Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Siebentes Kapitel

Da führte mich eines Abends der Zufall durch die Straße, von der ich wußte, daß Hugo Brenner dort gewohnt hatte. Ich war gerade im Begriff, an seinen Fenstern vorüber zu gehen, als ich hinter den hellen Gardinen, die heruntergelassen waren, den Schatten eines Mannes sah, der sich hin und her bewegte. Unwillkürlich blieb ich stehen, und zuletzt schien es mir, als wartete ich dort nur, um zu sehen, ob dieser Schatten denn nie rasten würde.

Ich weiß nicht, welches Gefühl während dieser kurzen Minuten Gewalt über mich bekam. Es war ganz, als müßte ich, es koste was es wolle, dieser mechanischen Wanderung Einhalt tun. Und ohne zu überlegen, ohne mir auch nur erklären zu können weshalb, stieg ich die Treppe hinan und klingelte im nächsten Augenblick an der Tür.

Sofort als ich das schrille Läuten der Glocke hörte, bereute ich es. Was sollte ich sagen? Ich konnte ja Brenner nicht darüber aufklären, was ich ihm zu sagen hatte oder weshalb ich eigentlich gekommen war. Ich wußte es ja kaum selber.

Trotzdem hatte ich, eine Minute später, das alles getan. Das Unmögliche war geschehen, und nicht einmal Brenners erstaunter Blick hatte mich abgeschreckt. Ehe ich wußte, wie es zugegangen, waren die Worte über meine Lippen geglitten:

»Ich sah dich dadrinnen, und ich konnte nicht anders, ich mußte kommen.«

Brenner hieß mich nicht willkommen, und ich hatte die Empfindung, als sei ihm meine Nähe weder angenehm noch unangenehm. In seinem ganzen Benehmen lag etwas, das ich eine erhabene Gleichgültigkeit nennen möchte. Wenn es wahr ist, daß ein Mensch etwas wie eine Geister-Atmosphäre an sich haben kann, so war dies gerade jetzt mit Hugo Brenner der Fall. Alles schien ihm fremd zu sein, gleichsam in weiter Ferne zu liegen, und er selbst war so von seinem Eigenen erfüllt, daß es ihm genug war. Ich konnte es dem Tonfall seiner Stimme anhören, die noch gedämpfter geworden war. Als er mir voran durch die Tür ging, sah ich auch, daß sein Rücken krumm geworden war. Als wir aber einander gegenübersaßen, was wir so lange nicht getan, da ergriff mich mit einem Male ein beklommenes Mitgefühl. Hugo Brenner war alt geworden. Seine Haltung war elastisch wie ehedem. Aber Haar und Bart waren fast weiß, das Gesicht hatte Furchen, und die Augen, die ihren milden, hellen Blick beibehalten hatten, lagen tiefer als früher, umgeben von Schatten, die neu waren.

Das Gespräch verlief anfangs etwas mühsam, wie zwischen Menschen, welche den Faden aus einem früheren vertraulichen Verhältnis verloren haben. Nach und nach aber glückte es uns, ein Gesprächsthema zu finden, das uns interessierte, und einen Augenblick schien es, als ob wir unsere alten Debatten fortsetzen sollten wie in früheren Zeiten. Plötzlich merkte ich, daß Brenner nicht mehr auf meine Worte hörte. Sein Kopf war auf die Brust niedergesunken, und sein Blick starrte ins Dunkel hinaus. Wahrscheinlich hatte er ganz vergessen, daß ich mich im Zimmer befand.

Ein langes, dumpfes Schweigen folgte, und während der Beklemmung, die sich meiner bemächtigte, konnte ich meine Augen nicht von diesem Manne wenden, der da zusammengesunken vor mir saß, von einem Schicksal niedergebeugt, das ich nicht kannte. Er war schön, trotzdem er gealtert war, und sein Ausdruck, der jetzt streng war, wirkte so auf mich, daß ich, von Ehrfurcht erfüllt, mich am liebsten schweigend fortgeschlichen hätte.

Bei einer Bewegung, die ich machte, sah er plötzlich auf.

»Ich habe gewiß lange geschwiegen«, sagte er.

Ich nickte bloß als Antwort – wußte nicht, ob ich bleiben oder gehen sollte. Da sah er mich wieder an, als ob er sprechen wollte. Aber die Stimme versagte ihm, und mich ergriff ein Schrecken. Denn seine Brust arbeitete so furchtbar, daß mir die Phantasie vorschwebte, ich wäre nur gekommen, um ihn sterben zu sehen. Im nächsten Augenblick lag er mit Kopf und Armen auf dem Tisch und weinte wie ein Kind.

