Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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IX.

Waldemar's junge Frau und Bettina wohnten nun die schönen Sommertage fern von der schwülen, staubdurchwallten Stadt auf dem stillen grünen Waldenberg.

Dieß Stammhaus stand auf einem winzigen Gütchen, das erst in neuerer Zeit durch einigen Ankauf sich um etliche Felder und Triften, nicht eben um viele, vergrößert hatte. Auch das alte Häuschen war erst nach Waldemar's Heirath ein wenig erneuert und verbessert worden, so daß es modernen Ansprüchen gerechter ward, als in dem verwahrlosten Zustande, da es Thassilo ohne jegliche sentimentale Anwandlung an den Meistbietenden verkauft hatte.

Am Polterabende hatte Thassilo dem Sohne den neuen Kaufvertrag und die Schenkungsurkunde in die Hand gegeben. Er hätte Waldemar keine freudigere Ueberraschung bereiten können.

Wo er als Kind gespielt, wo ihn der Vater zum ersten Mal auf's Pferd gehoben, wo die Mutter ihm 189 die erste Fibel gezeigt, wo diese einzige Frau am liebsten gesessen, im Zwinger, am Weiher, im Thürmchen, wo sie die Armen gespeist, wo sie die Hühner gefüttert, wo sie zuletzt entschlafen, wo sie begraben lag, Waldemar hatte nicht gesäumt, mit seinem jungen Weibe die alten Plätze sämmtlich wieder aufzusuchen. Und wie er so mit der glückseligen Leonilla Hand in Hand in seinen Erinnerungen schwelgte, wie er in wonniger Verborgenheit mit der neuvermählten Braut auf eigenem Grund den Honig dieser Wochen auskostete, da nahm er viele böse Gedanken gegen des Vaters geschäftliche Passion zurück, und manchmal wollt' es ihm sogar einleuchten, daß der geistesgewandte Thassilo, der sich des angestammten Familienbesitzes zwar für einen Augenblick entäußert, aber im richtigen Moment ihn auch wieder zu gewinnen verstanden hatte, wie ein geschickter Spieler sei, der den Ball weit von sich schleudert, aber nur um ihn gleich darauf in sicherer Hand zu halten.

Der Major war nie überzeugter gewesen, daß in rechter Lebensführung noch viel von seinem Vater zu lernen, und was man eben nicht erlernen konnte, nach seinem weisen Rathe zu gestalten war.

Jenes drohende Unwetter, das sich vor etlicher Zeit aus irgend einem Börsenwinkel über Thassilo's Vermögen zusammengezogen hatte, war ohnehin in kurzen Tagen so glücklich beschworen worden, daß 190 die Sonne des Glücks nun ungetrübt allen Unternehmungen zu lächeln schien, die mit dem schönen Namen Waldenberg in Verbindung gebracht wurden.

Daß diese großen Erfolge auch auf die Laune des vielgewandten Diplomaten vom fröhlichsten Einfluß waren, braucht man kaum zu versichern. Thassilo, der ohnehin nicht zu den Kopfhängern gezählt wurde, auch wenn ihm Alles gegen den Strich ging. schwelgte nun in allgemeiner Anerkennung und genoß den Nachsommer einer zweiten oder dritten Jugend mit Weisheit und Geschmack.

Das Glück seines Sohnes schien auch ihn noch mehr zu beglücken. Er war der liebenswürdigste, vorsichtigste, galanteste Schwiegervater, der gefunden werden konnte, und nichts glich der ebenso herzlichen als ehrerbietigen Intimität, die ihn mit der Mutter seiner angebeteten Schwiegertochter verband.

Banale Menschen, die immer was zu tuscheln und zu enthüllen haben, wollten sich drauf köpfen lassen, daß der Vermählung des Sohnes mit der Tochter demnächst die Verlobung des Vaters mit der Mutter nachfolgen werde. Das war aber leeres Gerede, Täuschung, die auf Wirkung der Entfernung beruhte. Die Vertrauten des Hauses wußten, daß keiner der Beiden an solch' ein überflüssig Nachspiel dachte. Das aber bleibt bestehen, daß es für Theodora von Santalatona auf der weiten Welt keinen 191 Menschen gab, der dem unvergleichlichen Thilo Waldenberg das Wasser reichen durfte, – selbst ihren Schwiegersohn nicht ausgenommen, der in ihren Augen sich doch auch schon mit einer genügenden Last von Vortrefflichkeiten schleppte.

