Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Sechstes Kapitel

Indessen, Hugo Brenner kam niemals zu mir in mein Heim, und während der Jahre, die nun folgten, trafen wir uns selten. Undankbar, wie der Mensch ist, stets geneigt, aus dem Augenblick, in dem er lebt, das herauszugreifen und festzuhalten, dessen er gerade bedarf, ging es mir auch so, daß ich, vielleicht ohne es zu merken, immer mehr unsere alten Abendstunden versäumte. Brenner hielt sich seinerseits ebenfalls fern, wie es mir schien, mit Absicht. Er hatte nun ein für allemal die Auffassung, daß ein Mann, wenn er sich verheiratet, zur selben Stunde mit seinem ganzen früheren Verkehr bricht. Welche Erfahrungen eine solche Auffassung veranlaßt hatten, war ich damals weit entfernt zu ahnen. Das Leben riß mich mit sich fort, mein eigenes Leben mit seinen Freuden und Sorgen. Und ich vergaß Hugo Brenner, seine Sorgen und sein Schicksal über all dem Neuen, was mit Frau und Kind und eigenem Heim zu mir gekommen war.

Ganz habe ich ihn doch nicht vergessen. Ich entsinne mich noch, daß oft, wenn meine Gedanken in der Vergangenheit herumsuchten, Hugo Brenners Gestalt in meiner Erinnerung emporstieg, und dann konnte ich wieder ganz dieselbe Begierde empfinden, ihn zu verstehen, wenigstens so viel von ihm zu wissen, daß sein Bild klar würde und der Schatten schwände; ja zuweilen fühlte ich deutlich, daß gerade diese Begierde es gewesen war, die von Anfang an mich stärker vielleicht als alles andere getrieben hatte, seine Gesellschaft aufzusuchen. Später, als das Leben mich selbst auf die Schattenseite hinüberführte, sehnte ich mich oft nach seiner harmonischen, ruhevollen Persönlichkeit, die über alles erhaben schien, was Glück und Unglück heißt.

Da plötzlich eines Tages wurde ich stärker als je an Hugo Brenner erinnert. Ich las in einer Zeitung unter den Todesanzeigen den Namen Elise Bohrn, und das Herz wurde mir ganz weich dabei. Wie viele Jahre waren nicht verstrichen, seit ich mich in jenem Kreis befunden, den diese seelenvolle Frau mit ihrem jugendlichen Gesicht und dem ergrauten Haar um sich versammelt hatte. Wieviel Kummer, wie viele wechselnde Menschenlose, Todesfälle und Ehen, neue kleine Menschen, neue Interessen, neues Streben, Hoffnungen, Enttäuschungen, Ideen und Arbeiten waren seitdem nicht im großen Strom von Schicksal und Ereignissen herumgewirbelt! Ich las die Anzeige wieder durch, einmal ums andere, als könnte sie mir etwas berichten von all dem, was ich, so schien es mir jetzt, versäumt und für immer verloren hatte. Es stand da: »Im sechzigsten Lebensjahre.« Ja, ja, mehr als zehn Jahre waren seitdem vergangen. Es stand auch das Wort »verwitwet« daneben. Das war ja auch der Fall. Auch das hatte ich vergessen. Oder die Zeit, die im Wirbel des Lebens so kurz wird, hatte nicht hingereicht, um es meinem Gedächtnis einzuprägen. Ihr Mann war auch gestorben, vor einigen Jahren schon; damals hatte ich große Lust gespürt, Frau Bohrn einen Besuch zu machen, aber das Gefühl, vielleicht ungelegen zu kommen, hatte mich davon abgehalten. Da hatte ich einen Kranz und einige Zeilen geschickt und zur Antwort die zeremonielle, gedruckte Karte mit der Danksagung der Witwe erhalten.

So war sie denn wiederum, wie so vieles andere, was mir einst lebendig und nahe gewesen, aus meiner Erinnerung entschwunden, und ich wußte nur das von ihr, daß sie nach dem Tode ihres Mannes seinem Andenken gelebt, stets schwarzgekleidet gegangen war und sich vom Gesellschaftsleben zurückgezogen hatte.

Aber diese Todesanzeige in der Zeitung führte meine Gedanken wieder zurück in den Kreis, in dem ich mich damals so heimisch gefühlt hatte. Gesichter, die lange vergessen gewesen, die mir einst entgegengelächelt hatten, wurden wieder lebendig, und unter diesen mußte ich vor allem wieder an Hugo Brenner denken. Wie lebte er wohl jetzt? Was trieb er? Wohnte er überhaupt noch in den schönen Zimmern auf Östermalm, von denen er einst erklärt hatte, nicht lassen zu wollen, ehe sie ihn hinaustrügen »die Füße voran?«

Ich wußte nichts darüber. Aber meine Erinnerungen wollten mir keine Ruhe lassen. Ich schickte Blumen nach dem Trauerhause mit einem Gefühl, als lösche ich dadurch eine Schuld aus. Aber selbst diese alltägliche Handlung veranlaßte nur, daß meine Gedanken sich um so lebhafter mit der Vergangenheit beschäftigten. Sie kam mir entgegen mit warmen Blicken, und gute Worte, die einst in meinen Ohren klangen, wurden wieder laut. Aber ich befand mich mitten in einer Arbeitsperiode, und ich entsinne mich noch, daß ich mich anstrengen mußte, um mit Gewalt mich dieser Gedanken zu erwehren, die mich störten und mir lästig und sinnlos erschienen.

 


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