Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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VII.

Leonilla wüßte nicht recht, wie ihr geschehen war. Sie hatte ein fröhlicheres Herz aus der Küche nach ihrer Klause heraufgebracht. Der Ehrgeiz war in ihr wach geworden, die Andere, die davongegangen war, nicht vermissen zu lassen. Sie hatte den festen Vorsatz gefaßt, in der Armuth tüchtig zu sein und, wo Alle Hand anlegten, nicht wie eine Drohne still zu liegen und sich ausschließlich mit dem Schmerz ihrer Seele zu befassen.

Sie war in Bettinens verlassene Stube gegangen, zunächst nur in der Absicht, die Wirthschaftsbücher nachzusehen und sich aus ihnen nöthigen Bescheid zu holen. Sie fand auch hier Alles in guter Ordnung.

Die Stube war klein. Die sieben Sachen Bettinens lagen hübsch und knapp bei einander. Man wird nicht viel Mühe haben, sie einzupacken, wenn eines Tages ein Brief aus ferner Stadt darum bitten wird.

Leonilla verweilte mit sichtbarem Behagen bei dieser Vorstellung. Der Gedanke, daß das 188 Hausmütterchen wirklich über alle Berge sei, machte ihr Freude. Obschon sie Alles gethan hatte, Bettinen wie ihr Unglück an's Haus zu fesseln, war diese doch fort! Gut so! Und es sollte sie Niemand vermissen – es wäre denn Waldemar.

Dem freilich war nicht zu helfen. Und Leonilla wollte nichts von ihm wissen. Ja heute weniger denn je. Der Gedanke an ihren Mann drohte sie aller Freudigkeit zu berauben. Sie sah um sich, ob sie nichts fände, das sie von diesem Gedanken abzubringen geeignet wäre. Vor ihr auf Bettinens Tisch lag ein neues, schön gebundenes Buch.

Sie schlug es auf. Es war das Prachtexemplar der Orlandobiographie, der unnütze Vorwand zweier abenteuernden Gesellen, beim Hause Waldenberg vorzusprechen. Es war anders gekommen. Aber Fridolin hatte denn doch sein Werk in Bettinens Stube niedergelegt. Mochte man ihr's mit den anderen Sachen heimsenden.

Leonilla schlug den Deckel des Einbandes auf und las die Widmung:

»Der Tochter, dir, die du des Vaters Hände &c.«

Man machte Verse auf ihre Nebenbuhlerin! Auch der kleine Mann da, welcher bei ihr des Schicksals Boten spielte, redete die Tochter des Musikanten mit verzückten Ausdrücken an. 189

Sie konnte sich nicht erinnern, daß irgend Jemand einmal Verse an sie gemacht hätte. Aber sie mußte sich erinnern, wie innig auch sie Bettinen geliebt hatte, und durfte darum es begreiflicher finden, daß diese auch Anderen theuer war.

Ach, nur zu sehr!

Leonilla stand an Bettinens Fenster und sah hinaus. Es ging einen Augenblick wie Sehnsucht nach der Entfernten über ihr Herz. Nur einen Augenblick. Wo war Jene nun hin? Und was war aus ihr geworden? »Mög' es ihr gut gehen allerwege!« betete Leonilla – nur wollte sie sie nicht wiedersehen . . . lieber lange nicht, als nie! Aber lieber nie, als bald!

Sie nahm das Buch mit sich und in ihrer Stube dachte sie an die Küche. Und wie gesagt, über diesen nützlichen Gedanken ward sie froh. So froh, daß sie in Fridolin Löwe's Meisterwerk nicht weit gedieh und lieber das Buch beiseite und sich auf's Bett legte und, wider alle Gepflogenheit, mitten am Tag ein Stündchen schlief.

Sie war gar so müde von der ungewohnten Arbeit. Und diese Müdigkeit that ihr so wohl.