Nach ihrer Ueberzeugung war sein Vater das Muster eines vollendeten Kavaliers. Daß er sich zuweilen mit kaufmännischen Geschäften, mit weitaussehenden Spekulationen abgab, darin konnte sie keinen Makel erkennen, die, aus patrizischem Geschlechte stammend, den Stab Merkur's für adelig Gewaffen achtete, so lang sie denken konnte.

Zudem, war es Thassilo's Schuld, wenn man seinen Fähigkeiten allzu viel Muße ließ, sich mit modernen Liebhabereien zu befassen? Niemals und von Niemandem ist der armselige Staat so tief bedauert worden, der solchen Mann mit solchem Blick und Geschick freilaufen ließ, ohne seine unbeschreiblichen Fähigkeiten für's gemeine Wohl zu verwerthen, wie er von der guten Frau von Santalatona bedauert wurde.

Der vergötterte Freiherr von Waldenberg hatte deß längst keine Klage mehr. Längst hatte er sich über die Schwachheit des diplomatischen Ehrgeizes erhoben und war's zufrieden, im kleinen Kreise Glück zu säen, Anerkennung zu ernten und als in Anmuth gebietendes Haupt eine liebenswürdige Familie lächelnd zu beherrschen. 192

In den letzten anderthalb Jahren hatte Thassilo mehr als ein Gut gekauft. Zuweilen, wenn er sich an den schönen Augen seiner Schwiegertochter nicht sattsehen konnte, sprach er von dem Plan, ein Majorat zu gründen. Es fehlte zur Ausführung dieser Idee nur noch an Kleinigkeiten. Fragen der Zeit. Aber wie ernstlich er auch um den zukünftigen Grundbesitz seiner späten Enkel besorgt war, nichts lag ihm so am Herzen wie das kleine Waldenberg, das bescheidene Nestchen seiner Väter.

Es war nicht anders, als hätte jene Unterredung mit Waldemar das schlafengeschickte Familiengefühl wieder erweckt. Er eiferte nun in Sorgfalt für das magere Gütchen mit dem Sohne. So ward, was er einst leichtgesinnt an den ersten Besten weggegeben hatte, zum Liebling seiner Gedanken, zum Augapfel seiner Sorge.

Wo immer er im Lande von kostbarem Hausrath aus alter Zeit etwas auftreiben konnte, ja die schönsten Stücke aus dem eigenen bric-à brac ließ er nach Waldenberg schleppen und sah bald selber nach, wo und wie es war aufgestellt worden und ob es auch richtige Wirkung that.

Sein größter Aerger war, daß die umliegenden Gründe seit unvordenklicher Zeit in so festen Händen waren, daß an ein Ablassen derselben zu Gunsten bedeutender Vergrößerung und schöner Abrundung 193 des Stammsitzes noch lange nicht gedacht werden konnte. Gegen den stattlichen Ausbau des Herrenhauses zum richtigen Schloß, einen der Lieblingspläne Thilo's, wehrte sich Waldemar selbst, der, in seinen Erinnerungen befangen, am eingebildeten Werthe zu verlieren meinte, wenn Weitläufigkeit und Comfort die alte Barracke veränderten. In gewissem Sinne gab ihm auch der Vater recht. Was sollte ein größeres Haus auf dem mäßigen Grunde, der sich nicht vergrößern ließ? Es würde ihn nur noch kleiner erscheinen lassen.

So blieb nichts übrig, als das kleine Haus so behaglich als möglich auszugestalten. Die wenigen baulichen Veränderungen, die sich der Major hatte gefallen lassen müssen, trugen nur zur Annehmlichkeit der Wohnung bei. Ein Gärtner hatte rund herum in frischen Anlagen kleine Wunder gewirkt. Und wenn die Wirthschaftsgebäude nicht viel ansehnlicher geworden, so waren sie doch im Innern mit schönem Vieh, mit amerikanischen Maschinen und englischen Geräthen vollgepfropft, daß man sie gern den Fremden zeigen mochte.

Leonilla hatte nicht viel Sinn für's Landleben. Doch meinte sie, wenn Waldemar tagaus tagein hier verweilen könnte, so sollt' ihr kein lieberer Fleck auf Erden sein.

