte: »Kommen Sie! Ich will für den Gast sorgen. Es soll Keiner im Hause Waldenberg Hunger leiden.«

»Gott sei Dank!« erwiederte Jener und eilte mit der schönen Frau die Treppen hinunter und half ihr die Schlüssel drehen und die Teller mit Speise belegen.

Er aß weniger als er gedacht hatte. Er war zu lange nüchtern geblieben und außerdem ward er auch durch die Augen satt, die von seiner Wirthin sich nicht abwenden konnten.

Leonilla schien dieß zu merken. Vielleicht wandte sie sich deßhalb so plötzlich zum Gehen und ohne ein Wort zu verlieren.

»Aber, gnädigste Frau! . . . Wohin?!«

»Verzeihen Sie, ich bin geselligen Umgangs entwöhnt und mich dünkt, ich hätte Ihnen lange genug Gesellschaft geleistet.«

»Mir?!« entgegnete Fridolin. »Von mir ist weiter nicht die Rede!«

»Nun! von wem sonst?«

»Ja, sollen denn im Hause Waldenberg nur die Gäste satt werden?«

Leonilla fand keine Antwort. Sie sah ihn an, als wäre ihr die Andeutung nicht sogleich verständlich. Erst nach einer Weile fragte sie und alles Blut schoß ihr dabei in die Wangen: »Ist denn Bettina wirklich fort . . . und fort für immer?« 174

»Wahr und schade, gnädige Frau!« rief Löwe, der den lustigen Ton noch nicht fahren lassen wollte. »Sie ist fort, und glauben Sie mir, sie wird nie wieder auf Waldenberg einen Kochlöffel anrühren.«

»Scherzen Sie nicht,« sprach Leonilla, das Haupt schüttelnd. »Jene hatte mir geschworen, mich nicht eher zu verlassen, bis ich sie gehen hieße.«

»Seltsamer Pakt!« sagte Fridolin. »Indessen werfen Sie keinen Stein auf sie! Mich dünkt, Bettina habe Sie nicht mit Willen verlassen. Sie mußte!«

»Entführt?« hauchte Leonilla, und auch der Seelenkenner Fridolin konnte die Feuerschrift in diesen Augen jetzt nicht enträthseln.

»Vielleicht!« gab er zur Antwort.

»Entführt von einem Pflegevater?«

Und ob es ihm den Hals kosten sollte, Fridolin wollte diesem Weibe keine Lüge sagen. Er schüttelte verneinend das langhaarige Haupt.

»Von wem sonst?« rief Leonilla, und sie war so aufgeregt, daß sie beinahe die Hand ausgestreckt hätte, als könnte sie dem Zögernden die Antwort entreißen.

»Von Einem, der das Mädchen liebt,« erläuterte Dieser nun sein Kopfschütteln, »von Einem, der es, wenn nicht alle Sterne trügen, zu seinem Weibe machen wird . . . der Name thut nichts zur Sache!«

Fridolin war denn doch überrascht, solche Wirkung seiner Worte zu sehen. 175

Leonilla hatte sich auf einen Stuhl geworfen und starrte, keines Wortes mächtig, auf ihre Hände, die sie fest im Schooß gefaltet hielt. Es wollte dem Betrachter fast scheinen, als betete sie.

Auf einmal fiel es Diesem schwer auf's Herz, daß er trotz guten Willens vielleicht doch nicht die Wahrheit gesagt habe. Auf der Reise, im Verkehr mit dem heitern, braven Gesellen, den er von Tag zu Tag lieber gewann, hatte sich Fridolin so fest in die Vorstellung verrannt, daß Bolle's Sohn und Orlando's Tochter zusammengehörten und daß ein Kerl wie Basil auf Gottes Welt keinen Nebenbuhler zu scheuen habe.

Aber die blasse Frau vor ihm, die in verhaltener Leidenschaft ihre Hände rang, ohne daß man's merken sollte, wußte vielleicht von einem Nebenbuhler, den auch der stärkste Bolle nicht mehr aus dem Herzen schlagen konnte, von welchem er einmal Besitz ergriffen. Vielleicht stand der treue Knecht vor dem Geiste dieser Frau schon jetzt als Lügner gekennzeichnet da, der ihr zu Ohren schwatzte, wie es die Anderen thaten, die sie für eine Thörin achteten und die Wahrheit für ungesund.

