Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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VIII-

Am anderen Morgen wagte kein Mensch – am allerwenigsten der Offiziersbursche oder gar der Stallknecht – zu behaupten, daß der Herr Eskadronschef mit dem rechten Fuße zuerst aus dem Bett gestiegen sei.

Auch der Diener im Vorderhause hatte nicht geringe Verwunderung auszustehen, denn so oft er über den Hof blickte, der Herr Rittmeister kam nicht und er brauchte ihm nicht das Thor aufzuschließen, so gern er's gethan hätte. Das war seit Jahr und Tag nicht unterblieben. Und gerade heute war's ihm zur Pflicht gemacht worden, sich eines kleinen Auftrags an den Baron ebenso artig als genau zu entledigen. Und gerade heute blieb der Reiter weg.

Waldemar von Waldenberg hatte sich gegen alle Hausordnung die alte grüne Zaunthüre nach der Gartenstraße öffnen lassen. Ein unerhörter Vorgang. Wo war nur gleich der Schlüssel? War's dieser oder war's jener? Ach richtig, der lange, verrostete, 156 grünspanbefleckte, den noch Keiner je vom Nagel genommen, der mußte es sein. In's Schlüsselloch paßte er wohl, nachdem's gereinigt worden war. Aber das alte Schloß wollte sich nicht so leicht aus dem dreißigjährigen Rostschlaf aufrütteln lassen. Sie mußten Herrn Bolle bitten. Der ließ sich's nicht zweimal sagen, und ob er schon den Eigensinn des Rittmeisters nicht begriff, so fühlte er's doch wie einen Vorwurf, daß ein seiner Obhut anvertrautes Schloß sich in untüchtigem Zustande betreffen ließ. Darum krempelte er sich die Hemdärmel hoch und griff an. Endlich, mit Schweiß und Fluchen, mit Ach und Krach, gab sich's denn doch. Der Staub flog empor, die Bretter krachten und eine Angel, die der Rost zerfressen, barst dabei. Aber die grüne Gartenthüre stand nun doch sperrangelweit offen. Bolle ging gesenkten Hauptes in's Haus, um Oelkanne und Werkzeug zu holen, damit so etwas nicht wieder vorkäme.

Des Rittmeisters Fuchs aber, dem es nicht in den Sinn paßte, daß heut' ein ganz anderer Weg aus dem Hause genommen werden sollte, zierte sich und wollte vor dem steilen Pfade nach der hochgelegenen Straße scheuen. Da gab's denn auch für ihn ein paar Spornstöße mehr als sonst an schönen Werktagen. Der Klügere gibt nach! dachte der Fuchs, warf mit seinen Hufen etwas Kies und Sand nach 157 dem Stallknecht und Roß und Reiter blieben fortan, wenigstens an diesem Tage, im besten Einvernehmen miteinander.

»Das fehlte mir noch,« dachte Waldenberg, »daß mir heute morgen Dieser und Jener mit Posten und Bitten von weiß Gott wem, um weiß Gott was, daherkäme. Ich bin gerade zum Unterhandeln gelaunt. Und was geht mich Madame Santalatona an. Hol' sie der Teufel! Ich habe jetzt andere Sorgen und mag nicht Jedem Rede stehen, der ein Häuschen zu verkaufen hat. Mag nun aus der Baracke werden was will! Ich muß mir ja eine standesgemäße Familienwohnung nehmen. Daß Gott erbarm'!«

Indessen hatt' er sich ausgedacht, ob er schon dem Chef der Familie als Nachgeborener zu gehorchen habe, dieß doch in einer Art auszuführen, die dem hartnäckigen Vater wenig Freude bereiten dürfte. Eine Braut wollt' er sich in Gottes Namen suchen. Aber drei niederträchtige Eigenschaften müßte sie haben: alt, häßlich und arm sein! Dem zierlichen Thilo von Waldenberg sollte jedesmal die Laune vergehen, so oft er seine Schwiegertochter nur von ferne sähe. Dieser schöne Gedanke war der einzige, der ihm am verdrießlichen Vormittag einigen Trost verschaffte.

Als er nach etlichen Stunden, bedeckt von Schweiß und Staub, aus der Kaserne nach Hause ritt, dacht' 158 er freilich etwas milder über die Sache. Dem Knaben, der sich über seine Frostbeulen freute, weil ihm sein Vater keine Handschuhe gekauft hatte, thaten doch die aufgesprungenen Finger weh. Einzig auf die Freude hin, welche Waldemar'n aus dem Aerger seines Vaters über eine runzelige, scheußliche, armselige Schnur erwuchs, darauf hin war doch auch für ihn kein beneidenswerthes Eheglück zu bauen.

