Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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II.

Der liebe Maimond hatte es manch einem Herzen angethan.

Auch Leonilla ward es oft weich und wunderlich zu Muthe, wenn sie vom höchsten Zimmer im stillen Hause über den Wald sah, der auch wieder grünte – und ach, wie herrlich! – so jämmerlich kahl und fröstelnd er auch im Winter die entblätterten Zweige gen Himmel gereckt hatte. Freilich, bis so ein wurzelnd Holz dürr wird, das währt lange! Aber blüht denn des Menschenlebens Lenz wirklich nur einmal?!

In ihr drängte, keimte, trieb allerhand an Gefühlen und Gedanken – manchmal hörte sich's aus ihrem Herzen so zuversichtlich, ja fast lustig an – aber nur auf Augenblicke! Dann kam das Mißtrauen, die Verzweiflung, die Selbstqual, kamen die tausenderlei Vorwürfe, Schwanken, Zagen und Zittern über sie. Sie sah nicht mehr klar aus den nassen Augen, sie hörte, was Niemand außer ihr hörte, und wagte 56 keinen Schritt vor den anderen zu setzen, aus Furcht, in eine tiefe, tiefe Kluft zu stürzen, die fabelhaft nur vor ihren schlotternden Füßen gähnte, während die Anderen arglos, sicher und ungefährdet über sie hin schritten und tanzten. Es war ihr immer, als hätte sie der ganzen Welt ein ungeheures Unrecht abzubitten – ihren liebsten Menschen zu allermeist. Aber sie wußte nicht, was eigentlich. Und hätte sie's gewußt, sie hätte doch nicht gebeten – sie hatte bitten nicht gelernt, sie war stolz geboren und richtete nur nach eigenem Recht.

Wohl war sie nachgiebiger geworden in der Stille der Einsamkeit. Sie fügte sich zumeist und nahm nie viel Platz ein. Auch nährte sie sich wieder wie andere Leute. Nicht allzu reichlich, aber nothdürftig, nicht gierig, aber wählerisch, und vor Allem wieder mit eigener Hand in den Mund. Waldemar pflegte sie zu loben, und wenn er lobte, hieß es, daß sie sein gutes, sein artiges Kind wäre.

Hörte sie ihn so reden, so konnte sie's zu Thränen rühren. War sie allein, so lachte sie darüber. Sein Kind? Das war nicht viel. Hatte sie's nicht weiter gebracht? Jenun!

Sie war viel allein. Und nur, wenn sie allein war, lachte sie. Ein seltsames Lachen, so etwa, wie ein irrer Vogel einen jähen, schüchternen Schlag erhebt, wenn er im Wahn vor Tag erwacht und gleich 57 wieder schweigt und den Kopf tiefer unter die Flügel duckt, dieweil es noch graue Nacht ist.

Sie war viel allein. Nicht bloß, weil sie den Anderen gram war, sondern weil sie sich selbst so überflüssig im eigenen Hause vorkam.

Das war's, das ihr jetzt wie nichts Anderes schwer auf dem Herzen lag, ach, so schwer! Erdrückend schwer! Das war's! Eines Tages, da sie sich scheu in den Winkel gedrückt, da hatten die Anderen sich erst erschreckt und dann sie bemitleidet; erst fehlte sie ihnen an allen Ecken und Enden, man bat, man seufzte, man rief nach ihr. Das sollt ihr wohl! dachte Leonilla und drückte sich um so fester in den stillen Winkel. Und die Anderen, Thränen in den Augen, was machten sie? Zunächst aus der Noth eine Tugend und dann aus der Tugend eine Gewohnheit. Sie halfen sich eben ohne ihre Hülfe. Der Eine nahm Dieß und die Andere Das auf sich und Jeder that's dem Andern und Alle thaten's ihr zuliebe. Und wie es ihnen nach Seufzen und hartem Entschluß nun glatt von den Fingern ging, da war für Leonilla nichts mehr zu schaffen übrig gelassen.

Als es ihr selbst im stillen Winkel zu unheimlich wurde und sie mit einem Gott weiß wie schweren Entschluß den Trübsinn fahren lassen und in's Licht hervorkommen wollte, und Hand anlegen und sich 58 nützlich machen – da wehrten ihr Alle, recht sanft, recht zartfühlend, aber doch recht deutlich. Und wenn sie doch ja einmal Eins gewähren ließ, so geschah's um Gottes willen und ohne daß man's ernst nahm, so wie man Kinder gewähren läßt, die krank sind, denen man nicht jeden Wunsch versagen will und darf, mögen sie lieber etwas zusammenschmeißen und Einem doppelte Arbeit machen.

Ein-, zweimal läßt man sich das so bieten. Dann zieht man lieber selbst die Finger ein, sowie man sie im Unbedacht nach etwas ausgestreckt hat, und es soll Einem so bald nicht wieder geschehen, daß man sich vergißt.

Und die Anderen machen ja Alles gar ordentlich. Alle Welt ist zufrieden. Sie selber muß ja wohl auch zufrieden sein. Sie könnt' es nicht besser.

Da ist ein rührig Ding im Haus, ein Wesen mit geschäftigen Händen, flinken Füßen, niebergeschlagenen Augen. Am Gürtel rasseln die Schlüssel im Bund. Das trippelt und stöckelt treppauf treppab. Stülpt in der Küche die Aermel über die Ellenbogen, hat den Keller unter alleinigem Verschluß, zieht die Nadel nach rechts und links und zaubert hier und zaubert dort und singt eins dazwischen – wenn sie weiß, daß es die Hausfrau nicht hört und nicht stört. Denn der Hausfrau zuliebe geschieht ja Alles. 59

Aber Alles, was geschieht, geschieht durch das »Hausmütterchen«.

Nach der Hausfrau fragt Niemand – es wäre denn, um zu wissen, daß sie nicht in der Nähe sei, wenn man einmal lustig werden will. Aber die Magd und der Knecht, ja die Scheunendirnen und die Fuhrleute vom Felde, ja der Herr erst recht, ohne »Hausmütterchen« wissen sie nicht ein und aus.

Hausmütterchen hin und Hausmütterchen her! Ihr thut das Tummeln wohl und macht die Nothwendigkeit Freude. So hat's ja immer um sie geheißen. Schon von Klein auf. Das hat Vater Bolle's Zucht und Zuspruch gewirkt. Sie dankt's ihm, rührt sich und freut sich, daß sie tüchtig und die Anderen zufrieden sind.

Weil sie da ist, kann sich Hans Waldenberg für wohlhabend halten – und ist doch fast arm. Bettina hat's von Klein auf gelernt, die beiden Enden, auch wo sie recht jämmerlich kurz sind, zusammen zu bringen. Und überflüssige Mäuler sind auf dem Gute nicht mehr zu finden.

Sie hat aufgeräumt. Ja sie! Und was übrig ist, macht es ihr nach und arbeitet für Zweie. So ging's. So geht's.

So geht's, daß der Herr Major nicht aus den Wasserstiefeln kommt. Ein richtiger armer »Strom«. Ein Landwirth schlecht und recht, in Zwilch und 60 Kalbleder. Ein kleiner, ach, wie kleiner Wirth. Er ist sein eigener Großknecht. Er hat's gelernt, wie im Taglohn arbeiten. Aber er lebt und läßt die Seinen leben. Annoch von der Hand in den Mund. Aber wenn der Herbst hält, was der Frühsommer verspricht, dann wirft's doch vielleicht wieder einen Groschen ab, den man für mageres Jahr zurücklegen kann.

Wo seid ihr hin, sorglose Tage glänzenden Uebermuths! Nicht im Traume mehr hört Waldemar von Waldenberg Trompeten klingen. Er erlaubt sich's nicht. Tüchtig und gottergeben, hält er's mit Noth und Pflicht. Ob's in ihm klagt, er spricht es nicht aus; ob etwas wie Sehnsucht auch an Werktagen über sein Herz geht und Furchen darin zieht mit der Erinnerung spitzer Pflugschar, wer braucht es ihm anzusehen! Und wär's der Fall, Unkraut soll nicht in die Furchen fallen und ihm das Herz überwuchern.

Er spricht von alledem nicht. Wozu auch? Ueberflüssige Worte geben unnütze Gedanken. Klagen war nie seine Sache. Und worüber soll er klagen? Ueber die vergangene Zeit? Knaben und Weiber thun dergleichen. Das Vergangene ruft keine Klage zurück. Und was über Einen kommt . . . wer's im Kommen nicht abgewendet, thut wohl nicht klug, das Gekommene ungeberdig zu schelten. Und es fällt ihm nicht ein, 61 sein Tagewerk zu schelten. Er baut die Scholle seiner Väter . . . im Schweiße seines Angesichtes, ja . . . aber das ist Menschenloos! Er pflügt und sät um Gottes willen und um der Seinen Nothdurft . . . Ja doch! Aber wohl ihm, daß er es kann und hoffen darf zu ernten.

Vom Pfluge weg springen die Steine; über dem Ackerland die Wolken haben so wunderliche, so märchenhafte Gestalt und das glänzt und winkt den Augen. Jenun! Er sieht den Steinen nicht nach, die ihm Einer etwa in's Feld geworfen. Er hängt den Wolkenbildern am weiten Himmel nicht nach, die seine Gedanken weit dahin verführen wollen.