Er fühlte, wie dieser Gedanke ihn um alle Geistesgegenwart zu bringen drohte.

Rasch, eh' er der Entflohenen Geschick noch einmal zu bedenken wagte, trat er zu Leonilla hin und 176 sprach: »Lassen wir Jene! sie sorgen für sich selbst! Aber wer sorgt für die auf Waldenberg Bleibenden? Ich rede nicht von mir. Ich gehe noch heute. Aber Ihr Mann . . .«

Leonilla fuhr unwillig vom Stuhl empor. Fridolin hielt sie sanft zurück.

»Ihr Mann ist draußen mit den Arbeitern. Im Sonnenbrand, im Schweiße seines Angesichtes bricht er das Feld seiner Väter um. Ich weiß nicht, warum Sie sich jetzt abwenden. Gleichviel! Aber steht denn geschrieben: wer arbeitet, soll nicht essen! Ich meine, beim Apostel heißt es anders.«

»Sie haben sich bisher ohne mich beholfen, mögen sie weiter zusehen!« rief Leonilla.

»Gnädige Frau, geschäh das ohne Ihre Schuld? . . . Erinnern Sie sich jenes Abends, da wir von dem Besuche beim alten Hunzelsperger kamen! Hätt' ich gewußt, welch' einen entsetzlichen Gedanken Sie aus jener Zelle mit auf den Weg nehmen würden, ich wäre lieber gestorben, als daß ich Ihnen jene Thür öffnen ließ. Soll ich Sie noch einmal an Hamlet erinnern? Soll ich Ihnen noch einmal zurufen: es ist nicht toll, wer will? Soll ich Ihnen sagen, daß das Gerücht sich Ihres wunderlichen Starrsinns bemächtigt hat, daß eine Sage geht, Sie seien, was Sie heucheln . . . Ja, heucheln! Fahren Sie nicht auf! Sie sind so klug wie ich und Einer, aber die 177 Gewohnheiten des Geistes sind so zwingend wie die des Körpers, und alle Organe, physische wie psychische, bilden sich um, je nachdem sie gebraucht werden. Schließen Sie Einen jahrelang krumm in ein Gelaß, wo er nicht aufrecht zu stehen vermag, er wird nach Jahren seine Rückenwirbel nicht mehr gerade biegen können. Ein Säulenheiliger wird nothwendigerweise zum Monomanen – auch wenn seine Säule so elegant und bequem ausgeschlagen ist wie die Ihre. Man spiele nicht mit dem Feuer! Soll ich noch einmal Hamlet sagen?!

»Soll ich Ihnen sagen, daß mich die Angst, in vollem Ernst an Ihrem Unheil mitschuldig zu sein, in der Seele gefoltert hat? Daß das unabweisliche Bedürfniß, mir endlich über Ihren Zustand Gewißheit zu verschaffen, mich hier herausgetrieben hat? Daß alles Andere für mich nur Vorwand war? Und selbst der Hunger – nein, der Hunger war kein Vorwand! – aber ich hätte ihn lieber mit Baumrinde gestillt, als eine Dame, die ich verehre, wie ich Sie verehre, unverschämt zu belästigen. Ich wollte mein Herz, mein Gewissen befreien, ich mußte Ihnen sagen, was ich jetzt sage. Ich mußte erfahren, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe. Ich mußt' es Ihren Augen absehen, daß Sie so klug und herrlich daraus blicken wie damals, als ich Sie zum ersten Mal gesehen! 178

»Gott sei Dank dafür!«

Fridolin wußte nicht, wie ihm geschah, als er die schöne Frau bei seinen Worten weinen sah. Und unwillkürlich senkte er das Knie und berührte ihr Kleid mit dem Rande seiner Lippen.

Es war eine Huldigung, die keine Heilige kränken konnte, fern von jedem Hauche sinnlichen Begehrens. Eine Geberde wie Abbitte für die harten, heißen Worte, die er hatte brauchen müssen . . . ein Zeichen, daß er ihren verketzerten Verstand für herrlich hielt, daß er vor ihm sich gern erniedrigte.