Als sie wach geworden, war es Zeit, für die Abendmahlzeit zu sorgen. Sie warf nur einen Blick nach dem fernen Walde hinüber, dessen Wipfel wehmüthig ihren träumerischen Augen zu winken schienen. 190 Sie wäre so gern wie sonst verweilt. Aber nun galt es tapfer und tüchtig zu sein. Sinnen und Träumen hatten nur beschränkte Zeit. Doch am Abend und am Anfang der Maiennacht wollte sie sich dafür schadlos halten; da wollte sie am Fenster sitzen und mit dem fernen Wald und dem Abendroth, mit Wolken und Sternen Zwiesprach halten und ihnen erzählen, was es für Neuigkeiten im Hause Waldenberg gab.

Jetzt hinunter in die Küche! Herr Löwe sollte sie nicht zum zweiten Male holen.

Sie fand ihn drunten, wie er der Magd befahl und gutes Beispiel gab. Und da ihn die Dirne noch immer für einen Koch hielt und noch dazu für einen Koch, der die Lächerlichkeit einer weißen Mütze unter seiner Würde fand, so gehorchte sie ihm mit einer Andacht, die nichts zu wünschen übrig ließ und glücklicherweise für die Hülflosigkeit des Dilettanten keine Augen hatte.

Fridolin verstand jämmerlich wenig von der edlen Kochkunst. Aber er hatte bei den Vorarbeiten zur Orlandobiographie zu oft an Vater Bolle's Seite gesessen, wie dieser Rüstige sich das einfache Mahl bereitet, als daß er ihm nicht einige rohe Handgriffe abgesehen haben sollte.

Er hatte so oft über den alten Tenoristen gespöttelt! Heute glaubte er sich von dessen Geiste 191 beseelt. Ganz seiner Aufgabe hingegeben, saß er rittlings auf einer Bank und schälte zur Vewunderung der Magd einen Haufen Kartoffeln.

Leonilla, die ihn bei dieser Hantirung fand, dachte bei sich: An Jene hat er Verse gemacht! bei mir muß er Erdäpfel schälen! Einer Jeden, was sie verdient! Und sie lächelte.

Wieder faßte der Santalatona verwöhntes Kind tapfer an und wieder ging es zur Noth recht gut und wurden Alle satt und lobten die Mahlzeit.

Waldemar, Fridolin und Leonilla saßen beisammen zu Tisch, die Letztere stand manchmal noch auf, weil Ungeduld und der Hausfrau Ehrgeiz sie nicht zur Ruhe kommen ließen.

Das Gespräch stockte zu öfteren Malen. Es fühlten alle Drei sich so wunderlich, daß sie kaum reden mochten.

Der Glücklichste von Allen war selbstverständlich Fridolin. Er kam sich vor wie der Verfasser eines Schauspiels, das eben zum ersten Mal aufgeführt wird und außerordentlich gefällt. Er machte ein halb verlegenes, halb überseliges Gesicht, wie Jemand, der sich trotz seines Sträubens genöthigt findet, dem stürmischen Wunsche des Publikums nachzugeben und vor den Lampen zu erscheinen.

Ob ihm das Essen schmeckte? Wie einem Könige!

Auch Waldemar fühlte einen Zug über seinem 192 Herzen, als sollt' er es weit öffnen, denn das Glück sei wirklich wieder da, so unverhofft es klang. Aber der Umschlag der Empfindungen war zu jäh, als daß sich das scheu gewordene Zutrauen sogleich mit der veränderlichen Lage der Dinge hätte verständigen können.

Er schwieg und aß und ein über's andere Mal blieb ihm der Bissen im Munde stecken.

Leonilla kochend und bratend, Leonilla geschäftig und nützlich und flink bei der Hand, wie des armen Mannes rüstige Frau sein soll?! Er konnt' es noch nicht recht begreifen, nicht an die Dauer solcher Wandlung glauben.

Er aß und wußte nicht was. Hatt' er zu lange gehungert oder machte sich die Verwunderung so schmerzlich fühlbar, der Kopf that ihm weh. Und so fand er auch nie die rechten Worte, dem trefflichen Fridolin Löwe zu antworten, der über Gott und die Welt sprach und das geläufig.

Der blickte Schüsseln und Teller, Waldemar und Leonilla mit gleicher Liebe an. Ihm war nicht viel zimpferlicher zu Muth, als dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Er sah an, was er gemacht hatte, und fand, daß es gut war.