Er macht sich aus alledem kein Verdienst. Er ist ein schlichter Mensch. Einst war es anders, heut' ist es so. Heut' und allezeit, wie Gott will. In dieser Meinung läßt sich gut Landmann sein, auch wenn man einmal etwas Anderes gewesen. Ob je was Besseres, steht ja dahin!

Eines freilich, das Eine sollte nicht sein, wie es ist. Gäbe Gott, daß hier noch Alles würde, wie's sein sollte, Waldemar wollte im Leben nie wieder klagen . . .

Aber er klagt ja auch so nicht, wenigstens nicht laut.

Und wem auch sollte Waldemar klagen?!

Seine Gattin ist meist allein, oben in dem stillen 62 Stübchen, wo man über den Wald hinsieht. Ueber den rauschenden Wipfeln, die sich drängen wie die Wogen im Fluß, dämmern bläuliche Fernen; auch ein breites Wasser kann man an hellen Tagen noch weiter dahinten blinken sehen. Und über all' das hin fliegen die Vögel des Himmels, die Wolken und der Menschen Gedanken. Wer sagt, wohin? Wer sagt, wie sie heißen?!

Wer holt eines andern Menschen Gedanken im Flug ein, um den schwärmenden in's Gesicht zu sehen! Waldemar ist schon gar nicht darnach angethan.

Am Tage draußen in Sonnenbrand und Regenschauer, da geht so eine Stunde der andern nach, man weiß kaum wie. Und kommt man heim, ist man hundemüde. Man spricht, nun ja, davon eben, was Einen den Tag über vollauf beschäftigt hat. Von der Gerste, von der Wolle, vom Raps und vom Schnaps, von den jungen Ferkeln und dem alten Gaul, von einem gebrochenen Rad und von einem gebrochenen Bein wohl auch. Wie's eben kommt.

Die Hausfrau sitzt zu oberst am Tisch. Gott sei schon Dank, daß es wieder so weit ist. Sie fehlte manchen Tag und fehlte länger, viel länger, als gut war.

Zwar der Tisch und das Haus sind wohl versorgt. Arme Leute kochen mit Wasser. Aber 63 wohlauf! es wird doch gekocht und nicht bloß mit Wasser, und wenn schon einfach, schmackhaft.

Und Alle zeigen wackeren Schlingemuth. Selbst die Hausfrau läßt sich nicht immer bitten. Gott sei Dank, daß es nun wieder so weit ist!

Sie spricht auch ab und zu. Leise, jedoch sie spricht doch. Sie reicht dem Gatten die Hand und nimmt seinen Arm. Zuweilen, wenn sie die Zeit vergißt, legt sie das Haupt nachdenklich auf seine Schulter, wohl auch weiter herüber bis auf seine Brust. Und wenn sie auseinander gehen, am Morgen wie am Abend, dann küssen sie sich auch. Sanft, wohlwollend und tröstlich – so etwa, wie man in der Kirche ein Heiligenbild küßt, ein vom Priester vorgehaltenes Buch oder Kreuz.

Waldemar hält Leonilla wie eine Heilige. Die Kranken sollen ja heilig gehalten werden. Und wenn sie sich so den täglichen frommen Scheidekuß vom trockenen Lippenrande genommen haben, geht die Heilige wieder in ihre Nische hinauf und der Mensch bleibt unten allein.

Was soll Leonilla noch unten im Hause? sie sieht, daß sie überall da so überflüssig ist. Von droben horcht sie zuweilen wohl herab. Dann hört sie den Schlüsselbund an Hausmütterchens knappem Gürtel klirren und hört die Absätze an Hausmütterchens Schuhen über die Treppe klappern und hört auch 64 wohl ab und zu ein paar Worte eines Liedes von Hausmütterchens Lippen, wenn diese sich vergessen.

Von ihrem Gatten hört sie nichts.

Sie thut das Licht aus. Sie sollen glauben, daß sie schlafe. Sie aber schläft weniger, als Einer glaubt. Stundenlang sieht sie über den Wald hin, so lange noch ein Spürchen Helle von der untergegangenen Sonne am fernsten Himmel wahrnehmbar ist.

Früher kam ihr Mann noch oft an die Thüre, klopfte sachte, fragte, ob sie noch wach wäre, ob sie nichts mehr begehrte. Das machte ihr Herz hämmern, wenn sie denken mußte, man könnte sie also überraschen. Sich selbst zum Leide ruhte sie nicht, bis sie den Schlüssel auftrieb, den man ihr in den vorigen schlimmsten Zeiten wegzuräumen für nöthig befunden. Wie Waldemar ein um anderes Mal umsonst gepocht und die Thüre nicht mehr zu öffnen gefunden hatte, da ließ er's – was Wunder! – und kam nicht wieder.

Aber die arme Leonilla hatte darum doch keine Ruhe. Weniger denn je! Es trieb sie vor die Thüre des Nachts; sie hielt den Athem an und spähte über's Geländer und horchte, horchte stundenlang, bis in ihrem überreizten Gehör ein wunderlich spukhaft Treiben begann, von Tönen, die nicht waren, von Stimmen, die nicht lebten, dämonische Melodieen des 65 Schweigens, die ängstigenden Athemzüge der schlafenden Nacht.

Dann flog sie wohl zurück und verriegelte hastig ihr Zimmer und sprang angekleidet in's Bett und weinte stundenlang.

Später wurden ihre Sinne dreister. Die Nacht verlor ihre Schrecken. Ihre Ohren schärften sich, wie die der nächtlichen Schildwache, die des einsamen Jägers sich schärfen. So lernte sie lautlos gehen. Auf bloßen Strümpfen, die Röcke in der Hand, schlich sie über die Treppen, durch die Gänge, vor die Thüren, ohne daß einer der Bewohner sie hörte. Wie ihr eigenes Gespenst ging sie im eigenen Hause um, gierig darauf aus, zur eigenen Qual Erfahrungen zu machen, die sich versagten, nach einer Erlösung begierig, die sie sich selbst nicht zu gewähren vermochte.

Wie lange schon war es ihr zur Gewohnheit geworden, jede Mitternacht vor Bettina's Kammer zu schleichen und die Schlafende zu behorchen! Und manchen Morgen vor Hahnenschrei, wenn sie böse Träume im Zwielicht weckten, kroch sie hinab und klinkte die Thür auf in ihres Gatten Stube und trat vor sein Bett, zitternd vor Kälte, mit nackten Füßen, und sah ihm zu, wie er schlief. Sie hätte dreist und derb auftreten können, der müde Mann war nicht so leicht zu erwecken. 66

Seltsame Gedanken gingen da durch das Hirn der armen Frau. Wenn sie die Kälte gar zu arg schüttelte, kauerte sie wohl am Ende des Bettgestells nieder, wickelte sich in den Vorhang und bedeckte die nackten Füße mit dem alten Bärenfell, das vor dem Lager ausgebreitet lag. Da ward ihr warm um den Körper, da ward ihr weich zu Sinn und sie lauschte, ob Waldemar sie nicht im Schlafe riefe. Was hätte sie für ihren Namen auf seinen Lippen gegeben – nur für einen Hauch, der ihrem Namen von ferne glich!

Thörichte Sehnsucht! Der Müde lag wie ein Steinbild. Kein Traum schien die schwere Decke des kurzen Schlafes zu lüften. Regelmäßig, wie der Pendel einer Uhr, war sein Athemzug zu vernehmen.

Und wenn er ja zuweilen in unruhigerem Schlummer sich regte, wenn er nur das Haupt wandte oder den Arm ausstreckte, so jagte sie's wie Todesangst davon. Zur Thür hinaus, über die Treppen, wie der Wind einen Schatten verweht. Sie sah sich nicht um, bis sie im eigenen Stübchen die Thüre verriegelte. Sie glaubte vor Scham und Gram sterben zu müssen, wenn sie der Mann, dem sie doch ihr Leben gegeben hatte, so nächtlicher Weile bei sich fände.

Einmal – es war noch im Winter gewesen – da hatte er von einer Jagd im Schnee ein Fieber 67 heimgebracht. Er sagte gleich, daß dem so wäre, ging zu Bett und schlief ein.

Heute dachte sie wohl im Rechte zu sein, wenn sie an ihres Gatten Lager wachte. Nach kurzem Besinnen stieg sie hinab und setzte sich neben die brennende Kerze.

Sie war kaum eine Stunde so gesessen, ging die Thür auf. Bettina kam, mit einem Strickstrumpf in der Hand, mit einem Schemel unter dem Arm, nickte der Herrin freundlich zu, ohne ein Wort zu sprechen, und setzte sich zu Leonillens Füßen – diese wußte nicht, war sie zur Pflege des Gatten gekommen, oder um sie selbst zu bewachen, damit sie Jenem kein Uebel zufüge.

Wäre Leonilla denn im Stande gewesen, Jemand Böses zu thun?

Sie wußte es selbst nicht. Fast wünschte sie jetzt, sie könnt' es thun.

Sie wollte den Eindringling verjagen und wenn er nicht ginge . . .

