Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Buch.

I.

Ueberall und überall
Hört man den Trompetenschall!
Ja! überall und überall
Hört man nur den Schall!

Die Soldaten singen, wie sie so im Schritt nach Hause reiten. In ihr derbes Lied tönt der Hufschlag und das Schnauben ihrer Pferde, das Knarren von Sattel und Zeug, das Klirren von Bügeln, Lanzen, Säbelscheiden und Karabinern und dazu der ganze nebenher tosende Lärm der breiten, vielbefahrenen Straße. Eine Schwadron kann das Lied der anderen nicht verstehen. Ist auch nicht nöthig. Selbst der Marsch der Blechmusik vorn an der Spitze des Regiments wird hinten in den letzten Schwadronen kaum mehr vernommen, so lang, so lange streckt sich der Zug. Den Trompetenschall freilich, den hört man überall.

Und schön nimmt sich's aus, wenn man von Fenstern und Balkonen auf die Riesenschlange, aus 4 Rossen, Reitern und Lanzen bestehend, hinabschaut, die sich langsam, laut und blitzend die breite Zeile hinabwindet. Daumendick liegt der Staub des Exerzierplatzes auf Uniformen und Schabracken; die Mähnen der Gäule könnte man für gepudert halten und auf die Deckel der Confederatka mit den Fingern schreiben; kaum daß man von Haaren und Bärten die Farbe unterscheidet. Aber hoch in der Luft zu Tausenden wehen stolz und keck und klar die zweifarbigen Fähnlein, und in den blanken Lanzenspitzen funkelt die Sonne. Und noch eine andere Sonne funkelt darein, die Sonne des Ruhmes, die noch nach Jahrhunderten um diese Lanzen blitzen wird, wenn die späten Enkel sie, die rostblinden, in ihren Zeughäusern anstaunen werden.

Der Ulan! Um das Wort hat der furchtbare Krieg einen Kranz heldenhafter Legenden geschlungen, der den tapferen Reiter auch mitten im Frieden verklärt. Das Volk liebt den Reiter und die Legende, und besonders die Jugend hängt an ihnen mit höherklopfenden Herzen, die liebe, lachende Jugend, die beim Kriege nur vom Siege wissen will, die Freude hat an lautem Knall, ob's einschlägt oder nicht, die nicht das Röcheln des Todes, nicht den Aufschrei des Zerstampften, nicht Fluch und Weinen der Verwaisten hört, wenn die Trompeten blasen, und an der furchtbaren Waffe nur das züngelnde Fähnlein sieht, das so 5 lustig in Gottes freier Luft und Sonnenstrahl flattert, wie des ewigen Friedens flügelschlagende Taube.

Ein Glück, daß dem so ist! und daß es immer so bleiben wird!

Ein Glück der Strahl der Sonne, der auch die Mordwaffe vergoldet. Ein Glück der Strahl aus lachenden Augen, der auch im staubigsten Mann einen Helden sieht, jeden Einzelnen in den Ruhm des ganzen Volkes gebadet.

An schönen Augen fehlt es denn auch nicht, die von Fenstern und Balkonen auf die staubbedeckte, rasselnde Reiterei hinabblicken. Hier lachende Kinderaugen – sie freuen sich nur an Glanz und Menge und Bewegung . . . ein Regiment lebendiger Puppen! und zu Pferde! Wie herrlich! Weiter denken sie nichts dabei. Hier die weitgeöffneten Augen heranwachsender Knaben – ihr starrer Blick ist wie ein Schwur: »dereinst wie du!« sagt der Kleine wortlos zu dem Reiter, der ihm am besten gefällt, und kehrt sich um und quält sich mit seinem Cäsar oder Sallustius. Hier die schönsten Augen junger Mädchen, von zuckenden Wimpern nur scheinbar gebändigt, die beredtesten, süßesten, ehrlichsten Blicke, die der eigenen Seele zuflüstern und der Welt es strahlend verkünden: dieß ist ein Mann! –

»Seht doch, ist das nicht eine Baronesse Santalatona? . . . Ei freilich!« sagt der Premierlieutenant 6 Thadderich von der Müllschippe und fährt sich mit dem Handschuh über den Schnurrbart. (Er hieß eigentlich Thadewald von Mühlensiefen; aber schon auf der Schule hatten sie ihm den Namen so verunziert, wie er dann sein Lebtag – wenn auch nur hinter seinem Rücken – verunziert wurde.)

»Wo das?« fragt der jüngste Sekondelieutenant, der erst eben aus dem Kadettenkorps gekommen, und gibt sofort dem Fuchs die Sporen, daß er merklich aus der Reihe tritt, einige Mätzchen macht und seine Gangart zeigt, daß er, mit Einem Wort: ein bischen auffällt. Das Thier hat aber auch einen wunderbaren Trab.

