Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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IV.

Fridolin wußte nicht recht, wie er auf die Straße gekommen war. Er lief schon eine geraume Weile gegen die Stadt zu, als er erst merkte, daß er noch den Hut in der Hand hielt, und ihm klar einfiel, was für eine schreckliche Kundschaft er guten Menschen in's Haus zu tragen verurtheilt worden sei.

Er sah sich wie rettungsuchend auf der Straße um. Vor ihm kam ein Mann mit einer Stange daher. Es war der Laternenanzünder, der bald rechts, bald links eine Flamme aufgehen ließ. Wo war der ewige Laternenmann, der das Licht in Orlando's Seele wieder entbrennen konnte?! Und es hatte doch so schön geflammt und zur Freude der Menschen!

Es ward Fridolin immer trauriger zu Muth. Und dabei lief er, so gut er's aushielt, bald schneller, bald wieder gemäßigter. Er lief schon wieder in den Gassen der Stadt, als er noch immer sich rathlos fühlte, an wen er zuerst sich wenden sollte. 94

Wieder zu Hertz zurück und ihn um Beistand bitten? Ach, was sollte Der! Ein bequemer Herr, wie Naphtali, ging solchem Auftrage sicher aus dem Wege.

Welche Straße nahm er denn eigentlich? Er durfte doch jetzt nicht mehr so geradezu rennen. Wo war er nur gleich und nach welcher Seite führte der nächste Weg in die kleine Gartenstraße?

Er stand auf einem Platz, ein großes finsteres, viereckiges Haus mitten drauf, davor ein säulengetragener Portikus.

Er erkannte, daß er vor dem Theater stand. »Bolle!« rief es aufhellend in Fridolin's Herzen und nun wußte er, an wen er sich in der schrecklichen Sache zu wenden hätte.

Er erkundigte sich an der Rückseite des Hauses, ob der alte Tenorist noch »zu thun« habe. Und da diese Frage bejaht wurde, so setzte er's durch, Herrn Bolle wegen wichtiger Angelegenheiten in seiner Garderobe sprechen zu dürfen.

Harmlos lächelnd empfing ihn der muskulöse Mime. Zwischen Straußenfedern, Blechschmuck, Lappen, Schminktöpfen und Hasenpfötchen, im Rücken einen winzigen Spiegel, saß Bolle da, das Gesicht als Mohr geschwärzt, die Lippen daumendick mit Roth bestrichen, das rechte Bein hurtig in eine bunte Hose steckend. 95

Also seine Mummerei pflichtschuldig vollendend, vernahm er des Freundes Schicksal.

Noch ehe er die Kunde zu Ende gefragt, noch ehe er eine Antwort hatte geben können, rief ihn der Inspizient auf die Szene. Und rief ihn barsch, denn es war Gefahr im Verzug.

Bolle hieß Fridolin sich nicht von der Stelle rühren, bis er wiederkäme, und sprang hinaus.

Der Zurückbleibende legte die Hände in den Schooß. Er hörte von Ferne die Musik der Vorstellung und jetzt trotz der Entfernung ein schütterndes, allgemeines Gelächter. Offenbar war Bolle nunmehr auf die Bühne getreten und that wie immer seine Pflicht.

Mehrmals wiederholte sich das Gelächter und dann kam Bolle athemlos, schweißtriefend in die Garderobe zurück und fragte weiter aus und sagte schließlich zu dem jüngeren Mann:

»Lassen Sie sich ja heute nicht mehr in unserem Hause blicken. Sprechen Sie mit Niemand von dem, was Sie wissen. damit es nicht ein anderer Unvorsichtiger in der Sorge, die Hiobspost möchte kalt werden, Bettinen hinterbringe. Das Kind könnte den Tod von dem Schrecken haben. Gönnen wir ihr heute noch erquickenden Schlaf. Morgen will ich es der Armen in Gottes Namen beibringen. Seien Sie um acht Uhr bei mir, denn sie wird das 96 Bedürfniß haben, nach meiner ersten Kunde auch Sie auszufragen. Wappnen Sie Ihr Herz. Es wird keine angenehme Stunde sein. Aber wir Beide dürfen uns der Freundespflicht nicht entziehen. Das Aergste fällt ja doch auf das arme Mädchen!«

Noch einmal ließ sich Bolle versichern, daß Fridolin die Neuigkeit weder mündlich im Kaffeehause, noch durch die Zeitung verbreiten wolle, ehe Bettina darum wisse. Dann ward der Tenorist abermals auf die Bretter gefordert und abermals empfing ihn schallendes Gelächter.

*

Eine Stunde später trat Eduard Bolle ohne Schminke, ohne Flitter, mit treuherzigem Alltagsgesicht, lächelnd, als wäre nichts geschehen, in Orlando's Wohnung ein.

Er fand Bettinen bei der Lampe, die Nadel in der Hand.

»Kind,« sagte der Gute, »mir ist heute wunderlich zu Muth, just als ob mir was recht Trauriges widerfahren sei. Erlaube mir, daß ich mich zu Dir setze. Du leistest mir ja gern Gesellschaft. Ich habe mir's Abendbrod gleich mitgebracht. Mit Verlaub! . . . Und was ich noch sagen wollte, ja, Dein Vater will heute so bald nicht nach Hause kommen. Du sollst nicht auf ihn warten und ruhig zu Bette gehen.« 97

Das Mädchen sah den Alten an. Er war Schauspieler genug, seine Miene zu beherrschen. Er brach sein Brod und nickte dem Hausmütterchen fröhlich zu. Bettina hatte kein Arg. Eine solche Post war in dem letzten Monat leider nichts Außerordentliches mehr, seit der alte Hunzelsperger, der so lange gedürstet, sich selbst und lustige Gesellschaft wiedergefunden hatte. Auch war es wohl aus demselben Grunde heute nicht das erste Mal, daß der alte Eduard mit Krug und Brod eine Stunde neben ihr zu verplaudern kam.