Jenun, Bettina ließ die Arme in den Schooß sinken. Leonilla beugte sich nieder, um ihr in's Gesicht zu sehen, um ihr mit Blicken zu sagen, was mit Worten hier nicht ausgesprochen werden sollte, – sie sah nur, daß die Arbeitmüde zu ihren Füßen selbst schon schlief und fester als der Kranke, der zuweilen leise aufstöhnte, mit den Wimpern zuckte und die Arme um sich warf. 68

Leonilla saß so die ganze Nacht, bald auf ihren schlummernden Mann, bald auf das Mädchen, das an der Diele schlief, blickend. Sie hatte die Feindin nie so gehaßt, wie jetzt. Mehr als einmal kam ihr die Lust, die arglose Wächterin mit Füßen zu treten. Sie zog eine Nadel aus dem Strumpf in der Schlafenden Hand und setzte die Spitze an Bettinens Schläfe – an ihre eigenen – und warf schaudernd die Nadel weit von sich.

Beim ersten Hahnenkrât fuhr das Hausmütterchen empor, rieb sich die Augen, küßte Leonilla die Hand, nahm Strickzeug und Schemel vom Boden auf und ging lautlos, wie es gekommen war, hinaus. Auch Leonilla ging und schlich der Andern nach, hinauf, wo ihrer Beider Kammerthüren unfern von einander lagen.

Am Tage fühlte sich Waldemar wieder gesund und ging wieder in den Schnee hinaus, wie er's gewohnt war.

Es waren gerade anderthalb Monate, daß Doktor Loser von Waldenberg sich verabschiedet hatte und nicht wiedergekommen war. Leonilla hatte sich wieder so ziemlich in's Leben gefügt und galt zwar nicht für ganz genesen, doch für so weit hergestellt, daß die kostspielige Wartung und Ueberwachung, welche die Reste des Waldenberg'schen Vermögens so ziemlich aufgezehrt hatten, aufgelassen und sie den allgemeinen Gewohnheiten des Hauses wiedergegeben werden durfte. 69

Also der Arzt war fort. Aber der frühere Pächter und Verwalter, der vordem schon ein paar Jahre auf Waldenberg gesessen, war noch im Hause. Waldemar war nicht wenig froh, daß sich das just so gefügt hatte, daß er den tüchtigen Menschen noch eine Weile lang auf dem Hofe behalten konnte, der ihm mit Rath und That, wie der Lehrer einem Schüler, an die Hand ging.

Der Mann hieß Jakob Martinsen. Er war ein studirter Landwirth und hatte diesen Beruf ergriffen, weil er vordem geglaubt, seine schwache Gesundheit dabei zu kräftigen. Er hatte so lang als möglich an diesem schönen Glauben gehangen, bis er endlich sich seinen Wünschen zum Trotz überzeugen gemußt, daß seine Natur den Anstrengungen dieses Berufes nicht gewachsen sei und er, ob er wollte oder nicht, sich anderen Broderwerb auswählen müsse.

Die Wendung in der Waldenberger Geschick und die Ankündigung des Majors, daß er nun selber auf dem Gute hausen wollte, gaben vielleicht zu Martinsen's Entschluß den Ausschlag. Da er aber vorderhand noch keinem anderen Geschäfte mit Sicherheit gegenüberstand und wegen seiner angegriffenen Gesundheit nicht mit dem Winter in der Stadt beginnen wollte, so kam Einer dem Andern auf halbem Weg entgegen und es ward abgeredet, daß der Landwirth bei dem Major blieb und, ohne sich selbst allzu sehr 70 anzustrengen, dem neuen Wirthschafter an die Hand ging.

Da Waldemar in der Landwirthschaft war erzogen worden, machte sich die Sache leichter vor Martinsen's Beispiel und Lehre. Im Herbste hatten sie schon viel Noth. In den langen Winterabenden wußte der Hausherr seinen Gast noch mehr zu schätzen.

Jakob Martinsen war ein Mann mit klugem Kopf und artigem Herzen. Seine blassen Züge, seine große, von schwindendem Haarwuchs verlängerte Stirne, seine krausen schwarzen Haare, sein dunkler Bart gaben ihm ein geistreiches, trauriges, fremdartiges Ansehen. Wer ihn nicht kannte, hätte ihn für alles Andere leichter denn für einen Landwirth gehalten. Selbst seine Hautfarbe schien sich seinem Berufe nicht fügen zu wollen. Er wurde von Sonnenbrand und Feldesluft nur gelblich, wie altes Pergament, und bräunte sich nicht wie andere Leute. Und kam der Winter, blaßte die Haut in kurzen Wochen wieder ab. Er wußte in vielen Dingen Bescheid. Und wenn er sprach, klang seine Klugheit, aber auch seine Herzensgüte und Dienstfertigkeit aus jedem Worte. Er legte dann den traurigen Ernst, der beim Schweigen auf seinen Zügen lag, gleichsam wie eine Maske von sich und gab sich merkliche Mühe, den freundlichen Eindruck eines wohlwollenden und hülfbereiten Gastes zu machen. 71

Mit den Frauen hatte er wenig zu schaffen. Wenn Waldemar ihn losließ, setzte er sich auf sein Zimmer und las oder schrieb. Er war ein entfernter Verwandter von Salomon Feuerstein. Dieser hatte dem vielfach gebildeten jungen Manne gute Anerbietungen gemacht, in sein Bankgeschäft zu treten, und Jakob war dazu entschlossen. Im Stillen bereitete er sich Kenntnisse und Fertigkeiten für diesen neuen Lebenslauf.

Waldemar, dem die Sorge beide Sporen in die Flanken setzte, ließ aber Jenen nicht viel allein. Der Major wußte, was er an dem bescheidenen Jüngling für einen Schatz hatte, und achtete sich für verpflichtet, so viel zu lernen, als er fassen konnte.

Vor Leonilla hielt Martinsen eine eigene Scheu zurück – wie sie der Fremde vor der fremden Dame und noch mehr der Kränkliche vor der Kranken empfindet. In den ersten Zeiten ihres Aufenthalts auf dem Lande war Leonilla ohnehin für Allesammt unnahbar und später blieb sie es für ihn mit Willen. Ihr hatte der Fremde nichts zu sagen. Sie verband nur einen Wunsch mit seinem Kommen und Gehen und diesen schien das Geschick leider verweigern zu wollen.

Denn wenn Jakob Martinsen auch vor Bettinen höflich auswich, lag dieser Zurückhaltung ein anderes Gefühl zu Grunde, das, wenn er schweigend in ihrer Nähe stand, deutlich genug aus seinen großen, glänzenden Augen sprach. 72

Martinsen war kein Schwärmer. Ein feinfühliger, warmherziger Mensch zwar, aber ein Mensch, der wußte, was er wollte, und rechnen und reden gelernt hatte in der Schule des Lebens.

Nach kaum eines Monates Frist, daß er mit Orlando's Tochter unter einem Dache wohnte, hatte nicht nur ihre Schönheit und Anmuth in seinem Herz lebhaften Wunsch entflammt, sein Verstand zollte auch ihren wirthschaftlichen Tugenden, ihrer Sparsamkeit, ihrem Fleiß, ihrem großen Geschick und ihrer guten Laune verdiente Bewunderung.

Er wußte, daß er in seinem neuen Berufe, wenn er ihn auch nicht mit solcher Neigung, wie den alten, ergriff, sich reicheren Lohn verdienen werde, als in diesem. Noch stand ihm gerade kein glänzendes Loos zur Hand, aber mit etwas Glück und Klugheit konnte sich immerhin in Bälde das sichere Loos zum glänzenden entwickeln. Für den Anfang war schon die Sicherheit genug, um getrosten Muthes eines Nachmittags an Bettinen heranzutreten und, just da sie den Hühnern ihr Futter zustreute, sie sanft und treuherzig zu fragen, ob er Hoffnung hegen dürfte, sie zur Frau zu erhalten.

Bettina ward blutroth im Gesicht. In ihrem Auge blitzte ein zorniges Gefühl wie Haß auf gegen den Mann, der sonst so zart und bescheiden mit einem einsylbigen Selbstgefühl vor ihr stand und sie 73 mit Ziffern in der Hand höflich und glatt um ihre Brautschaft fragte, wie wenn er Waaren einzuhandeln oder Wechsel einzukassiren käme.

Wie gerne täuschte sie sich selbst um ihre wahre Empfindung! Doch bald folgte aus des falschen Zornes Erglühen die Röthe sieghafter Scham und, wie ihrer niederhängenden Hand unbewußt ein Körnlein nach dem andern entrann, so verlor ihr Geist auch immer mehr seine wilden Gedanken. Allein hold werden konnte sie dem Freier doch nicht . . . Hoffnungen, die sie sich selbst nicht einzugeben vermochte, gab sie auch ihm nicht, obschon sie's fast schmerzte, daß sie's nicht konnte.

So sprachen die Beiden lang und leise mit einander. Und während sie so im Hofe sprachen, ward es immer kühler um sie herum im Freien und inwendig in ihren gefesselten Herzen.