Warum mußte seine Braut gerade älter sein als er? Häßlich und arm, das that für den Vater schon seinen Dienst.

Genauer betrachtet, auch die Häßlichkeit war nicht gerade unumgänglich nothwendig zu seinem schönen Zweck. Seltsam, je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher wollt' es ihm werden, daß es dem besorgten Vater, der sich Grundsätze angeeignet, wie die gestern ausgesprochenen, daß diesem plötzlich so geldgierigen und gewinnsüchtigen Manne keine Schwiegertochter unangenehmer erscheinen konnte, als eine arme.

Gar zu arm freilich, das ging auch nicht an. Dazu war er selbst nicht reich genug . . . Wie reich war er denn überhaupt?

Diese fatalen Gedanken ließen ihm daheim keine Ruhe. Noch vor Tische ging er, den alten, ehrbaren Mann aufzusuchen, in dessen Bankgeschäft die bescheidenen Reste seines von der Mutter ererbten Vermögens verwaltet wurden. 159

Es war ihm, ob er sich's auch nicht gern gestand, weit weniger um eine Auskunft zu thun, die er sich ungefähr selber geben konnte; er wußte, daß er nicht reich war. Er sagte sich in diesen Augenblicken sogar, daß eben, weil er dieß seit lang gewußt, er sich keine Heirathsgedanken gestattet hatte. Nach Geld wollte er nicht heirathen und ohne Geld konnte er's nicht bei seinem Stand und seiner Stellung. Was er von dem ebenso braven wie klugen Herrn Salomon Feuerstein erwartete, war eine genauere Einsicht in des Vaters unerwartete Finanzoperationen und dessen geldausschüttende Zukunftspläne.

Herr Salomon Feuerstein war vielleicht nicht der rechte Mann, um Thassilo von Waldenberg's hochfliegende Pläne recht zu würdigen. Ihm fehlte der Schwung, die kommerzielle Phantasie, der finanzielle Muth, ohne den nichts Großartiges in dieser Welt zu leisten ist. Er war so gar nicht modern. Er war ängstlich von Gemüth, hartnäckig von Charakter und auf seinem Verstande wucherten veraltete Anschauungen wie auf den Köpfen ehrwürdiger Karpfen das Moos. Er hatte viel gute Gelegenheiten verpaßt, pflegte nur kleine Schritte zu machen und konnte niemals Mode werden. Er war so recht der Bankier für Privatgelehrte, Stiftsdamen, Stabsoffiziere und ähnliche kleine Leute, die nichts davon verstehen, was 160 eigentlich das Geld leisten kann und wie es gerollt werden muß.

Daher kam es wohl auch, daß der alte Herr Salomon Feuerstein in mancher Gesellschaft gern gesehen war, die, zopfig genug, sich vor den jüngsten und auffallendsten Millionären verschloß.

Uebrigens machte er nur selten von dieser Auszeichnung Gebrauch. Er war ein Sonderling und hatte an aller Oeffentlichkeit nicht mehr Freude denn ein Maulwurf. Seine Lebensweise, sein Haus, sein Geräth, seine Tracht waren die Jahrzehnte hindurch sich gleich geblieben. Nur eine Veränderung mußte mit ihm vorgegangen sein, er konnte nicht immer so schneeweißes Haar gehabt haben wie jetzt. Der Runzeln um Augen und Mund waren wohl auch mit der Zeit etwas mehr und die Nase wohl auch etwas länger geworden. Aber die Zähne waren noch vollständig an Zahl und Größe und die Augen hatte er wohl niederzuschlagen nie gelernt.

Er trug immer eine frische weiße Halsbinde und einen langen schwarzen Rock und mit Schleifen gebundene Lackschuhe an den Füßen. Er war ebenso höflich als kurz angebunden. Er sprach auffallend rasch und erwartete, daß man sofort sich empfahl, wenn er ausgesprochen hatte.

In dieser Weise erfuhr denn auch Waldemar, was er schon wußte, und ward ihm auch bestätigt, 161 was er bislang nur befürchtet hatte. Er war selbst nicht reich und Herr Salomon Feuerstein konnte die Unternehmungen, in welche sich Baron Thassilo von Waldenberg so voller Feuer eingelassen hatte, nicht mit vertrauensseligen Blicken betrachten.

Daran war, wie Herr Feuerstein bekannte, wahrscheinlich er selber mehr Schuld als Thassilo. Er war zu stumpf von Begriffen, er hatte, wie er selbst versicherte, seit langen Jahren keine national- und sozialökonomischen Traktate mehr gelesen, er wollte selbst von dem Einfluß der Schopenhauer'schen Philosophie auf die Börse nichts wissen, er hatte nicht viel mehr als das Einmaleins und mit diesem nicht fliegen gelernt.