Zum ersten Male seit Jahr und Tag vergaß er die sonst so feststehenden Gebote grundsätzlicher Nüchternheit. Er ließ sich rückhaltlos wohl sein hier nach all' dem Schrecken, all' der Aufregung, und er trank sogar 193 mehr als ein Glas Wein. Und ward immer fröhlicher, obwohl die anderen Beiden immer schweigsamer wurden.

Allzu tief in Bewunderung seiner Gottähnlichkeit verloren, bemerkte Fridolin nicht, welche Veränderung sich allmälig in den Zügen des schweigenden Hausherrn vollzog.

Waldemar saß da und konnte kein Auge von seiner Frau abwenden. Es war ihm manchmal, als säh' er sie zum ersten Mal im Leben, und dann wieder, als hätt' er sie nur lange, lange Zeit nicht gesehen und sie jetzund, nach einem Zauberschlaf, einer Verbannung, einer Verblendung ohne Gleichen in alter Schönheit und Wonne wiedergefunden.

Die Rührung, die Vewunderung, daß Leonilla sich in der Trübsal so unerwartet bewährte, that es ihm an. Mehr als einmal war es ihm während der Mahlzeit nicht anders zu Muthe geworden, als sollt' er aufstehen und sein Weib an beiden Händen fassen und an sein Herz ziehen, stürmisch, unwiderstehlich ein neues Glück begründend.

Da schlug wieder die nimmermüde Stimme seines angeheiterten Gastes an sein Ohr, der über Gott und Welt seine intimsten Gedanken auskramte, ohne zu merken, daß keiner der beiden Tischgenossen ihm zuhörte. 194

Zum Teufel den Störenfried in dieser Stunde! dachte Waldemar, und wieder ließ er's dabei, nur mit den Augen zu seinem Weibe zu sprechen.

Leonilla fühlte den Blick des Gatten. Sie wollte ihm mit dem ihrigen stolz begegnen. »Des Hauses Ehre, nicht Dein Wohlgefallen stand auf dem Spiel!« das sollte ihr Blick dem Manne sagen. Aber ihre Augen, die lange mehr in kein Menschenauge fest geblickt hatten, die nur mehr gewohnt waren, über den Wald in's Blaue, in's Abendroth, an die Sterne zu sehen, sie hielten das Feuer der anderen nicht aus. Und wie die Wimpern sich senkten, schoß ihr das Blut in die Wangen; zornig biß sie die Lippen und dachte: Was umfaßt er mich mit Blicken, wie wenn er mich heut' erst freien wollte! Daß ich zur Noth den Kochlöffel rühren kann, macht mich ihm das auf einmal anbetungswürdig?

Sie bracht' es nicht über sich, dem Manne den Hohn zu zeigen – und gar vor dem Fremden. Und seine Blicke brannten doch auf ihren Wangen. Sie fühlte das Feuer. Fürchtete sie, daß es ihren Groll zu schmelzen Kraft genug habe?

Ihr ward wirr zu Sinne. Sie ertrug's nicht länger. Rasch erhob sie sich, begrüßte Fridolin mit halbem Wort und ging zum Saale hinaus.

Der treue Knecht behielt den redsamen Mund offen und also, ganz ein Bild des Staunens, sah er 195 der schlanken Gestalt nach, die hastiger, als er sie jemals schreiten gesehen, aus seiner Nähe schwand.

In diesem Augenblick, wo er im besten Zuge seiner schönsten Ergießungen war, konnte sie gehen! Sie, seine Muse! Ah!

Er hatte sich noch kaum von so peinlicher Ueberraschung erholt, als er sich zu dem ebenso schnöde verlassenen Hausherrn wenden wollte. Aber siehe, da war auch desselben Stuhl leer; Fridolin hatte gar nicht bemerkt, daß Waldemar zur Thüre hinaus war. Zu welcher Thüre? Gleichviel. Sie hatten ihn Beide allein gelassen! Ganz allein! Es muthete ihn zuerst gar traurig an. Dann aber dacht' er doch gleich: Nun, wenn sie sich jetzt finden . . . es ist die Krönung deines Werkes . . . Du bist der Schöpfer ihres Glückes . . . die Stunde kommt wohl auch noch, da sie's dir danken mögen!