An guten Gründen fehlte es Bettinen nicht. Schon als sie Beide zweifelsohne wußten, daß ihre Hände sich nicht zu ewigem Bund ineinander legen würden, sagte das Hausmütterchen: »Was sollte hier werden, wenn ich nicht da wäre! Nennen Sie mich nicht stolz! Ich wäre das unglückseligste Menschenkind von der Welt, wenn ich nicht sicher wüßte, daß ich hier nützlich, wenn ich mich nicht tagtäglich von Neuem überzeugen könnte, daß dem so sei. Es muß so sein. Ob ich will oder nicht, gilt gleich. Ich habe meinen 74 Eid in die weißen Hände der Frau von Waldenberg gelegt, dieß Haus niemals zu verlassen, wenn sie mich nicht selbst gehen heißt. Ich kann weder Sie, Herr Martinsen, noch einen andern Mann zu heirathen denken, bis Jene mich fortschickt . . . Oder es müßte denn der Knecht im Hause mich freien wollen!«

Bettina lachte, da sie dieß sagte. Die Kette, die sie sich angelegt, schien sie nicht wund zu drücken.

Dem jungen Mann aber lief's bei diesem muthwilligen Ton wie Schauder über den Rücken. Sein schönes Gesicht schien noch blässer zu werden, als es schon immer war. »Dieser Frau? der – Kranken haben Sie mit Willen einen Eid geschworen?!« sprach er leise.

Und Bettina gab noch immer lächelnd zur Antwort: »Es war ein Tag, da ich schon mit einem Fuß im Strome stand. Wäre diese Frau nicht gekommen und hätte mit mir gerungen, die Wasser wären über meinem Haupte zusammengeschlagen und, wenn Sie je von mir gehört hätten, wär's höchstens durch eine Zeitungsnotiz gewesen, wo mit kurzen Worten die täglichen kleinen Unglücksfälle gemeldet werden. Begreifen Sie nun?!«

Jakob Martinsen begriff die wunderliche Spröde kaum besser jetzt als vorher. Das Mädchen, welches von einer Stunde höchster Verzweiflung, von einem Versuche, sich das Leben zu nehmen, und von dem 75 widersinnigen Pakt, der all' ihre Zukunft fremdem, irrem Willen unterthat, mit lachendem Mund und lachenden Augen sprach, machte ihm Grauen. Und doch, was Furchtbares auch in Bettinens wenigen Worten lag, die ganze Antwort klang dem klugen, zartbesaiteten Menschen nicht anders als eine ungeheuerliche Frivolität, und trotz aller Begründung nicht viel verständlicher als der Ausruf eines blind erhitzten Spielers, der in der Steigerung seiner Leidenschaft wagt, was kein vernünftiger Mensch dem andern rathen dürfte.

Aber Eines begriff der Mann vollkommen, daß Bettina kein Weib für ihn sei und daß er diesem Dämon in Mädchengestalt nie wieder eine Sylbe solchen Antrags sagen dürfte, wie er ihm heute so treu gemeint vom Herzen gekommen war.

Seine Augen freilich, die noch oft, länger als ihm gut war, auf dem schönen Antlitz, auf dem reichen Haar, auf der schlanken Gestalt verweilten, drückten das Lob der Anmuth und den Schmerz der Entsagung noch deutlich genug aus. Darum hoffte Frau von Waldenberg noch lange nachher auf den einen entscheidenden Antrag, der längst gemacht und längst verworfen und fast verschmerzt war. Jakob Martinsen war sich bewußt, mit seinem längeren Verweilen nicht nur dem Major von Waldenberg einen größeren Freundschaftsdienst zu erweisen, als 76 dieser je begreifen, jemals lohnen könnte; es kam ihm auch manchmal in Frage, ob es unter solchen Umständen nicht für seiner Seele Ruhe und somit auch für seine Gesundheit räthlicher sei, in die Stadt zu ziehen – je eher, desto besser.

Und dennoch blieb auch er. Hatt' er es doch auch versprochen! Oder sollten nur die Weiber ihr Wort halten?

Aber Waldemar und Bettina hatten nun einen stillen, nachdenklichen Hüter mehr an ihrer Seite.

So wandelten die Beiden, von glühender Eifersucht zur Rechten und zur Linken bewacht, dahin und wußten nicht einmal, daß sie sich liebten.

Oder wußte vielleicht Bettina, was sie wollte, welche Macht ihre Seele zwang und band und trieb? Begriff sie sich selbst? Sie, die Anderen so klar die Triebfedern ihres Handelns darzulegen meinte!

Belebte sie nicht der Stolz, dem Manne, der sie einst übersehen hatte, die wahre Hausfrau zu sein? die unentbehrliche Stütze, ohne die kein Tag zum andern und keine Rechnung und keine Mahlzeit paßte? Hob ihr die Schadenfreude nie das Herz höher, daß jenes Weib, welches würdiger befunden worden als sie, ein bösartiger Schatten war, mehr eine Last, ein Vorwurf, eine Befürchtung, als ein Segen und ein Glück, und eher ein Gespenst als Waldemar's Eheweib!

Hielt dieses Bewußtsein sie nicht fester als Eid 77 und Versprechen, nicht sicherer als alle Dankbarkeit hier im Hause zurück?

Klang nicht jede Frage der Diener, jeder Ruf von draußen, ja selbst des Hausherrn Lob und ihre eigene Zufriedenheit mit sich selbst wie just so viele Schmeicheleien für sie, wie just so viele Anklagen gegen den thörichten Mann, der sie verschmäht hatte um Jener willen, obschon sie ihn geliebt hatte?

Liebte sie ihn noch? Sie sagte Nein mit dem Verstande. Und dennoch that sie Alles, was geschah, um seinetwillen, und sah und achtete nur auf ihn und wühlte sich mit einer stillen Wonne in die bewußte Nothwendigkeit, daß sie, was auch geschehen möge, in seinem Hause bleiben müsse, ob sie's auch selber nicht für geheuer halte, weil doch eben ein Schwur verpflichte.

Sie selber zwar glaubte sich sicher; schnitt doch ihre Liebe ein Gesicht bald wie Haß, bald wie eitel Pflicht. Sollte ihr Lebenswandel doch ihren Werth beweisen. Und ihr Werth verlor, sobald sie nicht mehr unnahbar blieb.

Jakob Martinsen sah all' dem Treiben mit brennenden Augen zu. Jeden Tag meinte er deutlicher zu sehen, was ihn ärgerte. Bettina war ihm der kreisenden Motte gleich, die um die Lampe wirbelt und glaubt, sie zwänge die Flamme durch ihren rasenden Tanz zur Bewunderung. 78

Die Verblendung des Mädchens empörte ihn immer mehr und mehr. Mit anderen Augen betrachtete er nun auch Leonilla. Gedanken, die er nie für möglich gehalten, kehrten bei ihm ein, und wies er sie lachend ab, so kehrten sie wieder.

Einmal in der Nacht, da er nicht schlafen mochte und sinnend unter der Treppe auf dem Flur stand, sah er die blasse Frau ohne Licht, ohne Schuhe durch die Gänge streifen. Sie bemerkte den stillen Mann nicht, aber ihm war nun jedesmal zu Muthe, wenn er ihr am Tage begegnete, als sollt' er auf sie zutreten mit ausgestreckter Hand und sagen: Wenn Dich Alle verkennen und Du selber Dich verkennst, ich thu's nicht mehr. Ich weiß, was Du suchst, wen Du belauschest und was Dir den Sinn verwirrt.

Nur Waldemar schaute weder nach rechts noch links. Ganz unter dem Druck seiner Sorgen nur auf das Eine bedacht, wie er sein bischen Land günstig bewirthschaften und nicht als alter Schüler in der Noth an seiner Aufgabe zu Schanden werden möge, hatte er für nichts Auge, was nicht unmittelbar mit seiner neuen Pflicht zusammengehörte. Auch für Bettinen nicht.

Wohl empfand er das Unglück seiner Frau tief, und wenn Jakob Martinsen mit einem Worte an diesem Schmerze rührte, so kam ein Klang aus vollem Herzen zurück, der über die Gewalt dieses Schmerzes 79 keinen Zweifel ließ. Aber Waldemar lebte häuslich und in fertiger Gewohnheit mit diesem Schmerze. Der hatte seine Stelle. Das Leben zwang ihn, am Tage daran vorüber zu gehen, und am Feierabend entzog sich Leonilla selbst, sobald sie konnte, der derberen Gemeinschaft.

Martinsen konnt' es einmal, da sie selbander über Feld gingen, nicht unterlassen, Waldemar zu rathen, an den Verlust Bettinens zu denken.

»Gott bewahre mich!« sagte der Major und lachte den getreuen Ekkard aus. »Hausmütterchen ist uns Waldenbergern nöthiger als das liebe Brod. Ich dachte selber einmal so wie Sie. Aber nun sagen Sie selbst, wie sollte meine Frau, wie sollten wir Anderen alle uns ohne das ›Tischchen deck' dich‹ behelfen!«

Martinsen wollte seine Warnung nicht noch deutlicher machen. Er fürchtete, dem Lachenden zu sehr die Augen zu öffnen. Strauchelt doch der Gewarnte leichter als der Sorglose. Nur hatt' er's genug, länger dem Spiele zuzusehen, das ihm Gedanken und Laune verdarb, weil sein Ende nicht schwer zu prophezeien war. Er konnte Keinem mehr rathen, Keinem helfen. Darum beschloß er, ob ihn das auch hart ankam, früher als bedungen nach der Stadt zu fahren, vorderhand – wie er sagte – zur Rücksprache mit dem Onkel Feuerstein. 80

Er meinte schon aufzuathmen, wenn er nur Waldenberg im Rücken hätte und von seinen Bewohnern, so lieb sie ihm waren, eine Zeitlang nichts sähe noch hörte.