Aber der Major hatte seit seinen Flitterwochen 194 keinen Urlaub verlangen dürfen. Wohl oder übel mußte die Gattin des Soldaten sich drein finden. Mama Santalatona äußerte für bukolisches Verweilen noch geringere Schwärmerei als ihre Tochter. Dafür kam Papa Waldenberg bald zu längerem Besuch angefahren, und vor Allem hatte Leonilla nun das Mädchen um sich, dem sie das Leben wieder aufgezwungen hatte.

Nun galt es auch, Bettinens Herz dem Leben wieder zu gewinnen.

Ein eigenthümliches Verhältniß hatte sich rasch zwischen den beiden so verschiedenartigen Wesen geknüpft. So kleinlaut, finster und spröde sich die Unglückliche auch ihrer Retterin gegenüber verhalten mochte, Leonilla empfand für sie, wie wenn sie wirklich in ihr eine ihrer Schwestern wiedergefunden hätte; sie achtete auch die ärgste Verstimmung in solcher Lage für nur zu begreiflich, sah Jener jede Laune nach und überhäufte sie bei jeder Gelegenheit mit so viel Güte, daß es in der That auch einem verstockten Gemüthe schwer ward, ganz ungerührt zu bleiben. Wider Willen merkte Bettina, wie sie die Zuneigung dieser Frau mit immer festeren Banden umzog. Sie duldete dabei und fühlte sich doch immer inniger gebunden.

Leonilla war so vollauf von dem Gedanken dieser Rettung angefüllt, daß ihr zum ersten Mal 195 selbst die Trennung von dem geliebten Manne weniger empfindlich ward. Sie wollte ihr Werk nicht halb gethan haben. Ließ es sich nicht fast wie ein Verbrechen an, wenn sie die Entfliehende mit Gewalt im Bewußtsein alles dessen festgehalten, was sie aus der Welt hinausgetrieben hatte, und sie ihr nicht neue Liebe zum Dasein, Geschmack am Glück und gute Gedanken geben konnte? Was war das Leben ohne Lebensfreude!

Ach, wie fühlte sich Leonilla glücklich mit ihrem edlen Zweck! Sie webte Tag und Nacht an ihren großen Absichten und wallte mit ihnen höher über diese Welt dahin, die ihr vergönnte, Gutes zu thun an Gottes Ebenbild.

Sie hätte Bettinen nicht inniger lieben können, wenn diese ihre leibliche Schwester gewesen wäre. Nein, sie liebte sie leidenschaftlicher, als je eine ihrer Schwestern. Liebte sie wie ein eigen Kind. War sie auch ihre Mutter nicht, so hatte sie doch mütterliche Pflichten und Rechte erworben. Hatte sie ihr auch das Leben nicht geben können, so hatte sie sie doch vom Tod errettet. Innige Zuneigung, wahre Freundschaft sollte das Werk vollenden.

Bettina machte der jungen Frau ihr Werk nicht eben schwer. Es that ihr, der Frühverwöhnten, arg vom Geschick Mißhandelten, wieder recht wohl, der Gegenstand liebevoller Pflege zu sein. 196

Fast vergaß sie darüber des wilden Vorsatzes, diese Retterin zu hassen, was ihr auch Gutes von ihr geschehen möge. Seit jenem argen Morgen am Ufer bei den Weiden war eine Müdigkeit in Bettinens Seele gefallen, die jedem Gefühl seine Heftigkeit zu benehmen schien. Sie haßte nicht mehr, sie liebte nicht mehr. Sie vegetirte so hin. Aß und trank, trieb sich in freier Luft herum, war's zufrieden, ihrem Vater ein Sümmchen aufzusparen, und machte zuweilen Musik, wenn sie vermuthete, daß es Frau von Waldenberg wünschte.

Im Anfang hatte Leonilla sich's in den Kopf gesetzt, sich von Bettinen unterrichten zu lassen, wie man Orlando's Kompositionen gerecht zu werden habe. Aber eines Tages war ihr eingefallen, daß Jener damit nur Leid geschähe, wenn sie immer und immer wieder durch diese Werke an den Vater erinnert würde und an des Vaters Mißgeschick. Da versagte sich die Zartfühlende auch diesen Wunsch und ließ die Künstlerin in freier Wahl gewähren.