»Dort oben im ersten Stockwerk,« erwiedert Jener. »Ich erkenne das Mädchen an der Aehnlichkeit mit seinen älteren Schwestern. Die Kleine ist während der Trauerzeit herangewachsen.«

»Die älteren Schwestern waren sehr schön,« sagt der Sekondelieutenant, der den Fuchs wieder ganz nahe an den Schimmel seines Kameraden herangedrückt hat. Und er sagt es mit dem Ausdruck ernsthafter Traurigkeit.

»Schön, reich und jung, und mußten doch sterben! Jammerschade!« erwiedert der Premierlieutenant. »Ich habe viele Menschen sterben sehen in den letzten Jahren. aber wenige haben mir so leid gethan wie diese lieben Mädchen.« 7

»Junge Mädchen sollten überhaupt gar nicht sterben,« sagt der Lieutenant auf dem Fuchs. »Wenn ich im Rathe der Götter Sitz und Stimme hätte, würd' ich mir erlauben, dieses Naturgesetz mit einzigem Paragraphen einzubringen – immer vorausgesetzt, daß unser verehrter Eskadronschef nichts dagegen einzuwenden hätte.«

»Rittmeister von Waldenberg würde Ihnen die Erlaubniß geben – wenn auch mit der gleichmüthigsten Miene von der Welt,« entgegnet Thadderich von der Müllschippe, und die Herren lachen.

»Ich bitte um Vergebung,« ergreift endlich der Rittmeister das Wort. »Ich habe ganz überhört, wovon die Rede. Ich dachte über den neuen Hufbeschlag nach, den man mir gestern vorgelegt hat. Bei dieser interessanten Meditation ist mir sogar die Cigarre ausgegangen. Wovon sprachen die Herren?«

»Von den Baronessen Santalatona. Sie haben die beiden älteren doch gekannt? Sie waren blond und tanzten gut und sind beide im Zeitraum von drei Jahren gestorben.«

»Das war wohl vordem, ehe ich die Ehre hatte, in unserem Regimente zu dienen und in dieser schönen Stadt zu wohnen.«

»Sie haben Recht, Rittmeister von Waldenberg, man vergißt immer, daß Sie eigentlich ein Fremdling sind.« 8

»Sie sind doch schon fünf bis sechs Jahre da?«

»Wohl. Aber ich erinnere mich kaum, den Namen der Damen gehört zu haben.«

»Sie wohnen doch mit ihnen in einem und demselben Hause?«

»Ich?«

»Gewiß! dort!«

Der Lieutenant wies mit der Hand nach dem Hause zurück, an welchem sie vor wenigen Minuten vorübergeritten waren. Durch die Staubwolken, die hinter den Pferden emporwirbelten, sah man seine Fensterscheiben wie Brennspiegel im Sonnenschein funkeln.

Der Rittmeister wandte langsam den Kopf zurück und sagte dann, gelassenen Tones, wie er meist zu sprechen pflegte: »Ach so! Sie irren. Ich wohne gar nicht in jenem stattlichen Gebäude, sondern in einem ziemlich weit abstehenden Hinterhause, dessen Front nach der kleinen Gartenstraße steht. Ein stilles Quartier, ein gemüthliches Häuschen, von jener Zinskaserne durch mehrere Höfe, Zwischengebäude und Gartenplätze getrennt –«

»Alles Grund und Boden der verwittweten Baronin Santalatona,« warf der Sekondelieutenant ein.

»Mag sein,« fuhr Waldenberg fort. »Aber wir kümmern uns nicht um so ferne Grundherren. Ich wüßte gar nicht, daß die beiden von einander entlegenen 9 Häuser überhaupt etwas mit einander gemein haben, wenn es nicht erlaubt und schon vor meiner Zeit gebräuchlich gewesen wäre, von meinem Stall aus durch die Höfe, am Garten entlang und beim Thor des großen Hauses hinauszureiten. Man erspart sich dadurch einen großen Umweg nach der Kaserne. Weil man mich nun hier tagtäglich ein paarmal hat aus- und einreiten sehen, dadurch ist wohl der Irrthum entstanden, daß ich in diesem Palaste hause. Dem ist jedoch durchaus nicht so.«

»Aber man rühmte doch erst kürzlich Ihr Heim als das Ideal einer Kavalleristenwohnung, Herr Rittmeister.«

»Das ist es auch, mein theuerster Kamerad. Denken Sie nur: dicht an der Thüre meines Schlafzimmers führt eine kleine Treppe direkt in den Stall.«

»Alle Achtung!«

»Pfui, welch' ein Staub! Es geht nichts über den Exerzierplatz unserer Kaserne!«

»Dafür ist das Vergnügen für heute seinem Ende nahe.«

»Nun, und was den neuen Hufbeschlag betrifft?«

»Die Sache verhält sich so: u. s. w.« 10

 


 


 << zurück weiter >>