Vorderhand jedoch mußt' er sich wohl oder übel gestehen, daß Einer zu viel hier wäre, und zwar Niemand anders, als er selber. »Der Mohr hat seine Arbeit gethan, der Mohr kann gehen!«

»Also gehen wir!« sprach er mit einem Seufzer, strich sich mit der Hand über die heiße Stirn und stand von der Tafel auf. Noch einmal umfaßte er mit des Kenners Augen das im Zwielicht schimmernde Stillleben, eh' er ihm den Rücken kehrte.

Er wußte nicht, warum ihm heute Alles so 196 rührend vorkam, selbst der Abschied von diesem Tisch, von diesen Tellern, Stühlen, Gläsern. Er mußte noch einmal nach einem dieser Gläser die Hand ausstrecken. Er wird nie wieder an dieser Tafel sitzen! Die Augen gingen ihm über. Aber sie waren glücklich, die hier hausten, oder sie waren doch – wie der treue Knecht meinte – auf dem besten Wege, es zu werden . . . glücklich durch ihn. Er trank den Becher, wider Gewohnheit, auf einen Zug leer; trank ihn auf der Waldenberger Wohl, und die Thräne, die ihm lang im Auge gebrannt, rollte über die zuckende Wange.

Wie er sich nun anschickte, in Bettinens Kammer hinauf zu steigen, merkte er zu seiner Beschämung, daß er nicht ungestraft von seinen nüchternen Gewohnheiten abgewichen war. Er schämte sich. Was fiel ihm ein, sich zu geberden, als ob der Durst Orlando's in ihm neugeboren worden wäre. Er hielt sich mit beiden Händen an's Geländer und war nur froh, sich ungesehen in das Stübchen schleichen zu können, wo sie ihm jüngst das Nachtlager angewiesen hatten.

Er sagte sich's jetzt nochmals und recht eindringlich, daß er auf Waldenberg nunmehr ein überflüssiger Gast, daß zwischen zwei glücklichen Gatten kein Platz für ihn sei, und daß er nichts Eiligeres zu thun habe, als seine sieben Sachen zum leichten Bündel zu schnüren. 197

Aber seine Finger ließen sich jetzt so ungeschickt an, wie vorhin seine Füße. »Verdammter Wein!« seufzte er; die Hände sanken ihm in den Schooß, der ganze Mensch auf den ersten besten Stuhl und da schlief er auch schon wider Willen.

Es war in dieser Dämmerstunde eine wunderliche Stille unter dem Dach der Waldenberger. Das Gesinde selbst hatte aufgehört zu plaudern, die Leute wußten nicht einmal warum. Sie saßen redemüde vor einander da, die Fäuste über die Kniee hängend, die Häupter nachdenklich zur Erde, die Augen auf die Diele gerichtet, als erwarteten sie ein Ereigniß.

Fridolin schlief in seiner Kammer. Kein Span krachte mehr auf dem Herde, kein Mäuslein huschte über den Flur, kein Wurm pickte im Holz. Auf den Treppen, in den Stuben war es so wunderlich still, als hielte der Hausgeist der Waldenberger den Athem an, um zu horchen, was in dieser Schicksalsstunde sich die zwei Menschen sagten, von deren Eintracht und Liebe alle Zukunft dieser Familie abhing.

»Leonilla,« sprach Waldemar – und seine Stimme klang sanft und rauh zugleich, denn die Erregung preßte ihm an der Kehle – »ich bin Dir gefolgt, weil das Herz mich treibt, Dir zu danken. Und nicht bloß um zu danken. Du bist heute dem Hause wiedergegeben aus freiem Antrieb, in edler, stolzer, herrlicher Entschließung. Ich weiß nicht, wie 198 ich Dir dieß holde Wunder vergelten soll. Ich weiß nicht, was ich thue, nicht, was ich rede. Aber ich weiß, daß mir seit Jahr und Tag nicht so selig zu Muthe gewesen ist, wie an diesem unverhofften Abend. O, meine Liebe, laß mich hoffen, daß nicht nur dem Hause die Herrin, dem Gesinde die Frau, laß mich glauben, daß auch dem Manne das Weib wiedergekehrt ist, dem verarmten Manne das einzige, aber auch das höchste Glück, das alles Andere aufwiegt, das versöhnte, das geduldige, das liebende Weib!«