Unwillkürlich alten Gewohnheiten folgend, faßte Bettina an solchen müßigen Tagen bald Dieß bald Jenes im Hauswesen an. Und das war nun schon Hausmütterchens Art, wo es anfaßte, geschah auch etwas. Lauter Gründe mehr für Leonilla, ihre Freundin zu bewundern. Bald fragte sie dieselbe um Alles, was neu zu beschaffen oder am Alten umzugestalten 197 war. Bettinen ward es leichter, sich für das Haus, als für die Frau von Waldenberg zu erwärmen. Der Trieb zur Thätigkeit sprach auch schon lauter. Und es fehlte nicht viel, so hätte Leonilla der Hausfrau ganzen Schlüsselbund an den Gürtel der Jungfrau gehängt. Führte diese doch Thätigkeit am besten in's Leben wieder ein.

Neue Freude kam nach Waldenberg, da Vater Thassilo, der Alles, was die Gesellschafterin seiner Schwiegertochter anging, ausgekundschaftet hatte, ein Harmonium aus der Stadt schickte.

Leonilla lernte nicht nur eine neue Welt von Musik auf diesem Instrumente kennen; sie fand auch an Bettinen eine neue und ihre beste Seite heraus.

Wenn auf irgend einem Felde der Kunst, hier wahrlich war Bettina ganz Orlando's würdige Tochter. Hätten gesellschaftliche Vorurtheile, weibliche Kleidung und vielleicht der Mangel an physischer Ausdauer sich nicht hindernd in den Weg gestellt, mit dem Orgelspiel hätte sich Bettina ihren Lebensunterhalt wohl verdienen mögen. So wie die Welt war, mußte sie sich begnügen, das Beste, was sie konnte, auf einem geringeren, nothdürftig aushelfenden Instrumente zu leisten, vor dem nur wenige Zuhörer ihr andächtig lauschen konnten.

Keiner andächtiger als ihre Herrin und Freundin Leonilla. 198

Keiner – bis zu dem Tage, da Thassilo von Waldenberg selber den Fuß auf die Schwelle seines Vaterhauses setzte und unterm Thore stehen blieb, mit erhobenem Finger aufwärts deutend, wo eine himmlische Weise aus geöffnetem Fenster drang, dergleichen er in seinem Leben nichts Schöneres gehört zu haben meinte.

Lange Stunden konnte der sonst so unruhige Mann jetzt vor den beiden Frauen sitzen. Aber er sah seine Schwiegertochter dabei nicht an, die dessen wiederum nicht Acht hatte, denn Beider Augen schauten nur nach Bettinen hin, die es durch die Schönheit ihrer Mienen, das Unglück ihres Schicksals und den Zauber ihrer Kunst der Einen wie dem Andern angethan hatte und längst sie Beide, ohne daß sie es merkten, beherrschte.

Ob es nun reine Andacht war, die Thassilo erfüllte, wenn er ganz hingerissen auf die Töne lauschte, die diese schlanken Finger aus den Tasten drückten, – er glaubte das wohl selber kaum. Allein eines Tages kam für Bettinen eine große flache Kiste aus der Stadt, zu der sich der Freiherr als Geber bekannte, da die Tochter des Organisten sich sonst geweigert hätte, eines Unbekannten Geschenk in Empfang zu nehmen. Diese Kiste verschloß eine Kopie von Rafael's heiliger Cäcilia, die Thassilo von einem wackeren Künstler hatte anfertigen lassen und die er 199 nun von ihm anzunehmen bat, der für so vielen Genuß, für so viel Herzerhebung und Auferbauung nichts Anderes zu geben wagte. Behauptete er doch später einmal in vollem Ernste, zwischen dem Heiligenbild und Bettinen eine unleugbare Aehnlichkeit zu finden.

Wie dem nun sein mochte, sicher ist, daß der gute Thassilo es an Wünschen und Bestrebungen nicht fehlen ließ, seine Heilige so viel als möglich zu verweltlichen. Da Alles im Hause nur darauf bedacht war, Bettinen das verleidete Leben wieder so anmuthig als möglich erscheinen zu lassen, so fand Leonilla es ganz in der Ordnung, wenn auf das größere Geschenk ihres Schwiegervaters nun auch kleinere, unbedeutendere folgten, welche modernen Bedürfnissen in gefälliger Form entsprachen. Und die Beschenkte selbst nahm schließlich aus Gewohnheit Allerhand, woran sie kein Arg hatte. Wurde sie doch von Allen verwöhnt und durfte sie doch in dienstlicher Stellung keinen Stolz zur Schau tragen, welcher ihre Wohlthäter verletzt hätte.