Briefe des alten Bankiers, den Waldemar als einen eigensinnigen Rechthaber und leicht zu verdrießenden Mann kannte, sowie Martinsen's Gesundheit, die sich auf dem Lande doch nicht bessern wollte, gaben Vorwände genug.

Als er bei Frau von Waldenberg Urlaub nahm und ihr die Hand zum Abschied reichte, geschah's, daß diese seine Hand unbewußt in der ihrigen behielt. Sie fühlte sich so geängstigt, daß nun der Mensch, auf den sie eine gewisse Hoffnung gesetzt, vom Hause ging und ganz so aussah, als wär' er froh zu gehen und dächte nicht an Wiederkehr. Sie fühlte wohl, daß ihr Gebahren der Sitte nicht entsprach. Und doch ließ sie die Hand nicht fahren, an die sie sich klammerte, wie wenn sie sich an ihr aufrecht hielte. Sie rang nach Worten, die sich verweigerten. Jakob Martinsen wußte wohl, nach welchen Worten.

Die Arme that ihm leid. »Sie wünschen mich noch etwas zu fragen, gnädige Frau?« sprach er, um der Gequälten zu Hülfe zu kommen.

Leonilla nickte dankbar mit dem Haupte und ließ des Mannes Rechte fahren. »Ich dachte . . . Sie . . . und Bettina,« lispelte sie mühevoll und erröthete dabei. 81

»Ich hab' es auch gedacht,« antwortete Jener, »aber das Fräulein denkt anders. Es will . . . Sie nicht verlassen, Frau Baronin.«

Mehr wagte er dem leidenden Weibe auch nicht zu sagen. Und Leonilla mußt' es wohl so verstehen, wie er's meinte. Sie zuckte nervös die Achseln bei seiner Antwort und ein bitteres Lächeln huschte über ihre Mundwinkel. Dann wandte sie sich ab und sie schieden von einander. –

Waldemarn wurd' es von Herzen schwer, den treuen Mann ziehen zu lassen. Doch ihn zu halten hatte er kein Recht.

Am Abende vor Martinsen's Abreise saßen sie in der großen Stube des Erdgeschosses schon lange beisammen. Leonilla war bereits zu Bette. Die Flaschen waren leer. Bettina ging noch geschäftig ab und zu.

Wie das Hausmütterchen sah, daß sich die beiden Freunde noch immer nicht trennen wollten und der Keller für heute doch versiegt war, schlug sie ihnen auf einmal vor, Grog zu brauen . . . in derselben guten Art, wie sie ihn in ihres Vaters Hause gebraut hatte.

Der Vorschlag ward mit Dank angenommen, und wie sie die blauen Flämmchen von den Gläsern weggeblasen, lobten die beiden Männer auch hier wieder Hausmütterchens glückliche Hand und plauderten 82 noch eine Stunde behaglicher als vorher und versprachen einander, sich im Leben nicht ganz und gar aus den Augen verlieren zu wollen. –

Sie waren Beide schlecht ausgeschlafen, als sich am andern Morgen Martinsen in den Wagen warf und Waldemar dem Unentbehrlichen zum letzten Mal glückliche Reise wünschte.

Den Tag brachte Dieser darauf nach richtiger Gewohnheit hin, wenn er bei seiner Hantirung auch mehr als einmal Gelegenheit fand, des Entfernten zu gedenken.

Als die Dunkelheit hereinbrach, ward ihm wunderlicher zu Muth. Er hätte nie geglaubt, daß ihm ein Mensch, wie Martinsen, so empfindlich fehlen könnte. Und als es vollends Nacht geworden war und ihm sein Weib schon vor einer Stunde den bekannten kühlen Gutenachtkuß mit spitzer Lippe zugehaucht und die Treppen hinauf gehuscht war, als Alles im Hause schlief und er so mutterseelenallein in der großen Stube saß, da kam ihm zum ersten Mal das Gefühl seiner Verlassenheit so recht klar und peinlich zum Bewußtsein.

Er sah in's Lampenlicht, wie es so wunderlich, ach, so langweilig vor ihm flimmerte, er rückte ungeduldig auf seinem Stuhle hin und her, er wandte sich und betrachtete eine geraume Weile seinen Schatten an der Wand. 83

Als ihm endlich dabei ein über's andere Mal das Gähnen ankam, zog er die Uhr aus der Tasche. Jedoch es war noch lange nicht Schlafenszeit. Was weiter!

Das dünne Bier schmeckte schal. Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Pfiff sogar ein bischen dazu. Pfiff, was die Trompeten blasen . . . Das war ihm lange nicht über die Lippen gekommen. Auch sollt' es das nicht. Also still!

Neben ihm lag das Kreisblättchen. Er drehte die schauderhafte Lektüre zwischen den Fingern hin und her. Nach einer Weile mußt' er trotz seiner Unaufmerksamkeit denn doch merken, daß er dieselbe Nummer las, die er bereits gestern gelesen hatte.

Mit einem ehrlichen Seufzer lehnte sich der gelangweilte Mann in den Stuhl zurück und schloß die Augen. Die Sinne kreisten, er athmete auf und schlief ein.

Ein paar Minuten lag er so hintenüber gebeugt in seinem Stuhl. Als er aufwachte, that ihm der Rücken weh und er fühlte sich so wach, daß er an sein Bett nicht denken mochte.

Er ging in die Nacht hinaus; um sein Haus herum. Die Luft war lau, doch windbewegt. Das Thauwetter ließ das Dach an allen Enden tropfen und lärmte in den Traufrinnen gar geschäftig.

Er hatte am Tag der Nässe genug genossen. 84 Auch war es so stockfinster, daß man die Hand kaum vor den Augen sah. Er war froh, wieder in der lichten warmen Stube zu sein, obgleich er nichts Besseres darin anzufangen wußte, als auf und nieder zu gehen so lang die Dielen waren, zuweilen einen Seufzer auszustoßen, zuweilen ein Liedchen vor sich hinzumurmeln und dabei an Dieß und Das zu denken, was er sonst seiner armen Seele wohlweislich fern zu halten pflegte.

Aber wozu das? Weg damit!

Er trat an's Fenster und dachte, wo Martinsen nun wohl sein möchte. Er trat an den Tisch zurück und dachte: ist denn wirklich keine Seele mehr im Hause wach?

Da ging die Thüre auf – sie knarrte nicht, sie ächzte nicht – aber sie ging weit auf und herein trat das Hausmütterchen Bettina, eine blanke Schürze vor die Brust gesteckt, die Aermel bis fast an die Ellenbogen verkürzt und in den schönen Händen ein blankes Theebrett, darauf ein rauchendes Glas stand und was man weiter zu allenfallsiger Verbesserung des Trankes bedurfte.

Sie lächelte behaglich und sprach: »Ich dachte mir, Herr Baron, Sie würden dem Trefflichen, der uns verlassen hat, gern ein Gläschen zum Gedächtniß schlürfen. Bei dem abscheulichen Thauwetter und dem Winde, der Einem bis auf die Knochen bläst, werden Sie den guten Tropfen nicht verschmähen.« 85

»Gewiß nicht!« sagte Waldemar. »Sie sind doch das beste Wesen auf der Welt. Ich hätte nicht daran gedacht, Sie zu bitten, so nothwendig das heiße Getränk nicht nur meinem schlottrigen Leichnam, sondern auch meiner ausgefrorenen Seele ist. Haben Sie Dank!«

Bettina lehnte sich, des verdienten Lobes froh, an den Tisch, während Waldemar die Lippen netzte, und kreuzte die Arme vor der Brust.

»Ist der Grog nicht gerathen?« fragte sie dann und griff zugleich nach der Arakflasche und nach der Zuckerdose.

»All right!« antwortete der Major. »Aber laufen Sie darum nicht gleich wieder fort! Wir sind ja gute Bekannte, Bettinchen, gute alte Freunde. Ich wär' Ihnen dankbar, wenn Ihnen die Sorgen meines Hauses Zeit ließen, nicht nur mir den Schlaftrunk zu brauen, sondern auch denselben durch ein paar vernünftige Worte zu versüßen.«

»Ich bin sehr schläfrig, Herr Baron.«

»Man sieht Ihnen nichts an. Ihre Augen sehen höllisch klar aus. Und wenn auch!«

»Sie meinen, im Stehen schlief' ich doch nicht ein.«

»Nein, ich meine, daß ich Sie bitte, gefälligst Platz zu nehmen,« sagte Waldemar, indem er aufstand und einen Stuhl von der Wand an den Tisch brachte. 86

Bettina jedoch trug den Stuhl wieder vom Tisch nach der Wand und derweil dieß geschah, sagte sie: »Nicht doch! Ich schliefe wirklich ein, wenn ich mich setzte. Sonst hätt' ich mir selbst den Sessel geholt. Indessen schickt sich's auch so besser für mich. Sie sind der Herr und ich – Ihre ergebenste Dienerin.«

Sie knixte und senkte dabei tief das lachende Haupt.