Er hatte sie auf der Treppe eingeholt, noch ehe sie die Klinke zu ihrer Stubenthüre hatte aufdrücken können. Mit der einen Hand an der Pforte, halb abgewandt, hörte sie ihn reden. Sie wunderte sich, daß es ihr nicht überraschender klang. Aber nach dem, wie er sie über Tisch betrachtet hatte, wußte sie wohl, daß er ihr folgen werde. Hatte sie sich nicht lange gewünscht, ihn also reden zu hören? Und nun sie ihn hörte, zog es sie doch nicht an seine Brust? Aber es beugte ihr das Haupt abwärts, Thränen brannten in ihren Augen. Sie wollte sie nicht weinen. Sie wollte ihn nicht ansehen.

Alles was sie je für diesen Mann empfunden hatte, stürmte ihr zu Herzen. Aber auch Alles, was sie um ihn gelitten, wallte in ihrem Herzen auf und warf sich dem Andringen zärtlicher Gefühle trotzig entgegen zum Entscheidungskampfe. 199

Mit jener Sicherheit des Ahnungsvermögens, um das wir das Weib so oft bewundern, stand jetzt die Ueberzeugung vor ihrem Geiste, daß gestern Nacht, ehe der Schuß gefallen und Bettina so plötzlich verschwunden war, ein Gewitter in Waldenberg getobt haben müßte, das ohne diese unverhoffte Hülfe nicht zu dem Ende geführt hätte, welches in dieser Minute so verführerisch vor ihr ausklang.

Eine unsagbare Bitterkeit wuchs ihr vom Herzen auf die Zunge. Sie wandte dem Redenden endlich das Angesicht zu und ihre großen Augen hefteten sich streng an die seinigen.

Er schwieg, er tastete nach ihrer Hand. Sie entzog sie ihm.

»Leonilla,« sprach er so sanft, als er's vermochte, und doch so ernst, »liebst Du mich nicht mehr?«

»Ich?« rief Leonilla und ihre Stimme zitterte, wie sie zum ersten Male das lange Schweigen brach. Sie mußte mühsam nach einem zweiten Worte ringen. Ihr Athem verkürzte sich, ihr Busen flog. Dann klang es bitter und laut, fast höhnisch von der stolz geschwungenen Lippe: »Liebst denn Du mich? Hast Du mich je geliebt?«

»So lange Du mein warst,« sprach Waldemar.

Leonilla lachte wild auf.

»War ich denn je eines Andern?« 200

»Was soll das heißen?« versetzte Waldemar, »Du drehst mir die Worte im Munde herum.«

»Nun, kannst Du mir das Wort von Deiner Seite zurückgeben?«

»Ich verstehe Dich nicht,« sprach der Gatte.

»Nicht?« versetzte die Zornige. »So besinne Dich: gehörten Deine Gedanken nie einer Andern? Hast Du, seit ich die Deine geworden bin, keine Andere, sondern mich, nur mich geliebt?«

»Ich habe Dich geliebt,« entgegnete Waldemar, »und wenn –«

Leonilla schrie auf und hielt sich die Ohren zu. Er hatte diesen Ausdruck nie im Gesichte seines Weibes gesehen.

Sie erkannte sein Entsetzen und sagte:

»Waldemar, was auch zwischen uns an Geschehen und Gedanken sich gedrängt hat, eins hab' ich heilig an Dir geachtet immerdar, Deine Ehrenhaftigkeit, ich habe Dich nie für einer Lüge fähig gehalten. Mir ist noch jetzt, als müßt' ich mich selbst verachten, wenn Du eine Lüge über die Lippen brächtest. Um Gottes willen, lüge mir jetzt nicht!«

»Ich lüge nie!« sprach Waldemar. Er hatte, wenigstens im Tone der Rede, seine Ruhe wieder.

»Nun so rede mir Wahrheit! Und von Deiner Rede soll Dein und mein Geschick, soll Glück und Zukunft abhängen. Wohlan denn, sage mir, hättest 201 Du mir gestern um diese Zeit mit reiner Stirn und wahrhaftem Herzen sagen können: Leonilla, mein Weib, ich liebe Dich, nur Dich!?«

Er sah ihr Aug' in Auge. Er wußte wohl, was auf dem Spiele stand. Er konnte nicht anders. Er konnte, wollte kein Glück um eine Lüge kaufen.