Da aber unser Waldemar auch so ein zopfig angelegter Geist war und in die moderne Geldwirthschaft sich nur geringes Einsehen gewonnen hatte, so glaubte er dem alten Weißkopf auf's Wort und ließ sich von ihm das Herz schwer machen.

»Legen Sie meinen Worten nicht mehr Gewicht bei, als sie verdienen,« schnatterte der barsche Salomon. »Vielleicht versteht Ihr Herr Vater mehr von den Sachen als ich steifer, eigensinniger Mensch. Aber da ich Ihr Bankier bin, kann ich mich der Pflicht nicht entschlagen, Ihnen zu bekennen, daß ich mein Vermögen nicht ohne Sorgen in diesen 162 Unternehmungen stecken wissen möchte und daher auch Ihnen auf's Dringendste abrathe, die artigen, aber doch immerhin nicht beträchtlichen und letzten Summen, die Ihnen bleiben, Herr Rittmeister, dem väterlichen Gelde nachzusenden. Dieß mein Rath! . . . Vielleicht bedauern Sie eines Tages sehr lebhaft, ihm gefolgt zu sein. In unserer wunderlichen Zeit sind allerhand Reichthümer möglich. Auch ist wohl zu bedenken, daß so eine große Unternehmung, nicht anders wie ein Theaterstück, mehrere Akte hat. Die einen gehen gut aus, die andern schlimm. Es spielen nicht alle Akteurs bis an's Ende mit. Wessen Rolle früh abläuft, der kann getrost nach Hause gehen und sich bei Zeiten in's Wirthshaus setzen. Ja! Aber wenn man so einen guten, langen, alten Namen auf dem Zettel liest, so denkt das liebe Publikum, der Mann mit dem Namen der kann doch keine Statistenrolle bekleiden, der spricht ein gewichtig Wort darein und spielt mit bis an's Ende. Darauf hin läuft's denn auch in die Bude hinein und trägt sein Geld hin. Freilich, es gibt allerhand Rollen, allerhand Komödianten, allerhand Kavaliere in der Welt. Ihr Herr Vater aber . . . Ihr Herr Vater kommt mir vor, als wollt' er nicht um eine Statistenrolle sich bezahlen lassen. Mich dünkt, er wirft sein Alles in ein brennend Haus und mich soll es über die Maßen freuen – besonders für Sie, mein werther Herr 163 Rittmeister, wenn das Benefizium, das aus diesen Unternehmungen erwachsen wird, hinreicht, ein zweites Waldenberg aufzubauen, nicht bescheidener als das gute alte erste war.«

Die Worte fielen schwer in des Rittmeisters Herz. Kaum aber, daß er hundert Schritte auf der Straße gemacht hatte, als ihm ein Anblick ward, wohl geeignet, solche Besorgnisse aufzuheitern. Sein Vater kam ihm entgegengefahren auf einem hohen Tilbury mit schlanken Rädern. Ein Wagenbau, sicher und schlank wie aus Stahlfedern, in dem sich der Sitz anmuthig wie ein Blumenkelch auf seinem Stengel wiegte. Ein paar Vollblutpferde davor, die den Neid des Kenners erregten. Thassilo lenkte sie selbst und grüßte freundlich im Vorüberjagen mit der langen englischen Peitsche. Er trug ein lichtes Sommerkleid. Der graue Hut saß ihm ein wenig schief auf dem Kopf. Im Knopfloch stak ihm eine frische Rose.

Nicht nur Waldemar war stehen geblieben, dem flotten Fuhrwerk nachzusehen. Zwei junge Herren, dem Ansehen nach Kaufleute, thaten dicht neben ihm dasselbe. Sie hatten offenbar keine Ahnung, in welchen Beziehungen der Offizier zu dem koketten Rosselenker stand. Merkten vielleicht überhaupt nicht, daß Jemand neben ihnen war, der es hören mußte, wenn der Eine zum Andern sagte: 164

»Donnerwetter, ist das ein Gespann! So fährt nicht Jeder, der Geld hat!«

»Mhm,« sagte der Andere, »der Mann versteht seine Zeit. Er hält das Glück bei der Rockfalte fest und ich wette, Der wird's nicht loslassen, eh' es ihm das Milliönchen rund gemacht.«

»Ja, ja,« versetzte der Erste mit einem Seufzer, halb Neid, halb Bewunderung; »das Geld liegt heutzutage wirklich auf der Straße. Wer's nur geschickt aufzuheben versteht!«

Damit gingen sie wieder ihres Weges weiter. Der Wagen war auch verschwunden.