Sie gewann das Haupt der Waldenberge recht lieb. Die ritterliche Galanterie, mit der dieser Diplomat der alten Schule ihr, der Verlassenen, Verwaisten und Verarmten huldigte, söhnte sie rascher mit dem Dasein aus, als es die vorsichtige Freundschaft, die ernsthafte Innigkeit der Schloßfrau vermochten. 200

Daß es ein alter Herr, ein Mann von Würden war, der mit ihr scherzte, machte sie nur vertraulicher.

So wurden die Beiden gute Freunde. Nur Freunde. Aber viel intimere, als es die beiden Frauen einander werden konnten. Leonilla freilich glaubte sich im Vortheil. Jeder der Werbenden hielt seine Freundschaft für die mächtigere, wenn nicht die alleinige.

Bei Bettinen hatte Thassilo's Freundschaft schon den Reiz der größeren Unterhaltung für sich. Was auch die Chatelaine aufbieten mochte, ihr gegenüber fühlte sie sich eine Untergebene, die zu ihrer Unterhaltung bezahlt wurde. Was aber zwang den vornehmen Herrn, der an allen Höfen zu Hause war und die Blüte der europäischen Gesellschaft genossen hatte, zu ihren Füßen zu sitzen und seinen Witz, seine Erfahrungen und die Geschichten alter Zeit aufzubieten, um ihr ein Lächeln abzugewinnen und ihre Zähne zu sehen!

Und manchmal, wenn Leonilla im Hause verhalten wurde oder in's Freie ritt, und der galante Herr vor dem Harmonium saß und zwischen das Spiel der Hände der neuen Cäcilia plauderte, meldeten sich unter den heiligen Weisen Bach's oder Palästrina's die alten Poltergeister aus den lustigen Novellen der Italiener und Franzosen wieder, mit denen Bettina vordem die Einsamkeit neben Bolle's Wohnung 201 bevölkert hatte. Sie erkannte sie freilich sobald nicht. Aber sie guckten ihr manchmal wieder aus den Augen wie damals, und sie machten Thassilo von Waldenberg irre, wie sie Naphtali Hertz genarrt hatten.

Freilich fiel Jener nicht mit der Thür in's Haus und, obwohl es wunderlich klingt, bei ihm ging auch die Neigung tiefer, als bei dem jüngeren Manne, der es allemal als Thorheit schätzte, für ein fremdes Selbst besser als flüchtig zu empfinden.

Bettina konnte wieder lächeln, wenn sie mit sich allein war. Und eines Tages, als Thassilo, der sich nicht länger von der Stadt verweilen durfte, eine über die Maßen ernsthafte Unterredung mit ihr gehabt hatte, da lächelte sie noch mehr als die Tage vorher und wahrlich nicht ohne Grund.

Sie stand auf dem kleinen Balkone und sah hinaus in's Land, wo die Straße sich davonzog. Sie hielt ein kleines weißes Tuch in geschlossener Faust, und manchmal noch öffnete sie die Hand und ließ das Tuch winkend im Winde flattern, wenn auf der Straße drunten in einem davonrollenden Wagen ein anderes Tuch sich gar zu heftig quälte, der Bleibenden auf dem Söller ein letztes und allerletztes Lebewohl abzugewinnen.

Nun war der Wagen doch zu ferne. Bettina lehnte sich an die Schloßmauer und kreuzte die Arme unter der Brust. Und ob sie die Faust mit dem 202 Tüchlein auch fühlbar gegen das Herz drückte, ihre Lippen lächelten noch. Und ob der Wagen auch schon kaum mehr sichtbar war und die Sonne schräger über den Wald leuchtete, sie lächelte noch immer. Nicht wie die Kinder lachen, denen man ein Spielzeug geschenkt hat, nicht wie die jungen Mädchen lächeln, denen ein schüchterner Mund das erste »Du« in's Ohr lispelt, – nein, so wie kluge Leute lächeln, welche die Chancen ihres Lebens überblicken und sich besinnen, ob sie den Trumpf ausspielen sollen, den ihnen ein spät zur Vernunft kommendes Schicksal in ihre Karten gesteckt hat.

War es die Wirkung der untergehenden Sonne, daß die Winkel dieses lächelnden Mundes tiefere Schatten zeigten? Oder war ein Tropfen Bitterkeit in aller Behaglichkeit des Gedankens?

Alles Lächeln, auch das beharrlichste, hat ein Ende.

