Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Dann kam ein Tag, den ich nie vergessen werde. Er begann mit einem Brief, den ich frühmorgens in unserem Briefkasten fand. Er war von Elise und enthielt eine dringende Einladung, ein paar Wochen bei ihr in ihrem Sommerheim zuzubringen. Sie schrieb, in einigen Tagen würde sie sich mit ihrem Manne in Stockholm treffen, sie bat mich mit Gretchen hinzureisen, um dann später in ihrer Gesellschaft nach dem Gute zu fahren.

In dem Glauben, daß die Reise mein Töchterchen erfreuen würde, las ich ihr den ganzen Brief vor und blickte auf, als ich ihn beendet hatte, in der Erwartung, auf ihrem Gesicht ein Lächeln zu finden.

Statt dessen sah ich, wie sie meinem Blick auswich und wie ihr ganzes kleines Gesicht so traurig wurde, als wäre ein großes Unglück geschehen.

»Möchtest du es gern?« fragte sie.

»Ja«, antwortete ich zögernd. »Ich dachte, es würde dir Freude machen.«

Da schlang sie plötzlich ihre Arme um meinen Hals und sagte:

»Ich folge dir, wohin du willst.«

Erst wußte ich nicht, was ich ihr antworten sollte, oder wie ich dies verstehen sollte, und während des ganzen Vormittags beschäftigte mich diese Szene, ohne daß ich sie mir erklären konnte. Als wir uns am Mittag trafen, lag doch über Gretchens Auftreten ein gewisses Etwas, das plötzlich meine Gedanken auf die rechte Spur brachte. So impulsiv war ihr ganzes Wesen, daß sie mir oft diese Eigenschaft mitteilte und meine Gefühle zwang, gleichsam mit den ihren Schritt zu halten. Es ist mir, als sehe ich sie noch, wie sie da vor mir auf der Veranda saß.

Sie versuchte heiter auszusehen und lachte mich an. Aber in ihrem Blick lag es wie Resignation, als ob sie überwunden und ein großes Opfer gebracht hätte. Ihr Gesichtsausdruck war fest, wie nach einem schweren und anstrengenden Entschluß. Die Augen hielt sie abgewendet, nicht eine Muskel rührte sich in dem kleinen, unnahbaren Antlitz. Aber leichte Blutwellen färbten ihre Züge und verschwanden in einem Nu, die Haut bleich hinterlassend. Es war, als leuchtete ihre Seele hindurch und spräche, ihr selber unbewußt, auch wenn sie schwieg.

Und wie ich so dasaß und sie betrachtete, verstand ich plötzlich alles.

Einem richtigen Impuls gehorchend, streckte ich meine Hand aus und faßte die ihrige.

»Ich dachte, es würde etwas langweilig für dich werden den ganzen Sommer hier, allein mit mir zu sein«, sagte ich.

Ich sagte es lachend, im Scherz, so daß sie mich verstehen mußte. Sie erhob sich, und in der nächsten Minute saß sie auf meinem Schoß. Sie zitterte, als fröre sie, und ihre Arme umfaßten meinen Kopf so fest, daß es weh tat.

»Allein mit dir«, sagte sie. »Es ist ja gerade das, was mich glücklich gemacht hat.«

Ich konnte nicht hören, ob sie lachte oder weinte. Wahrscheinlich beides. Aber aus ihren Worten hörte ich, daß ich richtig getan hatte. Ich war ganz glücklich darüber, und was wir zueinander sprachen, war wie ein einziges, frohes Lachen.

»So ist es also dein liebster Traum gewesen,« sagte ich, »daß wir beide hier allein sein und niemand uns stören sollte. Niemand sollte hierher kommen, und wir sollten zu niemandem gehen. So sollte es den ganzen Sommer bleiben, bis der Herbst käme und die dunkeln Abende uns in die Stadt zurückscheuchten. Du und ich. Niemand sonst als du und ich. War es so?«

Bei jedem Wort schmiegte sie sich dichter an mich heran, und mit den Lippen nahe an meinem Ohr flüsterte sie: »Ja.«

»Dann bleiben wir«, sagte ich, glücklich, sie so froh zu sehen.

Sie tat einen Atemzug, so tief, als hätte ich den Kummer der ganzen Welt von ihren Schultern genommen. Als ich später in meinem alten Lehnstuhl unter den Birken halbliegend ruhte, blieb sie nicht wie gewöhnlich, um mir Gesellschaft zu leisten, sondern ging allein in den Garten, wo sie vor meinen Augen verschwand. Ich las meine Zeitungen und schlummerte halbwegs ein. Es schien mir, als ob ich sie zu mir hingehen, sich über mich beugen und wieder fortgehen hörte. Als ich zuletzt aufblickte, ging sie mit einem Arm voll Blumen über die Veranda in mein Zimmer hinein.

Ich blieb lange draußen; alles, was an dem Tage geschehen, war für mich nur eine natürliche Episode in unserem ganzen, glücklichen Sommerleben. Nichts kam mir ungewöhnlich und nichts neu vor. Alles war still, draußen und drinnen; über die Bucht, deren Wasser kaum vom Winde gekräuselt wurde, sah ich die Sonne schräge, abendliche Strahlen werfen.

Da hörte ich, wie sie auf dem Klavier Töne anschlug – ich hatte das Instrument hinausbringen lassen, ohne ihr Wissen, damit sie nichts entbehren sollte – und zu singen anfing. Es war ein Lied, von dem sie wußte, daß ich es gern hatte, aber sie sang es nicht, um mir zu danken. Sie sang, weil sie sich beruhigt fühlte durch meine Worte, daß alles fortgehen sollte, wie es war, und daß niemand uns stören sollte. Ich freute mich darüber, daß sie mit allem so zufrieden war, und nur aus dem Bedürfnis sie zu sehen, erhob ich mich und ging hinein.

Da drinnen war es erst still. Aber dann fing der Gesang von neuem an, ich stand in der Tür, Gretchen gerade gegenüber, und sah ihr ins Gesicht. Es leuchtete wie verklärt, und während des Gesanges lächelte sie mir zu.

Da sah ich, wie sie plötzlich erbleichte und ihre Züge wie im Krampf starr wurden. Sie versuchte die Hände gegen ihr Herz zu pressen, aber sie kamen nicht so weit. Sie blieben wie in der Luft hängen, halb zusammengeballt und steif. Und ehe ich sie erreichen konnte, fiel sie hart auf den Boden nieder.

Ich hob sie auf in meine Arme und trug sie auf mein Bett hinein. Aber nicht einen Laut konnte ich mehr hören, nicht einen Atemzug. Es war alles zu Ende. Zu Ende, alles. – Die Sonne legte goldenen Glanz über die Bucht, und die Schwalben flogen am Fenster vorbei. Ich sah es wohl, aber ich empfand nichts davon. Nur, daß ich allein war, und daß alles vorbei war.

Als mir die Besinnung wiederkehrte, sah ich sie da vor mir. Irgend jemand mußte ihre Augen, die so entsetzlich starrten, geschlossen und ihre Finger ausgestreckt haben. Sie lag da, wie ich sie den ganzen Sommer gesehen hatte. Nicht ein Schatten auf ihren Zügen. Auch nicht der Sonnenschein von draußen reichte an sie heran.

Ihr eigenes, stilles, sanftes Licht begleitete sie auch hier.

Als ich spät abends in mein eigenes Zimmer hineinging, war es mit Blumen geschmückt.

 


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