Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Neuntes Kapitel

Ich war dem geistigen Tode nahe, und auf Weihnachten folgte Neujahr, ohne daß ich die dahinschwindenden Tage bemerkte, oder was sie bedeuteten. Das Leben ist auf Gut und Böse eingestellt. Absolut schön und absolut häßlich ist es niemals. Und sogar der, der im Schmutz gelebt hat, kann wiederaufgerichtet werden.

Das glaubte ich aber damals nicht, und ich weiß wohl, daß dieses Bekenntnis unmännlich klingen mag. Aber diese Unmännlichkeit liegt uns allen nahe, wenn die Not groß ist und die eigene Kraft fehlt. Es ist nur der Unterschied, daß nicht alle ihre Schwäche sich selber eingestehen wollen. Wie mir aber diese beiden Wochen vergingen, das wird mir wohl schwer werden je zu erklären. So rätselhaft scheint mir das alles hinterher, und so außerstande war ich zu der einfachsten Initiative. Ich ging umher in einem beständigen Fieber von Verdacht, und die gräßlichsten Gesichte verfolgten mich sowohl daheim als draußen. Nicht einmal wenn ich mit Gretchen allein war, fand ich Ruhe, und ich konnte merken, wie meine Gemütsverfassung sie ansteckte.

Stundenlang konnte sie in meinem Zimmer sitzen und plaudern. Sie erzählte mir dann, was sie in der Schule erlebt hatte, was sie draußen gesehen, alles das, was früher unsere Vergnügungen ausgemacht und von dem wir nie müde werden konnten. Aber mit einem Male unterbrach sie ihr heiteres Geplauder.

»Du hörst ja nicht, was ich sage«, rief sie aus.

»Ja, ja,« versuchte ich zu antworten, »ich höre jedes Wort.«

Aber das Kind ließ sich nicht hinters Licht führen. Sie verstand, daß meine Gedanken weit weg waren, wie ich verstand, daß sie unter meiner Zerstreutheit litt. Aber es lag wie ein Nebel über meinen Gedanken, und ich konnte ihn nicht verjagen, ich konnte nicht, und hätte es mein Leben gegolten, mein Gemüt freimachen von der Schwere, die uns beide peinigte.

Dann ließ ich sie allein und ging hinaus, trieb mich ziellos stundenlang draußen in den Straßen umher. Oder ich ging in ein Café, am liebsten, wo viele Menschen waren. Da setzte ich mich an einen leeren Tisch, starrte gedankenlos in die Luft, und es war mir, als verflüchtigte sich mein eigenes Ich und schwände dahin, indem es sich mit all den gleichgültigen Ichs mischte, die dort drinnen versammelt waren.

 


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