»Reden Sie nicht solches Zeug daher, liebes Fräulein. Indessen habe ich Sie auch auf keinen Sitz zu befehlen, wenn Sie lieber aufrecht stehen bleiben.«

»Sie sind heute unzufriedener als gewöhnlich, Herr von Waldenberg.«

»Mir fehlt Martinsen. Ich hatte mich an den braven, klugen Burschen sehr gewöhnt. Man hat schon auf so viel verzichtet im Leben und muß es doch bei jedem neuen Fall von Neuem lernen!«

»Ei, so hätten Sie doch den braven Herrn Martinsen nicht vom Hause ziehen lassen!«

Waldenberg zuckte die Achseln und versetzte: »Ich dachte, Sie würden es besser verstehen, ihn auf Waldenberg zu fesseln, als der Herr des Hauses.«

Der Major lachte über seine eigenen Worte, die er ziemlich arglos vorgebracht. Aber der Ausdruck in Bettinens Gesicht, das sich für einen Augenblick verfärbte, ließ ihn den Scherz fast bereuen. Sie sah 87 ihn so wunderlich an aus ihren großen grauen Augen, just als wollte sie gern weinen und könnt' es doch nicht, und dabei zitterten ihre weißen Zähne auf der eingezogenen Unterlippe, bis sie »Gute Nacht, Herr von Waldenberg« sagte und nach der Thüre ging.

»Nun, nun!« begütigte Dieser. »Martinsen ist ein kreuzbraver Kerl, dem ich alles Gute wünsche. Und daß er heftig in Sie verliebt war, mußte Jeder sehen, der sich nicht blind stellte. Indessen, Hausmütterchen, will ich mich gern bescheiden, wenn Sie nichts von der Geschichte hören wollen. Sie brauchen darum nicht gleich wieder die Thürklinke in die Hand zu nehmen.«

Da Bettina trotzdem keine Miene machte, an den Tisch zurückzukehren, trank Waldemar sein Glas rasch aus und sagte: »Darf ich Sie bitten, mir noch einen solchen Feuertrank zu bereiten?«

Sie kam heran und wollte das Brettchen vom Tische tragen.

»Nein, nicht in der Küche!« sprach der Major und legte den Mittelfinger verhindernd auf das Geräth. »Schmollen Sie nicht ohne Grund und lassen Sie sich erbitten, den Grog gleich hier zu brauen.«

»Das geht nicht an!«

»Sie konnten es doch in früheren Zeiten!«

Bettina stieß ein kurzes, leises Lächeln über ihre Zähne, und derweilen sie that, wie er gebeten, fragte 88 sie leise: »Wissen Sie noch, Baron Waldenberg, wann ich Ihnen den ersten Grog bereitet habe?«

Waldemar sah an die Decke und erwiederte: »Wenn mir recht ist, war's an einem regnerischen Abend wie der heutige. Ich hatte Sie auf dem Wege aus der Oper getroffen . . . und nach Hause geleitet. War's nicht so?«

Bettina nickte bejahend mit dem Haupte.

Und Waldemar fuhr fort: »Sie sangen auch an jenem Abend Allerhand, was Ihnen in der Oper am besten gefallen hatte. Sie waren ganz Feuer und Flamme damals . . . Wir hatten noch manches Trübe nicht erfahren, was seitdem über uns gekommen ist! . . . Ich wollte sagen: wie ging das Lied doch . . .?«

Bettina sang kaum hörbar, während sie die rechte Hand im Takte bewegte, als wollte sie der Schwäche des Tones nachhelfen:

»Nimm die Schätze dieser Erde,
Nimm die Kronen meiner Ahnen . . .«

Weiter kam sie nicht, wollte sie nicht kommen.

Sie erschrak vor ihrem eigenen Gefühl, das in der Melodie sich vom gewollten Zwange loslöste. Sie preßte die Lippen fest zusammen und trat einen Schritt zurück, daß sie in den Schatten vor der Lampe zu stehen kam. 89

Waldemar sah es darum nicht, wie ein leises Zittern über ihren Körper ging und sie Mühe hatte, den Ausdruck des Erschreckens über ihr eigenes Thun aus ihren verstörten Zügen zu bannen.

»Ich dachte oft an das Lied . . . Nur die Worte waren mir entfallen,« sagte Waldenberg ebenfalls leise – nicht aus Absicht, sondern weil ihn Bettinens Art zu singen unwillkürlich dazu veranlaßte, nicht lauter zu sprechen, als sie gesungen hatte. Dabei rührte er mit aller Andacht den Zucker in seinem Glase um, der nicht schmelzen wollte. »Sie hatten damals ganz Recht,« fuhr er fort, »es liegt ein eigener Zauber in der lieblichen Melodie, obwohl ich es damals kaum glaubte und vielleicht über Ihr kindliches Entzücken lächelte.«

Bettina sagte nichts darauf, und da der Zucker in der duftigen Flut noch immer widerstand, fuhr der Major zu rühren und zu reden fort: »Schade, daß Sie nicht weitersingen! . . . Aber Sie haben Recht . . . Es könnte falsch gedeutet werden in diesem Hause und zu nachtschlafender Zeit! Sie haben Recht! . . . Aber wollen Sie mir die fehlenden Worte der Strophe nicht redeweise sagen, daß ich sie mir zur Melodie ergänzen kann, wenn mir dieselbe wieder einmal durch den Kopf surrt?«

»Es lohnt nicht der Mühe!« sagte Bettina und zögerte, ohne die Augen von dem arglosen Manne 90 wegzuwenden, der nicht anders that, als spannte er sie mit Absicht auf die Folter.

»Immerhin!« drängte Waldemar gutmüthigen Tones. »Ich weiß wohl, daß kein Vers zu dumm ist, um sich nicht von einer schönen Melodie getragen gut auszunehmen. Ich habe diese Zeilen nun einmal vergessen. Also helfen Sie mir gefälligst!«

War es, daß Bettina das wegwerfende Urtheil über den Sinn der verschwiegenen, liebgewonnenen Worte verletzt hatte, sie blickte auf einmal stolz aus dem Schatten herüber und sprach auch lauter, ausdrucksvoller und unvorsichtiger, als sie die ersten beiden Zeilen gesungen hatte, die folgenden:

»All' mein Denken, Fühlen, Ahnen,
Leib und Seele nimm dahin!«

Waldemar sah, daß der Zucker im Tranke nun endlich zerflossen war.

»Ja, ja,« sagte er und kostete. Und wie es also still um ihn blieb, war's ihm auf einmal, als hörte er die just gesprochenen Worte noch einmal, als hörte er dieselben erst jetzt und in einem Tone . . . Sein Herz bebte, wie wenn er eine Schicksalsstimme gehört hätte. Jetzt und Einst gingen verschlungen durch seinen Sinn. Das Wunderliche dieses Augenblicks, das Prickelnde und Gefährliche ward ihm mit einem Schlag bewußt. Er wollte Bettinen in 91 diesem Augenblick nicht ansehen. Er griff noch einmal nach seinem Glase und nippte.

Dann wieder Herr seiner selbst, sprach er zu dem Mädchen, aber in einem ganz anderen Ton. Es klang heiser und gar nicht so unbefangen wie bisher.

»Da Sie nicht singen dürfen, armes Kind,« sprach er, »wollen Sie sich nicht auch etwas zu trinken anmachen? Etwas Zuckerwasser mit einem Tropfen Geist darin?«

Es fiel ihm just nichts Gescheidteres ein, um das Gespräch von dem Liede wegzuführen.

Seltsam! In demselben Augenblicke, wie von des Mannes Empfindungen der Schleier gerissen, war auch in dem Mädchen eine Veränderung vorgegangen. Aber nicht zum Guten. Die fatalen Worte des Liedes, zum ersten Mal im Leben nicht gesungen, sondern gesagt und so gesagt, wie sie gethan, waren ihr wie eine Entscheidung, wie ein selbstgesprochenes Urtheil.

Nun war's ja enthüllt, was in ihr loderte und brannte. Nun war's ja heraus die ganze Qual und Wonne ihres Lebens. Er hatte sie, listig oder täppisch, gleichviel! gezwungen, diese Worte zu sprechen. Und sie hatte schamlos, rückhaltlos und laut die Worte sagen können, ohne unter die Erde zu sinken. Nun denn, nun war's gesagt! nun war's vorbei! Wozu noch weiter lügen und hehlen? Unnütze Quälerei! Die Hülle war von ihrer Seele gefallen. Nun denn, 92 Himmel oder Hölle! wie gefällt dir meine Seele? Nimm sie hin! Und er – das sah sie jetzt, hatte sie wohl verstanden, hatte sie endlich einmal verstanden!

Was sollte nun werden?

Bei diesem Geständniß stehen bleiben? Nun hinterdrein erröthen und thun, als wäre nichts gesagt worden?

Das wollte Bettina selbst nicht mehr.

Sie trat vor in den Lichtkreis der Lampe. Sie schüttelte das losgegangene Haar in den Nacken zurück, daß die Löckchen, die über Stirn und Schläfen aufstanden, im Glanze zitterten und wie mit sprühenden Funken übergossen schienen.

Ihre Wangen waren blutroth. Ihre Lippen bewegten sich, als wollten sie etwas sagen. Und endlich sagte sie wirklich etwas:

»Es ist kein Glas hier . . . Ich werde nach der Küche gehen, eins zu holen.«

Waldemar sah den Ausdruck in ihren Zügen, das Blut in ihren Wangen. Er sah ihr forschend in's Gesicht. War dieß Mädchen nur eben jetzt so verändert, oder hatte er es nur nie vordem im rechten Licht gesehen?