Bettina blickte vom Altan und maß die Grenzen des Gutes mit ihren Augen ab und sah hinüber in's Weite, wo drüben, jenseits ihres Gesichtskreises, noch andere Güter der Waldenberger lagen. Sie dachte an das kleine Haus in der kleinen Gartenstraße und an fromme Wünsche, die dort ihr Kinderherz in aller Stille wund gedrückt hatten. Was war denn die Seligkeit und Qual ihres Gebetes gewesen? Ein Wunsch, dessen sie sich bald hatte schämen müssen. Der Wunsch, einmal vor aller Welt den Namen 203 einer Frau von Waldenberg zu tragen! Gab es eine sträflichere Thorheit, als das zu träumen! Wie grausam hatte sie, die armselige Tochter eines verunglückten Musikanten, die Vermessenheit dieses Einfalls büßen müssen! Und nun?!

Wenn sie nun eine Freifrau von Waldenberg werden wollte, es stand bei ihr.

Thassilo hatte so bündig und klar seinen Antrag vorgebracht. Sobald es ihr in den Sinn kam, Ja zu sagen, drückte der alte Herr mit Jubel den Verlobungsring an ihren Finger. Sie mußte sich wehren, daß es nicht schon heute geschah. Alle Vorurtheile seines Standes, alle Bedenken, die der Vater vor Zeiten seinem Sohne gegen die Verbindung dieser Musikantentochter mit einem Freiherrn von Waldenberg in's Treffen geführt hatte, sie zerstoben wie Spreu vor der Leidenschaft, die ihn beherrschte. Thassilo, der manches Vorurtheil überwunden, er rühmte sich dessen. Er wäre am liebsten gleich Hand in Hand mit ihr zu seiner Schwiegertochter hinübergeeilt, um Bettinen zu beweisen, daß Leonilla gern in ihr eine andere Frau von Waldenberg begrüßen werde.

Bettina brauchte dieses Beweises nicht. Daß ihr von dieser Seite kein Hinderniß drohte, wußte sie selbst am besten. Hätt' es ihr in den Sinn fallen können, Waldemar's Frau werde sich durch ihren Eintritt in die Familie gedemüthigt oder nur 204 beschämt fühlen, diese Vermuthung hätte vielleicht ihr die Verbindung begehrenswerther erscheinen lassen.

Der stolze Waldemar freilich, der würde sich entrüsten, – er würde aufwenden, was in seinen Kräften stünde, eine so späte Heirath seines Vaters, eine Heirath mit ihr! zu vereiteln.

Wußte sie das so gewiß? Und was lag ihr daran, daß dieser gelassene Herr sich zur Abwechslung ein wenig empörte? Ja, wenn sie hätte denken können, daß seines Vaters Wahl ihm Reue wecken, ihn belehren würde, was er selbst an Bettinen verloren hatte. Wenn das Verlorene dann für ihn an Reiz gewinnen und das Verbotene seinen Wunsch und der sehnende Wunsch seinen Schmerz herausfordern würde, ja dann! –

Die Sonne war untergegangen. Die Nacht zog über's Thal herauf und um den niederen Waldenberg strich der Wind kühl und pfeifend. Drinnen im Hause wußte Niemand, wo Bettina geblieben. Hier auf dem Söller suchte man sie nicht. Sie aber stand noch immer an die Mauer gelehnt und verschränkte die Arme über der Brust und sah sinnend in die Schatten hinaus, die über einander wuchsen, sich verdichtend und verfinsternd, wie ihre eigenen Gedanken.

Was sie nie begriffen hatte, sie begriff es heute weniger, denn je vordem. Heute, da ein stolzer Waldenberg sich vor ihr beugte, um sie zur Gattin 205 zu erheben, verstand sie's um so weniger, daß ein Anderer sie selbst für seine Geliebte zu gering geachtet hatte.

Und jener Andere war ihr doch, wie sie geglaubt, vom Schicksal bestimmt gewesen. Und er hatte sie nie mit gleichgültigen Augen betrachtet. Und da sie noch überzeugt war, die Tage ließen sich zählen, bis er die kleine Hausgenossin an sein bedächtiges Herz zöge, – da ging er hin und nahm eine Andere! Und nahm Leonilla von Santalatona, von der er nie vordem ein Sterbenswörtchen verlautet, die er nicht geliebt hatte!

