Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Sechzehntes Kapitel

Während dieser Zeit kann ich ohne Übertreibung sagen, daß ich zwei verschiedene Leben führte. Denn außer diesem eigentümlichen Zusammenleben mit meiner Tochter, teilte ich auch Freude und Kummer mit Elise und ihrem Manne. Oder eigentlich vor allem mit Elise. Und ich genoß in vollen Zügen das Neue, das für mich darin lag, gleichgestimmte Menschen gefunden zu haben, deren Freude und Schmerz ich teilen durfte. Ich gab mich diesem neuen Glücke ohne Vorbehalt und Skrupel hin, es fiel mir nicht im Traume ein, daß ich anders oder mehr sei als ein Mensch, den das Schicksal beiseite geschoben hatte, ein Mensch, der für sein eigen Teil nicht mehr begehrte, als was andere von ihrem Überfluß leicht entbehren konnten.

Du weißt alles, was man sich über Karl Bohrn erzählt hat. Du weißt, daß man ihn im Verdacht hatte, eine anerkannte Geliebte zu haben, und daß außerdem von seinen flüchtigen Verbindungen Verschiedenes an die Öffentlichkeit drang. Von alle dem wußte ich damals nichts, so fern lebte ich mitten in der Hauptstadt von allem, was müßige Zungen in Tätigkeit versetzt. Ich wußte nur, daß Karl Bohrn mich bei unserem ersten Zusammentreffen in einer Situation überrascht hatte, die sicher in einer weniger edelmütigen Natur Unwillen gegen mich erzeugt, oder im günstigsten Falle wenigstens ein Gefühl von Unbehagen gegen meine Person hinterlassen hätte. Aber Karl Bohrn stand allem Gewöhnlichen fern oder war darüber erhaben. Dieses war sein großes Geheimnis, obgleich er selber zu stark war, um es auch nur zu ahnen. Aber niemals trat er mir anders entgegen als mit offenster, unverfälschtester Freundschaft, mit einer Sympathie, die ich nur auf Rechnung des Mitgefühls mit all dem Schweren setzen kann, welches ich erlebt hatte.

Im Lichte dieser sonnigen Offenheit, die keine der kleinen Desillusionen des Lebens verdunkeln konnte, sah ich seinen Charakter. Ich weiß, wie viel man über ihn redete und wie man seine Frau beklagt hat. Ich weiß aber auch, daß sie selbst sich nicht beklagte, obgleich sie vor allen anderen Frauen, die ich gekannt habe, die Fähigkeit besaß, zu sehen und zu verstehen. Aber es mag wohl sein, daß es gerade diese Eigenschaft war, die ihr die Kraft gab zu ertragen. Dafür verstand er auch sie, was er im übrigen ihr gegenüber auch auf dem Gewissen haben mochte. Und nichts bewies dies besser, als sein Verhalten mir gegenüber. Elise gehörte nämlich zu den Frauen, welche es verstehen, ein wirkliches Freundschaftsverhältnis mit Männern anzuknüpfen und festzuhalten. Ihre Zahl ist nicht groß, denn wenn eine Frau einen Mann gern hat, so kommt es meistens daher, daß dieser von Anfang an der Freund ihres Mannes gewesen. Elise aber lebte ihr persönliches Leben, sowohl in ihrem Heim als außerhalb desselben, und hätte man sie gezwungen, ein Verhältnis, auf das sie Wert legte, abzubrechen oder es auch nur einzuschränken, wäre sie zugrunde gegangen. Dies verstand ihr Mann, und deshalb konnte er ihre Freundschaft für mich nicht nur mit Ruhe sondern auch mit Sympathie ansehen. Denn er wußte sehr gut, daß etwas vom Zartesten, vom Anbetungswürdigsten an dieser Frau gerade in der reinen Freiheit lag, womit sie alles im Leben hinnahm und für alles Raum hatte.