Aber er fühlte auch, daß diese Huldigung die Dauer einer zweiten Sekunde nicht überschreiten dürfte, wenn er in – der Stimmung seiner Aufgabe bleiben sollte.

Er sprang auf, lächelte wehmüthig und begann, nicht ohne Mühe ein Wort zum andern passend und dem überströmenden Gefühle leidlichen Ausweg schaffend:

»Ich glaube, daß ich sagte, man könne Baumrinde essen. Ach ja, gnädige Frau, man kann es. Ich habe selber den traurigen Versuch gemacht. Aber man muß dazu sehr jung, sehr arm und sehr gleichgültig gegen sich selbst sein. Man muß schon allerhand Unverdaulicheres vordem zu überwinden versucht haben. Und zur Arbeit aufgelegt und tüchtig wird man nicht nach solchem Imbiß. Jedenfalls ist es keine Kost für Feldarbeiter. Und auch ein 179 Anderer hält es nicht zwei Tage hinter einander aus. Darum, gnädige Frau – ich bitte nochmals für meine Dreistigkeit um Entschuldigung – aber schaffen Sie, daß Herr von Waldenberg und seine Arbeiter um die Mittagszeit was Tüchtiges zum Einhauen bekommen!«

»Ich?!« rief Leonilla und beugte den Kopf vor, als wollte sie den Unbegreiflichen, welcher ihr einen so einfältigen Vorschlag zu machen wagte, sich des Genaueren betrachten.

»Ja, Sie! . . . Ich hoffe, daß Sie besser sind als der Ruf, den Sie sich unter Ihren eigenen Leuten gemacht haben. Knechte und Mägde tuscheln sich in die Ohren, daß, seit Bettina Hunzelsperger Küche und Vorrathskammern im Stich gelassen hätte, weder Herr noch Dienstleute mehr auf eine volle Schüssel rechnen dürften. Nun sei Zeit, daß Jeder selber zusähe, wo er etwas zum Brechen und Beißen im Hause fände. Daß nur ja Keiner blöde sei, wer satt werden wolle. Denn wo Niemand austheilt, sei Bescheidenheit eine Sünde. Von Ihnen, gnädigste Gönnerin, von der Hausfrau spricht man etwa wie von Jemand, der fern auf Reisen ist. So ungefähr, wie wenn dieß Ihr Erkerstübchen in Paris läge. Man erwartet von Ihnen nicht mehr wirthschaftliche Tugenden, als man eben von – einem Säulenheiligen erwarten kann. 180

»Ich dächte doch, daß es Ehrensache sei, dem Volk zu zeigen, daß Ihnen keine Tugend fehlt, daß wo die Noth es fordert, Herr und Gesinde auf die Frau von Waldenberg zählen darf und muß, und daß Sie können, was eine Andere gekonnt!«

Leonilla schüttelte sanft das schöne Haupt und sagte: »Nein, das kann ich nicht. Es wäre Vermessenheit, sich mit dem berühmten Hausmütterchen vergleichen zu wollen.«

»Um Gottes willen, Sie können doch kochen?!« rief Fridolin, dessen ganzes Hoffnungsgebäude zunichte sank, wenn dieser Eckstein nicht festhielt.

»Ich hab' es wohl einmal gelernt,« versetzte Leonilla zaghaft, »doch kaum jemals ernsthaft geübt.«

»So versuchen Sie's!« rief Löwe, »Noth lehrt beten, warum nicht auch kochen!«

Noch immer zauderte die Frau, obschon sie die Rinde, die um ihr Herz gewachsen war, sich lösen fühlte.

Fridolin ergriff ihre schlaff herabhängende Hand, und hastig, als ob Gefahr im Verzuge wäre, sprach er: »Mißhören Sie mich nicht! Die Noth, die bittere Noth steht vor der Thüre des Hauses. Wehe über Den, welchen eigene und der Seinen Noth nicht zum Beten und Arbeiten zwingt! Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Wenden Sie sich nicht verächtlich ab wie Eine, die es schon versucht haben 181 will, ohne Speis' und Trank auszukommen. Man wird immer daran gestraft, woran man gesündigt hat!«

Leonilla zuckte zusammen. Fridolin sah's und fuhr um so eifriger fort:

»Nehmen Sie Ihre Strafe stolz auf sich. Es ist nicht mehr als billig, daß wer sich selbst einst wollte Hungers sterben lassen, endlich für Andere kochen muß! Fassen Sie herzhaft an! Es muß sein . . . Sie zögern noch immer?! Haben Sie mich noch nicht verstanden?« (Er steigerte den Ton seiner Stimme, wie wenn er eine Schlafende erwecken wollte.) »Frau von Waldenberg! Lassen Sie die Mätzchen fahren, die sich nur für reiche Leute schicken! Sie sind arm geworden, Frau von Waldenberg! Reich geboren sein genügt nicht, man muß auch reich, sehr reich bleiben, wenn man bei allem Unglück, das die Seinen trifft, die Hände in den Schooß legen und sich keine andere Motion machen will, als die Augenlider interessant gegen Himmel aufzuschlagen. Herr von Waldenberg hat es längst begriffen, was es heißt, arm sein und was für Pflichten die Armuth auferlegt. Rütteln Sie sich auf und begreifen auch Sie, was es heißt, die arme Frau eines armen Mannes zu sein, und entziehen Sie sich nicht länger den Pflichten – verstehen Sie mich? – den Pflichten Ihres Standes!«

Fridolin erschrak, da er zu reden aufhörte und 182 die Heftigkeit des Tones ihm noch in den Ohren nachzitterte, zu der die Aufregung und der Aerger über die Apathie dieses schönen Weibes ihn verleitet hatten. Aber er sah, daß er nicht umsonst so geschrieen hatte.

Leonilla war schon während der letzten Worte an die Thüre der Vorrathskammer getreten, und nun er verstummte, wandte sie sich um und sagte: »In Gottes Namen!«

»Darf ich Ihnen helfen, gnädige Frau?«

Die Augen standen ihm voll Wasser. Er bückte sich, um Holz zum Herde zu tragen, und freute sich nicht wenig, der Küchenjunge seiner Muse sein zu dürfen.

Es zeigte sich noch heute, wie gut das Hausmütterchen seinen Namen verdient hatte. Die Speisekammer war so reichlich versorgt, daß Leonilla nur rechts und links zuzugreifen brauchte, um Alles, was zu einer tüchtigen Mahlzeit gehörte, bei der Hand zu haben.

Wie es gleich zum ersten Male der edlen Frau von Waldenberg gerieth, die flüchtige Bettina zu ersetzen, wird wohl niemals ganz aufgeklärt werden. Denn Fridolin Löwe war vom Thun und Lassen Leonilla's, von diesen Geberden voll Anmuth, von dieser holden Art, die Dinge anzufassen, so bezaubert, daß ihm die Walterin am Herde unbedenklich 183 Baumrinde mit Muskatnüssen und Gewürznelken hätte vorsetzen können, er hätte gleicherweise versichert, nie früher im Leben solch' göttlichen Schmauses gewürdigt worden zu sein.

Und auch die Anderen wußten nicht recht, wie ihnen geschah.

Die Erste war die Magd, die von der Waschküche hereinkam und zur Küchenthüre hereinpolterte mit der nothgedrungenen Absicht, sich gut oder übel selbst zu helfen. Sie meinte, der Schlag rühre sie, wie sie die Hausfrau – die leibhaftige Frau von Waldenberg mit seitwärts aufgestecktem Kleid und hochgekrämpelten Aermeln, den Schaumlöffel in der Hand, am Herde stehen sah. Mit offenem Mund und offenen Augen erstarrte sie auf der Schwelle und war auch, nachdem sie die Thatsache begriffen hatte, noch so verblüfft, daß man ihr Alles zweimal sagen mußte.

Vorsichtiger als je faßte sie an's Geschirr und kopfschüttelnd trug sie den Arbeitern das Mahl auf's Feld.

Sie begegnete denselben auf halbem Wege zum Hause. Da diese Männer über eine Stunde länger als sonst darauf gewartet hatten, was ihnen Gott zu Mittag bescheren möchte, und noch immer keine Schüssel in Sicht gerathen war, waren sie endlich aufgebrochen in derselben Absicht, mit welcher die Magd den Waschtrog verlassen hatte. 184

Wie Diese nun die große Neuigkeit verkündete, brachen die beiden Rüpel in helles Gelächter aus und schlugen sich über den schlechten Scherz mit flacher Hand die Lenden, daß es patschte, als reichten Worte nicht hin, den Schabernak zu kennzeichnen, dessen sie sich versahen, und die geringe Meinung auszudrücken, die sie zu ihrer Herrin Kochkunst hegten.