»Bleiben Sie!« sprach er und sah ihr forschend noch einmal in's Auge.

Sie zuckte nicht mit den Wimpern und hielt seinen Blick aus. Es war ein feuchter, starrer Glanz in 93 ihrer Pupille, den er nicht gerne Frechheit nennen wollte.

Er ließ sie stehen und ging nach dem Schrank an der Wand, wo er ein Glas zu finden glaubte.

Bettina lachte laut, da er ihr den Rücken kehrte, und griff nach seinem eigenen Glase, das vor ihr auf dem Tische stand. »Für meines Vaters Tochter braucht es just nicht Zuckerwasser zu sein!« sagte sie und trank.

»Bettina!« rief Waldemar verweisend, da er sah, was sie that.

Orlando's Tochter setzte den rauchenden Kelch ab. Eine Thräne stand ihr im Auge, aber der zum Trotz lächelte sie und sagte, spöttisch Luise Müller's Worte gebrauchend: »Die Limonade ist gut.«

Dann lachte sie wieder – es klang krampfhaft – und lachend wollte sie von Neuem aus dem halbgeleerten Glase trinken.

»Nicht doch!« sprach Waldemar unwillig. Er war an den Tisch zurückgekommen und griff, ihrem muthwilligen Vorhaben abzuwehren, nach dem Glase, das er so aber nur mitsammt ihrer Hand fassen konnte.

Sie wußte selbst nicht warum, das verwünschte Kichern war stärker als sie. Sie mußte jetzt lachen, ob sie wollte oder nicht, gerade als würde sie gekitzelt; aber das Glas ließ sie doch nicht los.

In demselben Augenblicke ward die Stubenthür vom Gang her aufgestoßen. 94

»Puh der Wind!« sagte Bettina, den Hals in den Nacken duckend, und kicherte weiter.

Aber Waldemar ließ ihre Hand fahren und ging in hastigen Schritten nach der Thüre. Und wie sich Orlando's Tochter im nächsten Augenblick umwandte, sah sie ihn auf Leonilla zugehen, die, blassen Angesichts, ihr Kleid in der Hand, mit bloßen Strümpfen auf der Schwelle stand.

Der Herr von Waldenberg dachte an kein Belauschen, an keinen Ueberfall. Er glaubte nicht anders, als sein Weib wäre sonder Arg aus ihrer Stube herabgekommen, weil der Wind sie ängstigte, der um die Schornsteine heute so grausig pfiff, oder weil sie etwas zu essen, etwas zu trinken begehrte, oder noch lieber, weil sie das Einsamsitzen satt hatte und ihm Gesellschaft leisten wollte.

Ja, er nahm ihr Erscheinen als ein neues erfreuliches Zeichen der Genesung und er meinte es ehrlich mit seinem Zuspruch.

»Welch' schöner Einfall, daß Du kommst!« rief er. »Bleibe nicht hier in der Zugluft stehen. Komm' herein und setze Dich zu mir. Wir wollen plaudern, wollen lachen . . .«

Er hatte schon auf der Zunge: »Wir wollen trinken!« da er noch gerade zurecht bedachte, daß dieses Glas an Bettinens Lippen gelegen hatte.

Er konnte sagen, was ihm einfiel, Leonilla gab 95 ihm doch keine Antwort. Sie ging, ohne die dargebotene Hand zu berühren, an ihm vorüber, gerade auf Bettinen zu und nahm ihr heftig das Glas aus der Hand, das ihr diese doch sonder Widerstreben überließ.

Ein Theil des Restes sprühte dabei auf den Tisch und was übrig blieb, war nicht viel mehr, als eine Fliege brauchte, um bequem darin zu ertrinken.

Dennoch aber schüttelte sich Leonilla, da sie den süßen Saft über die Lippen gebracht, und es zwang sie zu hüsteln wider Willen. Die Augen gingen ihr über und, um dieß zu verbergen, setzte sie sich an den Tisch und deckte das Angesicht mit der Hand vor dem Licht.

Waldemar setzte sich zu ihr und redete schmeichelnd und gutherzig.

Bettina sagte, daß sie der Frau von Waldenberg was Besseres und Genießbareres brauen werde, als diesen steifen Seemannsgrog, worauf sie sich beeilte, mit dem Geräthe aus der Stube zu kommen.

Die beiden Gatten waren allein.

Nachdem Waldemar eine Weile lang das Beste, was er wußte, an seine Frau hingeredet hatte, ohne eine einzige Antwort zu erhalten, schwieg auch er nothgedrungen.

Leonilla war vielleicht mit dem frommen Vorsatz geblieben, sich ihrem Manne herzlich zu nähern, ihm 96 zu sagen, was sie bedrückte, was sie fürchtete, was sie hoffte, und aller Qual mit Einem Erguß ein Ende zu machen. Aber die unselige Verschlossenheit des Herzens, die ihr von Klein auf zur anderen Natur geworden war, preßte ihr die Lippen zu und ließ in ihrer Brust den Schatz aufsprudelnder Worte so rasch versiegen, daß ihre Liebe stumm ward wie ihr Haß. Wie sie als Mädchen der Mutter nie ein erklärendes Wort gegönnt, wenn diese sie nicht begriffen, so stand ihr auch jetzt die Sylbe nicht zu Gebot, welche den Bann in ihr gebrochen und sie erlöst hätte von selbstgeschaffener Qual.

Sie konnte jählings handeln in der Erregung – sprechen nicht.

»Waldemar!« war Alles, was sie mit höchster Anstrengung vorbrachte.

Sie erschrak so heftig vor dem Ton ihrer Stimme, daß sie zu zittern begann. Ihre ganze Willenskraft war mit dem Einen nichtssagenden Ausruf erschöpft.

Und ihr Gatte mochte bittend oder zürnend in sie dringen, sie konnte nicht weiter, wie sie doch so gerne gewollt hatte, und – seltsames Wesen der Seele! – nun wollte sie auch schon nicht mehr.

Sein Drängen und Fragen ward ihr lästig. Sie glaubte fast, daß ihn Falschheit so zuthunlich reden ließe.

»Nichts . . . nichts,« war Alles, was sie auf 97 seine Bitte, zu sagen, was sie auf dem Herzen hätte, hervorstieß.

Schon reute sie's, daß sie zwischen die Beiden getreten war.

Und Waldemar?

Der Blitz der Freude, der mit Leonilla's unverhofftem Erscheinen durch seine gute Seele gegangen war, hatte nicht zünden können. Immer düsterer ward's ihm im Gemüth. Und wie er also schweigend neben der Schweigenden saß und zwischen zornig spielenden Fingern den Löffel, der auf dem Tisch vergessen worden, über seine Achse zu drehen suchte, kam auch ihm der Gedanke, daß es aller dummen, ehrlichen Freude zum Trotz besser gewesen, wenn seine Gattin heute so wenig wie sonst zu ihm herabgestiegen wäre.

Waldemar war ein braver Mensch, aber kein Heiliger.

Während er Leonilla's abgewandtes, blasses, schweigendes Antlitz betrachtete und dabei den Pendel der Uhr scheinbar immer lauter, immer aufdringlicher ticken hörte, kam auch jener Gedanke immer deutlicher, immer aufdringlicher.

Hatte er denn nichts mehr mit diesem Weibe gemeinsam? Nichts mehr als das Unglück, die Armuth und die durch Recht und Sitte geheiligte Kette, die sie an einander band. Waldemar dachte auch jetzt 98 noch nicht daran, diese Kette zu verwünschen, geschweige gar sie zu zerbrechen und jedem Einzelnen sein Theil zur Last zuzuwerfen – ja mehr noch, er bewahrte auch so noch seinem Weibe sanfte Gefühle, Liebe sogar. Aber er war derb von Natur und müde genug, um nach des Tages Last und Arbeit sich am Abend nicht nur eine stille, sondern auch eine heitere Stunde zu wünschen.

Das bischen Behagen und Erinnerung, das er im Zwiegespräch mit Bettinen just vorher genossen, erschien ihm jetzt auf der Folie dieses ehelichen Nachspiels mit verdoppelter Leuchtkraft. Die bedenkliche Wendung, welche das Beisammensein mit der schönen Hausgenossin kurz vor Leonilla's Dazwischentreten genommen hatte, ward dagegen von dieser Fortsetzung der Unterhaltung in der Erinnerung fast verwischt. Er meinte nun, daß er selbst vielleicht mehr in Bettinens Worte hineingehört, als diese je gedacht. Vielleicht war nur er der Aufgeregte gewesen. Und wenn er jene grauen Augen glänzen gesehen, jenun, sie gehörten einem lustigen Ding, das es nicht nöthig hatte, den Kopf zu hängen. Sie mocht' es Gott danken, daß sie noch herzhaft lustig sein konnte. Lieber ein bischen zu viel, als um so viel zu wenig!

Selbst daß Orlando's Tochter einen Schluck steifen Grog vertragen konnte, schien ihm in dieser unfreiwilligen Stille weder verwunderlich, noch tadelnswerth. 99

Seinem Nebenmenschen das Leben zur Qual machen, dünkte ihn jedenfalls ein ungleich schlimmeres, ungleich beklagenswertheres Thun.

Und so wie die Sachen standen, mußte er doch auch diese böse Eigenschaft entschuldbar und – in Gottes Namen! – erträglich finden.

