Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Einleitung

Erstes Kapitel

In den großen Städten gehen die Menschen fremd aneinander vorüber, und nur der Neuangekommene hat ein gewisses Interesse für alles und für alle, denen er begegnet. Wir interessieren uns nur für die Menschen, die wir kennen, und wenn wir draußen auf dem Lande sind, kommt es uns lächerlich vor, daß jeder, dem wir begegnen, uns mit einem guten Tag oder guten Abend begrüßt. Der Brauch und vielleicht die Notwendigkeit haben es dahin gebracht, daß wir davor zurückscheuen, uns einem anderen Menschen zu nähern, und deshalb hat man gewisse Formen erfunden, ohne deren Beobachtung jede Annäherung unerlaubt ist. Zwischen denen, die nicht der Zufall zusammenführt, haben wir so hohe Schranken errichtet, daß sie fast unübersteiglich erscheinen. Und deshalb kann die Vereinsamung gewisser einzelner in der Großstadt stärker und empfindlicher werden als in der tiefsten Einöde.

Unter solchen Verhältnissen geschieht es zuweilen, daß wir auf unserm Wege einen Fremden entdecken, dessen Wesen uns ahnen läßt, daß wir in ihm einem der wenigen begegnet sind, an denen man nicht vorbeigehen möchte, einem von denen, die man zu Freunden haben möchte, weil ihre Freundschaft dem Dasein größeren Wert verleihen würde – wenn es einem nur gelänge, über die unsichtbare Mauer hinwegzukommen, die niemand errichtet hat, die aber alle respektieren. Diese unsichtbare Mauer aber ist da, und trotzdem sie doch allein aus äußeren Rücksichten aufgeführt wurde, kann man über sie nicht wegkommen, weil man fürchtet, bei einem Versuche dem kalten und fremden Blick zu begegnen, mit dem die Menschen sich einander fernzuhalten wissen in dem allgemeinen, stummen Kampfe, den die Großstadt mit ihren künstlichen Verhältnissen geschaffen hat.

Wie oft ist es mir nicht passiert, wenn ein Mensch flüchtig wie ein Schatten im Zwielicht an mir vorbeigeglitten, daß mich eine plötzliche Sehnsucht überkam, ihn festhalten zu können, und mich die blitzschnelle Empfindung durchzuckte, die mir ankündigte: hier in deiner Nähe, ohne daß du ihn erreichen kannst, befindet sich ein Mensch, der einsam ist, nicht wie du, aber in ähnlicher Weise. Wie oft hat nicht eine solche Begegnung, die man zufällig nennt, in mir eine kindliche Hoffnung erweckt, daß der Eindruck, den ich empfangen, uns beiden gemeinsam gewesen, daß der Unbekannte, der an mir vorüberging, sich mir nähern würde, weil ich nicht gewagt hatte, mich ihm zu nähern! Stets trug ich mich, wenigstens für den Augenblick, mit der Illusion, daß sich daraus etwas bisher Unbekanntes entwickeln würde, und war der Augenblick vorüber, so folgte dieser Illusion eine neue, die mit Schmerzen vermischt war, weil sie von einem unbekannten Verlust redete. Oft habe ich meine eigene Überspanntheit verlacht und sie töricht genannt! Und doch – ich habe mich nie ganz von dem Gedanken freimachen können, daß in dieser Empfindsamkeit oder in diesem übertrieben wachen Instinkt vielleicht eine Wirklichkeit verborgen liegt, die ein besseres Schicksal verdiente, als der Lächerlichkeit zum Opfer zu fallen.

Dann und wann ist es mir auch passiert, daß solch ein plötzliches Gefühl offenbar mehr gewesen ist als ein flüchtiger Einfall, der nur von zufälliger Nervosität oder vielleicht von unbefriedigter Sehnsucht nach Sympathie hervorgerufen war. Und jedesmal, wenn etwas Ähnliches eintraf, hat die Erinnerung an dieses Erlebnis den Glauben in mir bestärkt, daß wir Menschen noch auf andere Weise die Fähigkeit besitzen müssen, uns miteinander zu verständigen, als mit den äußeren Sinnen wahrnehmbar ist. Es ist sogar nicht unmöglich, daß diese Art von Mitteilung häufig die stärkste und entscheidende ist.