»Nein!« sagte Waldemar.

Es traf Leonilla wie eine Kugel trifft, obschon man sie erwartet.

Nun konnte sie die Thränen nicht mehr zurückhalten. Sie schluchzte krampfhaft; es schüttelte sie der Schmerz, daß die Klinke, an der sie sich noch immer hielt, in ihrer Hand zu klappern begann. Sie stöhnte laut auf. Ein Jahr lang hatte sie mit der Gewißheit ihres Verdachtes gespielt, hatte nichts unterlassen, ihrem Verdacht Gewißheit zu verschaffen, und nun sie ihr ward durch ein kurzes Wort aus seinem eigenen Munde, war sie nun erst in der That und Wahrheit elend?

Es zerriß Waldemarn das Herz, sie also weinen zu sehen. Er redete ihr zu mit vorgebeugtem Haupte.

»Ist denn der Taumel einer Stunde genug, ein Lebensglück zu vernichten?« rief er.

»Ja!« sagte Leonilla schluchzend und sich seiner Nähe erwehrend, und sie dachte dabei an jene Stunde, die sie nunmehr eine unselige nannte, an die Stunde, 202 da sie im Hause ihrer Mutter an dieses Mannes Brust ihr Glück zu schmieden gewähnt hatte.

Da Waldemar sein Weib in Thränen sah, meinte er, daß trotz des unseligen Geständnisses das schöne Herz noch zu rühren und das entflohene Glück wieder an seinen Herd zurück zu locken sei. Mit all' der Sorge, welche der entscheidende Augenblick ihm einflößte, fing er zu reden an. Er wußte, daß jede Minute kostbar und daß kein Umkehren mehr zu hoffen war, wenn sie sich jetzt von ihm wandte und, was er gestanden, in ihrer bösen Einsamkeit bedachte und überlegend verzerrte.

»Wer Wahrheit verlangt, der muß sie auch vertragen. Wer Wahrheit hören will, der muß der Wirklichkeit gerecht werden können. Hast Du nicht einmal in all' der Zeit auch meine Lage ganz bedacht? Hast Du nie bedacht, daß Du Dich, wenn auch unter Einem Dache mit mir lebend, von mir so weit getrennt hast, als stünden Länder und Berge, oder als stünden unsühnbare Verbrechen zwischen uns? Welche Lage war mir, dem Verarmten, Vereinsamten, geschaffen? Ich will Niemand tadeln, ich will nur sagen: es ist auch heute noch kein Verbrechen zu sühnen; nichts, was Dich von mir fern halten müßte.

»Wahr ist's, daß es Stunden der Anfechtung gegeben hat. Ja, ich habe die Hand jenes Mädchens 203 gefaßt, müde der immer grauen Trübsal, wie ich war; habe sie gefaßt mit der wilden Absicht, sie an mich zu ziehen, an mich zu fesseln. Ja denn, ich ließ sie nicht mit Willen von uns fort. Und als ich merkte, daß man sie, die selbst nicht zu gehen Willens war, davonführte, sandt' ich dem Räuber die Kugel nach und glaube, daß ihn diese getroffen hat.

»All' das ist die Wahrheit, ja doch! Aber, Leonilla –«

»Aber?« schrie das horchende Weib nun auf und lachte wild, daß es auf einmal im stillen Hause schaurig wiederhallte. »Aber? Nein, mein Lieber, kein Aber mehr, es ist an dem genug! Uebergenug!«

Das Wort gefror auf Waldemar's Lippen. War das die Frucht der Wahrheit, die sie gefordert hatte? Der Stolz des Mannes wurde wach. Ein verzerrtes Antlitz sah er vor sich im Zwielicht. Eine zornige, kalte Hand mühte sich mit aller Gewalt, aus seiner Hand zu entrinnen.

