Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Um diese Zeit hatte ich eine kleine Summe geerbt von einem entfernten Verwandten, welcher starb, ohne direkte Erben zu hinterlassen. Von allem, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist, glaube ich, ist dies das einzige, das wirklich überraschend auf mich wirkte. Dieser Umstand gab mir übrigens die Mittel, meiner Tochter dann und wann eine Freude zu machen, was ich früher nicht gekonnt hatte. Und so viel ist sicher, das an sich unbedeutende Erbe kam zur rechten Zeit.

Das erste, was ich tat, als ich das Geld in die Hände bekam, war, Gretchen ein Pianino zu kaufen. Ein Pianino gehört zu den wenigen Möbeln, die die Macht haben, ein Heim in Grund und Boden umzugestalten. Es erhielt seinen Platz in Gretchens Zimmer, und es ließ sich nicht vermeiden, daß seine Nähe mich hin und wieder irritierte, wenn ich bei meiner Arbeit saß. Aber wenn ich jetzt daran denke, möchte ich wünschen, ich würde noch oft so gestört wie damals.

Schon seit ihrer frühesten Kindheit war für Gretchen nämlich die Musik das Beste gewesen, was sie auf Erden wußte. Ich erinnere mich, wie sie zum ersten Male, als kleines Kind, ein Orchester zu hören bekam; da wurde sie blaß, ergriff meine Hand und drückte sich an mich, indem sie am ganzen Körper wie vor einer Gefahr erzitterte. Solche zufällige Augenblicke des Genusses machten indessen ihre einzigen Erinnerungen von Musik aus, bis wir unser neues Heim einrichteten und sie ihr elftes Jahr erreicht hatte. Da durfte sie neben mir sitzen und Elise spielen hören. Und während solcher Stunden wurde es mir klar, daß ihr Wesen Musik war und daß sie daher am schönsten redete durch eine Bewegung oder einen Blick. Das erste, was sie in der Oper hörte, war »der Freischütz«, und die Wirkung war so stark, daß ich es lange nicht wagte, ihre Bitte zu gewähren und sie noch einmal hinzuführen. Die ganze Nacht darauf lag sie wach, und als ich sie des Morgens ganz erschrocken fragte, ob sie nicht müde sei, antwortete sie nur, daß es nichts mache. »Ich habe so viel Schönes gehört, als ich wach lag.« Was mir dabei auffiel, war, daß sie mit wirklich musikalischem Geschmack begabt zu sein schien. Was man sonst Kindern vorzuspielen pflegt, um sich ihrem Standpunkt anzupassen, ließ sie häufig unberührt, und sie wurde erst ergriffen, wenn sie solche Musik hörte, von der wir anderen im voraus annehmen mußten, daß sie sie nicht verstehen würde. Wenn sie ergriffen war, erblaßte sie stets; sie äußerte sich dann niemals über ihr Gefühl. Erst wenn es vorbei war, holte sie tief Atem, als ob sie von einer Verzauberung erlöst würde, das Blut schoß ihr in die Wangen und machte sie schön. Elise und ich konnten sie dann ansehen und Blicke austauschen, ohne daß sie es merkte. Auf ein paar Worte von mir antwortete sie nur flüsternd: »Es ist so wunderbar.«

Karl Bohrn liebte meine kleine Tochter ganz besonders, und zwischen ihnen entwickelte sich eine Art von heiterer Freundschaft, indem er den aufmerksamen Kavalier spielte und sie es genoß, nicht als Kind behandelt zu werden. Er versuchte sie einmal dazu zu bewegen, von ihm ein Klavier als Geschenk anzunehmen. Aber sie lehnte es ab, ohne einen Grund dafür zu geben. Ich tat meinerseits alles, um sie zu überzeugen, daß es auf keine Weise etwas Verletzendes für mich enthalte, oder daß ich überhaupt etwas dagegen haben könne. Aber sie blieb bei ihrer Meinung. Und als ich selber nun ihr endlich ein Pianino gab, genoß sie das Geschenk doppelt, weil sie gewartet hatte, bis sie es von mir bekommen konnte.

Alles dieses wird in den Ohren Fremder wunderlich klingen, und sicherlich war es das auch. Sie zog mich unmerklich in einen Zauberkreis von Zärtlichkeit hinein, und ohne es zu wissen, war sie es, die den letzten Rest meiner eigenen Natur besiegte, die verlangte, für sich und ihre Entwickelung zu leben. Es war mein Kind, das schließlich mein Erstes und Letztes wurde, und sie selbst war es, die sich diesen Platz eroberte, weil ihre Liebe am größten war. Mit wie starken Banden ich auch an Elise und ihren Mann gefesselt war, das Verhältnis zu ihnen wurde doch immer mehr und mehr ein sekundäres. Eine hoffnungslose Liebe kann in ihrer eigenen Flamme nicht ein Leben hindurch brennen, und was uns drei zusammenband – Elise, Karl Bohrn und mich – und was darin groß war – das war gerade, daß keiner von uns dreien mit kaltem Blute sein eigen Glück auf Kosten der anderen hätte haben mögen.

Zuweilen schien es mir geradezu, als müsse Gretchen etwas davon fühlen und verstehen. Sie empfand, daß sich ein Umschlag zu ihren Gunsten vollzogen hatte und lebte auf in diesem Gefühl. Mit jedem Tage wurde sie zärtlicher, froher und heller, immer mehr sie selbst. Eine Nuance von Zurückhaltung, die sie früher Elise gegenüber hatte und die ein Weib, wenn es liebt, immer hat, wo sie eine Rivalin ahnt, aber es nicht glauben möchte, verschwand und machte einer Anbetung ohne Grenzen Platz, die sich auf alles erstreckte, was Elise sagte, dachte oder tat. Selbstverständlich war dieses Gefühl auch vermischt mit der rein mädchenhaften Schwärmerei für eine schöne Frau. Am glücklichsten fühlte sie sich aber doch, wenn sie mit mir allein war. Und sie war vor allem eifersüchtig in bezug auf unsere Abende.

Im übrigen war sie ganz erfüllt von dem Glück, ein Klavier zu besitzen.

Sie liebte das Instrument, glaube ich, fast wie ein höheres Wesen. Ich hatte ihr eine Anzahl Noten verschafft, darunter auch einige Sammlungen von leichteren Gesängen und Volksliedern. Von diesen sang sie viele und lernte sie auswendig, während sie allein war. Als ich sie einst zufällig dabei überraschte, war sie dem Weinen nahe und bat mich, es gegen niemand zu erwähnen. Es dauerte sehr lange, ehe ich sie zu hören bekam. Aber als es geschah, kam es unerwartet und impulsiv wie alles, was sie vornahm. Sie ging einfach ans Klavier, zündete Licht an, setzte sich und fing an zu singen. Als sie aber erst angefangen hatte, sang sie alle ihre Lieder.

Sie sang klar, rein und einfach, ohne eine Spur von Kunst, mit einem Gefühl aber, das unbeschreiblich war.

Als sie zu Ende war, kam sie zu mir und kroch auf meine Knie.

»Sage es keinem«, bat sie. »Nur für dich singe ich.«

Ich versprach es ihr heilig, und ich hielt mein Versprechen auch. Später sang sie mir öfters vor mit ihrer hübschen, kleinen Stimme, und ich wurde nie müde sie anzuhören. Immer wenn sie zu Ende war, leuchteten ihre Augen wie von einer heimlichen Freude. Niemand auf der ganzen Erde wußte dieses. Niemand außer ihr und mir. Und eben darin lag ihr Glück.

 


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