Ich rede von Karl Bohrn als Freund, und ich bin überzeugt, daß gerade, wenn man dies kann, man einen Menschen am besten versteht und am gerechtesten gegen ihn ist. Das Leben machte mich zu seinem Schuldner, und ich habe es bei ihm leichter gefunden als bei jedem anderen, in Schuld zu stehen. Er war für mich der Typus für vieles, das wir mit Recht oder Unrecht schwedisch nennen, und zwar für das Allerbeste an dieser eigentümlichen und ziemlich unbestimmten Eigenschaft. Deutlich sehe ich noch seine kleine, wohlbeleibte Gestalt vor mir, mit den lebhaften Bewegungen und dem Ausdruck von Wohlbehagen und Genußfreudigkeit. Alles, was an anderen abstoßend wirken konnte, schien mir bei diesem Manne in einer eigentümlichen Weise unschuldig zu sein. Die Augen, die hinter den Brillengläsern vor lauter Lebenslust in seinen Kopf zu verschwinden schienen, und das noch, als er schon in den Fünfzigern war, konnten bei anderen Gelegenheiten einen traurigen, nach innen gekehrten Ausdruck bekommen, der beinahe kindlich wirkte. Selten habe ich einen Mann gesehen, bei dem die rein physischen Triebe in einem so seltsamen Kontrast standen zu seiner geistigen Überlegenheit. Und diese Überlegenheit war mir besonders deshalb sympathisch, weil er selbst niemals viel Wesens daraus machte. Oft habe ich ihn in Situationen gesehen, wo ich mich wunderte, wie wenig er sich geltend machte. Und erst spät begriff ich, daß er dieses verschmähte, und zwar keineswegs aus Berechnung, sondern weil er hierin, wie in seinem ganzen Leben, ein übermütiger Verschwender war. So sehr er Bankier war, hatte er doch im Grunde viel von einem Stimmungsmenschen, der sich oft anderen gegenüber einfach nicht die Mühe gab, sein Selbst in das rechte Licht zu setzen. Elise hat mir einmal erzählt, daß diese Eigenschaft ihm in seiner Jugend ein großes Hindernis gewesen war. Ich will es gern glauben, und ich begreife auch wohl, daß es gerade diese Eigenschaft war, die sie an ihm in hohem Grade liebte. Allerdings besaß er daneben die kräftige Hand, die, wenn sie einmal die Zügel gefaßt hatte, sie auch energisch festhielt und nicht wieder los ließ. Ich habe ihn auf seinem Kontor gesehen, wenn die Geschäfte sich häuften, wenn es ihm in den Fingerspitzen brannte vor fiebernder Eile. Da war er wie ein Kapitän auf seinem Fahrzeug, wenn böses Wetter ist. Er genoß die Schwierigkeiten, von denen er wußte, daß er sie beherrschte, und war so recht in seinem Element.

Doch glaube ich nicht, daß er seinen Beruf eigentlich aus Neigung gewählt hatte. Er war in die Geschäftswelt hineingekommen, weil er einer alten Handelsfamilie angehörte, und als er erst einmal drinnen war, machte er das Beste aus der Situation. Seine Stellung war ihm lieb, weil er durch sie Menschen beherrschen und seinen Willen durchsetzen konnte. Dieses, seinen Willen durchzusetzen, glaube ich, bedeutete für ihn, wenigstens zeitweise, den höchsten Reiz des Lebens. Denn in seinem Leben gab es eben etwas Periodenhaftes, er befriedigte gleichsam stoßweise die widerstreitenden Kontraste seines Wesens. Wenn er gegen Krisen ankämpfte oder mit irgendeinem größeren Coup beschäftigt war, dann bekamen auch seine Leidenschaften die Überhand. War die Spannung vorüber, so kehrte er mit erneuter Wärme zu seinem Heim zurück. Dann konnte er wieder in dem Zusammenleben mit den Seinen in einer Weise aufgehen, als existiere die Außenwelt überhaupt nicht. Sein Leben schwankte von einem Extrem zum andern, ich habe oft darüber nachgesonnen, wie es sich wohl gestaltet hätte, wenn diese Natur sich einmal im gesetzten Alter zur Ruhe begeben hätte.

Doch kann ich mich nicht entsinnen, daß er je auf mich den Eindruck eines überanstrengten Mannes gemacht hätte. Er stand früh auf und ging spät zu Bett. Er war auch verschwenderisch mit seinen physischen Kräften. Ein Verschwender war er außerdem mit dem Gelde, und es war wohl dies Bedürfnis, das ihn an den Beruf fesselte, der die Sparsamkeit überflüssig machte. Ich glaube aber, daß er, wie gut er auch in seiner Bank Bescheid wußte, sich seiner persönlichen Ausgaben nur im Bausch und Bogen erinnerte. Er behauptete, daß er seine Ausgaben niederschreibe. Das tat er auch. Aber nach seinem Tode entdeckten wir, daß er sich nie Zeit genommen hatte, sie zusammenzurechnen. Ein Verschwender war er endlich auch im Verbrauch der geistigen Kräfte. Ein Freundschaftsverhältnis mit ihm war so reich, als hätte er alle Energie in das rein Persönliche gelegt, und er vermochte zehn Stunden zu arbeiten und die Nacht in der anstrengendsten und lautesten Gesellschaft zuzubringen, ohne daß jemand ahnte, daß er müde war.

Bei solchen Gelegenheiten konnte er noch bis zu allerletzt berauschend wirken wie ein junger Mann, allein durch die ungezähmte Lebenskraft, mit der er das ganze Leben zu umarmen schien, von der trockensten Arbeit an, die er stets mit Leben erfüllte, bis zu der aufrichtigen Freude an den materiellen Gaben des Lebens. Niemand hat wohl je eine gute Mahlzeit so genossen wie er, und niemand, nicht mal die Ausübenden selber, hat je einen lebendigeren Sinn für die Kunst gehabt.

So war der Mann, den ich durch Elise kennen lernte und dessen Freund ich wurde. Und dadurch, daß ich ihn so genau kennen lernte, wurde es mir begreiflich, welche Macht ein solch unglaublicher Reichtum auf eine Frau ausüben mußte, die wie sie es verstand, in gleich hohem Grade nach außen wie nach innen zu leben, und die selbst imstande war, ihre Nächsten mit der nämlichen klaren Ruhe zu beurteilen, mit der sie sich selber, als sie noch jung und hübsch war, im Spiegel betrachtete und über die ersten weißen Haare und seinen Runzeln lachte.

 


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