Es war schrecklich, einen alten Mann in solcher Aufregung zu sehen. Es kam so plötzlich, so unvorbereitet und so gewaltsam, daß es mir blitzschnell alles sagte. Aber kam diese Aufregung bei einem Manne, der sich so beherrschte wie Brenner, überraschend, so war es das, was jetzt folgte, noch mehr. Außerstande, mich zurückzuhalten, schritt ich auf ihn zu und legte meine Hand auf seine Schulter. Kaum hatte er aber die leichte körperliche Berührung durch einen andern gespürt, als auch das heftige Schluchzen aufhörte und er mit einer Stimme, worin die widerstreitendsten Leidenschaften sich mischten, ausrief:

»Einmal muß man doch sprechen. Einmal! Zuletzt kommt doch die Stunde, da man nicht alles allein tragen kann, da man sich einem andern mitteilen muß. Wie ging es zu, daß du gerade jetzt durch die Tür hereintratest? Ich weiß es nicht. Ich weiß, daß ich hier tagelang umhergegangen bin und die Rechnung meines eigenen Lebens aufgestellt habe, alles, was gewesen, gegen das nichts, was noch ist, um ein Fazit zu finden. Aber ich kann es nicht finden. Und ich kann es nicht, weil ich nicht dichten kann, weil ich mein Eigenes nicht umzusetzen vermag in etwas anderes, wie ihr Dichter es könnt, ihr tausendmal glücklicheren Menschenkinder, die ihr euer Leiden los werden könnt, weil ihr es aussprechen könnt.«

Er schwieg eine Weile und bedeckte seine Stirn mit der Hand.

»Du glaubst vielleicht, daß ich immer derjenige gewesen, der ich jetzt bin«, sagte er etwas ruhiger. »Und ich begreife, wenn du dich darüber gewundert hast, daß ich in früheren Tagen niemals über mich selber sprach. Ich habe es einige Male gemerkt, als wir uns damals trafen.«

Er lächelte, und ein matter Schimmer der früheren Schalkhaftigkeit kam in seine Augen.

»Aber so verhält es sich nicht«, fuhr er fort. »Eher so, daß wir großen Schweiger früher . . . in der Jugend . . . als es leichter ging . . . uns zu stark ausgesprochen haben. Kannst du mich verstehen, wenn ich dir sage, daß ich früher, als ich jung war, über mich selber sprach, über alles, was meine Seele anging, was sie beschäftigte oder erfüllte, und das jedem Menschen gegenüber, zu dem ich mich hingezogen fühlte, und war es auch nur durch eine plötzliche und zufällige Sympathie? Ja, das ist die Wahrheit, mein Freund. Tausendmal die Wahrheit! Ich hatte einen Hunger nach Menschen, einen Hunger danach, mich ihnen mitzuteilen. Ich war dankbar, wie für die größte Gabe, wenn jemand mir auf halbem Wege entgegenkam und mir von dem Seinen gab. So war ich, als ich jung war und ganz ich selber. Später wurde ich zu etwas anderem. Vielleicht trug ich eine Maske, weil ich den Schmerz fürchtete, mich zu entblößen und der Gleichgültigkeit zu begegnen. Ich hatte Angst, mit mir selber allein zu sein, wenn ich einmal die Leidenschaft hätte zu Worte kommen lassen. Aber jetzt will ich über mich selber berichten, so wie ich es nie zum zweiten Male können werde, jetzt, da sie tot ist, zu der ich immer sprechen konnte.

»Sie war die Gattin eines anderen Mannes, und sie wurde nie die meine. Und wenn du mich jetzt anhörst, darfst du mich nicht unterbrechen. Wunderst du dich darüber, weshalb ich rede, so will ich dir antworten. Ich berichte dir alles, weil ich wie die großen Dichter das Bedürfnis habe, mich selber zu sehen, so wie ich gewesen bin, so wie ich bin und so wie ich hätte sein können. Ich spreche mich aus, weil ich nicht anders kann. Wenn der Bericht zu Ende ist, kannst du gehen. Aber dann sollst du auch wissen, daß du mir die größte Hilfe geleistet hast, die ein Mensch in diesem Leben mir noch leisten kann.«

Er schwieg einen Augenblick, und gleichzeitig schlug die große Uhr an der Wand hinter uns acht melodische Schläge. Hugo Brenner horchte, bis der letzte Schlag verhallt war. Dann begann er seinen Bericht.

 


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