Diese Gedanken drängen sich mir auf, wenn ich mich des Abends entsinne, an dem ich zum ersten Male auf einen Mann aufmerksam wurde, von dem diese Erzählung berichten wird. Viele Jahre sind seitdem verflossen. Ich war vor kurzem in Stockholm angekommen, und die Hauptstadt mit ihren Verhältnissen war mir neu. Ich war allein in ein Café eingetreten, wo ich nun saß und das Leben um mich her betrachtete. Die Zeitungen hatte ich gelesen oder durchgeblättert, ohne sie zu lesen, und wie ich da so einsam saß, wurde ich des Herumschauens müde und versank in Träumereien. Zuletzt kam mir der Lärm in dem großen Raum, der sich langsam mit Leuten anfüllte, wodurch das Gesumme ohrenbetäubend wurde, fast nicht mehr zum Bewußtsein, ich wurde aber aus meinen Träumen geweckt durch das Gefühl, daß jemand im Café mich längere Zeit betrachtet haben müsse. Ich blickte auf, konnte aber zuerst nichts entdecken. Überzeugt, daß ich das Opfer einer Einbildung gewesen, zündete ich eine Zigarette an und ergriff eine neue Zeitung mit der Absicht etwas zu lesen, wobei sich meine Gedanken ausruhen könnten. Da bemächtigte sich meiner zum zweiten Male dasselbe Gefühl, und indem ich wiederum emporblickte, fielen meine Augen auf einen älteren Mann, der allein saß, wie ich.

Ich weiß nicht, woher mir die Gewißheit kam, daß es gerade dieser Mann gewesen war, der mich betrachtet hatte. Als ich ihn gewahrte, saß er nämlich über den Tisch gebeugt, und sein Gesicht hatte einen Ausdruck, als habe er über etwas nachgegrübelt, ohne meine Nähe zu ahnen. Nichtsdestoweniger war meine Aufmerksamkeit geweckt, denn allerdings lag in der Erscheinung des Fremden ein gewisses Etwas, das es schwer machte, seine Gegenwart zu übersehen, hatte man einmal seine Person ins Auge gefaßt. Er schien zwischen fünfzig und sechzig zu sein, und wenn er auch eher nachlässig als elegant gekleidet war, so verriet doch schon sein Äußeres den feinen Herrn, bei dem ein gewisses Selbstbewußtsein mitunter die Ursache ist, daß er das Allzukorrekte scheut. Er hatte ein scharf markiertes Profil und eine fein gebildete Stirn, die Hände waren schmal und wohlgepflegt, und die Sorglosigkeit, mit der er mitten in dieser Umgebung sich seinen Gedanken zu überlassen schien, deutete auf eine ruhige Gleichgültigkeit dem Urteile unbekannter Personen gegenüber. Ich saß gerade und überlegte, welchen Platz im Leben ich diesem Manne wohl zuerteilen sollte, als ich ganz unvorbereitet seinen Blicken begegnete. Sie trafen mich mit einem Ausdruck, der auf mich wirkte wie eine Bekräftigung meiner früheren Ahnung, im nächsten Augenblick glitten sie von mir ab, als schämten sie sich, zuviel gesagt zu haben. Der Wunsch, den ich gehegt hatte, aller Konvenienz zum Trotz direkt auf ihn loszugehen, um ihn unter Gott weiß welchem Vorwande anzureden, war wie mit einem Schlage abgeschnitten. Aber seinen Blick sah ich noch. Er war schillernd und tief, als ob ihn gerade in diesem Augenblick etwas beschäftigt hätte, was dem Innersten und Unerreichbarsten seiner mir fremden Persönlichkeit, seines mir fremden Schicksals angehörte, die Augen selbst waren schön, melancholisch und träumerisch, ein wenig müde, wie von zuviel Resignation. Es lag etwas unaussprechlich Stolzes in der Art und Weise, wie dieser Blick sich hastig verschleierte und in sich selbst zurückzog. Der Mund, der etwas von der Weichheit und dem Humor des Künstlers hatte, bekam, wenn er sich schloß, einen Zug von Energie, der in seltsamem Gegensatz stand zu dem Müden und Zusammengesunkenen, das vor kurzem noch über der ganzen Gestalt des Fremden gelegen hatte.

Nach einer kleinen Weile erhob er sich und schritt hinaus. Er ging elastisch und kräftig wie ein junger Mann, obgleich seine Schritte langsam waren, als gäben sie einer gewissen Würde Ausdruck; den Kopf trug er gerade, ein wenig zurückgebogen. Darauf verschwand er draußen in der Eingangstür, und ich blieb allein mit dem Wunsch, ihn wieder zurückrufen zu können.

Als ich nach Hause ging, begegnete ich ihm nochmals; die Hände in den Rocktaschen, ging er langsam das Trottoir entlang, das nach Humlegarden hinausführt. Es war sternenklar und kalt draußen, und als ich um meine Ecke bog, um heim zu gehen, sah ich ihn auf dem Trottoir stillstehen und nach dem Sternenhimmel hinaufschauen, der weißblau in der Winternacht funkelte.

 


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