Das einzige Wesen, was mit seiner Stimme dieß peinliche Schweigen unterbrach und Antwort auf seine Gedanken zu geben schien – immer die gleiche Antwort freilich! – war der Pendel an der Uhr.

»Ja jack! . . . Jack ja!« sagte der Pendel, und es war dabei, als tickte und nickte ein uralter Mann, den man nur in der Dunkelheit nicht sehen konnte, mit seinem wackligen Haupte dazu. »Ja, ja!« sagte die Stimme der Zeit und des Schweigens, »ja, Du hast ganz Recht mit Deinen verzeihlichen Gedanken. Es ist traurig vielleicht, aber es ist wirklich nicht anders als Du meinst!« –

Bettina kam endlich zurück. Sie hatte Zeit gehabt, alle Bestürzung, alle Aufregung, allen Verdruß aus ihrem Antlitz zu entfernen! Ganz diensteifriges Hausmütterchen und weiter nichts, trat sie mit einer größeren Platte herein, darauf zwei Gläser und eine überflüssige Menge gewürfelten Zuckers neben einer Kanne rauchenden Wassers standen, deren Größe auch den vorsichtigsten Zecher beruhigen mußte. Sie breitete 100 ein blankes Tüchlein aus, stellte vor Mann und Weib das ihnen zugedachte Glas und sagte:

»Nun, liebste Frau, ich denke, das wird Ihnen gut thun!«

Leonilla warf einen bösen Blick auf die Redende. Sie sah nicht schön aus, wie sie das erröthende Mädchen so im vollen Hasse anstarrte. Empfand sie doch, daß ihrem Manne dieß muntere, diensteifrige, zungenfrohe Wesen in dieser unseligen Stunde erfreulicher erscheinen mußte als sie selbst, die ihm das Leben unerträglich machte und keinen besseren Anspruch auf seine Liebe mehr hatte, als eines Priesters unfruchtbaren Segen!

Weil sie dieß empfand, war ihr Haß gegen Bettina nicht geringer. Was die Liebe, die Sehnsucht nach dem eigenen Glücke nicht vermocht, der Gedanke, der Verhaßten bitterlich wehe zu thun, löste Leonilla die Zunge.

»Ich bitte, selbst erst zu kosten!« sagte sie zu Bettinen.

Es ward eine Pause im Zimmer, so empfindlich, als bliebe selbst der Uhrpendel vor Schreck stehen. Meinte Leonilla wirklich, Bettina hätt' ihr Gift gebraut? Schwerlich. Die Beiden, die es hörten, meinten selbst nur, daß Jene bloß Bettinen habe kränken wollen – weiter nichts.

Weiter nichts? 101

Es war ein verhängnißvolles Wort. Es entdeckte Bettinen, wie sehr sie gehaßt wurde. Es ließ Leonilla selbst empfinden, daß sie zu weit in ihrem blinden Zorn gegangen war, und beschämte sie vor der Feindin wie vor dem Gatten. Es gab Waldemarn einen jähen Schlag; sein Weib erschien ihm bösartig und das Mädchen beklagenswerth.

Dieses hatte lächelnd den Kelch an die Lippen genommen, hatte getrunken und war mit stummem Gruße zur Thüre hinausgegangen.

Der erste unwillkürliche Antrieb ließ Frau von Waldenberg gleichfalls vom Stuhle sich erheben. Rechtschaffenheit wollte sie zwingen, die Gekränkte zurückzuhalten und der Freundin das böse Wort abzubitten. Aber ein dunkler Argwohn, der stärker war, hielt sie schon im nächsten Augenblick wieder zurück. So ging Jene unversöhnt dahin und die Beiden waren erklärte Feinde von dieser Stund' an.

Es schürte nur das düstere Feuer in Leonilla's Brust, daß Waldemar ein strenges Wort zu Gunsten der grundlos Beleidigten fallen ließ.

Nur ein kurzes, halblautes Wort, aber seine Frau wollte doch kein zweites hören. Sie ging.

Er gab ihr das Geleite die Treppen hinauf. Er redete ihr noch einmal zu, sanft und bittend und eindringlich.

Sie schwieg. 102

Sie standen vor der Kammerthüre. Leonilla hielt sich an der Klinke fest. Es war halb dunkel auf dem Gange. Nur der metallene Knauf in ihrer geballten Faust blinkte und heller als die trübe Lampe, deren irrer Strahl sich in ihm von ferne wiederspiegelte.

»Bedenke, Leonilla!« sagte Waldemar leise. »Das Leben ist traurig und strenge genug. Wir sind einsam und arm. Mache Dir und mir dieß Leben, diese Einsamkeit, diese Armuth nicht unerträglicher, als es schon ist. Ich weiß, daß Du krank bist. Du weißt, daß ich Dich liebe, Dich schone, Dich pflege, so gut ich kann. Aber fasse wieder ein Herz zu mir. Ich habe nie etwas gethan, Deine Liebe zu verscherzen. Wenn Du nicht lächeln kannst, so sprich wenigstens . . . Wenn Du nicht sprechen willst, so zeige wenigstens, daß Dein Herz gut und das alte geblieben ist . . . Leonilla, ich bitte Dich, spiele nicht immerdar das trutzige, verzogene Kind . . . Sei wieder, wie Du warst . . . Leonilla, hörst Du mich denn nicht?«

Sie schwieg.

Aber aus ihren Augen rann eine große Thräne über die Wange. Erst langsam, dann immer schneller. Die Hand an der Klinke zitterte.

Waldemar glaubte sie schon erweicht, nur seine Art ihr zuzureden hielt er für falsch. 103

Ihm stieg das Blut in die Stirne, ihm zerriß die Geduld. Er lächelte über sich selbst. Er faßte sein Weib gewaltsam in den Arm und drückte, ihre Hand in der seinen, die Kammerthüre auf.

Da gab Leonilla einen so langen, markdurchdringenden Schrei von sich, daß es weithin in den Gängen des stillen Hauses wiederhallte, und sie stemmte sich mit den Füßen gegen die Diele, sie stieß Waldemar vor die Brust und ihre Züge verzerrten sich so wild, daß der Mann mit bestem Willen keine Spur von Liebe mehr darin zu entdecken vermochte.

Er hatte den Schlag der kleinen Hand auf seiner breiten Brust kaum verspürt, – und doch fiel er ihm schwer auf's Herz. Der ausgestoßene Schrei klirrte häßlich in seinem Gehör nach – und doch war's Mitleid, was dieser Schrei zumeist in seiner Empfindung erregte. Waldemar war ein überkräftiger Mann, der das widerspenstige Ding auf einem Arme wie ein Kind hätte zu Bette tragen können – aber eben, weil er stark war, ekelte ihn vor Gewaltthätigkeit.

Er ließ den umfassenden Arm von Leonilla's Hüften. Er ließ ihre kleine, blasse Faust aus seiner harten, gebräunten Landmannshand. »Gute Nacht, Leonilla!« sprach er ruhig. »Wie Du willst!«

Waldemar ging und Leonilla verriegelte sich innerhalb der Thüre, als könnte der Mann noch jetzt daran denken, die Widerwillige heimzusuchen. 104

Er dachte nicht daran.

»Feigen . . . vom Dornbusch? . . . Du Thor!« sprach er fast laut vor sich hin, da er die Treppe hinabstieg.

Und doch war er so verwirrt im Gemüth, daß er, unten angelangt, sich besinnen mußte, wo eigentlich seine Schlafkammer gelegen sei.

Er wollte sofort und ohne Licht zu machen in's Bett. Aber es floh ihn der Schlaf. Er sprang nochmals auf und zündete sich eine Kerze an.

Wie er bei ihrem Scheine rund um in der Stube sah, fand er ein nicht ganz volles Glas auf seinem Tische stehen, über dessen halbverkühltem Inhalt doch noch ein bischen Rauch aufschwebte und süßen Duft in's Zimmer trug.

Er ging hin und schaute näher zu. Das Glas stand auf einem Stück Papier. Und als der Major das Glas erhob, fand er, daß einige Worte mit zierlicher Schrift auf den Zettel geschrieben waren.

»Für alle Fälle!« stand darauf. »Ich habe auch von diesem Trank pflichtschuldig genippt und darf beschwören, daß er keinerlei schädliches Gift enthält. Gute Nacht!«

Zu jeder anderen Zeit hätte Waldemar solch' einen Zettel von Bettinens Hand mehr als verwunderlich gefunden. Heute, nach alledem, was das Mädchen hatte empfinden müssen, und gar nach 105 der Szene, die soeben ohne Bettina sich zugetragen, hielt er ihr diesen Gruß und Schlaftrunk, ja er hätte ihr noch viel mehr zugute gehalten.

Anfangs schob er das Glas beiseite. Wie ihm aber noch immer nicht froher zu Muth werden wollte, dacht' er: Jenun, es ist doch Trost darin!

Nahm's und schlürfte nachdenklich die blinkende Schale leer.

Und also getröstet, schlief er fest und träumte viel . . . von alten Zeiten, da er noch ein Junggeselle war, und von einem kleinen Hause mit grünen Laden vor den Fenstern, auf dessen Dach weiße Tauben zu Hauf saßen und munter mit den Flügeln schlugen und sich zärtlich schnäbelten, wie's der Brauch. 106

 


 


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