Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Fünftes Kapitel

Es ist ein großer Irrtum, daß man ohne Schaden für seine Seele in einer Verbindung leben könne mit einer Frau, die niedrig steht. Nichts rächt sich folgenschwerer. Nichts befleckt einen Mann in schlimmerer Weise.

Aber nichts vergißt man auch leichter, wenn das Blut spricht, und niemals spricht die Stimme des Bluts lauter, als wenn man zum erstenmal ein Kind in seinen Armen hält, dessen Dasein man selbst hervorgerufen. Ich weiß wohl, daß die Psychologen im allgemeinen diese Eigenschaft als etwas speziell Weibliches bezeichnen. Aber es muß doch auch Männer geben, bei denen diese Stimme des Blutes ebenso laut redet wie bei irgendeiner Frau. Wenigstens wird es mir schwer, zu glauben, daß je eine Frau ihr Kind mit größerer Leidenschaft angebetet hat, als ich, vom ersten Augenblick seiner Geburt an, jenes kleine Mädchen, dessen Bild du einst auf meinem Schreibtisch gesehen und das in der Taufe den Namen Gretchen erhielt. Ich weiß sehr wohl, daß du, bei der Gelegenheit, die ich erwähne, dieses Bild betrachtet hast. Ich konnte es aus deinen Mienen sehen, und damals war es mir fast lieb, daß dir von selber der Gedanke kam, wie mein Schicksal eigentlich nicht durch ein Weib, sondern durch ein Kind besiegelt wurde.

Als dies Kind aber geboren war, da wurde auch das Verhältnis in unserem Heim ein anderes. Ach, ich erinnere mich noch so gut, wie glücklich diese ersten Jahre waren. Alles wurde mit einem Male so natürlich, als könne es gar nicht anders sein. Signe wurde die sorgsame Mutter, die mein Haus bestellte, mein Lager teilte und meinem kleinen Mädchen die Muttermilch gab. Was all das andere betraf, so hatte ich wie durch einen Zauberschlag fast vergessen, wer sie war und wie ich sie einst gewonnen. Ich sah nur die Kleine, nichts anderes außer ihr. Wenn wir miteinander sprachen, sprachen wir von ihr. Die Bücher ruhten in den Schränken. Kam Besuch, so war es ganz natürlich, daß Signe sich nicht zeigte. Sie mußte ja bei dem Kinde bleiben. Ging ich abends zuweilen aus, so verstand es sich von selbst, daß sie zu Hause blieb. Denn das Kind durfte nicht allein sein. Ich war mit einem Male ein freier Mann geworden. Und das genoß ich sehr.

Aber noch mehr genoß ich die Kleine, sie aufwachsen zu sehen, ihre Fortschritte zu verfolgen, ja, am allermeisten das beglückende Bewußtsein, daß sie überhaupt da war. Von ihrem ersten Lebenstage an richtete ich für sie ein Tagebuch ein, in dem ich alles aufschrieb, was ich an ihr entdecken konnte. Zuerst gab's nicht viel anzumerken, und hätte jemand diese Zeilen gelesen, wäre es ihm sicher komisch vorgekommen, daß ein erwachsener Mann Vergnügen daran finden könne, solche unbedeutende Kleinigkeiten aufzuzeichnen, die jeder Vater bei seinem Kinde einfach beobachten mußte. Auch habe ich sie niemals anderen gezeigt, außer der Einen, die jetzt tot und dahin ist. Aber mit der Zeit wurde es mehr und mehr, was in diesem Buche stand, ja zuletzt wurden es ganze Erzählungen. Das Buch umfaßt einen Zeitraum von zwölf Jahren, es wurde für mich eine stille Zufluchtsstätte, wohin ich mich zurückziehen und von wo aus ich alles andere ruhig ansehen konnte.

Aber während ich an diesem Buche, an diesen Aufzeichnungen und Erinnerungen schrieb, wuchs das Mädchen heran, und ich wurde vor allen anderen ihr Freund. Mit mir spielte sie, mit mir plauderte sie. Mir erzählte sie alles das, was Kinder sonst bis zu dem Tage aufzusparen pflegen, an dem sie einen gleichaltrigen Freund gefunden. Ach, die ersten Jahre meiner Ehe glitten dahin, als wäre ich niemals verheiratet gewesen, sondern hätte nur einen kleinen Freund in mein Heim bekommen, einen Freund, der sich an mich schmiegte, mir alles vorplapperte, mich liebkoste, wenn ich traurig war, mit mir lachte, wenn ich glücklich war, der auf seine kindliche Weise ernst redete, so gut wie nur ein Erwachsener, und der, wenn ich so recht müde oder niedergeschlagen war, keine Ruhe gab, ehe er mich wieder heiter sah.

Während dieser Zeit lebte ich wirklich, wie ich glaube, daß glückliche Menschen leben müssen. Ich grübelte weder über mich selber, über meine Ehe, noch über mein Schicksal im allgemeinen. Ich ging gleichsam meinen einsamen Weg hoch über der ganzen Welt, geführt von der Hand eines unschuldigen kleinen Kindes.

 


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