Es dachten also nicht alle Leute wie der sauertöpfische Feuerstein.

Wie immer aber Waldemar die Reden des Alten und der Jungen auf einander passen mochte, Eins blieb sicher: sein Vater war auf dem Wege, ein reicher Mann zu werden, oder durfte doch glauben, auf solch' einem Wege zu sein. In diesem Glauben und also fest in der Zuversicht zu sich selbst und zu den erwählten Mitteln, würde Thassilo auch eine wenig bemittelte Schwiegertochter, wenn sie ihm sonst behagte, nicht allzu ungern sehen. Er schätzte, wie Waldemar gehört hatte, nunmehr das Geld sehr hoch; aber da es ohnehin auf der Straße lag, brauchte nicht Jeder es ihm in's Haus zu tragen.

Von den drei Anhaltspunkten, nach welchen 165 Waldemar sich eine Braut auszuwählen beschlossen hatte, blieb also keiner bestehen.

Ja die Worte des alten Salomon in Verbindung mit der glänzenden Erscheinung seines jugendlichen Vaters hatten sogar eine recht wunderliche Betrachtung in ihm gezeitigt. Wie rasch wird Geld erworben, wie rasch wird es verloren! Das Geld, das Einer so rasch erwirbt, ein Anderer hat es doch vorher besessen; er mußte es verlieren, damit es der Andere gewönne. Beides geschah mit Einem Schlag . . . Ein leiser Schauer über die Unsicherheit alles irdischen Besitzes berührte den sonst so gelassenen Mann, der sich bislang über die Wechselfälle des Geldes noch kein graues Haar hatte wachsen lassen. Und da er nicht mehr in der ersten Jugend und überhaupt nicht schwärmerischen und ungestümen Charakters war, so drängte sich ihm die Frage auf, ob er auf der Brautschau statt der bereits verworfenen drei Eigenschaften nicht auf die ganz entgegengesetzten achten sollte, welche doch einigermaßen nach menschlicher Voraussetzung die Dauerhaftigkeit ehelichen Glückes verbürgten.

»Ach was,« warf er sich da selber ein, »wer ist denn glücklich? Wer Alles genießen, wenig bedürfen und viel entbehren kann! . . . Aber zum Teufel, das ist ja mein bisheriger Zustand! Und warum will ich ihn verändern? Weil mir Papachen den Kopf warm 166 geredet hat? Das wäre ein Grund? . . . Hab' ich ihm etwas versprochen? Nein. Er hat nur gedroht . . . Was? Wenn ich in vierzehn Tagen nicht verlobt bin, dann wird er unsere häusliche Gemüthlichkeit stören! Mag er's doch versuchen! . . . Bettina? Ei, kein Mensch ist hülflos. Bolle doch auch noch auf der Welt. Und was geht mich das Mädel an? Will ich es denn für mich? Bin ich verliebt in die Kleine? Unsinn! . . . Aber gestern! Ja, gestern hätt' ich mir's beinahe geglaubt. Die wunderlichen Szenen der vorhergegangenen Nacht . . . die noch viel verwunderlicheren Reden meines aufgebrachten Erzeugers . . . er hätt' es beinahe fertig gebracht, mich über meine eigenen Empfindungen irre zu führen. Ich werde mich doch nicht aus Eigensinn und Rechthaberei verliebt stellen. Soll ich mir eine Achillesferse andichten, die ich nicht habe! . . . Genau betrachtet: was wäre das Mädchen werth, wenn es sich nicht der Galanterie eines ältlichen reichen Herrn zu erwehren wüßte! Was wär' es wenigstens mir werth! . . . Immerhin . . . man könnte Bolle'n einen Wink mit dem Zaunpfahl geben. Doch nein . . . es handelt sich um meinen Vater. Aber was fällt mir ein! Wenn ich das letzte Gespräch mit meinem Tenoristen wieder aufgriffe und die Meinung durchflöchte, daß Bettinchen denn doch anderswo besser aufgehoben wäre, irgendwo . . . 167

»Oder aber, wenn ich den Teufel, welchen Papa an die Wand gemalt, wirklich kommen ließe . . . ›Den Teufel, den man Liebe nennt‹. Das wäre vielleicht das Sicherste und das Angenehmste und . . .

»Ich denke nicht daran. Aber das ist klar, daß ich auch nicht an's Heirathen zu denken brauche.

»Vortrefflich! Es bleibt Alles beim Alten!« 168

 


 


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