Noch wollte er sie nicht lassen. Noch einmal rief es aus seinem Herzen: »Leonilla! Denk' auch an Dich und was Du mir bereitet hast . . . Reiße Dich nicht los! Nein, bleib' und bedenke: ein Augenblick wie dieser kommt nicht wieder. Die wenigen Sekunden entscheiden über unser ganzes ferneres Glück!«

»Glück?« rief Leonilla in steigender Wildheit. »Wir haben kein gemeinsames Glück mehr. Mein 204 Glück ist todt. Dein Glück ist draußen, über Feld, geh' doch es suchen! Geh' und laß mich!«

Sie riß an ihrem Handgelenk, wie ein Thier in der Falle seinen Lauf brechen will, um wenn auch ein verstümmelt Leben zu retten. Waldemar sah sie noch einmal an, wie sie so tobte. Er zuckte die Achseln. Bitter verzog sich der Mund. Er ließ die kleine Hand aus seiner breiten Rechten.

»Fahre hin!« sprach er leise. Da war er schon allein.

Er hörte, wie Leonilla drinnen hastig vorüberstürmend an den Möbeln rückte, wie Jemand, der in seinem eigenen Zimmer in den letzten Winkel flieht. Noch einmal zuckte die Hand ihm nach der Klinke. Jedoch die schon erhobene hielt in der Luft inne; ein schüttelnd Haupt verneinte die unwillkürliche Regung der Hand. Waldemar wandte sich mit einem letzten Seufzer und ging hinab in's Haus, wo es mit jeder Stufe dunkler und dunkler um ihn wurde.

Drunten in seinem Stübchen waren die einzelnen Gegenstände kaum mehr wahrnehmbar. Er zündete kein Licht an. Er hatte nichts um sich, was zu beleuchten der Mühe werth gewesen wäre. Er setzte sich langsam in einen Stuhl, nahm das Haupt in beide Hände und fragte sich, ob es nach all' der Widerwärtigkeit, die er in den letzten Monden hatte hinnehmen müssen, noch der Mühe verlohne, ein 205 Leben weiterzuführen, das nur Mühsal ohne Freude versprach und keine Besserung in sich keimen hatte.

Was sollte er thun?

Seltsame Frage! klang es unbewußt aus ihm. Sich auf ein Roß werfen und dahin reiten, wo die Trompeten schallen! War er zu diesem Beruf nicht geboren worden? Irgendwo in dieser schönen Welt des civilisirtesten Jahrhunderts rauchte die Kriegsfurie immerhin. Und dort, wo die Trompeten zum Einhauen bliesen und mancher Kamerad aus dem Vaterlande sein zweites Glück versuchte, ei, dort war für einen Kerl von seinen Kräften und Würden immer noch Handwerk und Ehre zu finden.

Der Gedanke hob ihn vom Stuhl empor; aber ein anderer drückte ihn wieder nieder. Was wurde aus ihr, wenn er in die weite Welt ging?

Sie hatte ihm kein Glück gebracht, aber Pflichten. Schwere Pflichten. Erst heute dünkten sie ihn schwer.

Freilich, nach einer Auseinandersetzung wie die heutige durfte der Gedanke sich ihm aufdrängen, daß Leonilla nicht auf Waldenberg bleiben, sondern sich auch häuslich von ihm trennen und wohl zu ihrer Mutter ziehen werde.

Dann, ja dann konnte der Habenichts hinaus reiten und, ein Landsknecht und Abenteurer, sich für fremde Sachen herumschlagen . . . Er? der an der Scholle hing und altfränkische Gedanken von Ehre 206 und Standessitten hatte? Er taugte wenig zum Glücksritter und sagte sich's auch.

Aber dieß Leben hier war unerträglich, war fertig, war abgeschlossen. Das fühlte er unwiderleglich.

Ach, daß es so häßlich geendet hatte! . . . Warum hatte es nur gerade so enden müssen?! . . . Und wenn es also häßlich enden mußte, warum hatte es überhaupt begonnen? . . .

Also richtete Waldemar in finsterer Stube an sein finsteres Geschick eine jener Fragen nach der andern, auf die es keine Antwort gibt.

Man weiß, daß Keiner der Antwort gewürdigt wird, und doch wird die Seele nicht müde zu fragen, sich wund und zu Schanden zu fragen. Daß Gott erbarm'!

Auch Waldemar's arme Seele wurde wund. 207

 


 


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