Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Alles dieses ist nun lange vorüber. Vorüber, aber nicht vergessen. Verblaßt ist es, wie alles, was der Zeit angehört, aber doch steht es deutlich vor mir, wie es damals war. Und ich entsinne mich noch, daß ich das rote Gebäude nicht verließ, solange mein Kind darinnen war. Trotzdem wurde alles, was getan werden sollte, getan. Wie und von wem, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß, daß ich während meines Kummers nichts vergaß, und auch, daß niemand an die Blumen, die sie in mein Zimmer gestellt hatte, rühren durfte. Sie blieben auf dem Platze stehen, wo sie sie selber hingestellt hatte, und sie dufteten noch, als der Sarg über den mit Tannenzweigen bestreuten Abhang zum Dampfschiff hinuntergebracht wurde.

Es wurde dreimal Tag und dreimal Nacht während der Zeit, da sie und ich voneinander Abschied nahmen. Ich saß in ihrem Zimmer, wenn es dunkel war, und ich saß auf meinem schönen Platz unter der Veranda. Am liebsten ging ich meinen gewohnten Gang auf der Brücke auf und ab, wo die Wellen im Takt gegen die Steine am Strande schlugen, oder auf dem schmalen Pfad, der zur Treppe hinaufführte. Dort war ich ihr nahe, wie früher, wenn sie innerhalb des offenen Fensters schlief, das ich jetzt nicht mehr zu schließen brauchte, ehe ich mich zur Ruhe begab. Und während ich hier ging, formten sich meine Gedanken zu wirklichen Worten, die ich nicht laut aussprach, die aber doch so deutlich wurden, daß es mir war, als rede ich. Ich sprach von ihr, die tot war, und von allem, was geschehen war. Ich sprach nicht zu ihr, und doch war jedes Wort eine Liebkosung, die, wie es mir schien, ihre Seele treffen mußte. Und davon habe ich nichts vergessen.

»Nun ist der Tod gekommen«, sagte ich. »Und nun ist alles verändert. Was früher unbedeutend oder häßlich war, existiert nicht mehr. Was ist groß und was ist klein vor der Liebe oder vor dem Tode? Es geht eine Frau einsam im fernen, fremden Lande, wohin ich sie geschickt habe, weil ich sie los sein wollte und Geld hatte es auszuführen. Was hat sie mir getan? Sie hat mir nicht Böses getan. Vor den Menschen ist sie eine Verstoßene, vor dem aber, was hier geschehen, ist sie es nicht. Ich handelte recht vor den Menschen als ich sie schlug und wegjagte. Und ich habe sie gehaßt und sie verflucht, weil sie mein Leben zugrunde gerichtet hat. Aber es macht mir keine Freude mehr, zu wissen, daß die Menschen mir recht geben. Das sind nur Worte, die nichts bedeuten. Die wirklichen Worte, die kommen erst hier, wenn alles verklärt wird, wie sie es ist, die mir nicht länger antworten kann.

»Wenn nun das Weib, vor der ich einst meine Tür verriegelte, dort aus dem Walde käme und hier herausträte, aus der Dämmerung herauswüchse, so daß ich sie erkennen könnte, wie früher, ich würde sie nicht um Verzeihung bitten. Verzeihen ist unnütz. Überhaupt, weshalb haben die Menschen einander etwas zu verzeihen? Alles wird ja ausgeglichen, aber deshalb wird nichts, was gewesen ist, unbedeutend. Nein, in das Zimmer meines schlafenden Kindes würde ich sie führen, und ich würde ihr kein Wort sagen. Aber ich möchte sie dort sehen. Denn sie war die Mutter meines kleinen Mädchens, und sie hat sie mir einst gegeben, damit ich sie behüten sollte.

»Dann möchte ich, daß sie wieder ginge. Und selbst dann würde ich ihr nichts sagen. Denn von allem, was hier geschieht, würde sie ja doch nichts verstehen. Das würde aber nicht wie früher meinen Unwillen hervorrufen. Denn weshalb sollte ich mich durch sie beunruhigen lassen, weil sie nicht so ist wie ich? Nichts kann mich hier beunruhigen. Unwillen ist auch nur ein Wort. Wie alle anderen schweigt es gegenüber dem großen Glück und dem großen Unglück, die da Liebe und Tod heißen. Und wenn die leeren Worte schweigen, sprechen die wirklichen.

»Es ist seltsam, daß die Menschen das Leben alltäglich finden und daß wir alle es selten so erblicken, wie es in Wirklichkeit ist. Im Tode kommt immer etwas Neues, das hinüber weist in das Jenseits. Aber mein kleines Mädchen, das hier drinnen schläft, hat sich nicht verändert. Sie ist so jung und glücklich gestorben, daß sie, noch während sie lebte, jenseits von dem war, was uns andere stört. Deshalb hat sie die Kleider gewechselt, nur ihre Kleider gewechselt. Auch ich habe andere Kleider angezogen, weil ihre Güte mich dazu zwang. Und ich sehe, daß von allem, was ich im Leben verachtet habe, nichts mehr mir etwas anhaben kann, weder Menschen noch Verhältnisse. Mein Stolz, der mich früher aufrecht hielt, ist verschwunden. Sowohl der Stolz als auch meine Begierden, meine Hoffnungen und mein Streben – alles hat die Kleider gewechselt und ist zu etwas anderem geworden, als es früher war. Ohne einen Seufzer werde ich alles zu Grabe tragen; alles, was ehedem mein war und was ich einst mit nichts anderem hätte vertauschen mögen.« –

Solche Worte drängten sich hervor, die nicht meine eigenen sind; und ich begrub meine Freude ohne Murren und ohne lebhaften Schmerz.

 


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