Heute gerieth er vom Hundertsten in's Tausendste. Bald erzählte er was von der schlechten Wirthschaft im Theater, bald fand er seine Kinder zu loben. Er betonte es, daß er gute Kinder hätte, auf deren Hülfe er sich wohl verlassen könnte, wenn ihm in alten Tagen die Kraft schwinden sollte.

Bettina blickte von der Nadel empor und lächelte. Bolle, dem die Kraft versagte, war eine unmögliche Vorstellung.

»Wie geht's Dir denn jetzt mit Deinen Lektionen?«

»Schlecht, Papa Bolle. Die Leute finden überall, ich sei zum Lehren zu jung. Einige besorgte Mütter fanden sogar, ich sei . . .«

»Zu hübsch dazu? 's ist was dran!«

»Ach Gott! dabei bleibt mein Verdienst ein Bettel und die Sorge frißt mich auf, wie ich eines Tages 98 den Vater unterstützen soll, wenn die Pflicht unabweislich an mich herantritt.«

»Du kannst jeden Augenblick darauf gefaßt sein!« sagte Bolle und schnitzelte mit aller Achtsamkeit an seinem Butterbrode.

»Wollen sie ihn wirklich auch der Organistenstelle entheben?« fragte Bettina, im Schrecken eine Hand mit der andern fassend.

»In der That, man munkelt dergleichen,« antwortete Bolle. »Und ganz unter uns gesprochen: zum Verwundern ist es nicht. Ich habe Deinen Vater am vorigen Ostersonntag lange präludiren hören. Es war der alte Orlando nicht mehr!«

»Ach Gott!« seufzte das Mädchen und die Augen wurden ihm feucht.

»Nun heißt es, den Kopf oben behalten!« fuhr Bolle fort. »Du mußt schon jetzt daran denken, für schlimmere Zeiten Dich bereit zu machen.«

»Ja, aber wie nur? Ich bin zu Allem bereit. Aber mir mißlingt Alles!«

Bolle that einen bedächtigen Schluck aus seinem Steinkruge. »Willst Du nicht trinken?« sagte er dann und redete Bettinen zu, bis sie Bescheid that. Der Gutmüthige dachte sich wohl, sie schliefe dann sicherer ein. Noch ehe er ihr den Humpen aus der Hand nahm, fuhr er fort: »Wie wär's, wenn Du Dich in die Zeitung setzen ließest . . . Nicht bloß 99 zum Stundengeben, nein, als Gesellschaftsfräulein oder Gouvernante oder dergleichen.«

»Ich soll den Vater verlassen?!«

»Dein Alter ist bei mir gut aufgehoben. Das weißt Du! Und vor Allem heißt es doch, für ihn sorgen und – übersieh' das nicht – für Dich auch!«

Das Mädchen ließ den Kopf hängen. Vater Bolle war nun im Fluß und predigte sachte fort, bis sie Beide eines Sinnes waren, Bettina das Nähzeug beiseite legte, Papier und Bleistift holte und nun mit des thatkräftigen Nachbarn Hülfe eine Anzeige für's Tagblatt verfaßte, die in Gottes Namen je eher desto lieber nach der Druckerei sollte.

Darin war zu lesen, daß ein anständiges, wohlerzogenes Fräulein, katholischer Konfession, das deutsch, französisch und italienisch zu sprechen verstünde, gut vorlesen, singen und Klavierspielen könnte, eine Stelle als Erzieherin oder Gesellschafterin in einem vornehmen Hause suchte.

Die Redaktion dieser Note hatte einige Zeit in Anspruch genommen. Insbesondere ein kleiner Punkt hatte lebhafte Debatte hervorgerufen. Bettina wollte durchaus nicht, daß vom Gesang dabei Erwähnung geschehe. Seit dem unseligen Abend, da sie zum ersten und letzten Mal vor die Lampen getreten war, hatte sie keinen singenden Ton mehr aus ihrer Kehle gebracht. 100

»Du bist eine Närrin, wenn Du Dein Licht unter den Scheffel stellst,« sagte Bolle. »Gut, daß die Sorge um Deinen Vater stark genug ist, Deine Laune zu zwingen. Ohne Gesang bist Du die Hälfte werth. Und sei getrost, er ist das Beste, was an Dir zu loben bleibt!«

Bettina schmollte, aber Gesang kam in die Anzeige. Dann versöhnten sich die beiden Nachbarn. Bolle wünschte ihr wohl zu schlafen und ging, mit dem Papier in der Hand, in seine Stube hinüber.

»Es war geboten,« sprach er zu sich selbst, »daß ich dem Hausmütterchen schon heute den Entschluß abschwatzte, zu dem ihm morgen, so nothwendig er ihm scheinen mag, die Geistesgegenwart fehlen wird. Das arme, arme Ding! Also der Rest auf morgen und für heute gute Nacht!« 101

 


 


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