»Gott sei uns armen Sündern gnädig!« rief der biedere Joseph und warf sich unter einem Baum am Wege hin, hielt sich die Seiten und lachte Thränen.

»Das muß der Herr gerochen haben,« gab der Taglöhner zu verstehen, »darum ist er noch rechtzeitig beiseite gegangen.«

»Es ist noch hübsch von ihm, daß er nicht mit Augen ansehen will, was armen Leuten Alles zugemuthet wird!« setzte Joseph hinzu . . . aber der Scherz gefiel ihm selbst so gut, daß er ihn vor Lachen kaum ordentlich vorbringen konnte.

Dabei aber hatten sie schon alle Drei ihre Näpfe zwischen den Knieen und stachen mit Löffeln in die Brühe.

Erst waren sie mäuschenstill. Dann hielt sich doch Joseph, dem kein Scherz mehr einfiel, als Diener des Hauses verpflichtet, der Wahrnehmung Worte zu geben, daß dieß Essen gar nicht so übel sei.

Die Magd fand es daraufhin überraschend und der Taglöhner vortrefflich. 185

Sie wußten sich alle Dreie nicht anders zu helfen, als daß sie in der Vermuthung übereinkamen, die stolze Dame habe das gar nicht selbst gekocht, sondern nur schandenhalber so mit Hand angelegt; der eigentliche Macher sei der kleine junge Mensch mit feistem Gesicht und langen Haaren, den die Magd mitten in der Küche, den Rock voll Mehl und die Hände voll Schmeer, getroffen hatte. Der sei gewiß der neue Koch und sehe auch ganz so aus wie ein Koch. Da es von keinem treuen Diener zu verlangen war, bei dieser überraschenden Entdeckung stehen zu bleiben, so vermutheten sie fröhlich weiter und hatten es bald weg, daß Fräulein Hunzelsperger sicherlich deßhalb von Hause weggelaufen sei, weil sie keinen Koch neben sich vertragen und die Wirthschaft nach wie vor eigenmächtig und alleine habe führen wollen.

Die Magd sagte, daß sie solche Kränkung sehr begreiflich und eine weiße Mütze auf eines Mannes Kopf, eine weiße Schürze vor eines Mannes Brust über alle Maßen lächerlich fände.

Der biedere Joseph aber belehrte sie, daß sie von der großen und feinen Welt gar keinen Begriff hätte, daß die Waldenberger wie alle sehr vornehmen Leute seit Menschengedenken von Köchen wären bedient worden und daß die heutige Mahlzeit wieder klar bewiesen hätte, um wie viel besser ein Mannsbild das Kochen verstünde, als das beste Hausmütterchen. 186

Der Tagewerker gab allen Beiden Recht und brachte dem neuen Koch, der alle Tage so trefflich für sie sorgen sollte wie heute, ein donnernd Hoch aus, in das Joseph herzhaft einstimmte.

Dann gingen die Knechte wieder dem Felde, die Magd dem Hause zu, und dabei hatte Keiner gemerkt, daß sie auch des Herrn Schüssel mit ausgegessen hatten.

Waldemar staunte nicht wenig, als er die Kerle so fröhlich zur Arbeit zurückkehren sah. Sein Erstaunen wuchs, wie er sie das gute Mittagessen und den neuen Koch loben hörte. Aus ihren Reden ward er nicht recht klug, und sie auszufragen dünkte ihn nicht genehm, da Jene der Meinung waren, er hätte sich entfernt, um im Hause zu speisen, und er den Leuten nicht sagen wollte, daß er gehungert habe und noch hungere.

Erfreuliche Auflösung dieser Räthsel erwartete sich Waldemar nicht. So mocht' er auch nur mit halbem Ohr auf Jene hören, nahm sein Theil an der Arbeit und versprach seinem knurrenden Magen auch für den Abend wenig Trost. 187

 


 


 << zurück weiter >>