Bettina hatte geglaubt, über alle diese Gedanken hinweg zu sein. Der Antrag des alten Herrn von Waldenberg war zu nichts weiter gut, als diese todten Träume wieder aus dem Grabe zu beschwören, daß sie in der Nacht umgingen und ihr das Herz bedrängten.

»Sind Sie hier, Bettina?« sagte plötzlich eine sanfte Stimme und eine schlanke Gestalt trat in's Dunkel heraus auf den Altan.

Ohne Antwort ergriff Bettina die störende Freundin am Arm und zog sie gewaltsam an sich.

Leonilla erschrak und lachte doch. »Thörin,« rief sie, »was erschrecken Sie mich so? Ist's nicht genug, das ganze Haus in Alarm gebracht zu haben? Ich sorgte mich nicht wenig um Sie. Ich dachte 206 schon im Ernste, mein zärtlicher Schwiegervater habe Sie mit sich genommen. So in aller Verschmitztheit und Liebe auf das entfernteste seiner Güter entführt und uns Armen bliebe das Nachsehen. Da find' ich Sie zu guter Letzt wie eine Eule in der Nachtluft lauern! Worauf lauern Sie? Sie werden nichts fangen, als etwa einen Schnupfen.«

»Vielleicht lauerte ich auf Sie!« antwortete Bettina, da das harmlose Geplauder ihrer Freundin endlich verstummte.

»Wie Sie sich wunderlich ausnehmen in dieser Dunkelheit! So lassen Sie doch!« rief Leonilla.

»Stille!« versetzte die Andere.

Es klang nicht wie im Scherze, dennoch hielt es Leonilla für Scherz. Jene hatte ihren Arm nicht losgelassen, obwohl sie wissen mußte, daß sie ihr weh that. Nein, sie hatte sie sogar um die Hüften gefaßt, und ohne daß sich beim wirren Schein der Nacht ein Lächeln auf den schmalen Lippen erkennen ließ, beugte sie ihr den Oberkörper über die Brüstung der Altane, daß Waldemar's Gattin die Haare über's Geländer niederhingen und sie unwillkürlich sich mit der freien Hand an die Brüstung klammerte.

»Welch' ein tolles, unbehagliches Spiel! Ich könnte wirklich da hinunterfallen!« sagte die Ueberraschte.

»Wirklich? Und was dann?!« versetzte Bettina tonlos. 207

Und Leonilla lachte.

Wie es seltsam klang, dieß zuversichtliche Lachen. Noch ein Ruck und sie lachte nie mehr. Bettina fühlte es in ihren Händen, daß Jene, die sich keines Args versah, ihr keinen Widerstand leisten würde. Wenn es nicht zwei Frauen von Waldenberg geben durfte, warum brauchte es überhaupt eine zu geben? . . . Aber wenn es keine gab, – war dann die Bahn noch einmal frei?

Das war die Frage, die kein Sturz in dunkler Nacht, kein Mord und keine Grübelei entschieden.

Bettina riß die zusammengedrückte Freundin wieder in die Höhe. Was lag an Leonilla, ob sie lebte, ob sie starb. Sie war in ihren Augen ein arglos gutmüthiges Ding, das selbst nie wußte, wie es zu Glück und Unglück kam.

»Pfui, Sie Heimtückerin, Sie haben mir wehe gethan,« sagte die schöne Frau und reckte ihre freigelassenen Glieder.

»Glauben Sie, daß Sie mir niemals wehe gethan haben?« fragte die Andere noch immer finster und doppelsinnig.

»Mag sein! Doch nie mit Willen. Das wissen Sie.«

Bettina seufzte auf.

Frau von Waldenberg zog sie jetzt gewaltsam aus der Dunkelheit in's erleuchtete Zimmer hinein. 208 »Ich werde dem verehrten Thilo schreiben, daß sein Abschied Sie in die merkwürdigste Stimmung von der Welt versetzt hat,« sprach sie scherzhaft. »Jetzt aber lassen Sie die gruseligen Possen und machen lieber ein bischen Musik. Das wird Ihnen gut thun – und mir auch!«

»Die Herrin hat zu befehlen!« erwiederte Bettina mit einem Spott, den Jene nicht verstand und nicht verdiente.

Sie horchte glücklich und zufrieden zu, während die Freundin am Flügel saß und sich ein Vergnügen daran bereitete, der arglosen Frau des Majors jene Lieder vorzuspielen, die einst dem Rittmeister die liebsten gewesen waren. 209

 


 


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